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Nach Amerika! – Erster Band – 06.1

Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika!
Erster Band
Leipzig, Berlin, 1855

Die Weberfamilie

Teil 1

Nicht weit von Heilingen und in Hörweite der Domglocke selbst, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner, da ihre Felder gerade nicht zu den besten gehörten, sich kümmerlich, aber meist ehrlich mit verschiedenen Handwerken und Gewerben, mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl ernährten. Das Dorf hieß eigentlich Zur Stelle, welchen Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit und mithilfe ihres Dialekts zu dem von Zurschtel umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreißig Häuser und Hütten, mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zählen. Es ist eine wunderliche Tatsache, dass man in den ärmlichsten Distrikten stets die meisten Kinder findet.

Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser. Es war weiß getüncht und hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weiße, reinliche Gardinen. Vor dem Haus, über dessen Tür ein frommer Spruch mit roten und grünen Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Rohrtrog. Ein kleiner Koben an der Seite desselben, zeigte in der nach außen befestigten Klappe des Futterkastens dann und wann den schmutzigen Rüssel eines seine Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab sowohl das Haus als auch den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu ihrem Vorteil gegen manche der Nachbarhäuser ab.

Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand ein großer, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zwei der Wände waren Bänke aus dem nämlichen Material befestigt und um den großen viereckigen Kachelofen, der fast den achten Teil der Stube einnahm, hingen verschiedene Kochgerätschaften, während auf darüber angebrachten Regalen die braunen Kaffeekannen und geblümten Tassen gewissermaßen mit als Zierrat zur Schau ausstanden. Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus und dem gegenüber stand eine riesengroße, braun angestrichene Kommode mit Messinghenkeln, Griffen und fünf Schubladen, die, mit wirklich rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelgläser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift Der guten Mutter – ein Geschenk aus früherer Zeit – und ein gelb irdenes, aber allerdings sehr wenig benutztes Tintenfass trug, während dahinter, in zwei ordinären Stangengläsern, in dem einen Schilfblütenbüschel, und in dem anderen große stattliche Ähren von Roggen, Weizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung an eine frühere segensreiche Ernte.

Die Bewohner der kleinen Stube passten genau in ihre Umgebung; es war eine, nicht mehr ganz junge, aber doch rüstige Frau, in die nicht unschöne Bauertracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und eifrig das Rädchen schnurren ließ, während die rechte Hand manchmal eine neben ihr stehende Wiege berührte, den darin ruhenden kleinen Säugling, der immer wieder die großen dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die gröbsten Stoffe gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Füßen mit einer kleinen Mulde auf dem über die Diele gestreuten Sand Schiff spielte.

Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit dem hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige nasskalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten Glieder zog. Es war eine gutmütige, aber mürrische alte Frau, selten zufrieden mit dem, was sich ihr gerade bot, und unermüdlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen, die sie ihnen mache, und den lieben Gott täglich zu bitten, dass er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch – dann wollte sie gerne sterben. Erst, als das Älteste geboren war, wollte sie das noch gerne laufen sehen; dann hätte sie gern erlebt, wie es zum ersten Mal in die Schule ging; dann war es Frühjahr geworden und sie hoffte, nur noch einmal neue Kartoffeln zu essen. Zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum die Früchte kosten, den ihr Seliger noch gepflanzt hatte. Wie der Herbst kam, wünschte sie im Frühjahr begraben zu werden. Die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich eigenhändig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht am Haus gepflanzt hatte. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter wir werden, desto mehr lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an sie und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.

Der Tag neigte sich dem Abend zu. Der Mann war in die Stadt gegangen, seine Steuern zu zahlen und manches einzukaufen, was sie notwendig im Haus brauchten – zum Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin gehalten, hineingetrieben. Der Erlös sollte seine Ausgaben bestreiten.

Der Regen wurde nun wieder heftiger, die großen schweren Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollständig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus der Wiege und ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann indessen ruhig weiter und suchte mit zitternder leiser Stimme ein geistliches Lied zu singen. Mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst sprach keine ein Wort.

Endlich wurde die Haustür geöffnet, jemand kam von draußen herein und strich sich die Füße auf den Steinen und der Strohdecke ab. Sie hörten gleich darauf, wie der zurückkehrende Vater und Gatte seinen großen rotblauwollenen Schirm auf die Steine stieß, das Wasser so viel als möglich davon abzuschütteln, den Mantel auszog und über den großen Schleifstein hing, der draußen im Flur stand, wie er das gewöhnlich tat. Die Frau öffnete rasch die Tür, den Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm, sich die nassen Haare aus der Stirn strich und das Kind küsste, das sie ihm entgegenhielt.

»Jesus, ist das ein Wetter, Gottlieb«, sagte sie dabei, als sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing, »komm nur herein, dass du etwas Trockenes auf den Leib bekommst. Wo hast du denn den Jungen? Ist er nicht bei Dir?«, setzte sie fast ängstlich hinzu.

»Er ist draußen bei Lehmanns hineingegangen, denen wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht haben«, sagte der Mann, »wird wohl gleich kommen. Wie geht’s, Frau? Wie geht’s, Mutter? Ha, das regnet einmal heute, was vom Himmel herunter will; was nur daraus werden soll, wenn das Wetter so weiter bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt wieder Guss auf Guss – Guss auf Guss, als ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat schon halb fortgespült – wenn das mal das Korn missrät, weiß ich nicht, wo der arme Mann das Brot hernehmen soll.«

»Klag nicht, Gottlieb«, sagte aber die Frau freundlich, »es geht noch vielen schlechter als uns, und was sollen da die ganz armen Leute sagen. Lieber Gott, es ist viel Not in der Welt, und wer heutzutage eben sein Auskommen und ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht versündigen.«

Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der Röhre, in der trotz der vorgerückten Jahreszeit noch ein Feuer brannte, der alten, fröstelnden Mutter wegen, und goss den darin heiß gehaltenen Kaffee – sie nannten das braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens so – in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war, daran erquicken könne. Zugleich auch deckte sie ein weißes Tuch über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brot stellte, die versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen. Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goss, und schnitt sich ein großes Stück Brot ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein Wort dabei und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt, regungslos sitzen und schaute still und schweigend zum Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig schlugen.

Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet. Es war irgendetwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein mochte, hatte doch auch seine verdrießlichen Stunden und war dann, wenn gestört, oft rau und unfreundlich; aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn, der Hans, war nicht mit zu Hause gekommen. Konnte dem … heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie ins Herz. Sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.

»Gottlieb … um aller Heiligen Willen, wo ist der Hans? … Es ist … es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehen?«

»Der Hans?«, sagte der Mann ruhig und sah erstaunt zu ihr auf, »was fällt dir denn ein? Was soll denn dem Hans zugestoßen sein? Ich habe dir gesagt, dass er bei Lehmanns etwas abgegeben hat und dort wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.«

»Ich weiß nicht«, sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Zentnerlast von der Seele gewälzt wurde, »aber du bist so sonderbar heute Abend, so still und ernst, und da schlug es mir wie ein Schreck in die Glieder über den Hans. Ist etwas vorgefallen Gottlieb?«

Gottlieb schüttelte den Kopf langsam und sagte: »Nicht, dass ich wüsste … nichts Besonderes wenigstens oder nichts anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt … Geld zahlen.«
»War es denn so viel?«, sagte die Frau leise und schüchtern.

Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder, endlich erwiderte er seufzend: »Das Schwein ist drauf gegangen und vier Taler siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der alten Prozessgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich eigentlich gar nichts mehr zu tun hatte, stehen geblieben. Ich muss sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter Androhung von Pfändung.«

»Nun lieber Gott«, sagte die Frau tröstend, »wenn das das Schlimmste ist, lässt es sich noch ertragen. Da verkaufen wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben eins zu schlachten, und leben doch. Warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins leben können wie die.«

»Ja«, sagte der Mann leise und still vor sich hin brütend, »verkaufen und immer nur verkaufen, ein Stück nach dem anderen, und während wo anders die Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitztum vergrößern und für ihre Kinder etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr zusammenschmelzen, unter Müh und Plack das ganze Jahr lang.«

»Aber kannst du es ändern?«, fragte die Frau leise und fuhr, wie der Mann schwieg und mit der Faust die Stirn stützend vor sich nieder starrte, schüchtern fort, »arbeitest du nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? Gönnst du dir eine Zeit der Ruhe, wo dich irgendeine nötige Beschäftigung ruft? Haben wir uns etwa das Geringste vorzuwerfen?«

»Nein«, sagte der Mann, während er die Hand auf den Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah, »nein, aber das ist es ja eben, was mir am Leben frisst. Wir können nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen, wie wir jetzt tun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurück, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen, wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen können wie jetzt? Schon jetzt können wir uns nicht mehr in der teuren Zeit oben halten – das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort müssen; unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Bedürfnisse aber sind gewachsen. wie soll das enden?«

»Aber Gottlieb«, sagte die Frau freundlich, »wie kommen dir jetzt doch nur solche Grillen? Haben dir die paar Taler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, du bist doch sonst so ruhig und hast immer vertrauensvoll in die Zukunft gesehen. Wie sind dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch den Sinn gefahren?«

Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die beiden miteinander gesprochen hatten, ihr Spinnrad ruhen lassen und dem Gespräch aufmerksam zugehört. Dabei schüttelte sie fortwährend mit dem Kopf und sagte endlich mit ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme: »Ja wohl, ja wohl – das Geld wird rar und das Brot teuer, und mehr Mäuler kommen – mehr Mäuler sind da zum Verzehren als zum Verdienen. Schlagt mich tot; schlagt mich tot, dass ich weg komme aus dem Weg und Euch Platz mache – schlagt mich tot.«

»Mutter«, bat die Frau, in Todesangst, dass sie dem Mann mit solcher Rede weh tun würde, denn er gerade hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt und alles getan hatte, was in seinen Kräften stand, ihr jede Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen, »wie dürft Ihr nur so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?«

Wir haben noch genug für uns alle, Mutter«, sagte aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht weh tun mochte, »nur für spätere Zeit ist mir bange. Sie aber wären die Letzte, die darunter leiden sollte. Wir werden alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit in unserer Jugend getan haben, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren, für ihre Eltern zu sorgen – wenn sie nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden.«

Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit lang vor sich nieder und begann dann aufs Neue ihre Arbeit, aber die Frau fuhr fort und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann: »Siehst du, Gottlieb, das hast du nun davon mit deinen trüben und traurigen Ideen. Du machst dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer und nützt und hilfst doch nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird es schon machen und lenken. Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer Bahn gehalten und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser Herr Pastor sagt, Er wird es auch schon weiter tun, und wir dürfen uns eigentlich gar nicht sorgen und kümmern um den nächsten Tag.«

»Doch, doch Frau«, sagte aber der Mann, aufstehend und nun, die Hände in den Hosentaschen, in der Stube auf und ab gehend, »doch Frau, der Mann muss, denn wenn er es nicht täte, wäre er ein schlechter Hausvater. Ihm allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus entständen. Ich kann dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie es mir neulich der Schulmeister, mit dem ich darüber sprach, erklärte, aber der meinte, es wäre etwa so, als ob einer im Wasser wäre. Da sei es auch nicht genug, dass man sich oben hielte an der Luft und im Kreis herum schwämme, um eben nur nicht zu ertrinken. Das täte nicht einmal ein unvernünftiges Stück Vieh; nein des Menschen, des verständigen Menschen Pflicht sei es, sich schon im Wasser nach dem festen Land umzusehen, ob man das nirgends erreichen könne, denn zuletzt würde man da im Wasser, man möchte noch so tapfer schwimmen, doch müde. Und ließen erst einmal die Kräfte nach, dann helfe auch zuletzt das Schwimmen nichts mehr und man sinke eben langsam zu Boden.«

»Ich verstehe nicht recht, was du damit meinst«, sagte die Frau, »aber du siehst mich so sonderbar dabei an. Hast du noch etwas anderes dahinter?«

»Nein und ja«, sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem Rücken an den Ofen lehnt, und langsam dazu nickte, »eigentlich nicht, denn Gott da oben weiß, dass es wahr ist, und weiß wie, und ob es einmal enden kann; aber dann – dann habe ich allerdings noch was dahinter, denn ich meine … ich meine …« Er schwieg und es war augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue, so mit blanken klaren Worten heraus zu sagen. Die Frau aber, die eben damit beschäftigt war, das Geschirr hinaus zu räumen, setzte die Kanne wieder auf den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen und sagte leise, vor ihm stehen bleibend: »Geh her, Gottlieb, du hast etwas, was dich drückt und willst nicht mit der Sprache heraus. Es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt, was du nicht sagen magst. Du darfst doch nicht sitzen?«

»Sitzen? Weshalb?«, erwiderte der Mann kopfschüttelnd. »Ich habe nie etwas Böses getan.«

»Nun was ist es denn, so sprich doch nur, denn du ängstigst mich ja mehr mit deinem Schweigen, als ob du mir das Schlimmste gleich vorn heraus erzählst – dem Hans fehlt doch nichts?«

»Was soll dem Hans fehlen, närrische Frau, wenn es aufhört zu gießen, wird er schon kommen.«

»Und was ist es denn? Gelt, du sagst es mir?«

»Ich muss es dir wohl sagen«, seufzte der Mann, »nun sieh, Hanne, ich meine … ich habe so darüber nachgedacht, dass es jetzt hier in Deutschland immer schlechter wird mit uns … und dass wir es zu nichts mehr bringen können, trotz aller Arbeit, trotz allem Fleiß, und dass jetzt … dass jetzt doch so viele Menschen hinüber ziehen …«

»Hinüber ziehen?«, fragte die Frau erstaunt, fast erschreckt und legte die Hand fest aufs Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung über etwas Großes, Schreckliches da hinunter und zurückdrücken wolle, eh sie zu Tage käme. »Wo hinüber, Gottlieb?«

»Nach Amerika«, sagte der Mann leise, so leise, dass sie das Wort wohl nicht einmal verstand und nur an der Bewegung der Lippen es sah und erriet. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts. Ohne ein Wort zu erwidern, ohne eine Silbe weiter zu sagen, setzte sie sich auf den dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit der Schürze zu und saß eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch der Mann wagte nicht zu sprechen – er hatte den Gedanken wohl schon eine Zeit lang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefürchtet, ihm Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die Frau. Nun war es heraus und er betrachtete nur scheu die Wirkung, die er hervorgebracht hatte.

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