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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XX

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XX. Grimaud tritt in Funktion

Grimaud fand sich also mit seinem günstigen Äußeren im Turm von Vincennes ein. Monsieur von Chavigny bildete sich ein, ein unfehlbares Auge zu haben, was zu dem Glauben führen konnte, er wäre wirklich der Sohn des Kardinal von Richelieu gewesen, dessen ewige Anmaßung dies ebenfalls war. Er prüfte also aufmerksam den Bewerber und schloss aus der Anschauung, dass die nahe zusammenlaufenden Augenbrauen, die dünnen Lippen, die hakenförmige Nase und die hervorstehenden Backenknochen vollkommen genügende Anzeigen wären.

Er richtete nur zwölf Worte an ihn, Grimaud antwortete vier.

»Das ist ein ausgezeichneter Bursche, und so habe ich ihn auch sogleich beurteilt«, sprach Monsieur von Chavigny. »Geht zu Monsieur La Ramée und sagt ihm, Ihr entsprecht mir in jeder Beziehung.«

Grimaud wandte sich auf dem Absatz um und unterwarf sich der viel strengeren Inspektion von La Ramée. Was diese Sache schwieriger machte, war der Umstand, dass Monsieur von Chavigny wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte, und dass er sich wollte auf Grimaud verlassen können.

Grimaud besaß gerade die Eigenschaften, welche einen Gefreiten verführen können, der einen Untergefreiten zu haben wünscht. Nach tausend Fragen, von denen jede nur eine Viertelantwort erhielt, rieb sich La Ramée, bezaubert durch diese Mäßigkeit in Worten, die Hände und nahm Grimaud an.

»Der Befehl?«, fragte Grimaud.

»Folgendes: Den Gefangenen nie allein lassen, ihm jedes stechende oder schneidende Instrument nehmen, ihn verhindern, den Leuten außen Zeichen zu machen oder zu lange mit seinen Wächtern zu sprechen.«

»Dies ist alles?«, fragte Grimaud.

»Alles für den Augenblick«, antwortete La Ramée.

»Neu eintretende Umstände führen neue Befehle herbei.«

»Gut«, antwortete Grimaud.

Und er trat bei dem Herzog von Beaufort ein. Der Herzog war eben im Begriff, seinen Bart zu kämmen, den er sowie seine Haupthaare wachsen ließ, um Mazarin mit der Schaustellung seines Elends und mit Paradieren seines schlechten Aussehens Bange zu machen. Da er aber einige Tage vorher von der Höhe seines Turms herab im Hintergrund eines Wagens die schöne Frau von Montbazon, deren Andenken ihm immer noch teuer war, zu sehen geglaubt hatte, so wollte er für sie nicht das sein, was er für Mazarin war, und verlangte einen bleiernen Kamm, der ihm auch bewilligt wurde.

Monsieur von Beaufort verlangte einen bleiernen Kamm, weil er, wie alle Blonde, einen rötlichen Bart hatte. Er färbte ihn, indem er ihn kämmte.

Grimaud sah bei seinem Eintritt den Kamm, den der Prinz soeben auf den Tisch gelegt hatte. Er nahm denselben mit einer Verbeugung.

Der Herzog schaute diese seltsame Figur staunend an.

Die Figur steckte den Kamm in ihre Tasche.

»Holla, he! Was ist das!«, rief der Herzog. »Wer ist dieser Bursche?«

Grimaud antwortete nicht, sondern verbeugte sich zum zweiten Mal.

»Bist du stumm?«, rief der Herzog.

Grimaud machte ein verneinendes Zeichen.

»Was bist du denn? Antwort! Ich befehle es dir«, sagte der Herzog.

»Wächter«, antwortete Grimaud.

»Wächter!«, rief der Herzog, »gut, es fehlte mir nur noch dieses Galgengesicht zu meiner Sammlung. Holla! La Ramée! Herbei!«

La Ramée erschien. Zum Unglück für den Prinzen war er, auf Grimaud bauend, im Begriff, sich nach Paris zu begeben. Er befand sich bereits im Hof und kam unzufrieden zurück.

»Was gibt es, mein Prinz?«, fragte er.

»Wer ist dieser Halunke, der meinen Kamm nimmt und ihn in seine Tasche streckt?«, fragte Monsieur von Beaufort.«

»Einer von Euren Wächtern, Monseigneur, ein Bursche voll Verdienst, den Ihr, wie ich überzeugt bin, schätzen werdet wie Monsieur von Chavigny und ich.«

»Warum nimmt er mir meinen Kamm?«

»In der Tat«, sagte La Ramée, »warum nehmt Ihr den Kamm von Monseigneur?«

Grimaud zog den Komm aus seiner Tasche, strich mit dem Finger darüber, betrachtete und zeigte den dicken Zahn und sprach nur das einzige Wort: »Stechend!«

»Das ist wahr«, sagte La Ramée.«

»Was spricht dieses Tier?«. fragte der Herzog.

»Es sei jedes stechende Instrument Monseigneur vom König verboten.«

»Ei, seid Ihr verrückt, La Ramée? Ihr selbst habt mir diesen Kamm gegeben.«

»Und ich hatte großes Unrecht, Monseigneur, denn ich setzte mich dadurch in Widerspruch mit dem Befehl.«

Der Herzog schaute Grimaud, welcher den Kamm La Ramée übergeben hatte, wütend an.«

»Ich sehe vorher, dass mir dieser Bursche ungeheuer missfallen wird«, murmelte der Prinz.«

In der Tat, im Gefängnis gibt es kein in der Mitte liegendes Gefühl; wie einem alles, Menschen und Dinge, Freund oder Feind ist, so liebt oder hasst man zuweilen mit Vernunft, aber noch viel häufiger aus Instinkt. Aus dem einfachen Grund aber, dass Grimaud bei dem ersten Blick Monsieur von Chavigny und La Ramée gefallen hatte, musste er, insofern die Eigenschaften, welche in den Augen des Gouverneurs und des Gefreiten gut erschienen, Mängel in den Augen des Gefangenen wurden, gleich von Anfang an Monsieur von Beaufort missfallen.

Grimaud aber wollte nicht schon am ersten Tag unmittelbar mit dem Gefangenen brechen. Er bedurfte keines improvisierten Widerstrebens, sondern eines schönen, guten, festhaltenden Hasses. Er entfernte sich also, um vier Wachen Platz zu machen, welche, vom Frühstück zurückkommend, ihren Dienst wieder bei dem Prinzen versehen konnten.

Der Prinz hatte seinerseits einen neuen Spaß zu vollführen, auf den er große Stücke hielt. Er hatte für sein Frühstück am nächsten Tag Krebse verlangt und gedachte den laufenden Tag mit Verfertigung eines kleinen Galgens zuzubringen, an welchen er den Schönsten mitten in seinem Zimmer hängen wollte. Die rote Farbe, die ihm das Sieden geben müsste, würde keinen Zweifel über die Anspielung übrig lassen, und so hätte er das Vergnügen, den Kardinal in effigie zu hängen, in Erwartung der Zeit, wo er wirklich gehenkt würde, ohne dass man ihm zum Vorwurf machen könnte, er habe etwas anderes gehenkt als einen Krebs.

Der Tag wurde zu den Vorbereitungen zur Hinrichtung verwendet. Man wird sehr kindisch im Gefängnis, und Monsieur von Beaufort hatte den Charakter, um es mehr zu werden als jeder andere. Er ging wie gewöhnlich spazieren, brach einige kleine Zweige ab, welche dazu bestimmt waren, eine Rolle bei der Hinrichtung zu spielen. Er fand, nachdem er lange gesucht hatte, ein Stück zerbrochenes Glas, ein Fund, der ihm das größte Vergnügen machte. In sein Zimmer zurückgekehrt, faserte er sein Sacktuch aus.

Keiner von diesen einzelnen Umständen entging dem beobachtenden Auge von Grimaud.

Am nächsten Morgen war der Galgen bereit. Um ihn mitten in seinem Zimmer aufstellen zu können, schabte Monsieur von Beaufort eines von seinen Enden mit seinem zerbrochenen Glas ab.

La Ramée schaute seinem Treiben mit der Neugierde eines Vaters zu, welcher glaubt, er werde vielleicht ein neues Spielzeug für seine Kinder entdecken. Die vier Wachen betrachteten die Sache mit der müßiggängerischen Miene, welche zu jener Zeit, wie heutzutage, der Hauptcharakter der Physiognomie des Soldaten bildete.

Grimaud trat ein, als der Prinz soeben sein Stück Glas niedergelegt hatte, obwohl das Zuspitzen des Galgenfußes noch nicht vollendet war. Er hatte sein Tun unterbrochen, um den Faden an das entgegengesetzte Ende des Galgens zu binden.

Er warf auf Grimaud einen Blick, in welchem sich ein Überrest der bösen Laune vom vorhergehenden Tag offenbarte. Da er aber im Voraus mit dem Erfolg, der seiner neuen Erfindung nicht entgehen konnte, sehr zufrieden war, so schenkte er ihm keine weitere Aufmerksamkeit.

Erst als er einen Schifferknoten an ein Ende seines Fadens und einen laufenden Knoten an das andere gemacht, nachdem er einen Blick auf die Platte mit Krebsen geworfen und mit dem Auge den majestätischsten ausgesucht hatte, wandte er sich zurück, um sein Stück Glas zu suchen. Das Stück Glas war verschwunden.

»Wer hat mir mein Stück Glas genommen?«, fragte der Prinz, die Stirn runzelnd.

Grimaud machte ein Zeichen, dass er es wäre.

»Wie? Du abermals! Warum hast du es mir genommen?«

»Ja«, fragte La Ramée«, »warum habt Ihr Seiner Hoheit das Stück Glas genommen?«

Grimaud, der das Glasbruchstück in der Hand hielt, fuhr mit dem Finger darüber und sagte: »Schneidend.«

»Das ist richtig, Monseigneur«, sprach La Ramée. »Teufel, was für einen kostbaren Mann haben wir da bekommen.«

»Monsieur Grimaud«, rief der Prinz, »in Eurem eigenen Interesse beschwöre ich Euch, seid darauf bedacht, nie in den Bereich meiner Hand zu kommen.«

Grimaud mochte eine Verbeugung und zog sich an das Ende des Zimmers zurück.

»Still, still, Monseigneur«, sagte La Ramée, »gebt mir Euren Galgen, ich will ihn mit meinem Messer anspitzen.«

»Ihr?«, sagte der Herzog lachend.

»Ja, ich; war es nicht das, was Ihr wünschtet?«

»Allerdings.«

»Schön, das wird im Ganzen nur noch drolliger werden«, sprach der Herzog. »Hier, mein lieber La Ramée.«

La Ramée, welcher den Ausruf des Prinzen nicht verstanden hatte, spitzte den Fuß des Galgens auf das Niedlichste zu.

»Gut«, sagte der Herzog, »macht mir nun ein kleines Loch in den Boden, während ich den armen Sünder hole.«

La Ramée kniete nieder und höhlte den Boden aus.

Während dieser Zeit hing der Prinz seinen Krebs an den Faden.

Dann pflanzte er den Galgen mitten im Zimmer auf und brach in ein lautes Gelächter aus.

La Ramée lachte auch aus vollem Herzen, ohne recht zu wissen, warum er lachte, und die Wachen machten Chorus.

Grimaud allein lachte nicht. Er näherte sich La Ramée, deutete auf den Krebs, der sich am Ende des Fadens drehte und sagte: »Kardinal.«

»Gehenkt von seiner Hoheit, dem Herzog von Beaufort«, versetzte der Prinz immer stärker lachend, »und von Meister Jacques Chrysostome La Ramée, Gefreiten des Königs.«

La Ramée stieß einen Schrei des Schreckens aus und stürzte zu dem Galgen, den er aus der Erde riss und in einige kleine Stücke zerbrach, die er zum Fenster hinaus warf. Er war im Begriff, dasselbe mit dem Krebs zu tun, dergestalt hatte er den Verstand verloren, als Grimaud ihm denselben aus den Händen nahm und sagte: »Gut zum Essen.«

Und er steckte den Krebs in seine Tasche.

Diesmal hatte der Herzog so großes Vergnügen an dieser Szene gefunden, dass er Grimaud die Rolle, die er dabei spielte, beinahe verzieh. Als er jedoch im Verlauf des Tages über die Absicht nachdachte, welche sein Wächter dabei gehabt hatte, und diese Absicht ihm im Grunde schlecht vorkam, so fühlte er eine merkliche Zunahme seines Hasses gegen ihn.

Aber die Geschichte vom Krebs fand nichtsdestoweniger zur größten Verzweiflung von La Ramée, einen ungeheuren Widerhall im Inneren des Turmes und auch außerhalb desselben. Monsieur von Chavigny, der in der Tiefe seines Herzens den Kardinal verabscheute, war bemüht, die Anekdote einigen wohlgesinnten Freunden anzuvertrauen, die sie sogleich verbreiteten.

Mit dieser Geschichte brachte Monsieur von Beaufort zwei bis drei Tage zu.

Mittlerweile hatte der Herzog unter seinen Wachen einen Mann von gutem Aussehen bemerkt, den er umso mehr liebkoste, wie ihm Grimaud jeden Augenblick mehr missfiel. Eines Morgens, als er diesen Mann beiseite genommen hatte und mit ihm einige Zeit allein sprach, trat Grimaud ein, betrachtete, was vorging, näherte sich ehrfurchtsvoll der Wache und dem Prinzen und nahm die Wache beim Arm.

»Was wollt Ihr?«, fragte der Prinz mit hartem Ton.

Grimaud führte die Wache einige Schritte weg, deutete auf die Tür und sagte: »Geht.«

Die Woche gehorchte.

»Aber Ihr seid mir ganz unerträglich!«, rief der Prinz.

Grimaud verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

»Ich breche Euch die Knochen entzwei«, schrie der Prinz in Verzweiflung.

Grimaud verbeugte sich zurückweichend.

»Monsieur Spion«, fuhr der Herzog fort, »ich erdrossle Euch mit meinen Händen.«

Grimaud verbeugte sich abermals und immer mehr zurückweichend.

»Und zwar«, versetzte der Prinz, welcher dachte, es wäre das Beste, sogleich ein Ende zu machen, »nicht später als in diesem Augenblick.«

Er streckte seine krampfhaft zusammengezogenen Hände gegen Grimaud aus, der nun die Wache hinausstieß und die Tür hinter ihr schloss. In diesem Augenblick fühlte er, wie die Hände des Prinzen sich auf seine eisernen Schultern herabsenkten. Aber statt zu rufen oder sich zu verteidigen, beschränkte er sich darauf, langsam seinen Zeigefinger in die Höhe seiner Lippen zu führen und sein Gesicht mit seinem reizendsten Lächeln färbend das Wort Still! mit halber Stimme zu sprechen.

Ein Lächeln, eine Gebärde und ein Wort von Grimaud war etwas so Seltenes, dass Seine Hoheit plötzlich voll Staunen inne hielt.

Grimaud benutzte diesen Augenblick, um aus dem Futter seines Wamses ein reizendes kleines Billett mit aristokratischem Siegel hervorzuziehen, dem sein langer Aufenthalt in den Kleidern von Grimaud seinen ersten Wohlgeruch nicht hatte benehmen können, und reichte es dem Herzog, ohne ein Wort zu sprechen.

Immer mehr erstaunt, ließ der Herzog Grimaud los, nahm das Billett und rief, die Handschrift erkennend:

»Von Frau von Montbazon!«

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen mit dem Kopf.

Der Herzog zerriss rasch den Umschlag, fuhr mit der Hand über die Augen und las wie folgt:

Mein lieber Herzog!

Ihr könnt Euch vollkommen dem braven Burschen anvertrauen, der Euch dieses Billett zustellt, denn er ist der Bediente eines Edelmanns, welcher uns gehört und für ihn als einen durch zwanzigjährige Treue erprobten Mann bürgt. Er hat eingewilligt, in den Dienst Eures Gefreiten zu treten und sich mit Euch in Vincennes einzuschließen, um Eure Flucht, mit der wir uns beschäftigen, vorzubereiten und zu unterstützen.

Der Augenblick der Befreiung ist nahe. Fasst Geduld und Mut und bedenkt, dass trotz Zeit und Abwesenheit alle Eure Freunde die Gefühle bewahrt haben, welche sie für Euch hegten.

Euere stets und immer wohlgeneigte

Marie von Montbazon.

N.S. Ich unterzeichne alle Briefe, weil es zu große Eitelkeit wäre, zu denken, Ihr würdet nach fünf Jahren meine Anfangsbuchstaben wiedererkennen.

Der Herzog blieb einen Augenblick wie betäubt. Was er seit fünf Jahren suchte, ohne es zu finden, einen Diener, einen Beistand, einen Freund, das fiel ihm plötzlich vom Himmel zu, und zwar in einem Augenblick, wo er es am wenigsten erwartete. Er schaute Grimaud erstaunt an, kehrte zu seinem Brief zurück und las ihn noch einmal von Anfang bis zu Ende.

»Oh! Teure Marie«, murmelte er, als er geendet hatte, »sie ist es also gewesen, die ich im Hintergrund ihres Wagens wahrgenommen habe. Wie, sie denkt noch an mich nach einer Trennung von fünf Jahren! Bei Gott, das ist eine Beständigkeit, wie man sie nur in der Asträa sieht.«

Dann sich gegen Grimaud umwendend, fügte er bei: »Und du, mein braver Junge, du willst uns also helfen?«

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen.

»Du bist nur deshalb hierhergekommen?«

Grimaud wiederholte sein Zeichen.

»Und ich wollte dich erdrosseln!«, rief der Herzog.

Grimaud lächelte.

»Doch halt«, sprach der Herzog. Er suchte in seinen Taschen. »Warte«, fuhr der Herzog seinen fruchtlosen Versuch erneuernd fort, »man soll nicht sagen, eine solche Aufopferung für einen Enkel Heinrichs IV. bleibe unbelohnt.«

Die Bewegung des Herzogs von Beaufort deutete die beste Absicht der Welt an. Aber es war eine der Vorsichtsmaßregeln in Vincennes, den Gefangenen kein Geld zu lassen.

Als Grimaud die Enttäuschung und den Ärger des Herzogs bemerkte, zog er aus seiner Tasche eine Börse voll Gold, überreichte sie ihm und sagte: »Das ist es, was Ihr sucht.«

Der Herzog öffnete die Börse und wollte sie in die Hände von Grimaud leeren, Grimaud aber schüttelte den Kopf und sprach zurückweichend: »Ich danke, Monseigneur, ich bin bezahlt.«

Der Herzog fiel aus einem Erstaunen in das andere. Der Herzog reichte ihm die Hand. Grimaud näherte sich und küsste sie ehrfurchtsvoll. Die vornehmen Manieren von Athos waren eine Schule für Grimaud gewesen.

»Und nun«, fragte der Herzog, »was werden wir tun?«

»Es ist elf Uhr«, versetzte Grimaud. »Um zwei Uhr verlange Monseigneur eine Partie Ball mit La Ramée zu spielen und schleudere zwei bis drei Bälle über den Wall.«

»Gut, danach?«

»Danach … wird sich Monseigneur der Mauer nähern und einem Mann, der im Graben arbeitet, zurufen, er solle sie ihm zurückwerfen.«

»Ich begreife«, sagte der Herzog.

Das Antlitz von Grimaud schien eine lebhafte Befriedigung auszudrücken. Bei dem geringen Gebrauch, den er von der Gewohnheit der Sprache machte, wurde ihm das Reden schwer.

Er schickte sich an, abzugehen.

»Du willst also nichts annehmen?«, sprach der Herzog.

»Ich wünschte, Monseigneur würde mir eines versprechen.«

»Was? Sprich.«

»Dass ich, wenn wir fliehen, immer zuerst hinausgehen darf, denn wenn man Monseigneur wieder erwischt, so läuft er höchstens Gefahr, in das Gefängnis gebracht zu werden, während ich, wenn man mich erwischt, wenigstens gehenkt werde.«

»Das ist nur zu richtig«, erwiderte der Herzog, »auf Edelmannswort, es soll geschehen, wie du verlangst.«

»Nun habe ich mir von Monseigneur nur noch zu erbitten, dass er mir fortwährend die Ehre erweise, mich zu verabscheuen, wie bisher.«

»Ich werde mich bemühen«, sprach der Herzog.

Man klopfte an die Tür.

Der Herzog steckte sein Billett und seine Börse in die Tasche und warf sich auf sein Bett. Man wusste, dass dies seine Zuflucht in seinen großen Augenblicken des Ärgers und der Langweile war. Grimaud öffnete. Es war La Ramée, welcher vom Kardinal zurückkehrte, wo die von uns erzählte Szene vorgefallen war.

La Ramée warf einen forschenden Blick um sich her. Als er immer noch dieselben Symptome des Widerwillens zwischen dem Gefangenen und seinem Wächter wahrnahm, lächelte er voll innerer Zufriedenheit.

Dann wandte er sich nach Grimaud um und sagte: »Gut, mein Freund, gut; man hat geeigneten Ortes von Euch gesprochen, und ich hoffe, Ihr sollt bald eine Neuigkeit erfahren, die Euch nicht unangenehm sein wird.«

Grimaud grüßte mit einer Miene, die er freundlich zu machen suchte, und entfernte sich, was seine Gewohnheit war, wenn sein Vorgesetzter eintrat.

»Nun, Monseigneur«, sprach La Ramée mit seinem plumpen Lachen, »Ihr schmollt immer noch mit diesem armen Burschen?«

»Ah! Ihr seid es, La Ramée«, sagte der Herzog, »meiner Treu, es war Zeit, dass Ihr kamt. Ich hatte mich auf mein Bett geworfen und die Nase der Wand zugedreht, um der Versuchung nicht nachzugehen, mein Wort zu halten und diesen Schurken Grimaud zu erdrosseln.

»Ich zweifle«, erwiderte La Ramée mit einer geistreichen Anspielung auf die Stummheit seines Untergeordneten, »dass er Eurer Hoheit etwas Unangenehmes gesagt hat.«

»Bei Gott, ich glaube wohl ein Stummer aus dem Orient. Ich schwöre es Euch, es war Zeit, dass Ihr zurückkamt, La Ramée, und es drängte mich, Euch wiederzusehen.«

»Monseigneur ist zu gut«, versetzte La Ramée, von dem Kompliment geschmeichelt.

»Ja«, fuhr der Herzog fort, »in der Tat, ich fühle mich heute von einer Ungeschicklichkeit, die Euch Vergnügen gewähren wird.

»Wir machen also eine Partie Ball?«, sagte La Ramée maschinenmäßig.

»Wenn Ihr wollt.«

»Ich bin Monseigneur zu Befehl.«

»Das heißt, mein lieber Ramée«, sprach der Herzog, »Ihr seid ein sehr artiger Mann, und ich möchte gern ewig in Vincennes bleiben, um das Vergnügen zu haben, mit Euch mein Leben zuzubringen.«

»Monseigneur«, erwiderte La Ramée, »ich glaube, es hängt nicht von dem Kardinal ab, wenn Eure Wünsche nicht erfüllt werden.«

»Wieso? Habt Ihr ihn vor Kurzem gesehen?«

»Er hat mich diesen Morgen holen lassen.«

»Wirklich! Um Euch über mich zu sprechen.«

»Worüber soll er mit mir sprechen? In der Tat, Monseigneur, Ihr seid sein Alp.«

Der Herzog lächelte bitter. »Ach! Wenn Ihr mein Anerbieten annehmen wolltet, La Ramée …«

»Still, Monseigneur, warum abermals von diesen Dingen sprechen; Ihr sehr wohl, dass Ihr nicht vernünftig seid.«

»La Ramée, ich habe Euch gesagt und wiederhole Euch, ich würde Euer Glück machen.«

»Womit? Ihr werdet nicht sobald aus dem Gefängnis sein, wie man Eure Güter konfiszieren wird.«

»Ich werde nicht sobald aus dem Gefängnis entkommen, wie ich Monsieur von Paris sein werde.«

»Still, still doch! Kann ich denn solche Dinge anhören? Das ist eine schöne Sprache gegen einen Offizier des Königs! Ich sehe wohl, Monseigneur, ich muss einen zweiten Grimaud suchen.«

»Gut, sprechen wir nicht mehr davon. Es war also zwischen dir und dem Kardinal die Rede von mir? La Ramée, du solltest eines Tages, wenn du bei ihm erscheinen musst, mich deine Kleider anlegen lassen. Ich ginge an deiner Stelle, würde ihn erdrosseln und stellte mich, wenn es Bedingung wäre, auf Edelmannswort selbst wieder im Gefängnis.«

»Monseigneur, ich sehe wohl, ich muss Grimaud rufen.«

»Ich habe unrecht. Und was hat er dir gesagt, der Philister?«

»Ich lasse Euch das Wort gelten, Monseigneur«, sprach La Ramée mit seiner Miene, »weil es sich reimt auf Minister. Was er mir gesagt hat? Er hat mir gesagt, ich solle Euch überwachen.«

»Und warum mich überwachen?«, fragte der Herzog unruhig.

»Weil ein Astrologe prophezeit hat, Ihr würdet entkommen.«

»Ach! Ein Astrologe hat dies prophezeit«, sagte der Herzog unwillkürlich bebend.«

»Oh, mein Gott, ja sie wissen nicht, was sie erfinden sollen, diese Dummköpfe von Magiern, um ehrwürdige Leute zu plagen.«

»Und was hast du der hochwürdigsten Eminenz geantwortet.«

»Wenn der fragliche Astrologe Almanache mache, so rate ich ihr nicht, solche zu kaufen.«

»Warum?«

»Weil Ihr, um zu entfliehen, Fink oder Zaunkönig werden müsstet.«

»Du hast leider sehr recht, doch wir wollen eine Partie Ball spielen, La Ramée.«

»Monseigneur, ich bitte Eure Hoheit um Vergebung, aber ich bedarf der Frist von einer halben Stunde.«

»Und warum dies?«

»Weil Monseigneur Mazarin, obwohl nicht von so guter Geburt, doch viel stolzer ist als Ihr und mich zum Frühstück einzuladen vergessen hat.«

»Nun gut, so will ich dir Frühstück hierher bringen lassen.«

»Nein, Monseigneur, ich muss Euch sagen, dass der Pastetenbäcker, welcher dem Schloss gegenüber wohnte und den man den Vater Marteau nannte …«

»Nun?«

»Vor acht Tagen sein Besitztum an einen Pastetenbäcker von Paris verkauft hat, dem die Ärzte, wie es scheint, die Landluft anrieten.«

»Was geht das mich an?«

»Wartet doch, Monseigneur. Dieser verdammte Pastetenbäcker hat vor seiner Bude eine Masse von Dingen, die einem den Mund wässern machen.«

»Leckermaul!«

»Ei, mein Gott, Monseigneur«, versetzte La Ramée, »man ist nicht Leckermaul, wenn man gerne gut isst. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er die Vollkommenheit in Pasteten wie in allen andern Dingen sucht. Dieser Spitzbube von einem Pastetenbäcker, Monseigneur, kam nun, als er mich vor seiner Auslage stehen sah, mit einem dummdreisten Wesen auf mich zu und sagte mir: »Monsieur La Ramée, ich muss die Kundschaft der Gefangenen des Turmes bekommen. Ich habe dieses Etablissement von meinem Vorgänger gekauft, weil er mir die Versicherung gab, er liefere für das Schloss, und auf meine Ehre, Monsieur von Chavigny hat seit den acht Tagen, die ich hier bin, noch kein Törtchen bei mir holen lassen.«

»Dies ist ohne Zweifel der Fall«, antwortete ich ihm, »weil Monsieur von Chavigny befürchtet, Euer Gebäck sei nicht gut.«

»Nicht gut, mein Gebäck! Nun gut, Monsieur La Ramée, Ihr sollt selbst Richter sein, und zwar auf der Stelle!«

»Ich kann nicht«, antwortete ich, »denn ich muss sogleich ins Schloss zurückkehren.«

»Nun gut«, sagte er, »so macht Eure Geschäfte ab, da Ihr Eile zu haben scheint, und kommt in einer halben Stunde wieder.«

»Ja einer halben Stunde?«

»Ja. Habt Ihr gefrühstückt?«

»Meiner Treu, nein!«

»Seht, hier ist eine Pastete, die Euch mit einer Flasche Burgunder erwartet.«

»Und Ihr begreift, Monseigneur, da ich noch ganz nüchtern bin, so möchte ich mit Erlaubnis Eurer Hoheit … «

Und La Ramée verbeugte sich.

»Geh also, Tier«, sprach der Herzog, »aber merke dir wohl, ich gebe dir nur eine halbe Stunde.«

»Darf ich dem Nachfolger von Vater Marteau Eure Kundschaft versprechen?«

»Ja, vorausgesetzt, er tut mir keine Schwämme in seine Pasteten. Du weißt«, fügte der Prinz bei, »dass die Schwämme aus dem Wald von Vincennes meiner Familie tödlich sind.«

La Ramée entfernte sich, ohne die Anspielung zu erwidern. Fünf Minuten nach seinem Abgang trat der Offizier von der Wache ein, unter dem Vorwand, sich die Ehre zu geben, dem Prinzen Gesellschaft zu leisten, in Wirklichkeit aber, um die Befehle des Kardinals zu erfüllen, welcher, wie wir gesagt haben, einschärfte, den Gefangenen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Aber während der fünf Minuten, die der Herzog allein geblieben war, hatte er Zeit gehabt, noch einmal das Billett von Frau von Montbazon zu lesen, welches dem Gefangenen bewies, dass ihn seine Freunde nicht vergessen hatten und sie sich mit seiner Befreiung beschäftigten. Auf welche Weise, das wusste er nicht, aber er gelobte sich, Grimaud, wie stumm er auch sein mochte, endlich zum Sprechen zu bringen. Er setzte umso größeres Vertrauen in diesen Mann, als er sich nun sein Benehmen klar machte und begriff, dass er all die kleinen Verfolgungen, mit denen er den Herzog heimsuchte, nur erfunden hatte, um seinen Wächtern jeden Gedanken zu benehmen, er könnte sich mit ihm verständigen.

Diese List gab dem Herzog einen hohen Begriff vom Verstand von Grimaud, welchem er sich gänzlich anzuvertrauen beschloss.

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