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Blutrosen – 7 – Eine Geschichte zum Kranklachen

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Erster Teil

Eine Geschichte zum Kranklachen

Ganguernet war ein großer Spaßmacher. Er war klein, untersetzt, dick und hatte rundes, kurzes, starres Haar, niedrige Stirn, graue Augen, eine Nase, mit breiten Flügeln, aufgebauschte Backen.

Alles an der ganzen Figur war ineinander verschoben, der Hals zwischen die Schultern, die Brust an den Magen, der Magen an den Bauch, der Bauch auf die kurzen Beine. So ein Menschlein kugelt und kollert euch vor die Füße, kichert und kreischt euch in die Ohren, packt euch auf der Straße von hinten beim Kopf, hält euch die Augen zu und fragt: »Wer bin ich?« Er zieht euch den Stuhl hinterrücks weg, wenn Ihr euch gerade setzen wollt, und wenn man dem Männchen darüber einen grimmigen Blick zuwiese, so kommt es nicht im Geringsten aus der Fassung, sondern reibt sich vergnügt die Hände und schnarrt: »Ha, ha, das ist zum Kranklachen!«

Zu Rennes habe ich Ganguernet kennen gelernt. Dort trieb er als Possenreißer sein Handwerk, und er trieb es so recht mit allen Griffen und Kniffen. Niemand übertraf ihn in der Kunst, an den Klingelzug einer großen Haustür ein Stückchen Fleisch oder Wurst zu befestigen. Jeder herrenlose Hund, der nur vorbeiging, sprang und schnappte nach dem Bissen, und so wurden die Domestiken zehnmal in der Nacht aufgeweckt. Mit noch größerer Virtuosität wusste er Ladenschilder abzunehmen, aufzuhängen und miteinander zu vertauschen. Einmal hob er das Schild eines Friseurs ab, sägte es entzwei und leimte es mit der Hälfte von dem Schild eines anderen Nachbarn zusammen. Am anderen Morgen war zu lesen: M. Rablot vermietet Lohnfuhren und falsche Locken à la Parius. Ein anderes Mal hängte er die hölzerne Schildtafel eines Puppentheaters über eine Apotheke auf, sodass ganz Rennes am Morgen las, wie folgt: Jahrmarkt-Theater in der Apotheke von M. F.

Waren Herrn Ganguernets Streiche in der Stadt so anmutig, so waren sie auf dem Land vollends liebenswürdig. Mit dem größten Geschick zerschnitt und verstreute er die Haare einer Bürste im Bett seines guten Freundes, sodass der Mann es keine Viertelstunde im Bett aushalten konnte, ohne vor Kratzen und Stechen in der Haut rasend zu werden. Wenn jemand etwa in einem Zimmer schlief, das von Herrn Ganguernets Zimmer nur durch eine Holz- oder Tapetenwand getrennt war, so wusste unser Freund diese Wand höchst künstlich zu durchbohren und eine Schnur hindurch zu praktizieren, die er an der Bettdecke des Nachbarn befestigt hatte. Wenn dann der andere schlief, fing er ganz sachte an, die Decke hinwegzuziehen, solange, bis der Schlafende nichts am Kopf und nichts an den Füßen hatte. Besonders wenn die Nächte recht kalt und feucht waren, pflegte Herr Ganguernet sich dieses Vergnügen zu machen. Der Schläfer erwacht starr vor Kalte, wickelt sich sorgfältig ein und legt sich aufs Ohr, ohne etwas Arges zu denken. Kaum merkt das Ganguernet, so zieht er sachte wieder am Schnürchen, bis der andere vor Ärger, Ungeduld und Frost zu brummen und zu fluchen anfängt. Dann legt Ganguernet den Mund an das Loch in der Wand und ruft: »Ha, ha, das ist zum Kranklachen!«

Wenn unserem Freund eine Person von recht einfältigem Gesicht, eine von den Figuren in den Wurf kam, bei denen man schwer der Versuchung entgeht, sie zum Narren zu haben, dann führte Herr Ganguernet folgendes Lieblingsstückchen auf. Er entwendete dem Schlafenden Hose und Rock, nähte sie mit vielen Stichen dermaßen zusammen, dass sie bedeutend enger werden. Er legte sie wieder hin, dann trat er ans Bett, rüttelte den Bedauernswürdigen, er solle aufspringen, sich schnell ankleiden und mit auf die Jagd gehen. Der Mann sprang auf, wollte in seine Hosen fahren und kam nicht hinein.

»Um Gotteswillen, mein Bester,« rief Ganguernet, »was ist denn das mit Ihnen, was fehlt Ihnen denn, Sie sind ja ganz geschwollen.«

»Wie, ich?«

»Und wie geschwollen!«

»Wirklich?«

»Ich wollte mich gern geirrt haben, kleiden Sie sich nur an, kommen Sie hinunter, wir wollen die anderen fragen, ob sie es auch merken.«

»Aber ich kriege die Kleider nicht an!«

»Sehen Sie wohl, Sie sind geschwollen, wenn es nur nicht die galoppierende Wassersucht ist.« Und so fuhr er fort, den Armen zu ängstigen, bis die Posse sich mit dem hergebrachten Worte löste: »Ha, ha, es ist zum Kranklachen!«

Der abscheulichste Streich in dieser Art war wohl folgender, womit er einem Mann, der allgemein für äußerst mutig galt, einen tödlichen Schreck einjagte.

Der Mann legte sich zu Bett und fühlte unten zu Füßen etwas Kaltes, Klebriges, Glattes; er betastete es mit den Füßen. Es war ein runder, länglich gestreckter Körper. Er rührte es mit den Händen an; wahrhaftig es war eine zusammengerollte Schlange. Von Schreck und Ekel übermannt, sprang er mit einem lauten Schrei aus dem Bett. Siehe da, Ganguernet kam aus seinem Versteck hervor, klatschte in die Hände und schrie: »Ha, ha, es ist zum Kranklachen!« Was nämlich jenem so große Furcht eingejagt hatte, war nichts als eine Aalhaut, mit nassem Lehm ausgestopft. Der Gefoppte war wütend und wollte dem Spaßmacher den Hirnschädel einschlagen. Ganguernet warf ihm, sich verteidigend, eine ungeheure Kanne mit Wasser an den Kopf und lief eilig davon, während er in einem fort schrie: »Ha, ha, es ist zum Kranklachen!« Die Hausleute liefen auf den Lärm herbei und es gelang ihnen, den Wütenden, Gefoppten, Begossenen zur Ruhe zu bringen, indem sie ihm vorstellten, was der Ganguernet für ein trefflicher Kerl wäre, ein munterer Zeisig, ein Bruder Lustig, ohne den man vor Langeweile umkommen müsste, zumal auf dem Land.

Indessen auch unter den Possenreißern gibt es verschiedene Stufen des Ranges und der Kunst. Manche ergehen sich in so gemeiner und trivialen Späßen, dass sie sich sehr schnell um allen Respekt bringen. Das Repertorium ihrer Farcen und Streiche ist ziemlich bekannt und leicht aufgebraucht. Zum Beispiel fährt man zur Nachtzeit unvermutet mit dem Kopf durch das geölte Papierfenster einer Schuhflickerwerkstatt und fragt den Mann drinnen, ob er wisse, wo der Finanzminister oder Erzbischof wohnt; oder man zieht im Dunkeln eine Schnur quer über die Treppe, sodass alle, die hinuntersteigen, ein Rutschfahrt per postoriora machen müssen, oder man weckt mitten in der Nacht einen Notarius auf und heißt ihn eilig zu dem und jenem seiner Klienten kommen, der im Sterben liege und ein Testament machen wolle, während der Mann natürlich sich so gesund befindet, wie ein Fisch im Wasser. Dergleichen Streiche gibt es tausenderlei. Es sind die Anfangsgründe, die ersten Handgriffe zum Metier. Wer zweifelt daran, dass Ganguernet sie meisterlich verstand?

Auf seinem Repertorium standen aber noch ganz andere Dinge von seiner eigenen Erfindung, und auf diese gründete sich eigentlich sein ungeheurer Ruf.

Einmal war ich Zeuge von einer geistreichen Mystifikation, die er angestiftet hatte. Eine etwa dreißigjährige Dame genoss die Ehre, dass Ganguernet ihr vorzügliche Aufmerksamkeit widmete. Sie aber, eine entschiedene Freundin des Modischen, Eleganten, Parisischen, fand an dem blassen, feinen Angesicht eines ziemlich hübschen und ziemlich einfältigen jungen Mannes mehr Geschmack als an Ganguernet. So sehr er auch den schönen Helden in Gegenwart und vor Augen der Dame hänseln mochte, seine Einfalt galt bei ihr immer für poetische Zerstreutheit und seine Leichtgläubigkeit für ehrliches Gemüt. Eines Abends gingen wir auseinander und zur Ruhe. Es war eben zuvor von dem blassen jungen Herrn die Rede gewesen. Die Dame hatte ihn mit aller möglichen Beredsamkeit verteidigt und Ganguernet hatte ihr mit einer Geduld zugehört, woraus nichts Gutes zu prophezeien war. Wir mochten kaum eine halbe Stunde gelegen haben, da hörten wir aus dem Salon im Erdgeschoss überlautes Geschrei: »Feuer, Feuer!« Das ganze Haus stürzte zusammen, Herren und Damen, halb entkleidet, halb angekleidet, wie man will. Man drängte sich in den Salon hinein, Lichter in der Hand. Da lag Freund Ganguernet ganz gemächlich ausgestreckt auf einem Sessel. Man bestürmte ihn mit Fragen. Statt aller Antwort erhob er sich, nahm den blassen Jüngling bei der Hand, führte ihn mit feierlichem Anstand der schönen Dame entgegen und sprach mit Pathos: »Ich habe die Ehre, Ihnen das poetischste Gemüt der Gesellschaft in einer wollenen Schlafmütze vorzustellen.«

Schallendes Gelächter! Die Dame hat dem Ganguernet diesen Streich nie wieder vergessen. Ob sie es der Schlafmütze vergessen hatte?

Man glaube indessen keineswegs, dass alle Possen Ganguernets auf eine solche Rache hinausliefen. Aufs Lachen hatte er es abgesehen. Es ist zum Kranklachen, das war sein Losungswort. Das Stückchen, auf das er sich am meisten einzubilden pflegte, verdient hier zum Ergötzen der Leser noch eine Stelle. In derselben Straße zu Rennes, wo Ganguernet wohnte, ihm gegenüber, bewohnten zwei alte ehrliche Bürgersleute, Mann und Frau, ein kleines Häuschen, das ihnen gehörte. Alle Sonntage pflegten sie bei einem ihrer Verwandten, der ziemlich weitab wohnte, zu Abend zu essen und ein Spielchen Piquet zu machen. Manchmal setzte es auch wohl einen Punsch oder man spülte die Krebse mit einem wenig moussierenden Cidre hinunter, sodass unser ehrwürdiges Ehepaar beim Nachhausekommen um elf Uhr nachts allerhand alte Melodien zu summen und allerhand neue Pas dazu zu machen pflegte.

So geschah es einen Sonntag abends, dass sie ein bisschen im Zickzack ihres Weges nach Hause gingen.

Schon waren sie an des Nachbars Tür. Von da sind allbekanntermaßen noch zehn Schritte bis zu ihrer eigenen. Sie gingen die zehn Schritte, der Mann griff in seine Tasche, suchte den Hausschlüssel und fand ihn. Er suchte auch das Schloss, aber das Schloss war nicht da.

»Wo ist das Schloss,« schrie er, »wo ist das Schloss?«

»Lieber Larquet,« sagt die Alte, »du hast zu viel Cidre zu dir genommen. Du suchst das Schloss, und wir stehen hier noch vor Nachbars Wand!«

»Hast recht, »Alte,« sprach Larquet, »wir müssen noch ein paar Schritt weiter.« Sie gingen weiter, aber nun waren sie auf einmal zu weit gegangen. Vorhin gingen sie an der Tür des Nachbarn zur Rechten vorüber, nun standen sie an der Tür des Nachbarn zur Linken. Sie mussten an ihrer eigenen Haustür vorbeigegangen sein. Sie kehrten um, sie tasteten sich mit den Händen an der Mauer fort, sie fanden eine Tür des Nachbarn zur Rechten. Den armen Alten wurde um ihren Verstand bange, sie glaubten, der Kopf drehe ihnen vom Wein, sie kehrten abermals um, fingen ihre Untersuchung von Neuem an und gerieten richtig wieder an die Tür des Nachbarn zur Linken. Immer diese beiden Türen und niemals ihre eigene. Ihre Tür ist fort, wer hat ihnen ihre Tür weggenommen? Die Angst machte sie zittern; sie fragten sich ernstlich, ob sie den Verstand noch an der rechten Stelle haben, aber sie schämten sich doch, Leute herbeizurufen. Sie fürchteten, man werde sie gar zu sehr auslachen, dass sie, als ehrbare Bürgersleute und Hausbesitzer, ihre Haustür nicht finden. So gingen sie eine ganze Stunde hin und her, auf und ab; sie spähten, sie tasteten, sie maßen, alles umsonst; keine Tür war, vorhanden, nur eine Mauer, eine ganz fremde verzweifelte Mauer. Endlich übermannte sie die Furcht, sie schrien um Hilfe, die Nachbarn kamen mit Licht, und nun fand es sich, dass man die Tür sorgfältig vermauert und die Stelle überputzt hatte. Alle Welt fragte sich, wer wohl den armen Leuten diesen bösen Streich gespielt haben mochte. Ganguernet hatte längst von seinem Fenster aus mit einigen närrischen Gesellen auf die Straße gelauscht und sich an der Not und Betrübnis des alten Herrn Larquet und seiner Ehehälfte ergötzt; nun steckte er den Kopf hervor, und die Untenstehenden vernehmen

das wohlbekannte: »Ha, ha, es ist zum Kranklachen!«

»Aber,« sagte man ihm, »die alten Leute werden davon das Fieber kriegen.«

»Pah,« sprach Ganguernet und rieb sich die Hände: »War es nicht zum Kranklachen?«

Diesmal ließ man doch an den Königlichen Prokurator das Gesuch ergehen, er möchte die Lachlust des Herrn Ganguernet etwas mäßigen. Seine geschickte Verteidigung, indem er unter fortwährendem Händereiben versicherte: »Herr Präsident, es war zum Kranklachen«, diese Verteidigung half ihm nichts, man sperrte ihn auf eine Woche ein.

So viel sich aber auch Herr Ganguernet auf seine vortrefflichen und klugen Streiche einbildete, ging doch seine Eitelkeit nicht so weit, dass er alle erzählt hatte, manchen verschwieg er weislich. Zu einem namentlich hat er sich nie bekannt, aus guten Gründen; denn verschiedene handfeste Personen hatten gedroht, dem Urheber die Ohren abzuschneiden, wenn sie ihn herausbekämen. Ganguernet hatte sich nämlich für die Verachtung rächen wollen, womit seiner Person in einer aristokratischen Gesellschaft begegnet worden war, und zwar galt es keiner geringeren Person als einer überaus alten Dame von überaus altem Adel, welche die vornehmste und adligste Gesellschaft in der Stadt Rennes und der Umgegend bei sich sah.

Diese würdige Dame hatte unter vielen alten Gewohnheiten ihres Standes und ihres Geschlechtes noch folgende zwei beibehalten: erstens, dass sie Leuten von gemeiner Herkunft nicht gestattete, sich in ihre Gesellschaft zu mischen; zweitens, dass sie sich in einer Sänfte tragen ließ. Sie kam auf einen Ball beim Oberpräsidenten des Gerichtshofes, wo auch Ganguernet eingeladen war. Um Mitternacht verließ sie die Gesellschaft und ließ sich nach Hause tragen. Der Regen fiel kalt und in Strömen. Der Leser kennt die gewaltigen Dachzungen, die sich in Provinzialstädten bis mitten auf die Straße hinüberstrecken und aus denen die Wasser des Himmels in gewaltig hohen Kaskaden zur Erde herniederträufeln. Gerade als die Sänfte unter einem solchen Guss vorbeikam, erschallte rechts und links ein gellendes Pfeifen. Vier handfeste vermummte Kerle kamen auf die Sänfte los, die Träger liefen davon und ließen die Sänfte stehen. Die edle Dame glaubte nicht anders, ihr letztes Stündlein sei gekommen. Auf einmal

fühlte sie es gewaltig kalt und nass auf ihrem Kopf. Wie durch Zauberei war die Decke der Sänfte hinweggenommen, und mitten hinein ergoss sich der Wasserfall aus der Dachtraufe mit kalten Strömen. Die arme Gefangene versucht die Tür zu öffnen, vergebens!

In ihrer Not stieg sie auf den Sitz in der Sänfte, sodass sie sich mit dem Oberleib über den Rand hinausbeugen konnte. In dieser Positur, gleich einem Teufel, den man in eine Kanzel gesperrt hat, fing sie laut zu predigen an und den Zorn des Himmels auf die Mordgesellen herab zu beschwören, die ihr dieses unmenschliche Duschbad bereiteten. Die Bösewichter standen ganz in der Nähe und erwiderten alle Vorwürfe und Schimpfworte nur durch die demütigsten Verbeugungen. Will man aber die ganze Grausamkeit und Schändlichkeit dieses Streiches ermessen, so füge man dem Bild folgende zwei Umstände hinzu; die Dame war gepudert und die Bösewichter trugen aufgespannte Regenschirme.

Zur Zeit, als ich Ganguernet kennen lernte, existierte er in bezeichneter Eigenschaft bereits zehn Jahre. In der geistlosen, dumpfen, trägen Gesellschaftssphäre seiner Provinzialstadt pries man ihn laut als den jovialsten, liebenswürdigsten, amüsantesten Menschen von der Welt.

Nur wenige gab es, die ihn innerlich verachteten, und zu diesen gehörte ich. Noch mehr, der Mensch kam mir entsetzlich vor. Diese grell roten, beständig zum Lachen verzogenen Lippen waren mir schrecklich anzusehen; diese unbarmherzige Lustigkeit, die sich in alle Begebnisse des Lebens mengte und eindrängte, erweckte in mir Widerwillen, Unruhe und Ekel. Es war mir, als grinste mich die hässliche Fratze eines Kobolds in einem fort an. Das freche hässliche Wort, mit dem er zu Ende aller seiner Geschichten die Moral derselben aussprach, dieses beständige »Ha, ha, zum Kranklachen«, schien mir trübseliger und beängstigte mich mehr als das Frater, memento mori eines Trappisten. Es ahnte mir, dass dieser Mensch mit einem großen Unglück für andere schwanger ging. Ich sah voraus, dass er einmal ein zarteres Leben, bedenklichere Verhältnisse mit seiner unseligen Lustigmacherei misshandeln und tödlich verletzen würde. Wollte Gott verhüten, so dachte ich bei mir, dass er nicht einmal bei einem frischen Grab steht und spricht: »Ha, ha, zum Kranklachen!«

Kurz vor der Zeit, da ich Rennes verlassen sollte, luden mich etliche Freunde zu einer Jagdpartie ein. Ganguernet sollte dabei sein. Als ich den Namen hörte, verlor ich fast die Lust und rechnete auf kein Vergnügen mehr, doch stellte ich mich des anderen Morgens zur frühen Stunde bei meinem Freund Ernst B. ein, mit dem ich zusammen ausreiten wollte.

Ganguernet kam zu gleicher Zeit mit mir. Wie wir eintraten, schloss Ernst eben einen Brief, versiegelte, adressierte ihn und legte ihn auf den Kamin. Ganguernet nahm ihn neugierig in die Hand und las die Aufschrift.

»Sieh da, du schreibst an deine Schwägerin,« sprach er.

»Ja wohl,« erwiderte Ernst mit großer Ruhe, »ich benachrichtige sie, dass wir heute um sieben Uhr abends nach der Jagd auf ihr Schloss kommen und dinieren wollen. Wir sind unserer fünfzehn und müssen uns wohl anmelden, damit beizeiten für uns gesorgt wird. Sonst riskieren wir eine schlechte Bewirtung.«

Ernst schellte und übergab den Brief einem eintretenden Domestiken. Niemanden fiel es auf, dass Ganguernet mit dem Bedienten hinausschlüpfte und eine Weile draußen blieb. Wir ritten und fuhren ab. Während der Jagd traf ich zufällig mit Ganguernet an einer Seite des Reviers zusammen, während unsere Freunde längs der anderen hin sprengten. »Heute wird es einen rechten Spaß geben,« hob Ganguernet an.«

»Wieso?«

»Denken Sie sich, ich habe dem Bedienten einen Louis d’or gegeben, damit er den Brief nicht bestellt.«

»Haben Sie den Brief etwa zu sich gesteckt?«

»Nein, zum Kuckuck, ich habe dem Bedienten gesagt, es gelte einen hübschen Spaß, und er sollte den Brief nicht an Ernsts Schwägerin, sondern an ihren Mann, an B. den Älteren, abgeben. Den muss er im Assisenhof aufsuchen, wo er jetzt präsidiert. Wie wird der sich ärgern, wenn er erfährt, dass ihn heute Abend fünfzehn hungrige Gesellen besuchen wollen! Das wird ihm das Herz zerbrechen. Der alte Harpagon! Die Vorstellung, dass wir heute Abend Mord und Plünderung in seinen Keller und in seinen Hühnerhof bringen wollen. Die wird ihn so grimmig machen, dass er imstande ist, ein Dutzend Inkulanten unschuldig zu verurteilen, um nur zeitig genug hinauszukommen und sein Hab und Gut zu wahren.«

»Mit Ihrer Erlaubnis,« erwiderte ich, »das ist ein böser Streich, den Sie uns spielen, Herr Ganguernet.«

»Was,« sagte er, »zum Kranklachen wird es sein. Und am allermeisten freue ich mich auf den Augenblick, wenn wir dort eintreffen. Prächtiger Spaß! Die anderen alle, hungrig wie Wölfe und durstig wie Kamele, laufen aufs Schloss und verschlingen schon in Gedanken ihr exzellentes Abendbrot. Da kommen sie schön an; es setzt nichts, gar nichts.«

»Ei,« sagte ich, »warum erzählen Sie mir das? Glauben Sie denn, es würde mir mehr Spaß machen als den anderen? Und dann vergessen Sie nicht, Herr Ganguernet, dass Sie sich selber mit zum Besten haben?«

»O, nicht doch, für mich habe ich gesorgt. Ich habe ein kaltes Huhn und eine Flasche Bordeauxwein mit. Die Hälfte steht Ihnen zu Diensten.«

»Ich danke schönstens: Ich will lieber schnell zu Ernst hinreiten und ihm die Sache sagen.«

»Ach Gott, mein Bester,« rief Ganguernet, »was sind Sie doch für ein Mensch! Mit Ihnen kann man kein bisschen Spaß anfangen.«

Ich ließ ihn allein und ritt eilig zu den anderen hinüber. Ich fragte nach Ernst und erhielt zur Antwort, er hatte seinen Weg zum Schloss seiner Schwägerin genommen. Eilig setzte ich ihm nach. Ich wünschte sogar, ihm zuvorzukommen und Madame B. von dem Streich, den ihr Ganguernet gespielt, in Kenntnis zu setzen. Bei einer Wendung des Weges gewahrte ich in ziemlicher Entfernung vor mir Ernst, der auf das Schloss zuritt. Ich setzte mein Pferd in Galopp, um ihn einzuholen. Es gelang mir beinahe. Wie ich vor dem Hoftor anlangte, war Ernst soeben eingetreten. Ich wollte ihm nach, da wurde das Tor dicht vor mir zugeschlagen. Im selben Moment ertönte innen ein Schuss, gleich darauf eine zornige Stimme: »Dein Glück, Bube, dass ich dich verfehlt habe; verteidige dich!«

Neben dem Tor war ein geschlossenes Gitter, durch das man in den Hof hineinsehen konnte; dahin stürzte ich, – welch ein Schauspiel! B. der Ältere stürzte mit gezücktem Degen in schäumender Wut auf seinen Bruder los. »Ha!«, rief er, »du liebst sie und sie liebt dich!« Dabei ging seine Stimme vor Zorn in ein heiseres Brüllen über. »Du liebst sie und sie liebt dich!  Wohlan denn, erst dich, dann sie!«

Der durch den Domestiken an B. den Älteren überbrachte Brief hatte ihm ein seit vier Jahren verschwiegen gebliebenes Geheimnis entdeckt, und er, der Richter, hatte seine Stelle, wohin der Staat ihn als Rächer des Verbrechens gestellt, verlassen, um seine eigene Rache zu vollziehen.

Vergebens rief ich von draußen, vergebens beschwor ich sie beim Brudernamen; der Ältere trieb den Jüngeren mit blinder Wut von einer Ecke des Hofes zur anderen. Plötzlich wurde ein Fenster aufgerissen und Madame B., totenbleich, mit fliegenden Haaren, streckte hilfeflehend die Arme hinaus. »Geh fort, um Gotteswillen, Leonie!«, rief Ernst hinauf.

»Nein,« schrie der Ältere, »sie soll bleiben, sie soll sehen! Fürchte nicht, dass sie sich zwischen uns stürzt, ich habe sie eingeschlossen.« Und abermals stürmte und hieb er mit rasender Gewalt auf den Bruder ein.

»Verschone ihn,« rief Madame B. von oben, »ich bin die Schuldige, ich muss sterben! Töte mich, ich flehe dich an, töte mich!«

Ich vereinigte meinen Hilferuf mit dem ihren; ich schrie, ich rüttelte am Gitter, ich versuchte über die Mauer zu klettern. Da stürzte Leonie, von Verzweiflung getrieben, vor Angst und Schmerz und Reue außer sich, sie stürzte sich zum Fenster hinaus und sank zwischen dem Geliebten und dem Gemahl zu Boden. Der Ehemann, blind vor Wut, zückt seinen Degen gegen die Frau.

Da vergisst Ernst alle Furcht und Besinnung. Er schlägt den Degen beiseite. »Ha!«, ruft er, »du willst sie umbringen? Nun sei auf deiner Hut!« Und nun stürzte er mit zornigem Grimm auf den Älteren los.

Ich war außerstande, zu ihnen zu gelangen; Leonie ebenfalls. Die Unglückliche lag mit gebrochenem Bein am Boden. Welches Entsetzen! Zwei Brüder, kämpfend in dem Haus, das sie von ihrem Vater ererbt hatte, vor den Augen der Frau, das ihrer beider Namen trug. Ich war erstarrt; ein unbeschreiblicher Schrecken lähmte mich.

Das Blut beider Brüder strömte aus ihren Wunden, aber statt sie zu erschöpfen, schien der Anblick ihre Raserei zu steigern. Ich war auf die Mauer hinaufgeklettert und eben im Begriff, in den Hof hinabzuspringen, als ich unsere Freunde aus der Ferne herbeieilen sah. Ganguernet war allen weit voran. Auf etliche Schritte rief er mir zu: »Was ist Ihnen denn? Sie schreien wie einer, dem man die Haut lebendig abziehen will. Wir haben Sie auf eine Viertelmeile weit gehört. Was gibt es denn?«

Wie ich den Elenden sah, übermannte mich der Zorn. Ich sprang zu ihm hinunter, packte ihn bei den Schultern und stieß ihn wütend mit der Stirn ans Gitter. »Da, sehen Sie, Herr! Es ist zum Kranklachen, nicht wahr? Es ist zum Totlachen.« B. der Ältere, von dem Degen seines Bruders durchbohrt, lag neben seiner Frau im Blut.

Ernst hatte Frankreich verlassen und ist in den Tod gegangen. Leonie hat am Tag nach dem unseligen Zweikampf Gift genommen. Das war, Leser, die Geschichte zum Kranklachen.

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