Paraforce Band 33
Gunter Arentzen
Paraforce 33
Der Fluch
Rex
One dream, one soul, one prize, one goal
One golden glance of what should be
One shaft of light that shows the way
No mortal man can win this day
The bell that rings inside your mind
Is challenging the doors of time
(A Kind of Magic – Queen)
Damals, vor sechs Jahren
Prolog
Vorbilder
Redbridge, 19. Januar
»Komm schon! Komm schon! Ich weiß, dass du es kannst, nun … spring! Spring, verdammt … scheiße!« Ich hebe die Computermaus an und schlage sie auf den Tisch. Gleichzeitig fährt meine flache Hand auf die Tastatur nieder.
Sekundenlang starre ich auf den Monitor, ehe ich seufzend beginne, Lara Croft erneut eine Wand entlang hangeln zu lassen. Weiter und weiter, bis zu einem Abgrund. Schwung nehmen, noch etwas schwingen und … ja!
Anders als zuvor landet Lara nun auf einem kleinen Absatz, kann sich dort halten und verharren, während mir die Zeit bleibt, über Laras weiteren Weg nachzudenken.
»Alles in Ordnung?«, ruft meine Mutter. »Was war das für ein Lärm?«
»Lärm?«, erwidere ich unschuldig. »Ich weiß nicht, was du meinst!«
»Ah ja!«, erwidert Mutter mit ironischem Unterton. »Larissa-Raelyn Lancaster – solltest du auf die Idee kommen, deine Tastatur oder Maus erneut in ihre Bestandteile zu zerlegen, nur weil Lara dieses oder jenes Hindernis nicht überwinden konnte, zahlst du dein neues Equipment!«
»Als hätte ich jemals Maus und Tastatur zerstört!«, tue ich empört, was uns beide zum Lachen reizt. Anschließend konzentriere ich mich auf das Spiel, sehe den weiteren Weg, den Lara nehmen muss … und schaffe es, einen eleganten Sprung zu absolvieren, sodass Lara sicher auf der anderen Seite der Kammer landet.
Genug für heute!
Wären Computerspiele mein einziges Hobby, Mutter hätte mir längst die Ohren lang gezogen. Aber ich will mehr – ich möchte nicht eines Tages aus einer Trance erwachen und feststellen, dass ich mein Leben verspielt habe; im wahrsten Sinne des Wortes.
Also sorge ich für gute Noten und vor allem dafür, dass der gesunde Geist in einem gesunden Körper wohnt … oder so ähnlich.
Daher werfe ich einen prüfenden Blick aus dem Fenster und sehe, dass es regnet. Also entschließe ich mich für die Laufschuhe mit besonders viel Grip, streife eine Jacke mit Kapuze über und schiebe mein iPad in eine wasserdichte Hülle.
»Ich gehe laufen!«, lasse ich Mutter auf dem Weg zur Tür wissen, greife nach der Mülltüte, die neben der Tür darauf wartet, zur Tonne gebracht zu werden, und verlasse das Haus.
»Sei vorsichtig!«, höre ich Mutter rufen, dann fällt die Tür hinter mir ins Schloss.
Nachdem die Tüte in der Tonne ruht, starte ich ein Hörbuch; Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien, und verfalle in einen leichten Trab.
Der Lauf zum Center dient lediglich dazu, die Muskeln und Sehnen auf Temperatur zu bringen, daher habe ich es nicht sonderlich eilig.
Das, was mich erwartet, wird bei diesem Wetter ohnehin schwer genug!
*
Die alte Fabrik gehört ebenso zum Stadtbild von Redbridge, einer kleinen, irischen Stadt nicht weit von Killarney entfernt, wie die 1083 errichtete Kirche St. Mary’s und das Alte Schloss, in dem einst Fürsten residierten, das aber nun die Bibliothek sowie Gesellschaftsräume beherbergt.
Einst hatte man in der Alten Fabrik Metall verarbeitet. Doch mit der Zeit hatten die Kunden die Preise für die mit schweren Maschinen und handwerklichem Geschick geschaffenen Stücke nicht mehr zahlen wollen; Massenproduktion war billiger, wenn auch seelenloser.
Nach einem gescheiterten Versuch, in einem anderen Sektor Fuß zu fassen, hatte der damalige Besitzer beschlossen, dass es Zeit für den Ruhestand wird. Er hatte die Maschinen einem Technik-Museum irgendwo in Irland gestiftet, den Arbeitern eine Abfindung gezahlt und sich mit dem Rest seines Vermögens zur Ruhe gesetzt.
Zweimal hatten sich Interessenten in Redbridge gezeigt, um der Alten Fabrik neues Leben einzuhauchen.
Einer war auf die Idee gekommen, man könne daraus einen hippen Club machen. Das Gelände, die Halle und auch die Zufahrt, all das hatte ihm gefallen.
Die Demografie der Region hingegen nicht.
Abgesehen von Killarney gab es einfach nicht genug junge Leute, die einen solchen Club hätten besuchen können. Und Killarney selbst bot bereits erprobte Locations, denen sich die Jugend zuwandte. Der Investor hätte sehr viel Geld ausgeben müssen, bevor auch nur der Gast die Schwelle hätte überschreiten können. Geld, dass vielleicht in fünf, vielleicht in zehn Jahren oder vielleicht auch nie hereingekommen wäre. Von Gewinn ganz zu schwiegen.
Der zweite Interessent hatte nicht die Jugend im Blick, sondern all jene über 18, denn er hatte einen großen, vielleicht sogar den größten Swingerclub Irlands eröffnen wollen.
Er war bereit, das notwendige Geld zu investieren, doch die Gemeinde als Besitzer der Alten Fabrik hatte keine Lust auf Horden geiler Paare gehabt, die wie Fliegen in Redbridge einfallen.
Ob dieser Satz tatsächlich im Rathaus gefallen war oder ob ihn sich ein Reporter der Redbridge Evening News aus den Fingern gesogen hatte, vermochte nachträglich wohl niemand zu sagen.
Sicher war, dass die Gemeinde nicht verkaufte; kein Swingerclub in Redbridge!
Wären nicht die Freerunner gekommen, die Hallen und Gebäude wären verfallen und irgendwann abgerissen worden.
Doch die Freerunner kamen; erst aus Redbridge, dann aus der Umgebung und schließlich aus Killarney.
Sie nutzten das Gelände, denn für sie war es optimal. Es gab Wände, es gab lange, schmale Verbindungen, Häuser mit unterschiedlich hohen Dächern und in der großen Halle auf drei Ebenen alte, schwere Maschinen, Tanks, Kletter- und Sprunggelegenheiten sowie die Möglichkeit, sehr schnell kurze Distanzen zurückzulegen.
Anfänglich war die Stadt nicht sonderlich angetan von der Idee, dass dort an den Wochenenden Leute herumliefen, herumsprangen, sich über Abgründe hangelten und dabei wilde Pirouetten drehten.
Dann aber traf man sich mit den Freerunnern, sah, was die dort taten, und jemand in der Verwaltung begriff, dass das genau die richtige Verwendung für die Alte Fabrik sein könnte.
Also besserte man ein paar Dinge aus, erneuerte hier und etwas und legte die Böden in den Hallen mit einem Belag aus, der Stürze dämpfen konnte. Zudem baute man ein paar zusätzliche Kletter- und Hangelmöglichkeiten ein, sorgte für einen Campingplatz, und so entstand vor zwei Jahren das erste, offizielle Freerunning-Center in Irland.
Es macht mich stolz, von Anfang an dabei gewesen zu sein!
Ich betreibe Freerunning seit sieben und Calisthenics seit vier Jahren. Seit ich zum ersten Mal Lara Croft auf der Playstation spielte, wollte ich sein wie sie.
Ich wollte all das können, was sie kann; inklusive der teils absurd anmutenden Sprünge oder Hangelpartien.
Inzwischen glaube ich, jeden Level eines jeden Tomb-Raider-Spiels meistern zu können; inklusive der Kampfeinlagen, denn dank meines Onkels bin ich auch Mitglied im Schützenverein von Killarney. Aber dort habe ich es bisher zu keinen Meistertiteln etc. gebracht!
Als ich nun das Gelände des Freerunning-Parks erreiche, regnet es stärker. Dennoch stoppe ich das Hörbuch und lasse die Run-Playlist laufen; Musik, die mich antreibt. Guter, alter Rock, den ich einst auf CDs meiner Mutter entdeckte; Oldies der 50er, 60er und 70er Jahre.
Zu Queen starte ich, laufe los und nehme ein Häuschen ins Visier, in dem einst der Mercedes des Fabrikbesitzers stand.
Meine Hände und Füße berühren die Außenmauer, ein Doppelsprung, und ich bin auf dem Dach. Von dort geht es weiter zum nächsten Gebäude, ein Dreifachsprung und wieder auf dem Dach. Ein kleiner Aufbau, das Gebäude diente als Lager und die Klimaanlage wurde auf dem Dach installiert, ist meine erste Station für etwas Calisthenics. Ein kurzer Anlauf, dann ein Sprung, ein halber Salto und ich kann auf dem Aufbau in einen Handstand gehen. Diesen halte ich sekundenlang, dann beuge ich die Arme, strecke sie wieder, beuge sie … zehn Wiederholungen, dann ein paar Sekunden Pause, wieder zehn Wiederholungen und erneut eine Pause, ehe die letzten zehn Wiederholungen folgen.
Mit Schwung komme ich aus dem Kopfstand heraus, hüpfe vom Vorsprung und laufe über eine sehr schmale und dank des Regens auch sehr rutschige Stange zum Flachdach des Fabrikationsgebäudes.
Nach einem Sprint werfe ich mich zu Boden, schliddere durch ein halb geöffnetes Oberlicht, falle in die Tiefe und kann mich an eine Stange klammern, die links von mir vom Boden bis hinauf zur Decke reicht.
An ihr gleite ich hinab und beginne meinen Lauf durch die Halle. Mit jedem Sprung, mit jeder Calisthenics-Übung fühle ich mich lebendiger. Mein Puls beschleunigt sich, Adrenalin lässt das Blut durch meine Adern rauschen und meine Muskeln arbeiten rhythmisch unter der Belastung.
Nach mehr als zwei Stunden endet der Lauf. In der ehemaligen Kantine liegen Matten auf dem Boden. Zudem hat die Stadt einen Automaten mit Wasser, aber auch mit isotonischen Drinks, Protein-Shakes und Riegeln aufgestellt, um dem Körper rasch zu geben, was er nach solch einem Training benötigt; Mineralstoffe und Eiweiß für die Muskeln, die nach dem Training um Gnade flehen.
Ich ziehe mir einen Iso-Prime sowie einen Proto-Prime; beides Getränke, und – weil sie sehr gut schmecken – eine Proto-Bar, also einen Eiweißriegel.
Anschließend lege ich mich auf die Matte, wechsle von Musik zu Hörbuch und bleibe eine Stunde liegen, um zu relaxen.
Meine Gedanken wandern zu Mittelerde, dann von dort zu jenem kleinen Hügelgrab im hohen Norden Irlands, welches ich mit meinem Onkel William, Rebell der Archäologie, Ausgestoßener aus dem Kreis ehrbarer Wissenschaftler, aber seit dem Tode meines Vaters meine männliche Bezugsperson und so cool, dass er im Sommer keine Klimaanlage benötigt.
Und er nimmt mich – Mich! Mich! Mich! – mit auf eine seiner landesweit im Kabelfernsehen zu sehenden Exkursionen.
Ancient Mysteries ist der der Hit von Irish Gold TV, einem Kabelnetz-Sender, der mit Reality-Shows und uralten britischen Serien versucht, die Herzen der Zuschauer zu erreichen.
Tatsächlich erringt IGTV bescheidenen Erfolg mit seinem Konzept; läuft Ancient Mysteries, schalten zudem deutlich mehr Zuschauer ein als sonst.
William Lancaster, der schon lange keine Forschungsaufträge mehr bekommt, da er sich zu oft und mit zu abseitigen Ideen gegen die Kollegen wandte, avancierte von der ersten Folge an zum Star der Show.
Dies ärgerte seine anerkannten Kollegen natürlich maßlos, und so ließen sie lange Zeit nichts unversucht, seine Thesen und Informationen zu diskreditieren.
William, cool wie ein Wassereis nach acht Tagen in der Gefriertruhe, nutzte eine Sendung lang nur die Theorien eines anerkannten Kollegen.
Dummerweise erkannten dies einige seiner Kollegen nicht, zerpflückten die Theorien … und gaben somit zu, dass es ihnen nie um die Sache geht, sondern nur darum, eine Person zu diskreditieren.
Williams Popularität erreichte neue Höhen, die Kritiker verstummten schamvoll und … das ist der Status quo.
Dass er mich auf eine seiner Exkursionen nimmt, macht mich glücklich. Schließlich möchte ich seit vielen Jahren in seine Fußstapfen treten; meine Noten und die Wahl der Schulfächer sind auf ein entsprechendes Studium ausgerichtet.
Dass ich vor laufender Kamera helfen werde, das Grab eines Druiden zu öffnen, ist jedoch eine Kröte, die ich schlucken muss. Da ich noch ein paar Jahre bis zum Studium habe, wird hoffentlich Gras über die Sendung gewachsen sein, und niemand an den Universitäten erinnert sich daran, dass ich mit dem unsäglichen William Lancaster vor der Kamera stand.
*
»War der Lauf gut?«, möchte meine Mutter wissen. Alice Lancaster, 40 Jahre und die Künstlerin der Region, schenkt mir ein erleichtertes Lächeln, als sie mich ohne Verletzungen jedweder Art das Haus betreten sieht.
»Sehr gut!«, erwidere ich. Nach exakt einer Stunde verließ ich den Ruhe-Raum und nahm den Bus nach Hause; meine Muskeln waren zu ausgelaugt, um ihnen einen finalen Lauf zuzumuten. Daher zieht es mich nun sofort unter die Dusche, denn der Schweiß auf meiner Haut ist kalt und verströmt einen unangenehmen Geruch.
Im Bad angekommen lasse ich die Kleider sofort in der kleinen Waschmaschine verschwinden; ein paar Sachen liegen bereits darin, sodass ich sie einschalte.
Wir haben zwei Waschmaschinen; eine sehr große im Keller und eine kleine im Bad – eben für solche Fälle!
Haut und Haare pflege ich mit einer Serie von Dove; auf Duschgel und Shampoo folgt eine Bodylotion, ehe ich ein wenig Deo und Parfüm auflege, in bequeme Kleidung schlüpfe und hinab zur Küche gehe.
Meine Mutter arbeitete den ganzen Tag an einem neuen Bild; sie hat so wenig Lust, sich an den Herd zu stellen, wie ich.
Also löse ich eine Karte von der Pinnwand neben dem Kühlschrank und frage sie, was sie möchte – die Bestellung ginge auf mich!
Da ich ausreichend Taschengeld bekomme, um mich ganz auf meine Schule und den Sport konzentrieren zu können, ist dies nicht nur ein Spruch!
Wir entscheiden uns für eine große Pizza sowie einen großen Salat, gönnen uns eine Flasche Ginger Ale und warten auf dem Sofa sitzend auf den Lieferdienst.
Dabei schauen wir die letzte Folge von Ancient Mysterys, um mich auf die bevorstehende Exkursion einzustimmen.
»Was genau werdet ihr untersuchen?«, möchte Mutter wissen, während William zur Hochform aufläuft.
»Das Grab eines Druiden! Zumindest vermutet William, dass wir genau das finden werden!« Ich erhebe mich, denn es klingelt.
Während ich die Speisen bezahle, deckt Mutter den Tisch. Da wir die Sendung schauen wollen, essen wir im Wohnzimmer; nicht die Regel, aber keine allzu große Ausnahme, wie ich zugeben muss.
»Ein Druide? Was wird sich in dem Grab finden?«, möchte Mutter wissen, nachdem wir wieder beisammensitzen.
»Schmuck, vielleicht eine Waffe oder seine Sichel. Die Leiche wohl auch, je nachdem, in welchem Zustand sie sich befindet, mal besser, mal schlechter zu erkennen sein. Nichts Besonderes, denke ich. Nichts, was man nicht bei ähnlichen Gräbern fand.«
Wie sehr man sich doch irren kann!
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