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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Der Kammerdiener des Maharadschas – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Der Kammerdiener des Maharadschas

4. Kapitel

Die Billardpartie

Der Maharadscha hatte für unseren Empfang bereits vorher allerlei Erfrischungen bereitstellen lassen. Er bediente uns in liebenswürdigster Weise selbst. Es gab Sekt von Eis, Röstbrötchen mit Kaviar und andere Kleinigkeiten. Harst nippte nur an seinem Glas, rauchte desto eifriger die vorzüglichen Zigaretten.

Wir saßen in hochlehnigen Ledersesseln um den Mitteltisch herum. Plötzlich erhob sich Harst und erklärte, er wolle sich nur mal das Billardzimmer ansehen. Er verschwand hinter dem Vorhang. Wir hörten ihn hin und her gehen, dann das Klappern der Billardbälle, dann seine Stimme.

»Hoheit«, rief er, »ich bin leidenschaftlicher Billardspieler. Würden Sie mit mir eine kurze Partie machen.«

Der Maharadscha erklärte sich sofort dazu bereit. Ich merkte ihm aber an, dass er etwas erstaunt über Harsts Bitte war.

Das Zimmer enthielt zwei Billards. Harst wählte dasjenige aus, das am nächsten zur Bibliothek stand. Randall und ich sahen zu.

Ich muss bemerken, dass Harst niemals leidenschaftlicher Billardspieler gewesen ist, trotzdem aber recht gut spielte. Er wechselte sehr oft die Stöcke und verbrauchte sehr viel Kreide zum Einreiben.

Der Fürst gewann die Karambolagepartie.

Harst stellte seinen Stock weg und bat, der Maharadscha möchte ihm doch die Gemächer jenseits des Flures zeigen. Wir traten durch die zweite Tür des Billardzimmers in den erleuchteten Korridor und gelangten danach von der anderen Seite wieder in die Bibliothek, ohne den Billardsaal wieder zu durchschreiten.

Wir nahmen abermals Platz. Harst begann sich nach des ermordeten Kammerdieners näheren Verhältnissen zu erkundigen.

»Wrihgton war Junggeselle«, erklärte der Fürst. »Er hatte in England nur ganz entfernte Verwandte, um die er sich nicht weiter kümmerte. Hier war er allgemein beliebt, besonders, nachdem er sehr bald zum Brahmanismus übergetreten war. Ich kann nur sagen: Er besaß nicht einen einzigen Feind. Sein Tod ist desto unerklärlicher.«

Harst fragte dann, wie damals die Bewachung dieser Räume durchgeführt worden sei, um der Erscheinung auf die Spur zu kommen. Der Fürst sagte, dass in den Fluren Tag und Nacht Wachen patrouilliert hätten. Trotzdem wäre Wrihgton vor dem Vorhang zweimal aufgetaucht.

»Hoheit, wann sahen Sie die Gestalt zum letzten Mal?«, wollte Harst wissen.

»Vorgestern gegen neun Uhr abends. Ich hatte Gäste bei mir, General Koowper und Oberst Ardington. Wir saßen drüben im Salon. Ardington spielte Klavier. Ich wollte dem General ein Buch hier aus der Bibliothek holen. Als ich hier eintrat, stand Wrihgton wie stets …«

»Danke, Hoheit. Er zeigte sich stets in demselben Anzug?«

»Ja. Er trug die übliche Kammerdienertracht – wie jetzt auch Edward.«

»Haben Sie vielleicht ein Bild von Wrihgton, Hoheit?«

»Gewiss.« Der Maharadscha trat an einen Schrank, schloss ein Schubfach auf und stellte dann eine Stahlkassette auf den Tisch, öffnete deren kompliziertes Schloss und nahm ein Päckchen heraus, band die Schnur ab und entnahm den Papieren zwei Fotografien.

Wrihgton trug einen halblangen, dunklen Vollbart, glatt gescheiteltes Haar und hatte sehr dicke Augenbrauen, die dem Gesicht einen etwas strengen Ausdruck gaben.

»Den Bart«, warf der Fürst ein, »ließ er erst wachsen, als er sich zum Brahmanismus bekehrt hatte. Bis dahin ging er glattrasiert.« Er legte Harst nun auch die Papiere hin, die das Päckchen bildeten. »Falls es Sie interessiert – dies ist so eine Art Tagebuch Wrihgtons. Es enthält jedoch nichts, was den Mord auch nur im Geringsten klären könnte. Wellerley, Ihr Kollege, Master Harst, hat die Aufzeichnungen sehr sorgfältig geprüft.«

»Oh, ich möchte sie doch mal flüchtig durchsehen Hoheit, jetzt gleich.«

Während der Maharadscha dann Randall und mir von seiner letzten Tigerjagd erzählte, blätterte Harst in den losen Blättern. So verging mindestens eine Viertelstunde. Dann legte Harst die Aufzeichnungen des Ermordeten wieder auf den Tisch.

»Wrihgton muss ein vielseitig gebildeter Mann gewesen sein und an Ihnen, Hoheit, mit großer Treue gehangen haben«, meinte er und erhob sich. »Ich will mir jetzt nochmals das Billardzimmer ansehen, auch den kostbaren Vorhang dort vor der Türöffnung.« Er verschwand, kam nach fünf Minuten zurück, setzte sich wieder und sagte: »Hoheit, sind Sie fest überzeugt, dass Sie auf keinen Fall, was diese Erscheinung angeht, einer Sinnestäuschung zum Opfer fallen?«

»Ausgeschlossen!«

»Hm, ich würde das selbst von mir nicht mit so großer Bestimmtheit behaupten, Hoheit. Unser Hirn erlaubt sich mit uns zuweilen die seltsamsten Scherze. Nun, jedenfalls will ich die Sache nach drei Tagen etwa ganz gründlich untersuchen. Wir sind nämlich zu einer Jagd auf Wasserbüffel eingeladen, die ich mir nicht entgehen lassen möchte. Sobald wir wieder hier eingetroffen sind, melde ich mich, Hoheit.«

Jagd auf Wasserbüffel? Harst log. Ich wusste nichts von einer solchen Einladung. Ebenso wie er vorhin gelogen hatte, als er sich als Billardfex hingestellt hatte.

Randall sah Harst überrascht an. Auch ihm fiel diese Büffeljagd auf.

Wir verabschiedeten uns nach einer halben Stunde von dem Maharadscha, der nach seinem Kammerdiener läutete und uns wieder hinab zu der geschlossenen Halle geleiten ließ, wo das Auto noch wartete.

Harst bat dann nachher auf der Festung Randall noch in unser Zimmer.

»Ich habe eine Bitte«, sagte er leise. »Sie müssen mir helfen, diesen Geist zu entlarven, der da mit dem Fürsten Versteck spielt. Ich weiß bereits, wer es ist, der diesen Mummenschanz treibt, weiß jedoch nicht, weshalb dieses Gespenst sich so häufig und so andauernd zeigt.«

Randall und ich waren in gleicher Weise überrascht.

»Wie, Sie kennen den …«, rief der Hauptmann, wurde aber von Harst unterbrochen.

»Bitte leise! Ich kann nicht vorsichtig genug sein! Meine Bitte geht dahin: Sie müssen einen Jagdausflug gleich morgen vorbereiten, sodass wir nachmittags aufbrechen können. Morgen Vormittag müssen Sie aber auch unauffällig dem Maharadscha einen Brief von mir aushändigen. Der Fürst reitet jeden Morgen aus. Suchen Sie eine Begegnung mit ihm und geben Sie ihm den Brief mit einigen aufklärenden Worten, sodass niemand von der Begleitung Seiner Hoheit etwas davon merkt. Der Fürst soll den Brief sofort während des Rittes ebenso unbemerkt lesen und auch sogleich vernichten, am besten einen Stein hineinwickeln und ihn unauffällig ins Wasser werfen. Bestellen Sie ihm, dass der Erfolg meiner Tätigkeit davon abhängt, dass er meinen Weisungen genau nachkommt.«

Randall versprach alles zu tun, was Harst wünschte.

Als er uns dann verlassen hatte, winkte Harst mich neben sich auf das Bambussofa und sagte: »Lieber Alter, die ganze Geschichte riecht nach einem Schurkenstreich, dessen eigentlicher Knalleffekt noch bevorsteht. Ich kann mich irren, aber ich glaube fast, dass unser Freund Cecil hier wieder mitwirkt. Dieser Verdacht kam mir bereits, als Randall heute früh in der Baumkrone von dem enorm reichen und doch sorgenbelasteten Herrscher von Gwalior sprach. Ein Mann wie dieser Fürst ist ein sehr lohnendes Objekt für Leute vom Schlage Warbattys. Sieh mal, unser Cecil war vor rund einem halben Jahr hier in Indien und hat hier, wie wir wissen, so allerlei Geniestreiche eingeleitet, deren Früchte er jetzt pflücken wollte und will. Die meisten dieser Früchte haben wir ihm wieder aus der Hand gleiten lassen. Also: Er war vor rund sechs Monaten hier. Und etwa zu derselben Zeit ist auch Albert Wrihgton ermordet worden. Das mag ein zufälliges Zusammentreffen sein. Jedenfalls stimmt es aber nachdenklich, nicht wahr? Nun also! Du nickst eifrig. Und du wirst abermals nicken, wenn ich dir sage, dass doch kein anderer bessere Gelegenheit hat, den Geist Wrihgtons zu mimen als Edward, der neue Kammerdiener, der überall ungehindert ein- und ausgeht. Gerade ein Gesicht wie das Wrihgtons ist leicht zurechtzumachen und schnell wieder in das Edwards zu verwandeln. Edward trägt Scheitel, hat dasselbe längliche Gesicht, dieselbe Allerweltsnase, geht stets in derselben Tracht wie seinerzeit Wrihgton, hat dieselbe Größe etwa, dieselbe Figur. Der Bart und die dicken Augenbrauen lassen sich im Moment anbringen und wieder entfernen. Als der Fürst uns die Erscheinung schilderte, dachte ich gleich an Edward Armstrong, den Glattrasierten, die Perle! Ich sagte mir weiter, dass es einen ganz besonderen Grund haben müsse, weshalb die Spukgestalt sich stets gerade vor dem Vorhang zeigt. Um nun festzustellen, ob dieser Edward uns etwa hinter dem Vorhang stehend belauschte – und dann hatte er natürlich ein schlechtes Gewissen! –, spielte ich mit dem Fürsten Billard und bestreute die Schwelle so mit Kreidestaub, dass ich nachher, als ich zum zweiten Mal allein in dieses Zimmer ging, notwendig merken musste, ob auf der Schwelle jemand gestanden hätte. Wir waren von der anderen Seite in die Bibliothek zurückgekehrt. Ich fand auch Spuren. Edward hat für einen Mann sehr kleine Füße. Seine Lackschnallenschuhe haben hohe, schmale Absätze und die Abdrücke im Kreidestaub zeigten genau ein ähnliches Sohlenbild. Kurz: Edward hat gehorcht! Er wusste ja, dass wir Gäste ganz besonderer Art sein müssten, da wir so geheimnisvoll in den Palast gebracht wurden und da hat ihn eben das schlechte Gewissen und die Vorsicht verleitet, den Lauscher zu spielen.«

»Das hast du sehr gut …«, wollte ich ihm wohl mit Recht meine Anerkennung aussprechen.

»… sehr gut und sehr schnell herausgefunden«, setzte er selbst meinen Satz fort, »dass einige Teile von Wrihgtons Aufzeichnungen gefälscht sind.« Kleine Pause. »Tadellos gefälscht, lieber Alter. Auch der berühmte Wellerley, gewiss kein Dummkopf, hat sich täuschen lassen. Es gehört ein sehr geübter Blick für Handschriften dazu, diese von anderer Hand eingefügten Sätze – sie stehen stets am Schluss jedesmaliger Tagesniederschriften – zu erkennen. Ich werde dir nachher beim Fürsten diese Sätze zeigen. Sie handeln stets von Wrihgtons lieben Freund Edward Armstrong! Geht dir ein Licht auf? Die ersten Sätze lauten etwa:

Ich habe gestern an Edward geschrieben. Er sollte eine so gute Stellung finden wie ich. Warum kommt er nicht nach Indien?

Edward ist mein bester Freund. Es gibt keinen vorzüglicheren Kammerdiener als ihn; und so weiter.«

In den ferneren gefälschten Sätzen wird erwähnt, dass Armstrong ohne Stellung ist und in London, Gardenfleet 15, wohnt. Merkst du, weshalb jemand all dies einfügte? Natürlich zu dem Zweck, um den Fürsten auf Armstrong als tadellosen Nachfolger für Wrihgton aufmerksam zu machen. Die Sache ist sehr geschickt eingefädelt worden. Ich wette, Seine Hoheit ist lediglich durch diese Fälschungen auf seine jetzige Perle von Kammerdiener hineingefallen.«

»Ah, in der Tat ein Komplott, das …«

»… das eines Cecil würdig wäre, lieber Alter! Höre weiter. In seinen Aufzeichnungen erwähnt Wrihgton hie und da auch Leute, die er nur flüchtig kennen gelernt hat. So spricht er von einem Kaufmann Galver zweimal kurz vor seinem Tod, mit dem er zufällig bekannt wurde und der wie Wrihgton emsiger Käfersammler war oder sein wollte. Wrihgton hat ihm verschiedene seltene Exemplare von Riesenkäfern von den Sunda-Inseln abgekauft oder sie gegen andere eingetauscht. Vielleicht ist dieser Galver unser Mann, das heißt, der Mörder und Fälscher. Er hat Wrihgton ohne Zweifel im Palaste besucht. Nun, alles Weitere werden wir sehr bald herausfinden, was noch mit zu diesem Streich an Einzelheiten gehört. Jetzt ins Bett! Hier auf der Festung können wir ruhig schlafen. Selbst ein Warbatty dürfte hier schwerlich eindringen können.«

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