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Der Arzt auf Java – Dritter Band – Kapitel 9

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Dritter Band
Kapitel 9

Die List siegt über die Kraft.

Die Piraten hatten ihr Lager an der Mündung des Flusses aufgeschlagen. Die Proas, auf denen sie gekommen waren, lagen dieser Mündung gegenüber vor Anker, in der Bucht von Zand in zwei Parallellinien aufgestellt. Einige leichte Fahrzeuge kreuzten auf der offenen See, um die Korsaren gegen jeden Überfall vom Meer aus zu sichern.

Die Piraten gehörten beinahe sämtlich den malaiischen Inseln an. Man zählte in ihren Reihen einige Hundert chinesische Matrosen, welche auf den Jonken gefangen genommen worden waren, die die gewöhnliche Beute der Seeräuber des Indischen Ozeans bilden. Um sich der Sklaverei zu entziehen, hatten sie sich dem Abenteuerleben ihrer Sieger angeschlossen, aber die große Masse der zweitausend Banditen, welche für den Augenblick die Armee Noungals bildeten, war auf den Soloinseln rekrutiert, auf welchen die Piraterie ein soziales Gesetz ist, wie ehedem in den Barbareskenstaaten und bei den maritimen Bevölkerungen Borneos und Sumatras, deren wilde Eingeborene so wenig ihren trägen und sanften Nachbarn, den Javanern, gleichen.

Um diese Menschen dahin zu bringen, eine Unabhängigkeit zu verleugnen, auf die sie so stolz sind, um die Equipagen dieser Proas ganz gegen ihre Gewohnheit zu vereinigen, und sie dem hellen Tag und dem Festland trotzen zu machen, musste ihnen eine wichtige Unternehmung, eine ihre Habgier lockende Beute, geboten worden sein.

In der Tat handelte es sich um nichts Geringeres, als um die Eroberung und besonders um die Plünderung der Königin aller malaiischen Inseln des Reiches Java. Indem Noungal diese glänzende Aussicht vor ihnen eröffnete, war es ihm gelungen, über ihren Widerwillen zu triumphieren, jeden Hass bei ihnen zu beschwichtigen, jedem Neid Schweigen zu gebieten und zu einem beinahe übereinstimmenden Ganzen die Banditen zu vereinigen, die zwar in dem Berühmtesten ihrer Korsaren ihren Führer erkennen wollten, indessen weit entfernt waren, sich ihm immer unterwürfig zu zeigen.

Der Tag war erschienen, an welchem der Ehrgeiz Noungals befriedigt werden sollte, an welchem er die Früchte der Geduld und der Gewandtheit zu ernten hoffte, mit denen er zuerst unter dem Namen Basilius und dann unter der zweiten Gestalt, die er durch seine übernatürliche Macht erlangte, Uneinigkeit und Aufruhr unter der Bevölkerung stracks genährt hatte; unterstützt durch den Einfluss Thsermais.

Obwohl die Verschwörung, die das Werk Noungals war, entdeckt wurde, blieb sie doch immer noch furchtbar. Ein Drittel der javanischen Bevölkerung war zum Aufstand bereit. Die Großen waren mit der Hoffnung genährt worden, ihre alte feudale Macht wieder zu gewinnen. Die Chinesen, ein beträchtliches Element, waren zu niedrig habgierig, um sich nicht neidisch zu zeigen. Sie erfreuten sich an dem Gedanken, den Handel, den die trägen Javanern verschmähten, aus den Händen der Europäer in die ihren übergehen zu sehen und zum Privilegium ihrer Nation zu machen. Das Volk endlich, welches gleich dem Verurteilten auf dem Rad bei jeder Veränderung seiner Lage eine Erleichterung zu finden hofft, das Volk jauchzte, wie immer, im Voraus dem Untergang seiner Tyrannen Beifall zu.

Obwohl die holländische Regierung den Schiffen den Befehl erteilt hatte, ihre Matrosen zu landen, waren die europäischen Truppen doch noch zu wenig zahlreich, um einem allgemeinen Aufstand Widerstand leisten zu können, besonders wenn das Oberhaupt der Meerzigeuner in die Waagschale der Kämpfe den Kris seiner gefürchteten Bösewichter warf, wenn an den Küsten der Inseln, die sie ausgespien hatten, zahlreiche Angreifer sich bereit hielten, der Spur der glücklichen Flibustier zu folgen, sobald die Nachricht von einem ersten Erfolg sich verbreitete.

Der Tod Thsermais hatte die Pläne Noungals nicht verändert und äußerte keinen Einfluss auf seine Hoffnungen. Dieser Halbdämon hatte nie die Absicht gehabt, zum Nutzen des ehemaligen Zöglings des Doktor Basilius zu arbeiten. Sein ungeheurer Ehrgeiz strebte nach nichts Geringerem als nach dem Thron der Sultane von Java, nachdem er sich eine abscheuliche Unsterblichkeit gesichert hatte. Thsermai war für ihn durch den Einfluss, den seine Geburt ihm verlieh, ein kostbares Werkzeug gewesen, allein Noungal war fest entschlossen, dieses Werkzeug früher oder später zu zerbrechen. Der Tag, der der Letzte des wollüstigen Rajah sein sollte, war beschleunigt worden, allein das kümmerte Noungal wenig. Was er bei Harruch bestrafen wollte, war weit mehr dessen Scharfsinn, der das Geheimnis der Verbindungen des Malaien mit der Welt der bösen Geister erforscht hatte, weit mehr die Kühnheit, mit welcher der Gueber Eusebius zu retten versuchte, indem er Esther zu demselben führte, als das Verbrechen, welches derselbe in den Sümpfen von Batavia beging.

Was in dem Zitronengebüsch vorgegangen war, verdoppelte die Zuversicht des Oberhauptes der Meerzigeuner und schien ihm ein glückliches Vorzeichen zu sein. Die Beute, welche der Doktor Basilius dem Malaien Noungal vorbereitet hatte, war in dessen Hand gefallen. Die drei Frauen hatten ihre Rolle gut gespielt. Die Leidenschaften folgten den Eindrücken, welche die Erfahrung des alten Arztes vorausgesehen hatte. Ein drittes Leben war dem Vampir gesichert, und mit diesem dritten Leben sollte er der Herr eines der reichsten Länder der Welt werden. Das abstoßende Gesicht Noungals war daher auch lebhaft erregt. Seine schwarzen Augen glänzten in einem finsteren Feuer, als er in die Fischerhütte trat, die ihm zum Hauptquartier diente. Er ließ seine Unterbefehlshaber rufen und verkündete ihnen, dass er gezwungen sei, sich zu entfernen, um im Wald von Djivadal die Häupter des Aufstandes aufzusuchen und ihnen das Zeichen zur Insurrektion zu geben. Er empfahl ihnen die größte Wachsamkeit, gab seine Befehle zur Hinrichtung Harruchs und ließ sich ein Pferd vorführen. Er wollte sich eben entfernen, als Arroa, die bisher an der Tür der Hütte gesessen hatte, aufstand und ihn bei einer Falte seines Sacong zurückhielt.

»Herr«, sagte sie, »hat deine Sklavin nicht den Auftrag erfüllt, den du ihr erteiltest, hat sie nicht nur die Tropfen, die du ihren Händen anvertrautest, in das Getränk des weißen Mannes gegossen, sondern auch seine Seele mit dem Feuer erfüllt, von dem Arroas Seele verzehrt wurde?«

»Das ist wahr«, entgegnete Noungal, »gleich dem Pfeil, gleich dem Wurfspieß, gleich dem mörderischen Kris, haben das weiße Weib, die Ebenholzschönheit und die Indianerin, alle drei treu die Befehle ihres Herrn befolgt.«

»Weshalb belohntest du dann deine Sklavin nicht mit einem Blick? Weshalb haben deine Lippen sich nicht den meinen genähert, um mir Dank zu sagen? Ich war die Fackel, welche dazu diente, den Brand in dem Herzen deines Feindes zu entzünden, aber auch ich verzehre mich in der Liebe zu Noungal.«

Der Führer der Piraten betrachtete einen Augenblick die schöne Indianerin mit einem Lächeln der Verachtung, dann drückte er beide Absätze seinem Pferd in die Seiten und rief mit einem unbeschreiblichen Stolz: »So sind also die, deren Spielwerk Ihr seid, die Lenker Eures Geschicks, Ihr elenden Menschen! Ha, ich werde über Euch herrschen, denn nie sollen solche Geschöpfe Eindruck auf das Erz machen, von dem mein Herz umgeben ist.«

Arroa senkte den Kopf und stieß einen Seufzer aus, aber sie schien fühllos gegen die geringe Aufmerksamkeit zu sein, die Noungal ihren Reizen widmete, denn sie sah ihn mit einem Lächeln, mit leidenschaftlichen Blicken, sich entfernen.

In diesem Augenblick bemerkte einer der Piraten das schöne junge Mädchen. Er näherte sich ihr, legte seinen braunen Arm um die schlanke Taille der Indianerin, presste einen schallenden Kuss auf ihre runden glatten Schultern, und Arroa widmete dem Piraten den Schluss des Lächelns, welches sie an den geringschätzigen Noungal gerichtet hatte.

Die Nacht war eingebrochen. Das Ufer ertönte von Geschrei und erglänzte unter tausend Feuern, welche ungeachtet der strengen Befehle angezündet worden waren, die Noungal in dieser Beziehung hinterlassen hatte. Aber in seiner Abwesenheit besaß keiner von den Führern genug Einfluss, um den Geist des Ungehorsams der Seeräuber zu beherrschen. Ihr Lager bot ein Bild der Verwirrung und der Unordnung. Sie hatten einige Schildwachen auf die Höhen gestellt, um die Ebene zu überblicken, wie Noungal das Meer bewachen ließ. So glaubten sie sich jeder weiteren Vorsicht entledigt, überließen sich ihren lärmenden Freuden und suchten Zerstreuung in der Trunkenheit des Reisbranntweins und des Opiums.

Nur die Piraten allein, welche zu den Proas Noungals gehörten, bewahrten einige Disziplin. Diesen war die Bewachung Harruchs übertragen worden.

Eine dünne feste Schnur, stark angezogen um die Handgelenke des Guebern, dann an dessen Körper hinablaufend, und um seine Füße geschlungen, machte dem Gefangenen jede Bewegung unmöglich. Er lag auf einer kleinen Anhöhe der Hütte, aus der wir Noungal kommen sahen, und so, dass die, welche ihn zu bewachen hatten, ihn nicht aus den Augen verloren, während sie ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nachgingen. Dadurch war es überflüssig geworden, eine besondere Schildwache neben Harruch zu stellen.

Die Gruppen, welche sich um den Sandhügel gebildet hatten, waren zahlreich und lebhaft. Die Lustigkeit war hier minder lärmend als in dem übrigen Lager, und die Malaien, welche sie bildeten, waren besser gekleidet und bewaffnet als ihre Gefährten. Die einen kauten schweigend ihren Betel, andere schärften die Waffen, deren sie sich am nächsten Tag zu bedienen glaubten, und etwa ein Dutzend Piraten bildeten einen Kreis um Musiker, von denen der eine sang, während der andere ihn mit einer Art von Flöte begleitete. Die meisten hörten einem ihrer Gefährten zu, der, in der Mitte des Kreises stehend, eine jener Geschichten erzählte, durch welche alle Orientalen gefesselt werden. Aber nicht einer übertrat die Befehle Noungals, der in der ernsten Lage, in welcher sie sich befanden, seinen Leuten auf das Strengste den Gebrauch des Opiums und der geistigen Getränke verbieten zu müssen geglaubt hatte.

Die Gruppe, welche Harruch zunächst stand, war die, welche auf die Erzählungen des Improvisators hörte. Harruch, dessen Gesicht ruhig und fest war, schien denselben ebenso viele Aufmerksamkeit zu widmen, als wäre er frei auf einem der Plätze des Campong Batavias gewesen, und als hätte er nicht in einiger Entfernung von dem Ort, an welchem er sich befand, die Sklaven bemerkt, welche die Holzstücke, das Rohr und die Baumstämme aufeinander häuften, die den Scheiterhaufen für ihn bilden sollten.

Seine scheinbare Sorglosigkeit und der Zauber der Erzählungen, die er hörte, hinderten ihn indessen nicht, alles zu beobachten, was rings um ihn her vorging.

Seit einigen Augenblicken folgte sein Blick voll Spannung einem Mann, den er in dem Schatten gewahrte, der zwischen den dichtgedrängten Reihen der Piraten hin- und herglitt und der nicht den kleinen Turban und die kurzen Haare dieser Letzteren trug.

Dieser Mensch schien ängstlich unter der Menge der Malaien jemand zu suchen. Er trat in den Lichtkreis, den eins der Feuer bildete, und Harruch erkannte Argalenka.

Er wartete, bis der Greis sich dem kleinen Hügel näherte, auf welchem er ausgestreckt lag, und ahmte dann das Zischen der Gaben Cobra Capella nach. Der Ton war so natürlich, dass mehrere der Malaien erzitterten und ängstlich umher sahen. Harruch hatte sein gleichgültiges Gesicht wieder angenommen, aber Argalenka verstand sein Zeichen. Er näherte sich, erkannte seinerseits Harruch und setzte sich neben ihn.

Einer der Piraten wendete sich um, ergriff einen Brand des Feuers und schlenderte ihn nach dem Greis.

»Geh fort, Hund«, rief er, »wenn du nicht willst, dass mein Kris ein Loch in dein altes Leder machen soll.«

Der Gueber erhob nun die Stimme.

»Euer Gebieter hat gesagt, dass Harruch zu seinen Brüdern zurückkehren sollte«, rief er; »aber er wollte nicht, dass man nicht das Izeschne über seine Reste sprechen sollte, in dem Augenblick, wo der Geist des Todes unter der Gestalt einer Fliege kommen wird, sich seiner zu bemächtigen, um ihn der Prüfung der Brücke des Thirevas zu unterwerfen. Er hat ihn nicht dazu verurteilt, die Beute der Dews zu werden, welche sich auf die Leichen stürzen. Unser Glaube gleicht sich nicht, Ihr Söhne des Islams. Ihr besudelt den Schoß der Erde unserer gemeinsamen Mutter durch die Berührung Eurer Leichen. Wir tragen die unsauberen Überbleibsel zu erhabenen Orten, dass sie dort die Beute unsauberer Tiere werden. Lasst diesen Menschen erfahren, was er mit mir zu tun hat, wenn ich nicht mehr sein werde.«

»Er hat recht«, sagte einer der Muselmänner, der andächtiger war als seine Kameraden, »man muss barmherzig gegen den sein, der sterben soll, wäre er auch ein Heide, damit der Prophet auch seinerseits barmherzig gegen seine Gläubigen sei.«

Der Erzähler begann in diesem Augenblick eine neue Geschichte, welche Wunder verhieß. Diese Zerstreuung war dem Gueber günstig. Die Neugier trug den Sieg über das Misstrauen davon, man ließ Argalenka bei ihm.

»Nähere dich mir«, sagte Harruch, indem er sich des malaiischen Dialekts bediente, »und antworte mir in der Sprache, die man an den Ufern des großen Flusses spricht, so werden diese Hunde uns nicht verstehen.«

»Ist denn deine letzte Stunde gekommen?«

»Meine letzte Stunde!«, sagte der Gueber verächtlich, »was nennst du meine letzte Stunde? Ist es die, welche meinen Eintritt in eine vielleicht bessere Gestalt als diese, bezeichnet? Gott hat unseren Körper unsterblich gemacht, wie die Seele, die er einschließt, Ormuzd wollte nicht, dass der Mächtigste der Menschen einen Grashalm vernichten könnte. Was habe ich denn von denen da zu fürchten?«

»Aber der Scheiterhaufen?«

»Der Scheiterhaufen wird aus Harruch ein wenig Asche machen, aber das Auge Ormuzds wacht über die Asche ebenso gut, wie über die Pracht eines Sultans.«

»Gueber«, sagte Argalenka mit gerührter Stimme, »zweimal leistetest du mir Beistand. Wenn ich etwas für dich tun kann, so sprich. Obwohl deine Religion nicht die meine ist, will ich alle Vorschriften des Gesetzes Zends erfüllen, dem du folgst. Buddha, der in dem Herzen liest, wird meine Handlungen billigen.«

»Lass solche eitlen Glauben den Weibern, den Kindern und den Priestern. Ein Gott bedarf des Beistandes der Menschen nicht, um seine Erwählten zu erkennen. Du kannst mehr für mich tun, Greis. Du kannst machen, dass ich ruhig und heiter einschlafe. Du kannst machen, dass ich diese Welt mit der Gleichgültigkeit des Reisenden verlasse, der aus der Karawanserei tritt, in dem er für kurze Zeit ein Obdach fand!«

»Was willst du? Sprich!«

»Höre«, sagte Harruch, dessen Auge im Dunkeln funkelte und dessen Stimme, die er zu dämpfen bemüht war, eine mächtige Aufregung verriet, »höre, das Haupt der Meerzigeuner glaubt, ich sei in seinen Händen, und wenn du willst, wird er es sein, der in den meinen ist. Wenn du einwilligst, meine Rache zu übernehmen, werden nicht nur morgen von den verfluchten Hunden, die hier rings um uns her heulen, nur noch Gebeine übrig sein, die an dem Strand bleichen, denn die weißen Männer, die ich benachrichtigte, werden sie bis auf den Letzten vernichten. Aber auch Noungal selbst wird die Strafe seiner Verbrechen treffen.«

»Harruch«, entgegnete der Beduis, »zum dritten Mal führst du mich in Versuchung, und heute wie auf der Straße zu der großen Stadt, wie in dem Palast Thsermais, findest du mich treu dem Gesetze Buddhas.«

»Aber hatte ich dir denn gesagt, dass der, auf dessen Pfad du die Strafe lenken sollst, ein Barkasaham ist, einer jener unsauberen Geister, welche die Menschen in Versuchung führen, sie zu ihren Lastern antreiben und die Unsterblichkeit erobern, indem sie Verzweiflung und Schande rings um sich her verbreiten?«

»Du hattest es mir gesagt.«

»Weißt du, dass der, welchen man jetzt Noungal nennt, früher der Doktor Basilius war? Weißt du, dass dieser es ist, welcher dein Kind raubte? Weißt du, dass er dasselbe, nachdem er es zum Spielwerk seiner schmutzigen Leidenschaften machte, an Thsermai verkaufte, dass er um den Preis der Tugend deiner Tochter den Beistand und die Mitwirkung des Rajah erkaufte?«

»Ich weiß es«, erwiderte der Beduis voll Ergebung, »Aber was du nicht weißt, ist, dass dank den Lehren, welche Arroa von Noungal empfing, dank der Gefügigkeit, mit welcher sie sich den nichtswürdigen Gebräuchen des Barkasaham hingibt, ein Mensch binnen wenigen Stunden die Beute des Vampirs sein wird!«

»Harruch!«

»Was du nicht weißt, ist, dass der Hauch des unsauberen Geistes hingereicht hat, um aus der reinen Arroa ein ebenso schmutziges Wesen, wie er selbst ist, zu machen. Was du nicht weißt, ist, dass die Leidenschaft, die er in ihre Adern goss, sie der Göttin der Unsauberkeit gleichgemacht hat, die auf einem Fußgestell von Menschenschädeln thront. Was du nicht weißt, ist, dass in eben diesem Augenblick deine Arroa eine feile Dirne ist, welche die Trunkenheit der Lust in den Armen des Niedrigsten dieser Banditen sucht.«

»Gueber, du lügst. Mein Blut kann nicht zu diesem Grad der Verderbtheit und der Gemeinheit gesunken sein.«

»Blicke dort an das Ufer des Meeres. Sieh das Zelt, auf dem ein Wimpel flattert und durch dessen Gewebe ein schwacher Lichtschein schimmert. Unter dem Schutz dieses Zeltes verschwendet Arroa ihre Küsse an einen Laskaren, den ihre Augen vor wenigen Stunden noch niemals gesehen hatten.«

Der Beduis stand auf, sein ganzer Körper zitterte krampfhaft.

»Was willst du tun?«, fragte Harruch.

»Gueber«, erwiderte Argalenka mit dumpfer Stimme, »indem Buddha sich selbst die Ausübung der Gerechtigkeit vorbehielt, machte er eine Ausnahme zu Gunsten der Väter. Das Gesicht dessen, der gezeugt hat, empfing einen Widerschein von dem Angesicht des Herrn. Gleich ihm darf er richten, gleich ihm darf er strafen.«

Indem Argalenka diese Worte sprach, entfernte er sich langsam. Beim Schein der Feuer, die in der Ebene brannten, folgte Harruch ihm mit dem Blick und sah ihn auf das bezeichnete Zelt zuspringen. Er riss einen der Pfähle desselben aus, hob die Leinwand in die Höhe, steckte seinen Kopf durch die Öffnung, die er so gebildet hatte, und verschwand endlich ganz durch dieselbe.

Einige Augenblicke darauf glaubte Harruch einen unterdrückten Schrei zu hören, der sich in dem tausendfältigen Lärmen verlor. Dann sah er den Beduis mit langsamen Schritten zu sich zurückkehren. Der Gang Argalenkas war wankend, sein Kopf sank auf die Brust herab. Er nahm seinen Platz neben dem Gueber wieder ein, ohne ein Wort zu sprechen, aber seine Zähne schlugen aufeinander.

Harruch sah ihn voll teilnehmenden Mitleids an. Er schrieb die Betäubung, in der er ihn erblickte, der Gewissheit zu, die er von der Schande seines Kindes gewonnen hatte. Aber der Beduis hob die Hände zu seinem Gesicht empor, und Harruch bemerkte große braune feuchte Flecken auf den Ärmeln Argalenkas.

»Beduis«, sagte er, »es klebt Blut an deinem Sacong.«

Bei dem Ton dieser Stimme schien Argalenka zu erwachen. Seine Augen öffneten sich und blickten starr umher. Man konnte glauben, eine Leiche zu sehen, die aus dem Grab emporstieg.

Plötzlich fiel sein Blick auf einen Dolch, den er hatte fallen lassen, indem er sich Harruch näherte. Er stieß einen fürchterlichen Schrei aus, verbarg sein Gesicht in den Händen und entfloh, indem er schrie: »Ich habe mein Kind getötet! Ich habe mein Kind getötet!«

Die Flucht und das Geschrei des Beduis erweckten die Aufmerksamkeit der Malaien. Sie erhoben sich lärmend und eilten zu dem Gefangenen.

Aber dieser hatte bereits die Zeit gewonnen, indem er den Schlangen gleich vorwärts gekrochen war, bis zu dem Dolch zu gelangen, auf den der Blick Argalenkas gefallen war. Er legte sich auf die Waffe, von der er mehr als seine Befreiung erwartete.

»Was hast du dem Greis getan?«, sagte einer der Malaien zu Harruch, indem er seine Frage mit einem heftigen Fußtritt in die Seite des Gefangenen begleitete, während die anderen Piraten sorgfältig seine Bande untersuchten.

»Ich habe Eurem Erzähler nachzuahmen gesucht«, sagte Harruch, »nur war mein Erfolg glänzender, denn meine Erzählung erfüllte die Seele des Greises mit Schrecken, während der, dem ihr zuhört, euch zu nichts bringt als zum Gähnen.«

»Nun, dann solltest du auch uns eine Probe von deiner Erzählungsgabe geben«, sagte der Märchenerzähler etwas verletzt, in seiner Eigenliebe als Improvisator.

»Nichts wäre mir lieber, aber was würdet Ihr dagegen für mich tun?«

»Was verlangst du? Sprich!«

»Dass ihr die Stunde meines Todes beschleunigt. Der Scheiterhaufen ist bereit; ich bin es auch. Sobald meine Erzählung beendet ist, fahrt mich zum Tod, denn die Erwartung desselben ist grausamer als die Strafe.«

»Dein Wunsch soll erfüllt werden«, antwortete einer der Piraten. »Sobald deine Erzählung beendet ist, wird Feuer an den Holzhaufen gelegt, der dein Todeslager sein soll. Sobald du das letzte Wort deiner Geschichte gesprochen hast, wird man dir zeigen, dass das, wovor du zitterst wie ein Feigling, in Wirklichkeit nur sehr wenig ist.«

»So sei es«, erwiderte Harruch.

Die Malaien umgaben ihn. Harruch legte sich auf die Seite, sodass er der Mehrheit von ihnen das Gesicht zeigte, aber zugleich auch so, dass er die Schnüre, mit denen seine Hände gebunden waren, gegen die scharfe Schneide des Dolches bringen konnte.

Die Entfernung des Feuers, welches an dem Ort brannte, an dem die Malaien zuerst versammelt gewesen waren, begünstigte ihn dabei.

Der Gueber begann: »Unter den ersten Herrschern von Hind und Sind war keiner so mächtig, wie der Rajah Souran. Alle Rajahs des Orients und des Okzidents huldigten ihm, ausgenommen der der Chinesen. Diese Ausnahme, die dem Monarchen sehr missfiel, veranlasste ihn, zehn zahlreiche Heere auszuheben, um dieses Land zu erobern.

Überall zog er als Sieger ein, tötete mehrere Sultane mit seiner eigenen Hand. Heiratete ihre Töchter und näherte sich so mit großen Schritten dem Ziel seines Ehrgeizes.«

»Wie heißt deine Geschichte?«, fragte der Improvisator.

»Die List siegt über die Kraft«, erwiderte Harruch und fuhr dann in seiner unterbrochenen Erzählung fort: »Als man in China erfuhr, dass der Rajah Souran bereits das Land Tamsak erreicht hätte, geriet der Rajah von China in große Verwirrung und sagte zu seinen versammelten Mandarinen und Hauptleuten: ›Der Rajah Souran bedroht mein Reich mit Verheerung. Welchen Rat erteilt ihr mir, um seine Fortschritte zu hemmen?‹ Da trat ein weißer Mandarin vor und sagte: ›Herr der Welt! Dein Sklave kennt dazu ein Mittel.‹

›So wende es an‹, erwiderte der Rajah und der Mandarin befahl, ein Schiff auszurüsten und es mit einer Anzahl feiner Nähnadeln zu befrachten, die aber sehr verrostet waren, und darauf Kahanach- und Biradabäume zu pflanzen. Er nahm nur zahnlose Greise an Bord und segelte nach Tomsak, wo er kurze Zeit darauf landete.«

»Ist deine Geschichte damit zu Ende?«, fragte der Improvisator mit spöttischem Ton, da der Gueber seine Erzählung unterbrach.

»Nein«, erwiderte dieser, »aber die Bande, mit denen meine Füße gebunden sind, dringen mir in das Fleisch und bereiten mir grausame Schmerzen. Ihr werdet sogleich gezwungen sein, sie loszubinden, um mich zu dem Scheiterhaufen zu führen. Könntet Ihr nicht schon jetzt meinen schmerzenden Gliedern einige Erleichterung verschaffen?«

Einer der Malaien, der in Beziehung auf die Erzählung die Gleichgültigkeit des Improvisators nicht zu teilen schien, trat aus der Gruppe und leistete dem Gueber den erbetenen Dienst. Dieser fuhr fort: »Als der Rajah Souran erfuhr, dass ein Schiff von China angekommen sei, sendete er Boten ab, um von der Equipage zu erfahren, in welcher Entfernung ihr Land liege. Die Boten fragten die Chinesen, und diese antworteten: ›Als wir unter Segel gingen, waren wir sämtlich junge Männer, und da wir es bedauerten, das grüne Laub unserer Wälder entbehren zu müssen, pflanzten wir auf dem Meer den Samen dieser Bäume. Jetzt sind wir alt und gebrechlich, wir haben unsere Zähne verloren und der Same ist zu Bäumen geworden, die Früchte trugen, schon lange ehe wir diese Orte erreichten.‹ Darauf zeigten sie einige der verrosteten Nähnadeln und sagten: ›Seht, diese Eisenstangen waren armdick, als wir China verließen. Jetzt hat sie der Rost beinahe ganz aufgezehrt. Wir wissen nicht, wie viele Jahre während unserer Reise verflossen, und ihr könnt das nach den Umständen berechnen, die wir euch angaben.‹

Harruch hielt wieder inne.

»Und was machte der Rajah Souran?«, riefen zehn Stimmen zugleich und die des Improvisators mit den Übrigen.«

»Ach, ach«, sagte Harruch, »der Augenblick naht, mit welchem meine Erzählung wie mein Leben zu Ende gehen; es ist daher Zeit, euer Versprechen zu halten.«

Einige der Zuhörer gaben den Sklaven ein Zeichen, den Scheiterhaufen in Brand zu stecken, ohne dass sie deshalb ihren Platz verließen, denn sie konnten sich nicht entschließen, die Entwicklung einer Geschichte zu verlieren, die sie mit ihrer gewöhnlichen Gier anhörten.

Von dem Ort, an welchem Harruch sich befand, konnte er das Knistern der Zweige und Rohrhalme hören, die man rings um das Holz angehäuft hatte, um es schneller in Brand zu bringen.

Er nahm wieder das Wort, ohne dass seine Stimme die geringste Aufregung verriet.

»Die Boten berichtigten dem Rajah Souran, was sie gehört hatten. ›Wenn das, was die Chinesen sagen, wahr ist‹, entgegnete der Eroberer, ›so muss ihr Land in einer unberechenbaren Entfernung liegen. Wann könnten wir es erreichen? Das Klügste ist, auf diese Unternehmung zu verzichten. Und an der Spitze seines Heeres …«

Hier wurde Harruch durch einen dumpfen Lärm unterbrochen, der dem fernen Donner glich, und von dem Ozean zu kommen schien.

Die Malaien sprangen gleichzeitig auf. Die Besorgnis, welche das vernommene Geräusch bei ihnen erweckte, triumphierte über ihre Leidenschaft für dergleichen Erzählungen, wie Harruch ihnen eine vertrug, und aller Blicke wendeten sich nach der Seite des Meeres.

Die Flammen des Scheiterhaufens hatte sich nun von dem Rauch befreit und stiegen einige zwanzig Fuß hoch empor, so einen grellen roten Schein auf die Wogen werfend.

Ein zweiter Ton, ähnlich dem ersten, und gleich diesem von dem Hintergrund des Horizontes erschallend, unterbrach das Schweigen, welches jeden Atem gefesselt hielt, und man hörte jetzt einen der Leutnants Noungals rufen: »Die Holländer haben unsere Kreuzer überfallen. Weshalb habt ihr gegen unseren Befehl das Feuer angezündet? Dadurch ist den Weißen unsere Stellung verraten worden. Löscht so schnell wie möglich den Scheiterhaufen.«

Während dessen hatte Harruch die Unaufmerksamkeit der Piraten benutzt und mit Hilfe des Dolches die Stricke durchschnitten, die seine Hände fesselten.

»Zu den Waffen! Zu den Waffen!«, rief dieselbe Stimme. »Entledigt euch des Gueber durch einen Stoß mit dem Kris.«

Die Malaien wendeten sich um, den Befehl ihres Führers zu vollziehen, doch zu ihrer großen Überraschung sahen sie den Gefangenen aufrecht und mit dem Dolch in der Hand.

»Die List siegt wieder über die Kraft«, sagte der Gueber mit donnernder Stimme. »Eure eigene Hand, Banditen, wird die Vernichtung über eure Häupter gerufen haben.«

Indem Harruch diese Worte sprach, war er bereit, über den Ersten zu stürzen, der Anstalten machen würde, ihn anzugreifen; aber die Piraten liefen in unbeschreiblicher Verwirrung zu ihren Booten, denn die Kanonenschüsse waren nun vollkommen deutlich geworden und kamen von Augenblick zu Augenblick näher.

Der Gueber eilte zu der Seite von der Hütte Argalenkas; in dem Augenblick, als er die Bambustreppe ersteigen wollte, stieß sein Fuß gegen den Körper, der am Boden lag. Harruch bückte sich und erkannte den Vater Arroas. Er berührte ihn, doch der Greis machte keine Bewegung. Er schien entseelt zu sein.

Harruch stieß einen Schrei der Wut aus, aber in eben dem Augenblick hörte er ein lautes Wiehern und sein Zorn schien sich zu legen. Er eilte zu der Richtung der Bananenpflanzung, fand dort das Pferd, welches dazu gedient hatte, Arroa aus dem Palast Thsermais zu der Bucht Zand zu bringen, band es los, schwang sich auf den Rücken und trieb es zum Fluss zu. Diesen durchschwamm er und ritt dann in den Wald, in welchem wir am Morgen den Panther verschwinden sahen.

Harruch ließ den Ruf ertönen, den Maha kannte, doch zu seiner großen Überraschung erschien das Tier nicht. Er wiederholte sein Signal, doch Maha kam nicht.

Er glaubte, der Lärm, der von der Bucht herübertönte, und das entsetzliche Kriegsgeschrei der Malaien, das Knattern des Gewehrfeuers, das Donnern der Kanonen, übertönte seine Stimme. Er trieb daher sein Pferd vorwärts, einen Hügel hinauf und wiederholte dann seinen Ruf, doch er blieb ebenso fruchtlos wie die ersten Male.

Nun brach der Zorn Harruchs aus. Dieser Mensch, den wir dem Tod gegenüber so sehr Herr seiner selbst sahen, war nun die Beute einer tollen Verzweiflung. Er raufte sich die Haare, zerriss seine Kleider und brach in wildes Gebrüll aus. Endlich bemerkte er eine schwarze Gestalt, die auf dem Bauch kriechend auf ihn zukam. Er rief Maha, und der Panther näherte sich dem Pferde, welches vor Schrecken sich bäumte.

Harruch ließ dem Tier den Zügel schießen und trieb es zum schnellsten Lauf an, überzeugt, dass der Panther, nachdem er seinen Herrn wiedergefunden hatte, nur daran denken würde, ihm zu folgen; aber als er sich nach einigen Minuten nach ihm umsah, erblickte er ihn nicht mehr. Er sah sich dadurch gezwungen, umzukehren, und fand das Tier an dem Ort, wo er es gelassen hatte. Wütend über eine Unfolgsamkeit, an welche Maha ihn nicht gewöhnt hatte, schleuderte er den Kris, den er in dem Gürtel bewahrte, nach ihm. Er traf den Panther nicht, aber bei diesem Zeichen von dem Zorn seines Herrn warf er sich auf den Rücken und ließ Klagegeheul ertönen.

Harruchs Augenblicke waren gezählt. Um jeden Preis wollte er zu Ende kommen. Er sprang vom Pferd, nahm seinen Dolch auf, und indem er sein vor Angst bebendes Thier am Zügel hielt, gelang es ihm, Maha am Nacken erfassend, sich mit ihm in den Sattel zu schwingen. Er benutzte nun den Schrecken des Pferdes, um dasselbe vorwärts gehen zu lassen und begnügte sich damit, Maha auf dem Sattel zu halten.

Maha stieß einen rauen klagenden Ton aus, der weithin erschallte. Ein anderer Schrei ähnlich, doch ungleich kräftiger, antwortete aus der Tiefe des Waldes. Harruch, der den Panther mit der Hand hielt, fühlte, wie derselbe erbebte. Einige Augenblicke darauf glaubte der Gueber das Laubwerk der Gebüsche, welche den Pfad auf dem er toll dahinjagte, einfassten, rauschen zu hören. Er blickte nach jener Richtung und gewahrte ein ungeheuer großes Tier mit geflecktem Fell, das neben dem Pferd her galoppierte, und erkannte in diesem Tier einen zweiten Panther von der größten Art.

Wie unerschrocken auch der Gueber war, erbebte er dennoch. Er nahm seinen Kris und stachelte damit die Seiten seines Pferdes, um es zu schnellerem Lauf anzutreiben. Aber der große Panther beschleunigte seinen Lauf ebenfalls. Seine Augen blitzten im Dunkeln wie zwei Karfunkel. Nicht auf das Pferd Harruchs, nicht auf den Gueber, nicht auf eine Beute richteten sich seine Augen, sondern auf den schwarzen Panther, welcher ein Weibchen war, und den Geruch, der von diesem ausging, sog das wilde Tier voller Begier ein.

Maha seinerseits schien aufmerksam auf alle Bewegungen des Genossen, den sie auf ihrem Wegegefunden hatte. Ohne die Furcht vor seinem Herrn, ohne den mächtigen Druck, durch den dieser ihn auf dem Rücken des Pferdes festhielt, würde er hinabgesprungen sein, so aber begnügte er sich, leise zu klagen, und von Zeit zu Zeit jenes raue Geheul auszustoßen, durch welches er ein anderes Tier seiner Gattung auf seine Fährte gelockt zu haben schien.

So oft ein solches Geheul sich der behänden Brust Mahas entrang, schien es ein Echo zu finden, bald näher, bald ferner.

Nach kurzer Zeit gewahrte Harruch in dem Schatten gerade vor sich aus zwei neue funkelnde Punkte. Wie der Sturmwind jagte er vor diesen glühenden Kohlen vorüber, aber indem er zurückblickte, sah er wieder, wie sie ihm folgten.

Ein zweiter Panther hatte sich zu dem ersten gesellt.

Maha verdoppelte nun ihre Klagen oder vielmehr die leidenschaftlichen Rufe. Die wilden Tiere schienen unter den Hufen von Harruchs Pferd aus der Erde zu springen; bei jedem Tal, bei jedem Gebüsch, hinter jedem Fels, sprang ein Tier von der Gattung Mahas hervor und schloss sich dem furchtbaren Zug an, sein Gebrüll mit dem der früheren Ankömmlinge mischend.

Das Entsetzen Harruchs war gänzlich verschwunden. Sein Gesicht strahlte in höllischer Freude, seine Brust schien sich zu heben, als wollte das Herz sie zersprengen. Sein Auge blickte mit unbeschreiblichem Stolz über die entsetzliche Herde, die ihm folgte. Er versuchte sie zu zählen und gesellte sein Geschrei dem Liebesgebrüll Mahas. So oft ein neuer Panther den Zug vergrößerte, ließ er ein wütendes Gelächter durch die Nacht erschallen.

»Ich danke dir, Maha«, sagte er, indem er mit der Hand über den gerundeten Rücken des schwarzen Panthers strich, »ich danke dir, dass du deine Brüder des Waldes zu dem Fest berufen hast, das ich dir bereitete. Hurra, hurra, Ihr Kinder der Nacht, lasst uns den Lauf beschleunigen. Dort unten am Horizont erglänzt der Wald von Djivadal in tausend Feuern und dort wartet eurer ein Fest, das eurer würdig ist. Hurra, springt um mich her und wetzt dabei eure spitzen Zähne! Nie hat eine süßere Musik mein Ohr getroffen.«

Und sie flogen dahin, immer vorwärts, schneller als der Sturm; sie flogen dahin und das schwarze Gewölbe des Waldes blieb hinter ihnen zurück; sie flogen dahin, und die Felder, die Täler, die Ebenen, die Flüsse, verschwanden; sie flogen dahin und die Berge wurden überschritten. Sie näherten sich dem Wald von Djivadal.

Hier hatte Noungal die Rajahs versammelt, die der Verschwörung beigetreten waren. Er fand sie niedergeschlagen, entmutigt durch die Maßregeln, welche die holländische Regierung bereits getroffen hatte. Die Erinnerung an die Aufstände der Chinesen und der Eingeborenen im Jahre 1737 und 1825, Aufstände, welche in dem Blut der Strafbaren erstickt worden waren, hatte sich ihrem Geist dargestellt. Sie sahen schon ihre Güter konfisziert und einen Preis auf ihren Kopf gesetzt.

Noungal bemühte sich, ihren Mut zu beleben. Er verkündete ihnen, dass die tributpflichtigen Sultane von Djocjokarta, Sorrobaya und Madura entschlossen wären, sich vom Joch der Europäer frei zu machen, und ihre Truppen bereits in Bewegung setzten. Er stellte ihnen vor, dass, wenn ihre Anhänger auch in der Umgebung der Hauptstadt nicht sehr zahlreich wären, dafür die Provinzen Pantam, Cheriban, Samarang und Preangers sich bereit erklärt hätten, wie ein einziger Mann aufzustehen, dass diese Menge, selbst waffenlos, genügen würde, um durch ihre Masse die kleine Anzahl der Beherrscher der Insel zu erdrücken. Er schilderte mit scharfen Zügen den schmutzigen Geiz, die unverschämte Tyrannei und die Ausschweifungen der Eroberer. Er ließ in den Augen der Javaner den Ruhm des Triumphes und die materiellen Vorteile glänzen, die sie durch die Unabhängigkeit erringen müssten.

Die Unentschlossensten stützen sich auf die Kenntnis, welche die Regierung bereits von der Verschwörung erlangt hätte, und wünschten die Ausführung verschoben zu sehen. Noungal bekämpfte lebhaft diese Ratschläge der Schwäche und der Furcht. Er erklärte ihnen, dass die Kühnheit allein sie retten könnte; dass sie alle gleich sehr bloßgestellt wären und alle die Opfer der Rache der Kolonisten werden würden; dass man seine Tyrannen nie ungestraft zum Zittern bringen könnte; dass die Entdeckung ihrer Pläne ihnen nur noch zwischen dem Sieg und dem Tod die Wahl ließe.

Es gelang ihm, den Verschwörern den verlorenen Enthusiasmus zurückzugeben. Sie wollten sich eben trennen, Noungal, um seine Malaien aufzusuchen und sie gegen Buytenzorg zu führen, dessen man sich nach der getroffenen Verabredung zuerst bemächtigen sollte, die Rajahs, um ihre Vasallen zu bewaffnen und sie auf die Europäer zu hetzen. Da ertönte plötzlich ein dumpfes Rauschen, ähnlich dem der Wogen vor dem Ausbruch eines Sturmes. Der Schrecken schien in der Luft zu schweben. Man hatte in der Ferne sonderbare Töne vernommen. Ohne sich Rechenschaft davon zu geben, wodurch sie hervorgebracht sein könnten, machte ein instinktmäßiges Entsetzen, dass die Verschworenen erstarrten. Sie zitterten, sie trockneten ihre in Schweiß gebadeten Stirnen, sie lauschten in ängstlicher Spannung.

Das finstere Toben hatte aufgehört, man vernahm nur noch den Schall von den Hufschlägen eines Pferdes, welche die Kiesel des Bergweges trafen.

Plötzlich ertönte ein entsetzliches Konzert widerlicher Schreie und wilden Geheuls, ungefähr zehn Schritt hinter der Lichtung, aus welcher die Versammlung gehalten wurde. Zu gleicher Zeit erschien Harruch auf dieser Lichtung.

Anfangs bemerkten die Rajahs nichts als das mit weißem Schaum bedeckte Pferd, mit weit aufgerissenen blutigen Nüstern, mit gesträubter Mähne und den schwarzen Reiter, der seinen blitzenden Dolch, in der Luft schwingend, einem Gespenst glich.

Die Panther, welche stutzten, sich einer solchen Menschenmenge gegenüber zu erblicken, waren zurückgeblieben, aber in dem Augenblick, als der Gueber, der auf den ersten Blick in der Mitte der Versammelten Noungal unterschieden hatte, sein Pferd antrieb, um sich auf ihn zu stürzen, ließ Maha jene Klagelaute erschallen, welche einen so mächtigen Einfluss auf seine wilden Genossen der Wälder zu üben schienen.

Bei diesen Klagelauten vergaßen die Tiger, trunken vor Liebe für die schöne schwarze Pantherin, den Schrecken, den der Anblick des Menschen ihnen gewöhnlich erweckt, und verloren das Bewusstsein der Gefahr. Sie durchbrachen den Raum, der sie von Maha trennte, zeigten ihre entsetzlichen Rachen in jedem Busch, ließen ihre flammenden Augen aus allen Winkeln der Lichtung hervorblitzen und kamen auf allen Seiten hervor auf das Freie, kriechend auf dem Boden, doch bereit zum Sprung.

Die Rajahs, welche wahnsinnig vor Entsetzen waren, flohen durch den Wald, sich nach allen Richtungen verteilend.

Noungal allein war zurückgeblieben.

Harruch hielt sein Pferd dem Malaien gegenüber an, indem er den Zügel mit einem so gewaltigen Ruck anzog, dass das arme Tier, durch Ermüdung bereits erschöpft, sich nicht auf den Beinen zu erhalten vermochte und auf die Seite niederstürzte, gerade zu den Füßen Noungals, der bei dem Anblick Harruchs auf der Stelle die Gefahr erkannte, die ihn bedrohte, seinen Sacong um den linken Arm schlang, um sich mit demselben einen Schild zu bilden und sich mit dem langen Kris bewaffnete, den er an der Seite trug.

»Noungal, Noungal«, heulte der Gueber, indem er seine glühenden Augen auf seinen Feind richtete. »Du hast mich zum Feuertod verurteilt und Ormuzd verdammt dich zu der Strafe, die er den Barkasaham bestimmte. Erinnere dich an die Bedaja bei Mynheer Cornelis, Noungal, Hier ist das lebendige Grab, in welchem Ormuzd deine Stelle bezeichnete.«

Darauf ergriff der sehnige Arm des Guebern den schwarzen Panther, und mit übermenschlicher Kraft erhob er ihn über seinen Kopf und schlenderte ihn dann in der Richtung auf den Malaien fort.

Als hätte Maha die Absicht seines Herrn erkannt, heulte er laut, und die wilde Horde mischte ihr Geheul in das der schwarzen Pantherin, drängte sich dichter zusammen und bildete um die Gruppe einen dreifachen Kreis drohender Zähne.

Aber Maha hatte sich nicht unmittelbar auf Noungal geworfen, wie Harruch in seiner Ungeduld gewünscht hätte. Die kalte entschlossene Haltung des Führers der Meerzigeuner flößte ihm Furcht ein. Auf dem niedergetretenen Heidekraut, welches den Boden bedeckte, auf dem Bauch liegend, die Glieder bebend und dicht zusammengezogen, die Augen auf seine Beute gerichtet, erwartete der schwarze Tiger, dass der Malaie eine Bewegung mache, welche seinen Angriff begünstigte.

Harruch schien der Qual zu erliegen, die seine Brust bedrückte.

»Maha, Maha«, rief er, »willst du denn den Herrn verlassen, der auf dich seine Hoffnung setzte? Drauf auf den Vampir, Maha. Durchwühle seine Seiten mit deinen scharfen Krallen, zerbrich seine Glieder unter deinem mächtigen Gebiss. Du, die ich liebe, Maha, räche die weiße Frau, die ich vor dir liebte.«

Angefeuert durch die Stimme ihres Gebieters, zögerte Maha nicht länger, sondern sprang vorwärts. Aber Noungal hatte die Bewegung beobachtet, und in dem Augenblick, wo der Tiger sich auf seinen Kopf stürzen wollte, machte er einen Satz zurück, fing mit dem Mantel die Krallen des Panthers auf und stieß mit der anderen Hand seinen Kris Maha in die Seite.

Die Waffe verschwand bis an den Griff in dem Körper des Tigers, dessen Muskeln verloren ihre Spannkraft, und sterbend sank Maha zu den Füßen Harruchs nieder.

Noungal stieß einen Schrei des Triumphes aus und schwang seinen Kris, den Gueber bedrohend. Aber in eben dem Augenblick war der größte von all den Tigern, die Harruch gefolgt waren, eben der, welcher zuerst durch die Ausströmungen von dem Körper Mahas angelockt worden war, sich wütend auf Noungal, schlug ihn mit seiner gewaltigen Tatze zu Boden und zermalmte ihm den Schädel zwischen seinen furchtbaren Kinnladen.

Als ob dies das Zeichen zu dem Mahl gewesen wäre, stürzten sich nun all die wilden Tiere auf den Barkasaham. Man hörte nichts mehr als ein unbeschreibliches Geräusch zerrissenen Fleisches und zerbrochener Knochen.

 

*

 

In diesem Augenblick brach am Horizont der Tag an.

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