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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 62

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

62. Wie sich Rübezahl in die deutsche Einheit verliebt.

Es ist schon lange her, da ging einmal ein Bauer auf die Iser hinauf, sich Bauholz zu suchen, denn sein Haus war gar baufällig und er konnte ohne Gefahr nicht mehr wohl darin hausen. Wie er nun so von Berg zu Berg suchte, wo er taugliches Holz fände, begegnete ihm Rübezahl und fragte ihn, was er hier suche.

Der Mann erzählte ihm die Sache, wie er nun schon lange herumgelaufen sei und doch keine tauglichen Stämme finden könne.

»Wenn Ihr mir folgen wollt, so will ich Euch führen«, sprach Rübezahl. »Ihr sollt Holz finden, so schön ihr es nur wünschen könnt, und dazu auf einer Stelle, wo es sehr leicht abzufahren ist. Kommt also nur mit.«

In der Tat brachte auch Rübezahl den Bauer in einen Bestand, wo er das schönste Bauholz fand. Der Mann war darüber sehr erfreut.

»Habt freundlichen Dank, lieber Herr«, sprach er, »dass Ihr mir einen so großen Dienst erwiesen habt; aber es tut mir nur leid, dass ich Euch für eure Gefälligkeit nicht genug lohnen kann. Wenn ich Euch nur wieder einen Gefallen erweisen könnte!«

»Ihr dürft nicht danken«, erwiderte der dienstfertige Rübezahl, »dieser kleine Dienst ist gern geschehen. Da Ihr aus Schlauchdorf seid, wo ich nächstens eine Verrichtung habe, so werdet Ihr mich wohl aufnehmen, wenn ich Euch dann besuche.«

»Ei«, versetzte der Bauer ganz freudig, »das ist mir lieb. Da auf die neue Woche bei uns Kirmes ist, so versprecht mir, mich da zu besuchen, und mit anderen Gästen vorlieb zu nehmen, was ich vermag.«

Rübezahl weigerte sich zwar anfangs es zu versprechen, da er doch fremd sei; aber der Bauer drang immer eifriger in ihn und versicherte, wenn er nur seiner Einladung folgen wolle, so soll er einen guten Freund an ihm finden.

Also versprach ihm Rübezahl, da er lange nicht gekirmset hatte, bei ihm einzusprechen, begleitete den Bauer das Gebirge hinunter. Bald schieden beide vergnügt voneinander.

Dem Rübezahl war es gar zu lieb, dass er wieder einmal zur Kirchweih gehen konnte, säumte also auch gar nicht, der Einladung des Bauers zu folgen. Er ging vom Hochgebirge herab, über den Seiffershau und den Kahlenberg nach dem Quais hinunter.

Schlauchdorf ist ein wichtiger Ort, besonders wegen der kaiserlichen und der sächsischen Grenze, die beide nicht fern sind, und wegen der vielen Menschen, die da besonders zur Kirmeszeit aus aller Herren Länder zusammenkommen. Dahin eben ging er.

Bei den Bauersleuten war auch deshalb große Freude, als er einsprach. Sie trugen auf, was Küche und Keller vermochten, und die Gäste, vornehmlich aus Friedberg, Gebhardsdorf und Marklissa, waren untereinander gar lustig, und Rübezahl war dabei nicht der Letzte, sodass die Fröhlichkeit bald allgemein war. Nachdem sie aber genug gegessen und getrunken hatten, meinte der Bauer, in der Scholtisei würden sie noch mehr Lust haben, und so gingen sie alle dahin.

Der Scholz empfing sie auch artig und freundlich, hieß sie willkommen und hielt ihnen, wie es Brauch war, das Geschenke. Sie fanden unter den fremden Gästen überdies viel Leben. Männlein und Weiblein schwärmten darauf los. Es waren Leute da aus allen Weltteilen, aus Österreich und Sachsen, aus Preußen und Bayern, und solche, die unter dem mecklenburgischen Ochsenkopf, dem hessischen Löwen, unter dem hannoverschen Pferd wohnten und andere mehr. Es trieb sich da alles umher, wie beim Turmbau zu Babel.

Nun konnte seit undenklicher Zeit in Schlauchdorf keine Kirchweih ohne einige Prügelei bestehen. Die Scholtisei war schon seit Jahrhunderten, besonders seit der großen Prügelei vor über 400 Jahren — sie hatten vor Kurzem das Jubiläum gefeiert — dafür bekannt, dass es da stets die schönsten Prügel setzte. Denn damals hatten die Gäste auch einander wacker die Köpfe und Gliedmaßen verbläut und einen sogar für tot vom Platz geschleppt. Ein Wirtschaftsschreiberlein, der den Bauern tapfer zugeredet hatte, sie sollten nur tüchtig zuschlagen, denn ohne Gottes Willen falle kein Sperling vom Dach, hatte noch menschenfreundlich dabei geraten, — es war eben Weihnachten — den Mann zur Weihnachtsfeier in den Queis zu werfen. Das hatten denn auch die rechtschaffenen Leute redlich getan und sich dabei gewundert, dass bei dieser Feierlichkeit der Zusammengeschlagene im Wasser wieder zu sich gekommen war und ans Ufer rettete. Nun hatte zwar das Gericht den Tätern hierauf für diese Tat Zuchthausstrafe zuerkannt bis zu einem Jahr. Das Wirtschaftsbürschlein aber hatte das Medizinal-Kollegium belobigt, dass er empfohlen habe, den Mann ins Wasser zu werfen. Es blieb also derselbe von aller Strafe frei und jubelte, dass der Kretscham wackelte.

So was geht bei pfiffigen Leuten nicht verloren. Hatten es sich also die Schlauchdorfer Bauern gemerkt und waren nun darauf versessen, bei jeder Prügelei die Leute ins Wasser zu werfen, damit sie belobigt würden. An Gelegenheit zum Streit fehlte es nimmer, wie der günstige Leser soeben gleich merken wird.

Denn als nun Rübezahl vom Wirt ein großes Stück Kuchen zum Geschenk erhalten hatte, so nahm ihm einer der Gäste den Kuchen ohne Umstände vom Tisch und tanzte damit in der Stube herum. Fein war das eben nicht, und es war nicht zu verwundern, dass Rübezahl darüber entrüstet ward und den Burschen derb anließ. Der nahm dies übel und seine Kumpane hetzten ihn noch mehr auf. Die Fremden nahmen auch untereinander Partei für den einen oder den anderen. Die Gärung ward immer ärger.

Dabei tranken die Leute in den Tag hinein, und es wäre schon früher zum Strauß gekommen, wenn nicht einer sie immer zur Einigkeit gemahnt und gesagt hätte, die deutsche Einheit mache sie alle zu Brüdern, und es sei gar schon, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnten. Also beruhigten sie sich und ließen alle die deutsche Einheit hochleben. Nun, in etwas musste doch so eine deutsche Einheit getrunken werden, wenn auch gerade nicht in Wein, denn Weinberge sind um Schlauchdorf herum gerade nicht viel. Also tranken sie tapfer Schnaps.

Bald war alles wieder fröhlich und ein Herz und eine Seele, sodass man gar keine schönere deutsche Einheit sehen konnte als eben diese. Aber es dauerte nicht lange, denn der junge Bursche fing wieder Händel an und seine Gesellen mit. Sie hatten große Lust, auf Rübezahl loszuschlagen. Der Scholz gab sich jedoch alle Mühe, die Sache beizulegen und sagte, sie würden doch nicht uneins werden und sollten sich ein Beispiel nehmen an der berühmten deutschen Einheit, über die gar nichts gehe, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde. Damit erhob er das Glas und schrie: »Es lebe die deutsche Einheit hoch, und abermals hoch und noch einmal hoch!«

Alles Volk fiel donnernd ein.

Der gute Kirmesbauer, der den Rübezahl mit sich gebracht hatte, befand sich bei der Sache gar nicht wohl, und suchte diesen zu bereden, mit ihm nach Hause zu gehen.

Doch Rübezahl sagte ihm rund heraus, er danke ihm für alle Liebe und Freundschaft, die er ihm erzeigt habe, aber er bitte ihn, seinetwegen unbesorgt zu sein; denn, fuhr er fort, und lächelte dazu ein wenig, »wenn meiner Widersacher auch noch so viele wären, so würde ich mich doch nicht fürchten.«

Unterdessen ging das Leben fort und man hörte von nichts als deutscher Einheit. Je mehr sich die Leute in die deutsche Einheit und den Branntwein, der dazu nötig war, vertieften, desto mehr tranken sie, und je mehr sie betrunken waren, desto mehr schrien sie: Es lebe die deutsche Einheit. Nahmen sich also vor lauter Freude über die deutsche Einheit beim Kopf, gerieten sich dabei etwas weiter oben in die Haare und mochten denken: Ein Rattenkönig ist auch eins. Und prügelte der Bayer den Sachsen blau, so schlug der Sachse den Hessen grün, und der Österreicher den Schwarzburger gelb; und drosch der Preuße den Hannoveraner schwarz, so gerbte der Holsteiner den Nassauer braun, und wo der Hansemann hintraf, so war es auch gleich rot, und viele schillerten bald in allen Farben wie die Schillervögel, so bei schönem Sommerwetter umherfliegen.

Dazwischen fehlte es in dieser allerliebsten deutschen Einheit auch nicht an schönen Ehrentiteln. Schalt der Österreicher den Preußen einen schäbigen Ketzer, so hieß der Sachse jenen einen katholischen Dummkopf. Nannte der Hesse den Hansemann einen lutherischen Dickkopf, so schimpfte der Preuße den Hessen einen calvinischen Spitzkopf. Es war nur schade, dass nicht eben ein rechtschaffener Jude da war, der da sagte: Es ist von euch einer wie der andere — ein Schafskopf.  Und sie somit in deutscher Einheit unter einen Hut brachte.

Die Kitzlichsten waren hierbei die Sachsen, die Gesetztesten die Preußen, die Lustigsten die Österreicher, die Blindesten — sie konnten einmal Recht und Unrecht nicht voneinander unterscheiden — die Hessen, und die Festesten die Hannoveraner, denn die hatten das stärkste Fell. Sie waren es schon gewohnt, dass einer auf ihnen herumpaukte. Ein Preuße war aber dabei besonders tätig und schrie laut: »Nun, so will ich doch auch euch verdammte Ausländer zusammendreschen, dass ihr eure Knochen in ganz Europa zusammensuchen sollt.« Damit drosch er auch unbarmherzig auf die Österreicher und Bayern, auf Sachsen und Hessen und den ganzen deutschen Bund, und rief dabei immer dazwischen: »Es lebe die deutsche Einheit hoch!«

Endlich erbarmte sich Gott im Himmel über die Geschichte und machte ein Ende. Denn als nun alle Kämpfer darniederlagen, blieb einer allein stehen. Der Kräuterklauber meint, es war ein Hannoveraner, dem ein Engländer das Maul zuhielt, und schrie mit verhaltener Stimme: »Es lebe die deutsche …«

»Zollsperre«, fiel der Engländer ein, »ho …«

Er hatte es aber noch nicht ganz heraus, so schnellte sich einer der Gebliebenen — er mochte aus einem Fabrikland sein, — noch einmal in die Höhe und gab, gleichsam im Todeskampf, dem Schreier eine unbarmherzige Ohrfeige und stürzte darauf leblos hin.

Der arme Hannoveraner war aber auch tot. Als ihn Rübezahl sorgfältig betrachtete, war es noch obendrein ungewiss, ob er an seinen Kopfwunden gestorben oder an der deutschen Einheit erwürgt war.

Im ganzen Streit hatte sich Rübezahl von Zeit zu Zeit unsichtbar gemacht, so dass, wenn die Burschen glaubten, sie hätten ihn, er auf einmal verschwunden war, und sie paukten auf einen anderen. Nachdem aber die Schlacht ausgebraust war, ging er lachend zur Tür hinaus, indem er sagte: »Hier bin ich auch zur Kirmes gewesen!« Ruhig, fast nachdenklich, ging er in sein Hochgebirge zurück.

Merke: Es ist etwas gar zu Schönes um die deutsche Einheit, wenn sie einem auch etwas spanisch vorkommt.