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Detektiv Schaper – Das graue Gespenst – 9. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Zweiter Teil
Das graue Gespenst
9. Kapitel
Ein Stempelaufdruck

Kurt Hiller, der Angestellte des Detektivinstituts Argus, den Schaper in München zum Zweck weiterer Nachforschungen nach dem Verbleib Frau Käti Deprouvals zurückgelassen hatte, war von den Leuten Fritz Schapers vielleicht die beste und geriebenste Arbeitskraft. Nachdem sein Herr aus der Isarstadt mit dem Luxuszug abgereist war, suchte er eins der großen Bräuhäuser am Platz auf und legte sich bei einem Liter echten Münchners und mehreren Paaren Weißwürsten mit Kraut einen Feldzugsplan zurecht. Es dauerte nicht lange, da war er auch schon mit sich einig. Ja, so musste es gehen – das war der einzige Punkt, an dem sich diese Sache angreifen ließ.

Am nächsten Morgen suchte er dann, seinem Plan gemäß den Portier des Hauses Aspernstraße 19 auf. Dieser, ein behäbiger Pfälzer, ließ sich mit spielender Leichtigkeit ausholen.

Ja, die Anna, die bei der Frau Deprouval seit zwei Jahren als »Mädchen für alles« diene, habe natürlich einen Schatz. Mit dem habe er sich schon so manches Mal unterhalten. Freilich, wo der wohne, wisse er nicht, nur dass er Schlosser sei und eine feste Anstellung in der Elektrizitätszentrale habe. Der Name? Hm, er wolle sich mal besinnen. … Richtig … Alois … Alois Pilcherer.

Mehr brauchte Hiller, der dem Portier ein wunderbares Märchen aufgebunden hatte, um ihn gesprächig zu machen, nicht zu wissen. Auf dem Einwohnermeldeamt erfuhr er ja alles Weitere.

Alois Pilcherer, ein waschechter Bayer, gemütlich, wenn er nüchtern war, grob und händelsüchtig nach dem sechsten Liter, konnte sich zunächst gar nicht von seinem Staunen erholen, als er abends um sieben in seinem Kämmerchen, das er bei der Witwe Aschbauer allein bewohnte, den Besuch eines elegant gekleideten Fremden erhielt, der ihn in höchst verdächtiger Weise in reinstem Hochdeutsch anredete.

»Herr Pilcherer, nicht wahr?«, fragte Hiller, indem er nach dem lauten »Herein« ungeniert in die kleine Dachkammer trat.

Der Schlossergeselle nickte nur.

Der Detektiv stellte sich ihm als Fachkollege, als Maschinenschlosser, vor, der hier in München Arbeit suche, und in der kleinen Kneipe an der nächsten Ecke spielte sich dann der zweite Akt der Komödie ab, bei der der brave Alois doch schließlich der Geleimte war. Da es Hiller nach kurzer Zeit gelang, zu erfahren, dass sich Pilcherers Braut mit ihrer Herrschaft in Karlsbad befand.

Als Fritz Schaper am nächsten Morgen sein Büro gegen zehn Uhr betrat – er hatte sich einmal wieder gehörig ausschlafen wollen – meldete Lemke ihm sofort, dass Kurt Hiller aus München vor etwa einer Stunde angerufen und die jetzige Adresse der Frau Deprouval angegeben habe.

Schaper schaute bei dieser Nachricht recht ungläubig drein. Aber bald belehrte ihn sein Bürovorsteher, dass an diesem wunderbar schnellen Erfolg Hillers nicht mehr zu zweifeln sei.

»Famos!«, rief der Detektiv da. »Verbinden Sie mich mal schleunigst mit Herrn Gerster. Inzwischen sehe ich das Kursbuch ein. … Da haben wir es schon. Karlsbad-Berlin … sehr günstig. … Donnerwetter, das ginge …!«

Als der junge Schriftsteller sich gegen halb zwölf in dem Detektivbüro einfand, wurde ihm der Bescheid, dass Herr Schaper soeben verreist, morgen früh neun Uhr aber bestimmt wieder zurück sei.

Pünktlich stellte er sich dann am folgenden Morgen bei Schaper ein und wurde auch sofort vorgelassen.

Der Detektiv, der etwas müde und abgespannt aussah, begrüßte ihn mit warmer Herzlichkeit, bat ihn Platz zu nehmen und sagte darauf ganz unvermittelt: »Frau Käti lässt herzlich grüßen, lieber Gerster. Es geht ihr gut und sie erwartet Sie heute oder morgen bei sich.«

Kein Wunder, dass der junge Schriftsteller zur Bildsäule erstarrte.

»Ist das Ernst oder Scherz?«, fragte er nach einer Weile unsicher, indem er den Detektiv ängstlich forschend anblickte.

»Mit Berufsdingen scherze ich nie. Frau Deprouval hält sich zurzeit in Karlsbad, Hotel Kaiserhof, auf«, erwiderte Schaper mit feinem Lächeln.

»Mithin waren Sie gestern dort«, meinte Gerster leicht gereizt. »Warum nahmen Sie mich nicht mit?«

Der Detektiv legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter. »Weil ich erst das Terrain für Sie vorbereiten wollte, lieber Gerster«, entgegnete er offen. »Frau Käti weiß jetzt durch mich, dass Sie treu zu ihr halten, mag in der Vergangenheit auch noch so viel Trauriges passiert sein und mag die Zukunft vielleicht nicht weniger Schmachvolles bringen. Sie wird nun die Scheidung sofort einleiten, was ja das einzig Richtige ist. So, wie die Dinge liegen, ist sie in spätestens einem Vierteljahr frei.«

Heinz Gerster streckte dem Detektiv beide Hände hin. Sein ehrliches Gesicht strahlte förmlich.

»Ich danke Ihnen, Schaper, danke Ihnen aus übervollem Herzen. Doch nun erzählen Sie. Sie können sich denken, wie ich vor Neugier brenne …«

»Nun, 11 Uhr 10 Minuten gestern Vormittag nach Karlsbad, halb sechs Ankunft dort, halb sieben im Kaiserhof bei Frau Käti. Zusammen soupiert, alles erledigt, mit Nachtschnellzug wieder in Berlin!«

Gerster hatte schon seine Uhr hervorgeholt. »Dann benutze ich denselben Zug«, erklärte er.

»Sie müssen mich schon entschuldigen, lieber Schaper.« Er griff nach Hut und Stock.

»Einen Moment noch«, meinte der Detektiv. »Es dürfte Sie interessieren, dass ich mit meiner Vermutung hinsichtlich der Reise Charlotte Wendels nach Berlin recht hatte. Das junge Mädchen ist durch einen Brief aus München fortgelockt worden, der von Anfang bis zu Ende nichts als Schwindel war. Zum Glück besann sich Frau Deprouval auf die Adresse des Absenders, eines angeblichen Konsulatssekretärs Morrisson, hier, Bellevuestraße 3. Am besten, ich komme sofort mit. Denn diese Fährte muss verfolgt werden, solange sie warm ist. Es handelt sich hier nämlich fraglos um eine Schurkerei des Herrn Charles Deprouval.«

»So ist wirklich Deprouval dieser Fremde, der in Danzig …?«

»Er ist es. Frau Käti bestätigte die mir bekannten Personalien bis ins Einzelne.«

Ein Auto brachte die Herren dann in die Bellevuestraße, wo Schaper ausstieg, während der Schriftsteller zu seiner in Charlottenburg gelegenen Wohnung weiterfuhr, um noch schnell seinen Koffer zu packen.

In Nr. 3 befand sich in der zweiten Etage eine vornehme Fremdenpension. Dort läutete der Detektiv. Die Besitzerin des Pensionats, der er seine Legitimationen vorzeigte, erklärte sich nach einigem Zögern zu jeder Auskunft bereit.

So erfuhr Schaper denn, dass ein Engländer, der sich Tarpy Morrisson nannte und Konsulatssekretär war, eine Woche in der Pension gewohnt habe, bereits aber wieder abgereist sei und zwar in Begleitung einer Dame, die er für seine Schwester ausgegeben und die in einem zweiten Zimmer nur eine Nacht logiert hatte.

Schaper hatte eine ähnliche Antwort erwartet.

»Könnte ich das Zimmer Morrissons mir einmal ansehen?«, fragte er nach kurzem Nachdenken.

»Bitte, es ist noch frei.«

Das Zimmer war elegant eingerichtet, besaß zwei Fenster und machte einen recht behaglichen Eindruck. Der Detektiv unterzog es einer sehr gründlichen Musterung, entdeckte jedoch nicht die kleinste Kleinigkeit, die für ihn wertvoll gewesen wäre. Schließlich gab er das Suchen auf.

»Und das Zimmer der Schwester Morrissons?«, fragte er unverfroren.

»Das ist leider schon wieder vergeben«, meinte die Pensionsinhaberin kühl.

»Vielleicht könnte ich es trotzdem sehen. Wer wohnt denn dort?«

»Ein Offizier. Aber ich möchte doch bitten, dass Sie meine Gäste nicht stören. Ihr Verlangen geht wirklich zu weit«, sagte die Dame etwas ungeduldig.

Schaper war so leicht nicht abzuschütteln. »Sie wissen nicht, gnädige Frau, was bei der Untersuchung, die ich führe, alles auf dem Spiel steht«, erklärte er ernst. »Mit dem Offizier werde ich mich schon auseinandersetzen.«

Der Oberleutnant, ein Feldartillerist, der zu der Hochzeit eines Freundes von Stettin herübergekommen war, saß gerade beim Morgenkaffee. Schaper stellte sich vor und brachte dann seine Bitte an.

»Aber gewiss gestatte ich das«, meinte der Oberleutnant liebenswürdig. »Bitte – das Zimmer steht Ihnen zur Verfügung.«

Wieder begann dieses peinlich genaue Absuchen. Der kaminartige Ofen, die Fächer des Schreibtisches, des Waschtisches, die Schreibunterlage, der Papierkorb – nichts blieb verschont. Wieder vergeblich. Schon wollte Schaper sich verabschieden, als der Offizier, der den Detektiv mit leicht begreiflichem Interesse beobachtet hatte, etwas von oben herab sagte.

»Als Sie vorhin den leeren Papierkorb aufhoben und hineinschauten, flatterte ein Schnitzel unter den Sessel da …«

Schon hatte Schaper das Papierstückchen in der Hand. Es war der obere Teil eines Briefumschlages mit der halben, entwerteten Marke. Und auf dieser mitten durchgerissenen Marke war noch deutlich der Absendeort des Stempels zu lesen.

Dem Detektiv gab es einen förmlichen Ruck durch den Körper.

Nein, das war keine Sinnestäuschung – da stand klar und deutlich Gauben.

Zehn Minuten später saß Fritz Schaper wieder in seinem Arbeitszimmer vor seinem Schreibtisch. Auf dem roten Tuchbezug lagen all die Papiere ausgebreitet, die den Fall des »grauen Gespenstes« betrafen. Das erste Schreiben des Privatgelehrten, die eigenen Aufzeichnungen des Detektivs über seinen Besuch in dem Städtchen und bei Wernicke, und schließlich die beiden Briefe, in denen die beiden Männer sich gegenseitig verdächtigten.

Der Detektiv hatte sich eine Zigarre angezündet und blies langsam die blauen Rauchwölkchen von sich. Seine Gedanken umspielten ununterbrochen dieses eine Rätsel. Wie kam das Papierstückchen, dieser Überrest eines aus Gauben stammenden Briefes, in den Papierkorb jenes Zimmers? Die Pensionsinhaberin hatte ihm versichert, dass bei ihr noch nie jemand aus Gauben gewohnt habe. Sie kenne das Nest gar nicht. Weiter hatte er sie dann gefragt, wer vor dem angeblichen Fräulein Morrisson das Zimmer innegehabt habe. Eine Argentinierin einen Monat lang, deren Gatte zur preußischen Armee abkommandiert war. Die Dame habe stets nur Briefe aus der Heimat erhalten.

Mithin. Wie war der Schnitzel in den Papierkorb geraten, wie … wie? Eigentlich gab es nur eine Lösung, die ihm aber so weithergeholt schien, dass er sie immer wieder verwarf. Und diese Lösung war, dass zwischen dem Fall »Albert Wendel« und dem des »grauen Gespenstes« irgendwelche Beziehungen bestanden! Nahm man zum Beispiel an, dass der Privatgelehrte Müller mit Deprouval bekannt sei, so ließ sich das Auftauchen des Brieffragmentes in der Pension der Bellevuestraße unschwer erklären. Deprouval und Morrisson waren ja ein und dieselbe Person. Und konnte der angebliche Konsulatssekretär nicht den Brief aus Gauben im Zimmer »seiner Schwester« vernichtet, dabei aber gerade das eine Stückchen übersehen haben?

Wohl eine Stunde verging über diesem nutzlosen Grübeln, mit dem Fritz Schaper sein Hirn zermarterte. Er fand eine ihm zusagende Erklärung nicht. Überhaupt – hier gab es ja noch so manche Fragen zu lösen. Wie war zum Beispiel Deprouval in den Besitz des mit dem Aufdruck des englischen Generalkonsuls versehenen Briefbogens gelangt. Und die Hauptsache. Was hatte dieser hartgesottene Schurke mit Charlotte Wendel vor? Gedachte er wirklich die Erbschaft an sich zu reißen? Und wenn, auf welche Weise?

In dieser unangenehmen Lage rief er sich seinen Bürovorsteher herbei und beriet mit diesem, was man nun zunächst tun solle. Lemke, ein alter Praktiker in dem vielseitigen Detektivberuf, horchte hoch auf, als Schaper ihm die Geschichte von dem Brieffragment erzählte. Dann rückte er mit seinem Vorschlag heraus.

»Wie wäre es, Herr Schaper, wenn Sie jetzt sofort nach Gauben fahren und sich dort ein wenig um die Mönchsabtei und ihre Bewohner kümmern würden? Indessen könnten wir hier mit all unseren verfügbaren Kräften nach dem Verbleib Deprouvals und der jungen Dame forschen lassen. So verlieren wir keine Zeit und sind auf beiden Schauplätzen tätig.«

»Genau denselben Gedanken hatte auch ich«, meinte Schaper. »Gut. Dann geht also die Jagd auf der Eisenbahn wieder los. Doch – was hilft es! Ich reise also mit dem Mittagszug. Abends sieben Uhr geben Sie eine Depesche an Müller nach Gauben auf, dass ich morgen mit dem letzten Zug dort eintreffe. Auf diese Weise habe ich die kommende Nacht und den Tag für mich. Natürlich fahre ich nicht als Fritz Schaper, sondern in irgendeiner Verkleidung.«