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Die Hexenjagd von Ellwangen – Teil 1

Die Hexenjagd von Ellwangen
Teil 1
Wie alles begann

Ellwangen. Wer heute diesen Namen hört, verbindet die kleine, im Osten Baden-Württembergs gelegene Stadt hauptsächlich mit der spätromanischen Basilika St. Vitus, einem der bedeutendsten romanischen Gewölbebauten Deutschlands, dem weitläufigen Renaissanceschloss und der Wallfahrtskirche am Schönenberg.

Das alles in einer heilen Welt gelegen, wo sich das Albvorland an die fränkischen Waldberge schmiegt, lässt normalweise das Herz eines jeden naturverbundenen Touristen höherschlagen.

Doch in der am Ufer der Jagst gelegenen Kreisstadt gibt es weit mehr als Seen, Kirchen und urige Gastlichkeit. Was nur Eingeweihte wissen, Ellwangen hat auch eine dunkle Seite, und zwar eine sehr dunkle.

Aber dazu muss man weit in der Vergangenheit zurückreisen, denn es sind die blutigen Jahre um 1600, welche den Ort immer wieder ins Gespräch bringen.

Damals begann im Europa der frühen Neuzeit eine Hexenverfolgung, die etwa 60.000 Menschen das Leben kostete. Insbesondere in Süddeutschland wütete man mit einer bis dato nie gekannten Brutalität, die besonders in Ellwangen von beispielloser Intensität war.

 

*

 

Barbara Rüfin ist die Erste, die in Ellwangen als Hexe verbrannt wurde.

Sie wird von einem Nachbarn beschuldigt, nach der Ostermesse die Hostie ausgespuckt, sie in ein Taschentuch gewickelt und zu Hause einen teuflischen Sud daraus gebraut zu haben.

Ganz klar ein Fall für den Hexenrat.

Das Prozessprotokoll ist noch heute im Staatsarchiv von Ludwigsburg nachzulesen.

Die Rüfin wurde ein guetes Viertelstündlin an der Tortur hochgezogen, geschüttelt und gepresst.

Doch sie bekennt nicht. Man zeigt ihr einen schweren Stein, der an ihren Füßen befestigt werden soll, doch die alte Frau beteuert weiter ihre Unschuld.

Die Rüfin wird ein weiteres Viertelstündlin auf und abtorquiert.

Doch sie bleibt stur, betet nur.

Der Hexenrat ist sich einig, hier muss ein Meister der Verhörkunst her. Ein Mann, der noch jedem Delinquenten ein Geständnis abgerungen hat, und war dieser auch noch so verstockt. Dieser Mann ist Hans Gruber aus Marktoberdorf, der berühmteste Hexenaufspürer und Hinrichter seiner Zeit.

Vier Tage später ist er da, und kurz darauf bricht die Widerstandskraft der alten Rüfin.

Sie gesteht, dem Nachbarn den Gaul umgebracht, ein Kind auf dem Friedhof ausgegraben und es dann mit Buhlteufeln im Wald aufgefressen zu haben.

Am 16. Mai 1611 wird Barbara Rüfin geköpft und danach verbrannt.

Ihr Tod fällt in eine Zeit epochaler politischer, wirtschaftlicher und religiöser Krisen, die sich wenige Jahre später im Dreißigjährigen Krieg entladen. Aber bis es dazu kommt, wächst in vielen entscheidenden Köpfen Europas der feste Glaube, das Gott als Lohn für ein gefälliges Leben viel Gutes schenkt, für ein sündhaftes jedoch Unglück in Form von Krankheit, Seuchen und Hungersnot schickt, wobei Unzucht, Hexerei und Ketzerei besonders hart bestraft werden.

Aus diesem Grund ließ Fürstprobst Wolfgang von Hausen bereits 1588 am Südgiebel der Ellwanger Basilika ein Relief des Jüngsten Gerichts mit weit offenem Höllenrachen anbringen.

Im gleichen Jahr brennen bereits die ersten Scheiterhaufen für 20 angebliche Ketzerinnen.

Doch das sind nur die Vorboten der Ellwanger Hexenjagd, der am Ende 450 Menschen zum Opfer fallen.

Eine erschreckende Zahl, wenn man bedenkt, dass die kleine Stadt zu diesem Zeitpunkt keine 1500 Einwohner hatte.

 

*

 

Mit Johann von Westerstetten sitzt seit Anfang des Jahres 1611 ein Nachfolger von Hausen auf dem Thron des Fürstenprobstes, der zu allem entschlossen ist, wenn es um die Gottgefälligkeit seiner Untertanen geht.

Sein Wahlspruch lautet: » candide et fortiter«, was so viel bedeutet wie »strahlend und stark.«

Für den frommen, in Jesuitenschulen erzogenen Mann ist die Not dieser Zeit allein durch das üppige und unzüchtige Leben des gemeinen Volkes entstanden.

Niemand hat anscheinend mehr Respekt vor der Obrigkeit, geschweige denn, vor dem Wort Gottes. Deshalb plant er schon seit Langem, dagegen einzuschreiten. Die Hinrichtung der alten Rüfin ist dabei der Anstoß. Westerstetten erlässt Verordnungen, wonach bereits ein falsches Wort den Tod bedeuten kann.

Noch ahnt die Ellwanger Einwohnerschaft nichts von seinem Treiben.

Auch Bäcker Caspar Pfitzer ist sich sicher, dass ihm und seiner Familie keine Gefahr droht. Er wird erst stutzig, als Maria Kucher, die Wirtin vom Gasthof Zum schwarzen Bären, und die Hebamme Helena Veit am Morgen des 4. Juni 1611 am Galgen hängen und noch am selben Tag die Stadtratsfrau Anna Rinckh und die Hebamme Eva Griener enthauptet werden.

Zwei Wochen später werden wieder sechs Frauen auf das Schafott geführt.

Bis zum Jahresende folgen 121 weitere Frauen und 8 Männer.

Dann landet Pfitzers Vater im Herbst 1612 im Gefängnis.

Alles Bitten und Flehen des Sohnes ist vergebens. Caspars Vater wird zusammen mit acht weiteren Hexen und Hexerichen zum Feuertod verurteilt. An Stricken gefesselt, begleitet von den Waffenreitern von Wetterstettens und Schaulustigen bewegt sich der Zug zum Hochgericht am Galgenwald. Auf dem Weg dorthin reißen die Henker den Frauen die Brüste mit glühenden Zangen blutig, zerren schließlich alle Malefikanten zum Galgen. Stadtknechte verbrennen die Leichen danach auf einem Holzstapel. Die Rauchwolken des 33. Brands, so nennt man die Hinrichtungsorgien, sind weithin sichtbar.

Die Aufzeichnungen des Heimatforschers und früheren Oberlehrers Hans Gebhard (1928-2004) besagen, dass noch 42 weitere folgen sollten.

 

*

 

Für Caspar Pfitzer bricht eine Welt zusammen.

Was schon lange im Ort gemunkelt wird, er aber nie glauben wollte, ist jetzt für ihn zur furchtbaren Gewissheit geworden.

Die Verbrecher hängen nicht an den Galgen, sondern sitzen an der fürstpröbstlichen Tafel oben im Schloss. Eine Tatsache, die Caspar jedoch nur Freunden und Verwandten gegenüber erwähnt. Doch der Hexenrat hat seine Augen und Ohren überall, und schon bald liegt auch er in Ketten.

Doch Caspar ist schlau, er weiß, dass er nur eine Chance hat, zu überleben und aus der Kerkerhaft zu entfliehen, wenn sein Körper nicht durch Folter geschwächt ist. Er gesteht deshalb schon nach wenigen Verhören die ungeheuerlichen Taten, die man ihm vorwirft.

Ja, er hat Unzucht mit einem Weib getrieben, das, wie er feststellte, nachdem er auf ihr lag, ganz kalt und hart war. Ja, er hat in einen Weihwasserkessel uriniert, worauf das Weib seinen Inhalt über ihn ausschüttete und ihn damit taufte. Auch hat er zwei tote Kinder ausgegraben, auseinandergerissen und aus Hirn und Herz eine Salbe gemacht und die Füßlein zu Pulver zerstoßen, mit dem er die Viehweiden am Rindelbach vergiftete.

Caspar Pfitzers Plan geht auf.

Er entgeht der Folter und wird in den Kerker geworfen.

Dass man am 17. Dezember 1612 auf dem Marktplatz sein Todesurteil verkündet, ficht ihn nicht an. Kurz vor Weihnachten kann er sich aus seiner baufälligen Zelle befreien, aus einem Fenster steigen und an einer günstigen, ihm bekannten Stelle unbemerkt von den Wachen über die Stadtmauern klettern.

Die Nachricht von seiner Flucht verbreitet sich in Windeseile.

Als dem Hexenrat klar wird, dass man seiner nicht mehr habhaft wird, muss seine Frau Sabina dran glauben. Sie stirbt als Hexe. Den sieben Pfitzerkindern ergeht es wie 200 anderen Ellwanger Waisen, die als Hexenbrut solch körperliches und seelisches Leid ertragen müssen, dass sich mancher von ihnen lieber umbringt, als weiterhin so leben zu müssen.

 

*

 

Was aus Caspar Pfitzer wurde, ist nicht bekannt. In Briefen an seine ehemaligen Kameraden der Ellwanger Bäckerzunft bittet er diese inständig, sich um seine Kinder zu kümmern.

1617 wird er noch einmal auf dem Crailsheimer Markt gesehen.

Er trägt ein gelbliches Leibchen mit goldunterzogenen Borten und darüber die Pirschbüchse wie ein Jäger. Dann verliert sich seine Spur im Dunkel der Geschichte.

Das, was von ihm bleibt, ist die Tatsache, dass er der Einzige ist, der den Ellwanger Hexenjägern entkam.

Teil 2

… und wie alles endete

In Kürze hier.

Quellenhinweis:

  • Die Pfitzerin – Eine von vielen hingerichteten Ellwanger Hexen von Hans Gebhard, erschienen im Cicero-Verlag Ellwangen
  • Die große Hexenjagd, eine Reportage von Robin Szuttor, erschienen in der Stuttgarter Zeitung am 15. September 2018
  • historicum.net

(gs)