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Gespensternovellen 2

Vilhelm Bergsøe
Gespensternovellen
Aus dem Dänischen übersetzt von Adolf Strothmann
Autorisierte Ausgabe, Verlag Otto Janke, Berlin 1873
Die glückliche Familie – Teil 2

Das Abendrot glomm durch den Weingarten. Es spielte zwischen seinem feinen, traubenbelasteten Rebenlaub, zeichnete sich wie goldhelle Sonnenflecken aus den Blumen der zierlich gehaltenen kleinen Beete ab, brach sich in den Wasserperlen der Quelle und verwandelte die Stämme und Zweige der großen Walnussbäume in funkelndes Erz. Es lag eine solche Kraft und Fülle in dieser goldenen Beleuchtung, dass sie mein Auge fast blendete, sodass ich die aus dem Weingarten kommenden Personen nicht bemerkte, ehe sie ziemlich dicht vor mir standen. Voran schritt das junge Mädchen von der Loggia. Darauf folgte ein großer, schlanker Mann in kurzen Lederhosen und mit der gewöhnlichen roten Mütze der Ischiataner. Dann kam eine fein gebaute ältere Frau mit einem seltsam stahlgrauen Schimmer in dem dunklen Haar. Den Zug beschloss endlich ein fünfzehnjähriger Bursche, der eine Menge Dohlen- und Wachtelschlingen in der einen und einen Beutel mit gefangenen Vögeln in der anderen Hand trug.

Das junge Mädchen ging, von der älteren Frau, die ich für ihre Schwester hielt, begleitet, in das Haus hinein. Der Knabe blieb stehen und betrachtete mich mit einem neugierigen, halb bewundernden Blicke während der Mann meinen Gruß erwiderte, indem er die rote Mütze kaum merklich rückte: »Auf welchem Weg sind Sie heraufgekommen?«

»Auf dem Felsenpfad«, antwortete ich. »Ich wohne unten im Tal in La Piccola Sentinella und hatte von der lustigen Familie reden hören; so bin ich denn heute Nachmittag hier hinaufmarschiert.«

»Hörst du, Frau?«, rief er mit einem herzlichen Lachen zur Türöffnung hinein. »Sie reden unten in La Piccola Sentinella von der lustigen Familie. In der Lokanda, wohin all die feinen Leute kommen, spricht man von der lustigen Familie hier oben auf dem Berg. Er ist ein Signore und ist doch heraufgekommen, um uns zu besuchen. Ist das nicht spaßig?« Er fuhr fort, so herzlich, so froh und so zufrieden zu lachen, dass ich betreffs seiner nicht den geringsten Zweifel daran hegen konnte, er sei das Haupt der Familie.

»Es kommen wohl nicht viele hierher?«, fragte ich.

»Nein«, antwortete er. »Ja, warten Sie, doch – vor vier Jahren war ein französischer Maler hier. Er malte den Baum dort, den Wasserfall über der Schlucht, das Tal bei Casamicciola und das Meer bis ganz hinüber nach Capo Misene.«

Er hatte sich an den einen der beiden großen Bäume gestellt und deutete mit der Hand in einem weiten Bogen über den Felsrücken hinaus. Ich folgte dieser Handbewegung, und in Wahrheit, es war eine Wunderschau, die sich vor meinen Blicken ausbreitete. Das Felsgebirge bildete hier eine Kluft oder Schlucht, wo die Kastanien wie dunkelgrüne Laubkuppeln in sanftem Fall sich talabwärts verloren. Dann folgte das Tal mit seinem hellerem Weinlaub, mit den blaugrauen Oliven, mit den weißen Häuschen und verstreut liegenden Vignen.

Von da schwebte der Blick über das blinkende, wie mit dem tiefsten Ultramarin gefärbte Meer, und draußen am Horizont glühte und funkelte die sinkende Sonne wie ein riesiger Feuerball, dessen halbe Scheibe schon vom Meer verschlungen war. Links lagen Panzas hohe Felseninseln; Monte Circello und die Landspitze von Gëata glichen zwei flimmernden Sternen, und dann sah man Nisida, Kap Misene und Posilippo, bis endlich der Vesuv, dieser uralte Wächter des Golfes mit der dunklen Feder der Rauchsäule auf seinem Helm und der violetten Nebelkappe um seine Schultern, die Aussicht rechts abschloss.

»Sie wohnen hier schön«, bemerkte ich.

»Schön?«, sagte er und lachte vergnügt. »Ja das will ich meinen! Das sagt meine Frau auch. Anfangs kam es mir gar nicht so schön vor, denn der Boden war so unfruchtbar und die Arbeit so schwer. Aber jeden Abend, wenn wir mit unserem Tagewerk fertig waren, setzten wir uns hier unter die Wallnussbäume, und dann zeigte sie mir den einen Abend. Dies und den anderen Abend jenes, und jetzt kann ich wohl sehen, dass es hier schön ist – schön wie im Paradiese, sagte auch der französische Maler.«

Die Frau war bei diesen Worten herausgekommen. Sie hatte dem Mann ihre Hand auf die Schulter gelegt und blickte wie er zu der sinkenden Sonne hinaus. Ein Sonnenstreif glitt über ihr Gesicht. Ihre Lippen bewegten sich leise, ich war überzeugt, dass sie betete. Sie war fein und klein und hatte die auffallend zierlichen Händchen und Füßchen, welche man bei so vielen Frauen auf Ischia findet. Das bunte Tuch, welches in vielfachen Windungen und fast auf orientalische Weise um ihr Haupt geschlungen war, konnte doch nicht verbergen, dass ihr dunkles Haar hie und da grau zu werden begann. Allein die Augen waren noch voll Leben und Glanz, das Lächeln zwar etwas wehmütig, aber fein, und ihre Bewegungen auffallend leicht und schnell und lieblich. Dennoch lag in ihrer ganzen Haltung etwas, ich will nicht sagen Gebeugtes, aber etwas, das den Eindruck machte, als sei die Arbeit, welche das Leben ihr auferlegt hatte, zu groß und schwer für ihre körperlichen Kräfte gewesen sei.

»Filippo«, sagte sie zu dem Knaben, »bringe dem fremden Signore einen Stuhl. Sind Sie nicht müde von dem beschwerlichen Hinaufklettern? Trinken Sie nicht ein Glas Wein?«

Ich nahm an, dass der Wein uns auf die Tarantella führen könne, und dankte mit der Bemerkung, dass auch ihr Wein unten im Tal gerühmt worden sei.

»Gerühmt?«, rief der Mann. »Ja, das glaube ich; nirgends auf der ganzen Insel finden Sie besseren Wein als in Felicettos Campagna. Als die Mönche noch hier oben im Kloster auf Ipomeo wohnten, wollten sie niemals anderen als Felicettos Wein haben, und das sind gelehrte Leute, die wohl wissen, was sie trinken.«

Er lachte wieder herzlich und rollte ein unförmlich großes Fass beiseite, dass am Ende des Gartenweges vor der Grotte lag und den Eingang zu derselben versperrte. »Wollen Sie meine Cantina sehen?«, rief er drinnen aus dem Dunkel.

Ich schritt an der kleinen, plätschernden Quelle vorbei zu der Grotte hin, die nach italienischer Art in den weichen vulkanischen Tuffstein gehauen war, trat aber unwillkürlich zurück. Ein so kalter Luftstrom drang mir entgegen.

»Ja, es ist die beste Cantina auf der Insel«, sagte er, den langen Heber ergreifend. »Eine so kalte Luft haben Sie wohl noch nie gespürt. Ich darf Giovannina nie mit herein nehmen. Sie will mich immer begleiten, wenn sie die Fässer sieht, denn sie ist sehr auf den Wein erpicht, aber sie erkältet sich hier immer.«

»Hier ist es eben so kalt wie bei uns zu Hause, wenn der Schnee fällt«, versetzte ich und zählte mit einer gewissen Bewunderung die Fässer, deren Reihe sich im Dunkeln verlor. »Wir haben auch solche Grotten in meiner Heimat, aber dort bauen wir sie aus Erde und verwahren in ihnen das Eis, das der Winterfrost über Meere und Seen legt.«

Er ließ den Heber sinken und fragte verwundert: »Aus welchem Land in der Welt sind Sie denn, da es dort so kalt ist?«

»Aus einem kleinen Land hoch oben im Norden, welches Dänemark heißt.«

»So haben Sie dort keinen Wein?«

»Nein, weder Wein noch Trauben, weder Orangen, Zitronen, Mandeln noch Paradiesäpfel.«

»Aber, was bauen Sie denn? Wovon leben Sie?«

Ich fühlte meine dänische Natur in mir sich regen und sagte mit dem ernsten Gefühl des Heimwehs: »Von Roggen, von demselben Getreide, das ich da unten gedroschen werden sah. Daraus backen wir Brot.«

»Herrgott, Ärmster!«, sagte er, »das geben wir den Eseln, wenn sie Füllen haben. Hörst du, Frau«, rief er, indem er mit einer Kanne goldgelben, perlenden Weines heraustrat, »hörst du, der Signore hat von Roggen gelebt. Sie haben dort, wo er herkommt, nichts anders als Roggen. Er ist von Danimarca!«

»Der arme Mensch!«, sagte sie mit dem tiefsten Ernst und hielt das Glas hin, in welches der Mann die perlenden Fluten hinabströmen ließ. »Er sieht trotzdem doch recht kräftig aus.«

Ich ergriff das gefüllte Glas und setzte es an meine Lippen. Es war ein herrlicher Wein, leicht schäumend wie der norditalische Asti und doch den Geschmack desselben mit dem ganzen Feuer und der Kraft des Falerners vereinend. Während ich trank, sah ich den Mann der Frau einen bedeutungsvollen Blick zuwerfen und bemerkte, dass sie ein paar Worte miteinander wechselten.

»Wir essen gleich zu Abend«, begann sie mit einer gewissen Verlegenheit, »aber ich weiß nicht, ob Sie eine so einfache Kost teilen mögen. Wir haben nur eine Mais-Polenta und die Wachteln, welche Filippo gefangen hat – ja, und dann haben wir Früchte«, fügte sie hinzu.

In ihrer bescheidenen Einladung lag etwas außerordentlich Freundliches, aber ich konnte mich des Eindruckes nicht erwehren, dass mir dieselbe namentlich deshalb zuteilwurde, weil sie wusste, dass ich daheim so schlecht lebte, wie hier zu Lande die Esel. Es war augenscheinlich, dass ihr das Mut gemacht hatte.

Ich wollte sie noch mehr in Erstaunen setzen und sagte daher: »In meiner Heimat haben wir beständig Schmetterlinge. Im Sommer sind sie buntfarbig und flattern von Blume zu Blume wie hier; aber wenn der Winter kommt, verlieren sie ihre Pracht, sie werden glänzend weiß und verschwinden wie Tau zwischen unseren Fingern, wenn wir sie nur berühren. Im Sommer haben wir das Meer blau und blinkend, wie hier; aber im Winter, wenn der Nordwind über dasselbe hinstreicht, wird es hart und durchsichtig wie Glas. Dann erstarrt alles fließende Wasser in Bächen und Quellen, ja selbst der Regen hängt wie kristallhelle Glastränen in den Zweigen der Bäume. Dann schnallen wir hölzerne Schuhe, unter welchen eine Messerklinge befestigt ist, unter unsere Füße und können auf der spiegelglatten Fläche so rasch dahinfliegen, dass der Vogel uns kaum zu folgen vermag.«

Der Mann starrte mich verwundert an, als erzählte ich Märchen aus einer anderen Welt. Auch die Tochter, welche herausgekommen war und an die Türschwelle gelehnt in der offenen Loggia stand, ließ fragend ihre schönen Augen mit einem unsicheren Ausdruck auf mir ruhen. Aber die Frau blickte auf und sagte: »Der Signore hat recht; in Danimarca fällt der weiße Schnee wie kleine Schmetterlinge, und das Eis liegt wie ein Spiegel weit auf den Wassern. Menschen und Pferde gehen darüber hin.«

»Sie hat recht«, sagte Felicetto, als er bald darauf mit mir in den Weingarten hinabging, während Frau und Tochter das Abendessen bereiteten. »Sie weiß vieles – viel mehr als ich. Sie war eine Zeit lang bei einer dänischen Familie in Neapel. Dort hat sie viel gelernt. Sie hat die Dänen nie vergessen; das müssen gute Leute sein.«

Wir waren zu einem Abhang der Vigne gekommen, wo die Sonne vormittags mit ihrer vollen Glut brennen musste, denn die Luft war noch feucht und warm wie in einem Treibhaus. Von den angrenzenden Tufffelsen strahlte die Wärme wie aus einem Ofen. Der kleine Felsquell, welcher von oben herabkam, floss hier schon als ein kleiner Bach. Mit großer Sorgfalt war sein Wasser durch eine Menge schmaler Rinnen geleitet, sodass die Erde fast wie die abgeteilten Felder eines Schachbrettes aussah. Auf jedem dieser Felder, dass ein Beet für sich bildete, wucherte es von riesigen dunkelgrünen Blättern, deren Adern wie Gold schimmerten. Unter dieser tropischen Blätterpracht blinkten große gelbe Früchte hervor, deren Natur ich jedoch wegen des üppigen Laubwerks nicht erkennen konnte.

»Was für Früchte sind das?«, fragte ich.

»Monacellos«, antwortete er.

»Monacellos?«, wiederholte ich erstaunt. »Das wäre ja ein merkwürdiger Name. Monacellos sind ja die flüchtigen Geister, die sich in den Felsschluchten verbergen, die nur hervorkommen, wenn der Vollmond scheint, und, je nachdem es ihrem betörenden, neckischen Sinn gefällt, den Wanderer bald in die Irre leiten, bald ihm den Gang der Metalladern im harten Gestein oder verborgene Schätze zeigen, welche von längst verschwundenen Geschlechtern vergraben worden sind.«

»Sie wissen also auch von den Monacellos?«, sagte er, mich mit einem aufmerksamen Blick betrachtend. »Fassen Sie diese an, Signor, dann werden Sie sehen, dass es kein Geist ist.«

Er hatte eine der langen Ranken aufgehoben und legte nun eine große, schwere, goldglänzende Frucht in meine Hände. Sie hatte ein wunderbar feines Aroma, fast wie eine Mischung von Rosen und Erdbeeren, war aber betreffs ihrer sonstigen Beschaffenheit wohl eher ein Mittelding zwischen Kürbis und Melone. Ihre Schale war kreuz und quer von einem Netz fein gemeißelter Adern durchzogen. Vielleicht war es das Spiel der Abendsonne auf diesen, was ihr einen so ausfallend metallischen Schimmer, fast wie Gold, verlieh. Auch die Form war merkwürdig. Obwohl die Kürbisfrucht die wunderlichsten Gestalten annehmen kann, hatte ich diese doch nie zuvor gesehen. Die Frucht hatte oben eine Einschnürung, sodass gleichsam ein runder Kopf auf einem schmäleren Hals saß; dann verbreiterte sie sich wie ein Rumpf und endete mit zwei vorspringenden Knoten. Mit etwas Fantasie konnte man sich recht gut vorstellen, dass es ein kleiner dickbäuchiger Mann mit kurzen Beinen sei, der unter den schattigen Blättern Rast hielte.

»Sie glänzt ja wie Gold«, sagte ich. »Und wie schwer sie ist! Solche Früchte habe ich hier auf der Insel noch nie gesehen. Wir haben sie nie in La Piccola Sentinella bekommen und dort gibt es doch gute Früchte.«

»Nein, das glaube ich wohl«, lachte er. »Wenn man nur Pfirsiche und japanische Mispeln für die Fremden kauft, so sind die schon vergnügt. Sie verstehen sich weder auf Wein noch auf Früchte wie die Neapolitaner. Das Schlechteste ist immer gut genug für die Inglesi, sagen auch die Hotelwirte. Außerdem bezahlt man auch nicht einen Ducato für ein Pfund solcher Frucht, wenn man andere Sorten für ein Paar Bajocchi haben kann. Nein, diese wandern alle direkt nach Napoli. Dort ist ein Fruchthändler in Mercato, der sie allein verkauft.«

Er legte die goldene Frucht wieder sehr sorgsam hin; aber plötzlich schien ihm ein anderer Gedanke zu kommen und er bückte sich wieder über das Beet hinab. »Wir wollen heute Abend eine verspeisen«, sagte er und zog sein breites Winzermesser aus dem Gürtel. »Sonst essen wir sie niemals selbst, aber heute Abend soll es ein Fest geben.«

»Sie ist viel zu groß«, rief ich und zog seinen Arm zurück.

»Glauben Sie?«, fragte er mit einem listigen Blick. »Warten Sie bis Sie sie schmecken.«

Mit der goldenen Frucht auf dem Kopf schritt er dem Haus zu. Ich folgte ihm langsam und freute mich, doch einmal echtes italienisches Bauernleben und so unverdorbene Naturen zu sehen wie die, in deren Mitte ich so gastlich aufgenommen worden war.

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