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Allerhand Geister – Auf dem Lichtenfels – Teil 2

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Auf dem Lichtenfels – Teil 2
Eine Festungsgeschichte

Der Offizier, ein schlanker, hübscher Mann, hatte das, auf einen Wink des rückwärts stehenden Adjutanten, schweigend hingenommen. Hinter dem sich Entfernenden her schüttelte er dann den Kopf, ohne jedoch anscheinend auch nun viel Wert auf das Gehörte zu legen. Denn seine Blicke flogen suchend über den nun völlig einsamen Platz und hafteten alsbald mit dem Ausdruck der lebhaftesten Neugier auf einem Kameraden, der eben um die Ecke der Kaserne kam und ihm eifrig zuwinkte.

Da eilte der Hauptmann hinüber. Nun standen sie beieinander und schlugen die Hände zusammen.

Der Erstere sprach: »So, bist du es denn wirklich, Birken? Als ich dich beim Einmarsch in der Ferne sah und obendrein ohne Degen, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Was in des Himmels Namen hat denn dich hierher gebracht?«

»Ja, ja, so geht es!«, versetzte der andere launig. »Du wirst zur Entree herauskommandiert, und ich bin hier auch schon seit vier Wochen fest und habe noch weitere vier vor mir! Aber dass du gar nichts davon erfahren hast …«

»Ja, wie sollte ich denn? Gestern Abend komme ich an, melde mich, finde diese angenehme Ordre auf heute vor und erlange vom Obersten kaum, dass ich morgen auf ein paar Tage hinunter darf, um mich wenigstens notdürftig einzurichten. So habe ich nur noch meinen Major gesprochen – rein dienstlich – und ehrlich gestanden, an dich noch gar nicht gedacht. Ich war fuchswild über dies alles, zumal heute Abend Molique zu einem Konzert erwartet wird …«

»Molique? Spaß! Das müsste doch auch der Alte hier wissen!«, rief der andere dazwischen.

»Weiß nicht. Hörte es so im Gasthof. Aber gleich viel, Birken, jetzt erzähle!«

»Von mir? Nun Leo, das ist kaum der Rede wert. Was mir besonders am Herzen liegt, lässt sich nicht in drei Worten sagen. Also!« Und er erzählte rasch und munter eine von den Geschichten, wie sie in militärischen Verhältnissen immer passieren müssen: Der Herr Leutnant stand sich mit seinem Hauptmann schlecht. Die Häkeleien, Anzüglichkeiten und Verdrießlichkeit nahmen kein Ende. Man tat sich gegenseitig, soweit es die militärische Etikette irgend erlaubte, alles zum Schabernack, bis der Hauptmann eines schönen Tages ein wenig zu weit ging und der Leutnant darauf, wohlgemerkt im Dienst und vor der Kompanie, die Antwort nicht schuldig blieb. Da war die Sache denn zu Ende, d. h. für jetzt, und die acht Wochen Festungsstrafe immerhin noch ganz erträglich. Das Urteil hatte augenscheinlich die Verhältnisse berücksichtigt und den Umstand in Rechnung gezogen, dass Birkens Gegner mit aller Welt auf schlechtem Fuß stand.

»Ich würde mich daher auch nicht groß beklagen«, fügte Birken seiner kurzen Mitteilung hinzu, »wäre die Festung nicht dieses Hundeloch von Lichtenfels und ihr Kommandant nicht der alte Äh … äh! Ich weiß nicht, hat er noch seine besonderen Instruktionen in Ansehung meiner erhalten oder sie von meinem Alten empfangen oder sie sich selber gegeben, zur Beförderung meines Seelenheils? Genug, er sitzt mir stets auf den Hacken und flickt mir allerwärts am Zeug, alles mit einer so verfluchten, halb kommandanten-, halb onkelhaften Manier, dass ich trotz allen Ärgers immer wieder lachen muss und Remonstrationen und Klagen ganz umsonst sein würden.«

»Onkelhaft?«, wiederholte der Hauptmann.

»Ei, ich meine die Manier und nicht die Verwandtschaft. Er ist ein Jugendfreund meines Alten, steht mit ihm noch in Korrespondenz. Seine Briefe sollen nicht ganz so abschreckend sein, wie sein persönliches Auftreten. Kurz, mein Alter hat viel Achtung vor ihm und stellt ihn mir als Muster auf.«

Der Hauptmann lachte. »Gratuliere!«

Birken lächelte gleichfalls. »Das alles ließe sich aushalten«, sagte er dann, »allein, wie ich ja mein ganzes Leben lang ein rasendes Pech gehabt habe, aber«, brach er plötzlich ab, da eben der helle Schlag einer Uhr vom Schloss her über den Platz klang, und riss die eigene Uhr aus der Tasche, um sich zu überzeugen, dass er richtig gehört habe. »Bei allen Göttern zu Wasser und zu Lande, es ist schon ein Uhr, und ich habe meinen Rüffel weg und du kriegst einen schwarzen Strich, als mein Verführer!« Und auf den verwunderten Blick des Freundes fügte er hinzu: »Ja, ja, Leo, der Herr Kommandant hat den Sohn seines Jugendfreundes an seinen Tisch befohlen. Ihn allein speisen zu lassen, wäre zu grausam, und mit den Herren Offizieren, zu gefährlich für die zu erwartende Besserung – oh! Also fort, dass der Rüffel nicht gar zu grob wird. Es ist gerade das Verwünschteste, dass ich Grund habe, ihn zu schonen! Alles andere heute Nachmittag. Ich brauche deine Hilfe!«

»Also, Molique heute Abend in der Stadt?«, murmelte Birken vor sich hin, während er über den Platz der Kommandantur zueilte. »Sag ich es oder nicht? Muss es mir überlegen!«

Als er die prachtvolle Treppe erstiegen hatte, welche im Hauptbau noch erhalten war, und oben auf den weiten Vorflur trat, schallte ihm aus dem nächsten Zimmer durch die verschlossene Tür schon die polternde Stimme des Alten entgegen und ließ ihn seine Schritte verlängern. Plötzlich jedoch kam von rechts her ein junges Mädchen mit der gleichen Hast heran. Und da er grüßend Halt machte, um ihr den Vortritt zu lassen, war sie auch schon neben ihm. Ihre Hand reichte ihm ein zusammengefaltetes Papier und dazu flüsterte sie: »Nehmen Sie rasch! Heute Morgen angekommen! Nehmen Sie sich in Acht! Der Onkel ist heute grausig!«

Dass es so war, davon konnte der Leutnant sich schon in der nächsten Minute auf das Gründlichste überzeugen, denn der oben erwähnte Gewitterhimmel drohte trotz diverser Entladungen noch immer schwer und schwarz aus des Kommandanten Miene herab und entlud sich nun von Neuem in einem wahren Unwetter von Vorwürfen, Flüchen, Grobheiten, maliziösen Spitzen gegen den Tischgast, der schon durch solches reglementwidrige Zuspätkommen beweise, dass er den Teufel was vom Dienst verstehe und überhaupt nur durch des Herrgotts spezielle Ungnade Soldat geworden sei; gegen die beiden Damen, die alte Schwester, die in ihrem Leben nicht lerne, rechtzeitig fertig zu werden, und gegen die auf Besuch anwesende Nichte oder Großnichte Clara, die in der unschicklichsten Weise die aus- und einziehenden Truppen aus dem offenen Fenster in Augenschein genommen habe, noch dazu im Äh, äh, Negligä, und so lange, dass das Zimmer kalt geworden und sie zu spät in den Anzug und zu Tisch gekommen sei; gegen den unglücklichen Adjutanten endlich, der ausdrücklich heute zu Tisch befohlen war, weil die neue Garnison durch ihr verfl… Gelodder jede Aufmerksamkeit vonseiten der Festungsbehörde verscherzt habe; gegen den aufwartenden Diener, kurz gegen alle Welt.

Die Wirkung dieses Ausbruchs war nicht ganz so, wie ein Uneingeweihter sie nach der Gewalt desselben hätte erwarten sollen: Teils waren die Tischgäste längst auf das Beste geschult, teils fügten sie sich resigniert in das Unvermeidliche, teils endlich mochten sie in und mit sich selber anderes zu bedenken haben und die ganze Schwere des Sturms gar nicht recht empfinden. Zu den Geschulten gehörten die obendrein taube Schwester und der kaltblütige Diener. Die Resignation wurde auf das Vollendetste durch Herrn von Mornau, den Adjutanten, personifiziert. Der arme Herr hatte längst die Hoffnung aufgegeben, dass er lebendig vom Lichtenfels hinabkommen werde, da der Kommandant erklärt hatte, er könne keinen anderen Adjutanten brauchen, als ihn, der doch wenigstens eine Ahnung vom Dienst habe! Und wenn man ihn ansah, konnte man fürchten, dass seine trüben Vorstellungen nicht unberechtigt seien und die Kameraden recht haben möchten, welche erbarmensloserweise behaupteten: Mornau müsse infolge der erschütternden Flüche und der ausmergelnden Fragen des Alten notwendig an der Dürrsucht leiden.

Fräulein Clara und Leutnant von Birken blieben zum erneuten Ärger des Alten, sozusagen unnahbar, gleichviel, ob aus dem gleichen oder einem verschiedenen Grund, bis der Letztere endlich durch eine bissige Bemerkung über den neuen Hauptmann aufgeweckt wurde, der, in der letzten Stunde seines Urlaubs anlangend und sein neues Kommando übernehmend, heute bei seinem Marschdebüt schauderhaft durchgefallen sei und morgen schon, wie ihm, dem Kommandanten, der Oberst anzeige, auf mehrere Tage wieder in die Stadt wolle, wenn da nicht der gesamte Dienst zum Teufel gehe, so wisse er überhaupt nicht mehr, was Dienst sei!

Herr von Birken wachte, wie gesagt, auf und aus seinem dunklen Auge streifte ein übermütig-lustiger Blick zu dem Alten hinüber. »Er wird sich ein Instrument bestellen müssen«, sagte er.

Der Oberstleutnant legte Messer und Gabel nieder und schob den eben genommenen stattlichen Bissen in die rechte Backe, um den Mund zu Fragen frei zu haben. »Äh … äh, Instrument? … Musikalisch … äh … äh?«, forschte er.

»Zu Befehl, Herr Oberstleutnant, und zwar sehr! Leo Reifenberg ist beinahe Künstler.«

»Künstler? … Äh … äh! … Instrument? Will ihm nachher die richtige Adresse geben. Muss sich nach der Residenz wenden, hier nichts als altes ausgespieltes Zeug! … Äh … äh … Künstler? …«

»Und der Herr Oberstleutnant werden verstehen, wie schwer es ihm wurde, schon heute zu marschieren, während gerade heute Abend Molique im weißen Ross spielt …«

Nun fielen Messer und Gabel auf den Teller und der Kommandant verschluckte sich furchtbar. Sein Husten war so gewaltsam, dass das Gesicht dunkelrot und das Würgen einigermaßen beängstigend wurde. Clara sprang auch sofort zu dem alten Herrn und begann ihm herzhaft auf den Rücken zu klopfen, während ihre bisher schalkhaften Blicke sich in sehr ernste verwandelten und sich strafend und vorwurfsvoll zu Birken hinüberwandten. Der Herr Leutnant freilich schaute so unschuldig und zugleich so bedauernd auf die Gruppe, wie man nur irgend wünschen konnte.

Der Alte kam wieder zu sich selbst und entzog sich vor allem durch einen unwirschen Schulterruck den Händen seiner Retterin. »Äh … äh … Mo… Mo… Moli… Moli… oh, dies höllische Fleisch von … einer … alten podolischen … Kuh!«, hustete, fluchte, stotterte, krächzte er grimmig hervor. »Äh … äh … Moli… Molique … heute Abend im weißen Ross und ich und der Oberst … und ich … und … Molique …«

»Aber hat der Herr Oberst denn nichts davon geschrieben?«, fragte Birken mit reizender Bescheidenheit.

»Den … Teufel … Teufel … hat er! Äh … äh! … Und die Uhr ist, hol mich der Teufel, gleich zwei … oh, so schlage doch der Herrgott alle hunderttausend Schock Teufel in den millionenfach verwünschtesten Abgrund des Erdbodens hinein!« Er sprang kerzengrade auf und warf die Serviette mit einer Gewalt auf den Tisch, dass der Adjutant rasch zugreifen musste, wenn die Weinflasche nicht umfallen sollte. Der Unglückliche hatte erst ein Glas bekommen und doch mit Bestimmtheit auf einigen Nachschuss gerechnet.

»Wir sind alle satt … bleibt mir mit eurem verwünschten Dessert vom Leibe! … Zwei Uhr! … Molique! … Da schlage ein Donnerwetter drein!« Er stolperte aus dem Zimmer.

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