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Ein Ostseepirat Band 1 – Die Postjacht

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman
Erster Band
II.
Die Postjacht

Der Morgen des 30. Juli sah daher eine ganz ungewöhnliche Bewegung auf der Insel. Schon von früh ab wehte der Schwedenborg vom hohen Bakenberg zwischen Kloster und Grieben, auf dem sich zu jener Zeit eine Lotsenstation befand. Das ganze Lotsenpersonal war mit Fernrohren zugegen und dies ist erklärlich, denn der Major hatte demjenigen, der die Jacht zuerst entdeckte, eine Belohnung versprochen.

Bald auch zogen fast alle Bewohner der Insel von Süden nach Norden, denn sie wollten sowohl Neues hören als auch die Töchter des Majors, des angesehensten Mannes der Insel, empfangen. Grieben hatte sich ihrer besonderen Achtung zu erfreuen.

Noch bedeutender waren die Vorbereitungen zum Empfang der Mädchen in Grieben selbst und gewiss, um diesen recht feierlich zu machen, hatte auch Staelswerd seine Brigg dem Land möglichst nahe kommen lassen.

Inzwischen stieg die Sonne immer höher und verkündete bei Windstille durch ihre brennenden Strahlen einen heißen Tag. Schon um zehn Uhr ungefähr war die Hitze sengend, die Natur lag wie tot, die See war glatt wie ein Spiegel. Gegen Mittag schien alles Leben gestorben zu sein, denn kein Tier und kein Mensch wagte eine Bewegung, alles verkroch sich in die Gebäude oder suchte wenigstens Schatten. Dass bei dieser Windstille die Jacht nicht eintreffen konnte, war natürlich.

Gegen zwei Uhr nachmittags trat jedoch eine Änderung des Wetters ein. Jene Nebel, welche unter dem Namen Daak bekannt sind, spielten auf der See und ein heißer Luftzug strich aus Süden her. Im Norden und Nordwesten ballte sich Gewölk zusammen, welches sich, dichter und dunkler werdend, nach Nordosten wälzte. Der Wind wendete sich nach Südost und wurde kühl.

Schon mit dem Beginn dieser Änderung des Wetters war wieder alles lebendig geworden und gegen drei Uhr befanden sich gewiss zwei Drittel der Bewohner des Eilandes beim Lotsenhäuschen auf dem Bakenberg. Um diese Zeit kamen auch der Major, seine Frau und Baron Staelswerd dort an. Zu ihnen gesellten sich der Prediger Huldrich aus Kloster und ein paar alte Lotsen. Man judizierte über das Wetter und gebrauchte fleißig die Fernrohre.

»Ich habe es mir gedacht!«, sagte da plötzlich einer der Letzteren, sein Instrument senkend. »Dort drüben wettert es und die Jacht muss mittendrin sein. Wenn das alles da links zusammenbraut, dürfte sie einen harten Kampf haben!«

»Ich habe es ebenfalls leuchten sehen!«, meinte Staelswerd, »und an einem starken Wetter dürfen wir nicht mehr zweifeln. Ich glaube sogar, dass auch wir hier noch unser Teil bekommen!«

Diese Reden setzten den Major und seine Frau in Besorgnis. Grund war allerdings vorhanden, denn die Dunstmassen im Norden und Nordwesten wurden immer schwärzer und sendeten ihre Streifen bis zum Zenit südwärts. Man konnte sogar bald mit bloßem Auge die Blitze sehen. Das Meer nahm eine dunkelgrüne Farbe an und grollte dumpf, indem es kleine Schaumstreifen aufwirbelte. Der Wind setzte jeden Augenblick um und schuf zu Zeiten jene Bewegungen auf dem Wasser, die in der Seemannssprache Katzenklauen heißen.

Sowohl der Leutnant als auch die Lotsen versuchten indessen die besorgten Eltern zu beruhigen, denn die Postjacht war, wie allgemein bekannt, ein starkes seetüchtiges Schiff mit starker Bemannung, welches schon einen kräftigen Stoß vertragen konnte. Der Prediger schob dagegen alles unserem Herrgott in die Schuhe, als wolle er ihn für etwa entstandenen Schaden verantwortlich machen.

So verging eine bange Stunde, in der man auch mitunter den fernen Donner rollen zu hören glaubte. Es war vier Uhr geworden. Der Wind blies nun stet und mit einiger Heftigkeit aus Nordost. Wer ein Fernrohr besaß, musterte von Zeit zu Zeit den Horizont.

»Da ist sie!«, rief plötzlich derselbe Lotse, welcher vorhin gesprochen und dessen Auge also wohl das schärfste sein musste. »Gnädiger Herr, ich habe sie zuerst entdeckt!«

»Gott sei Dank!«, rief der Major, »aber wo steht sie, Nehls?«

»Hier, gnädiger Herr!«, sagte Nehls, das Fernrohr des Majors richtend und als Avertissement für die anderen, »genau über dem Dornbusch zeigt sie Tuch.«

Ob der Major oder andere, die den Wink beachteten, das entfernte Segel entdeckten, ist fraglich, jedenfalls hatte es jedoch der Baron gefunden, was vielleicht dem Umstand zugeschrieben werden konnte, dass sein Fernrohr besser als die Instrumente der anderen war.

»Ein Schiff steht da, das ist gewiss!«, sagte er nach kurzer Pause. »Ob es die Jacht ist, müssen wir erwarten. Das erkennbare Tuch ist ein Rahsegel!«

»Nun ja, Euer Gnaden!«, entgegnete der Lotse eifrig, »der Junker macht sich zu Zeiten den Scherz, wenn er nämlich Eile hat und die, denke ich mir, wird er heute haben.«

­ Der Lotse warf bei diesen letzten Worten einen Seitenblick auf den Major.

»Sein Schade sollte diese Eile auch nicht sein!«, meinte er, den Tubus senkend, »mir wurde wirklich schon ängstlich, Frau, diese Furcht war also umsonst. Über See schicken wir jedoch die Mädchen nicht wieder, das habe ich mir im Stillen gelobt!«

»Danken wir Gott, dem Herrn, für seine Gnade«, sagte der Pastor salbungsvoll.

Während dieses Gespräches war das andere Volk, welches die von den bevorrechteten Personen gebildete Gruppe in einem weiten Halbkreis umgab, näher gerückt und der Schulmeister hielt die Gelegenheit für so günstig, sich von der Gesellschaft der Plebejer zu trennen, um in die der Herrschaften aufzugehen, was ihm einen strafenden Blick des Predigers eintrug, den er jedoch durchaus nicht zu bemerken schien.

»Das ist nicht die Postjacht!«, sagte plötzlich der Leutnant bestimmt, nachdem er wieder längere Zeit das Segel geprüft hatte. »Es zeigt sich noch ein zweites Rahsegel unter dem ersten!«

Eine längere erwartungsvolle Stille trat ein. Die Fernrohre wurden eifrig während derselben in Anspruch genommen.

»Gott verdamm mich!«, rief Nehls plötzlich, ganz seine Umgebung vergessend, »und der zweite Lappen ist ein richtiges Schoner-Marssegel!«

»Ihr habt recht!«, erwiderte der Baron, »es ist ein Schoner, der dort herabkommt. Es wäre indessen möglich, dass man ein größeres Fahrzeug zum Postschiff gewählt hätte.«

»Die Brigg lässt ein Signal fliegen, Eure Gnaden!«, rief plötzlich jemand. Alle Blicke wendeten sich auf das gleichsam unter den Füßen der Menge liegende Kriegsschiff. Der schon seit dem Morgen wehende Flaggenschmuck desselben war verschwunden, dagegen regte es sich lebhaft auf seinem Deck und am Vordertopp zeigte sich das Signal sechs!

Natürlich verstand, außer dem Leutnant, niemand dessen Bedeutung und jener machte zuerst eine schnelle Bewegung, als wolle er den Berg hinabeilen, doch ebenso schnell besann er sich. Ein Böswilliger hätte glauben können, der Baron habe nicht Lust, an Bord zu gehen, um seinen zu Ehren der erwarteten Damen angelegten Galaanzug empfangsfähig zu erhalten.

»Es ist nicht nötig«, murmelte er, »schafft eine Stange herbei!«

Diese war bald herbeigebracht, Staelswerd befestigte sein seidenes Tuch, blau und gelb gewürfelt, an die Stange, hob sie empor und ließ sie langsam wieder sinken. Sofort verschwand auf der Brigg das Signal, die Bootsmannspfeife ertönte, die Gangspielstoppen klapperten und schnell wie ein Gedanke breiteten sich die Segel aus. Nach wenigen Minuten war das Schiff flott und strich, hart an den Wind gehend, durch die düsteren Wogen, dass sich vor seinem zierlichen Bug jeden Augenblick ein paar mächtige Schaumberge bildeten. Es schob stet an Wittow hinauf und die Menge wendete sich wieder dem anderen Segel zu.

»Mit dem Schoner ist es richtig«, sagte nun ein anderer Lotse, »doch ich meine fast, der Kerl sei ein Preuße. Seht doch mal genauer hin, Leute!«

»Es scheint wahrhaftig so«, rief Nehls, »ich möchte fast wetten, dass das die Kolberger Flora ist!«

Leutnant Staelswerd horchte hoch auf.

»Da hätte ich doch an Bord gehen müssen«, murmelte er.

»Nun die Sache ist immerhin noch nicht gewiss«, sagte Nehls, »warten wir ab, bis wir Holz sehen!«

Unangenehm enttäuscht und neuen Besorgnissen hingegeben, hatte der Major kein Wort gesprochen, sich aber viel und ängstlich bewegt. Die Menge erging sich nun rücksichtslos und laut in Vermutungen über das Schiff, welches bald auch dem unbewaffneten Auge sichtbar geworden war.

»Gotts Tod!«, rief Nehls plötzlich, »was wird das? Hinter dem Rumpf lantscht noch ein anderer – ein Wrack!«

»Ich habe es auch bemerkt«, sagte Staelswerd, »und ich denke, es wird einer unserer Kreuzer sein, der mit einer Prise zurückkehrt!«

»Ihre Brigg legt bei, Baron!«, rief der Major. »Da …!«

Die Brigg hatte ihre Rahen ins Kreuz gebrasst, ihre Leeseite zeigte eine weiße Rauchwolke und gleich darauf hallte der Knall des Schusses über die Gewässer.

»Ah – er zeigt Flagge!«, riefen die Lotsen.

»… und die schwedische«, fügte der Baron hinzu, »es ist, wie ich gesagt habe.«

»Und wo bleibt die Postjacht?«, fragte der Major ängstlich. Alles schwieg.

Die Brigg fuhr nach dem Austausch der Signale den Kurs des Schoners an; dieser nur wenig Bord, aber desto mehr und breites Tuch zeigend, lief bei der scharfen Backstagskühlte gleich einem Vollblutrenner voran, sodass man bald sein Deck, sowie das des von ihm geführten Rumpfes sehen konnte. Die Erwartung der Anwesenden war bedeutend gespannt.

»Gnädigster Herr Major!«, rief plötzlich Nehls, »ich werde meine Belohnung doch wohl beanspruchen dürfen, denn das Wrack dahinter ist die ehemalige Postjacht.«

»Um Gotteswillen!«, rief der Major. Seine Frau schrie laut auf.

»Ja, ja, es ist richtig!«, bestätigte man von allen Seiten.

»Doch darum braucht noch nicht das Ärgste geschehen zu sein«, sagte Staelswerd, »ich sehe Damen auf der Schanze des Schoners.«

»Das ist richtig!«, meinte ein Lotse, »doch auch, dass auf dem Wrack drei Pumpen im Gange sind!«

»Bei Gott, es ist so!«, entgegnete Staelswerd.

Die beiden Schiffe waren inzwischen einander nahegekommen, man hörte, wie die Sprachrohre gebraucht wurden, konnte indessen nichts verstehen. Der Schoner setzte seinen alten Kurs unabänderlich fort, die Brigg begann einen Kreuzschlag. Endlich kam der Fremde mit seiner Last unter Lee des Landes, fiel hier ab und machte einen weiten Bogen nach Osten. Als er dieses Manöver ausgeführt hatte, ging er mit Entfaltung einer solchen Menge Leinwand an den Wind, dass seine Fockrahe fast die Wogen berührte. Offenbar wollte er ein kühnes Manöver ausführen und die Leute an Land, welche halb und halb seine Absicht errieten, eilten erst einzeln, dann in Trupps, zuletzt aber sämtlich den Berg hinab, zu dem am Fuße desselben in die See führenden Steindamm, der als Landungsbrücke in vorkommenden Fällen diente.

Man kam gerade an, um in nächster Nähe Zeuge eines ebenso kühnen, wie geschickten Manövers zu werden. Die Wirkung des Luftdruckes auf den Schoner war der Art, dass er nun wie ein wild gewordenes Pferd über die Wogen setzte und so zog, dass der Bug des Wrackes fortwährend unter Wasser lag. Mit reißender Schnelle näherte jener sich der Küste so weit, dass die Lotsen Warnrufe hören ließen. Da ließ er plötzlich das Tau schlippen, luvte auf, schwankte herum und glitt zierlich unter Segelbergung in einem neuen Halbkreis, endlich unter Stag und Marssegel, um den Steindamm und unter dessen Lee. Dagegen flog das Wrack durch den in letzter Zeit erhaltenen Impuls gegen Wind und Wogen mit einer Vehemenz auf den Strand, dass sich sein ganzer Vordersteven außerhalb des Wassers befand. So wie der Ausstoß stattgefunden hatte, hielten die bisher an den Pumpen beschäftigten Leute mit ihrer Arbeit inne. Bis auf die Warnrufe der Lotsen hatte niemand in der letzten Zeit einen Laut von sich gegeben. Die Mehrzahl der Zuschauer hatte kaum zu atmen gewagt. Nun aber, als das kühne Manöver vollendet und das dem Sinken nahe Wrack auf dem sicheren Strand lag, brach alles in ein weithin schallendes Hurra aus, dessen Echo die ebenfalls entzückte Mannschaft der Brigg durch ein ebensolches bildete.

Nach diesen ersten Freudenäußerungen eilten alle, der Major, dessen Frau und der Baron voran, zum Damm. Den Schoner hatten inzwischen schon zwei Damen, von einem jun­gen Seemann unterstützt, verlassen und flogen nun förmlich denselben entlang. Es waren die Ersehnten. Eltern und Kinder trafen sich und sanken einander jubelnd in die Arme. Schließlich bildeten alle vier eine engverschlungene Gruppe. Ein neues, lautes Hurrageschrei ertönte aus der Menge. Der Fremde, welcher die Damen vom Schiff geleitet hatte, dessen Kapitän er allem Vermuten nach sein musste, schaute diesen Szenen lächelnd zu. Wer ihn genau beobachtet hätte, dürfte indessen wahrgenommen haben, dass er mitunter stechende Blicke auf den Marineleutnant warf. Dieser musterte ihn ebenfalls, jedoch, ohne sich zu bemühen, solches zu verbergen, mit einem stolz vornehmen Wesen, welches so gerne Offiziere der Kriegsmarine gegen die der Handelsmarine sich herausnehmen.

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