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Der Welt-Detektiv Band 6

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Allerhand Geister – Cʼest fini! – Teil 3

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Cʼest fini! – Teil 3
Eine Erzählung aus dem Jahre 1773

3.

Die Warnungen, oder wie man es sonst bezeichnen wollte, schienen auf den Baron dennoch nicht ganz ohne Eindruck geblieben zu sein. Als die letzten Gäste gegangen waren und er in den plötzlich still gewordenen, leeren Räumen auch von denjenigen Abschied genommen hatte, welche für die Nacht in seinem Haus blieben, zog er sich alsbald in sein Kabinett zurück, jedoch nicht um zur Ruhe zu gehen. Er ließ sich vom Kammerdiener den Rock von penseefarbenem Samt mit den zwei oder drei blitzenden Ordenssternen ausziehen und dafür den brokatenen bequemen Schlafrock reichen. Dann hieß er ihn die Fenster im angrenzenden Schlafzimmer schließen und die Lichter des Armleuchters vor dem Bett anzünden, worauf er ihn mit der Weisung entließ, dass man ihn früh wecken und einen Express bereit halten solle, der sogleich würde expediert werden. Als er allein war, schritt er eine ganze Weile auf und ab oder stand in tiefen Gedanken am Fenster, durch dessen Scheiben bereits das gelbliche Licht des jungen Tages schimmerte und sich mit dem Glanz der Kerzen mischte, welche noch auf dem Schreibtisch und Kaminsims brannten. Der Baron liebte die Helle.

Endlich setzte er sich an den Tisch, öffnete ein geheimes Fach und nahm eine Handvoll Papiere hervor. Er durchblätterte und sortierte sie, legte die einen an den alten Platz zurück und verbarg denselben und ging mit den anderen zum Kamin. Da verbrannte er sie mit solcher Vorsicht, dass er selbst ihre Asche mit derjenigen vermischte, welche noch vom letzten kalten Tag her im Kamin lag. Dann kehrte er zu seinem Sitz zurück und begann zu schreiben, nicht rasch und fließend, sondern so langsam und so häufig aufblickend, als ob er jede Wendung, ja jedes einzelne Wort auf das Genaueste zu erwägen habe.

Es war für die Staatsmänner, gleichviel ob sie noch im Dienst waren oder den Geschäften bereits fern standen, eine überaus an- und aufregende, geschäftsvolle und zugleich gefährliche Zeit. Alles war voll von Verhandlungen und bald großen, bald anscheinend kleinen, aber dennoch hochbedenklichen und folgenschweren Verwicklungen. Die ganze Luft war voll von Machinationen, Kabalen und Intrigen aller Art, niemand wusste sich sicher auf seinem Platz, und wenn es einmal vom Kleinen zum Großen, von den persönlichen Häkeleien und Anfeindungen zu dem wirklichen Staatsstreich oder auch wohl einer kleinen Palastrevolution kam, so erhob sich sogar ein Schafott und die Kerker der Staatsgefängnisse erhielten neue Gäste. Wie lange war es denn her, dass sich zu Oranienbaum, Schlüsselburg und Kronstadt Dinge begeben hatten, von denen man kaum etwas zu ahnen, geschweige denn zu flüstern wagte? Zu Kopenhagen rauchte noch Struensees und des Grafen Brand Blut, und die arme Karoline Mathilde siechte zu Celle dem Tod entgegen. In Schweden jagte Gustav III. den Reichstag auseinander und knebelte den übermütigen Adel. Und so hier und so dort. Alles war in offener oder geheimer Bewegung, es gab kaum einen Mann der höheren Stände, zumal der Hofkreis, dessen Interessen nicht durch die gegenwärtigen oder erst zu erwartenden Staatsverhältnisse, sei es berührt, sei es gefährdet worden wären.

In der Heimat des Barons gab es noch ganz besondere Zustände, schon jetzt von nicht geringer Bedeutung, von einer viel ernsteren aber für die, möglicherweise schon allernächste Zukunft. Das Fürstenhaus war dem Aussterben nahe, der Fürst verwitwet, bejahrt und obendrein von einer Konstitution und Lebensweise, welche einem plötzlichen Tod sozusagen Tür und Tor öffnete. Die Erbfolge erschien nichts weniger als klar und gesichert. Der alte launische Herr, welcher überdies jede Erinnerung an das Regiment nach ihm hasste, hatte sich niemals für den einen oder anderen Verwandten entscheiden mögen, und dass jeder, der mit seinen Ansprüchen hervortrat, von allen Übrigen bekämpft werden würde, stand fest genug. Derjenige, welcher noch die meisten Hoffnungen zu haben schien, sollte dazu nicht nur ein Liebhaber der Künste, sondern auch ein Anhänger der modernen Zeitideen, der Aufklärung, der Volksbildung, der Toleranz und Humanität, ein sogenannter Bürger- und Menschenfreund, d. i. ein Schrecken für alle Leute der alten Schule, sein. Mit dem Nächsten stand es im Sinne vieler noch bedenklicher: Es ging eine Sage, dass er auf seiner letzten Reise ins Ausland Konvertit geworden sei. Kurz, das Land war in Parteien gespalten, alles minierte wider einander — in größter Heimlichkeit und Vorsicht, denn der alte Herr vertrug keine Beeinträchtigung seines absoluten Willens.

Herr von Mollenthin war fertig. Er faltete und kuvertierte das Schreiben und überschrieb es, auch jetzt noch alles mit jenem Zögern, das wir schon vorhin beim Hinwerfen der Briefzeilen selber bemerkten. Dann erhob er sich gähnend und blies die Lichter aus. Als er noch einen kalten Blick in den nun schon wirklich hellen Morgen geworfen hatte, ging er ins Schlafzimmer und streckte sich, wie er ging und stand, aufs Bett. War es das Gefühl einer betäubenden Müdigkeit, das ihn niederzog, oder wusste er schon, dass er doch keine Ruhe finden würde? Denn so geschah es. Er schlug schon nach kurzer Zeit die Augen wieder auf und schaute mit dem nicht mehr kalten, sondern gedankenschweren, ja düsteren Blick durch den fast dunklen Raum um sich her in das helle vordere Gemach, dessen Tür nicht völlig geschlossen war.

So mochte vielleicht eine halbe Stunde oder noch mehr vergangen sein. Ob er dennoch ein wenig geschlummert habe, wusste er nicht, als der Baron plötzlich den Kopf erhob und mit aller Sehkraft seiner Augen zur Türöffnung schaute. Es befand sich dort jemand, der hart an der Tür stand und mit größter Vorsicht um den Rand zu spähen suchte. Herr von Mollenthin regte sich nicht. Er war sicher, dass er von dem Lauscher im tiefen Schatten des Himmelbetts nicht bemerkt werden konnte. Und um die Täuschung vollständig zu machen, tat er nun einen tiefen, fast seufzenden Atemzug und ließ demselben ein paar ruhigere folgen, genauso, wie man es von einem friedlich Schlafenden zu vernehmen pflegt.

Die Wirkung war die gewünschte, die Gestalt verschwand nach links, ohne dass man ihren Schritt vernommen hätte. Gleich darauf jedoch konnte Mollenthins Ohr ein leichtes Geräusch vernehmen, einen Metallklang, als ob ein Schlüssel in ein Schloss gesteckt würde, worauf alsbald das vorsichtige Aufziehen einer Schublade folgte.

Der Baron wartete noch eine Weile, stets gleichmäßig fortatmend. Dann streckte er die Hand nach den Pistolen aus, welche über dem Bett an der Rückwand hingen, fasste eine derselben und erhob sich, ebenfalls völlig geräuschlos. Als er über den dicken Teppich ging, wurde kein Laut vernehmbar. Er stand in der Tür und sah und erkannte den Mann,. der, ohne den Beobachter zu bemerken, den vorhin geschriebenen Brief in der Linken hielt, während die Rechte in anderen Papieren der geöffneten Schublade wühlte.

Hatte er etwas vernommen oder war es nur eine zufällige Bewegung? Er erhob den gesenkten Kopf und schaute mit scheuem, plötzlich von tiefstem Entsetzen erfülltem Blick zur Tür. Die Papiere entfielen seinen Händen, er machte einen Sprung rückwärts. Aber es war zu spät. Mollenthin stand schon neben ihm und hielt ihm, den Hahn spannend, die Pistole entgegen. Dazu sagte der Herr, die Stirn glatt, die Augen kalt, die Stimme leidenschaftslos: »Für wen stiehlt Er?«

Der Mensch, der ein höherer Diener zu sein schien, zitterte dermaßen, dass er sich an der Stuhllehne halten musste. »Verkennen mich der Herr Baron nicht«, stammelte er. »Ich kam mit einer wichtigen Nachricht, da aber der Herr Baron so friedlich zu schlafen schienen …«

»So versuchte Er zu stehlen — für wen, frage ich? Antwort!«, sprach der Baron kalt wie vorhin, die Pistole in unveränderter Richtung auf den Ertappten haltend.

Der Mensch fiel auf seine Knie. »Gnädiger Herr, die Schublade stand auf — die Neugier, an wen der Herr Baron so früh durch einen Express und eigenhändig …«

»Durch einen Express? Woher weiß Er das? Hat Er mit Maître Franyois ein kleines Nachfest gefeiert?«

»Ich hörte nur, dass der Herr Kammerdiener die Bestellung im Stall einem anderen übertrug.«

»Ach!« Der Baron lächelte hochmütig. »Maître Franyois scheint ein wenig zu fett zu werden! Also«, er richtete seine Worte wieder an den noch Knieenden, »für wen Er stiehlt, will Er nicht sagen? Er ist elend bezahlt worden, ich kenne das. Meine Landsleute verstehen das nicht. Er soll das Doppelte haben, wenn Er mir den Namen sagt und mir ein Verzeichnis der verratenen Papiere gibt. Dann mag Er laufen.«

»Gnädiger Herr, ich kann nicht gestehen«, sagte der Mann demütig, »ich bin Ihnen treu gewesen. Die Neugier, was Euer Gnaden eigenhändig schrieben, da sonst doch alles durch meine Hand …«

Die Pistole senkte sich. Die großen Augen des Barons ruhten mit so durchdringendem Blick auf dem Knieenden, dass dieser mitten im Satz abbrach und den Kopf sinken ließ. Der Herr hatte keinen Glauben für ihn. Und eine Sekunde später sagte Mollenthin kalt: »Stehe Er auf, die Komödie ennuyiert mich. Er hatte also ursprünglich eine Nachricht für mich und obendrein eine wichtige?«

Der Mensch — wir dürfen wohl Sekretär sagen —hatte sich erhoben. Er stand in demütigster Haltung, allein seine Stimme klang um vieles sicherer als vorhin, da er gedämpft versetzte: »Gnädiger Herr, des Herrn Leutnant Diener ist auf Tod und Leben herübergeritten. Seine Gnaden sind gleich nach der Rückkehr in Arrest geführt und alle Papiere und Effekten fortgenommen worden.«

»Und den Christian hat man entschlüpfen und sogar ein Pferd nehmen lassen?«, fragte der Herr, dessen Miene unverändert kalt und hochmütig geblieben war, mit einigermaßen verächtlichem Ton.

»Gnädiger Herr, Christian hat sich im ersten Wirrwarr salviert und über die Gartenmauer davon gemacht. Der Herr Leutnant haben in der Vorstadt beim Ackerbürger Peters stets ein Pferd stehen, wenn es einmal einen heimlichen Ritt gilt. Das nahm er und kam herüber. Ich traf ihn, da er eben einritt. So sagte er es mir für den Herrn Baron, und darum — o gnädiger Herr, haben Sie Erbarmen!«

Herr von Mollenthin ging, ohne eine Antwort für nötig zu halten, ein paar Mal nachdenklich auf und ab. Dann trat er zum Klingelzug und zog die Schnur ein paar Mal stark an. Als wenige Minuten darauf der Kammerdiener eintrat, sagte er zu diesem kurz: »Ich höre eben, dass ein Diener meines Sohnes gekommen ist. Sucht ihn auf und führt ihn her — persönlich, wenn ich bitten darf. Hier«, und seine Hand deutete zum Sekretär, während die Augen den ersichtlich bestürzten Kammerdiener unter seinem Blick hielt, »hier, der Monsieur Willig verlässt vor acht Uhr das Haus. Man spricht nicht mit ihm und lässt niemand mit ihm sprechen. Der Express wird abbestellt. Ich will mich ankleiden.« Er drehte den beiden verstummten Leuten den Rücken zu und trat ans Fenster.

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