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Sagen- und Märchengestalten – Die Hexen

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874
Die Hexen

Der Mensch, als er geschaffen worden war, begann zu empfinden, und der Empfindung gesellte sich der Gedanke, ein mächtiger, alles durchforschender Genius, der mit der sanfteren Gefährtin vereint, die harmonische Verbindung des Geistes schloss. Und bald regte die wundersame Schöpfung ihre jungen Glieder, bestimmt, im Lauf der Jahrhunderte zu einem Riesen heranzuwachsen, dem der ganze Erdkreis nicht mehr zu genügen drohte. Nach allen Seiten trieb es ihn in gewaltigem Drang. In dunkle Tiefen der Finsternis stieg er hinab, auf ebbender oder flutender Meereswüste schwankte er im Schifflein dahin, und was ihm, der mit sterblicher Hülle angetan, zu beschreiten versagt blieb, die Regionen endlosen Äthers über seinem Haupt, das erflog der Gedanke. Und mit kühner Messung begann er den Raum zu ergründen, der, unfassbar wie ein ewiges Rätsel, die Welt einschließt in seinen magischen Kreis.

Und doch schwebte der Geist über dem Leben in und um sich, gleich einer Taube über dem Wasser, und fragte vergebens: woher und wohin?

Dann regte es sich in der Menschenbrust voll wogender Gefühle. In dunklem Ahnen lehnte sich sein Hoffen, Lieben und Empfinden an die unbekannte Macht, welche das Ganze hervorgehen hieß aus dem chaotischen Gewühl, und allmählich entstand der Begriff eines göttlichen Wesens, das Zeit und Raum beherrschte, die Schicksale der Menschen lenkte und sie vor Gefahren schützte. In unmittelbarer Wechselwirkung mit der Natur belebte sich auch die Luft, ertönten Stimmen aus Baum und Busch, redete die Quelle, ja die schweigsamen Gestirne des Tages und der Nacht wandelten sich in hehre Gestalten, Wohltun und Segen spendend.

Es erwachten aber auch Regungen anderer Art, Furcht und Schrecken, wenn das empörte Meer über seine Ufer trat, wenn der Sturm den Wald niederwarf, der Himmel sich mit schwarzem Gewölk bedeckte, Blitze flammend herniederzuckten und des Donners gewaltige Stimme krachend oder dumpf grollend über des Menschen Haupt dahinrollte, oder wenn gar das einzig Sichere unter seinem Fuß, der mütterliche Boden, zu schwanken anfing, sich spaltete und gähnende Klüfte sich vor ihm auftaten.

Ein Unterschied begann fühlbar zu werden zwischen guten und bösen Gewalten. Diese sich geneigt zu machen, die anderen zu besänftigen, brachte der Mensch Gebet und Gaben in mannigfacher Form dar. Zur Opferstätte trug er die Erstlinge der Blüte und Frucht, von den Tieren ein Turteltäubchen oder ein Lamm, wo nicht etwa rohere Sitte den Fall des Stieres oder gar das zuckende, noch warme Herz des Kriegsgefangenen heischte. Das Oberhaupt der Familie pflegte diese Opferungen zu vollziehen, die Gebete zu sprechen für Weib und Kind und für den Fremdling, der unter seinem Dach beherbergt wurde. Dann, als die Verhältnisse weiter und größer wurden, vereinigten die Einzelnen sich und wählten aus ihrer Mitte den, der für mehrere Familien zugleich die Verbindung zwischen der Gottheit und den Menschen unterhalten sollte.

So entstanden die Priester, eine bevorzugte Kaste, in vertrautem Verhältnis mit den Göttern, in überlegenem mit den Sterblichen. Sie gaben vor, dass ihnen höhere Kräfte zu Teil geworden seien, dass die Geschicke derjenigen, die sie umgaben, ihnen offenbart würden, dass sie mit der Macht ausgerüstet seien, Krankheiten zu heilen, Unheil abzuwenden. Alles das geschah sowohl zum Wohl der Menschheit als auch zum Ruhm der Götter. Der Priester vereinigte in sich den Arzt mit dem Naturforscher, den Weißsager mit dem Wundertäter. Und da er es vermochte, Taten zu vollbringen, welche dem Uneingeweihten und Ungeübten unmöglich fielen, umkleidete ihn der einfache Sinn jener Urzeiten mit einem Nimbus, dessen er sich zu Zeiten wohl zu bedienen wusste.

Der Stand des Priesters war eigentlich nicht an das Geschlecht gebunden. Frauen durften sich ihm eben so gut weihen wie Männer.

Doch nicht immer dienten diese den Göttern, jene den Göttinnen.

Nur der blutige Opferdienst fiel dem stärkeren Geschlecht zu, obwohl die Sage von Priesterinnen einer deutschen Völkerschaft, den Kimbern, berichtet, welche den zum Opfertod bestimmten Kriegsgefangenen die Kehle durchschnitten und das herabtropfende Blut in ehernen Gefäßen auffingen, aus deren Klang sie dann weissagten.

Wenngleich die Priester aus den Eingeweiden der geschlachteten Opfer die Zukunft vorhersagten, hatte man doch dem berühmtesten Orakel Griechenlands Frauen vorgesetzt. Nicht minder erwiesen unsere deutschen Vorfahren ihren Weissagerinnen hohe Ehrerbietung. Der römische Schriftsteller Tacitus erzählt von einer von ihnen, der weisen Veleda, dass sie einer Göttin gleich weithin geherrscht habe. In allen wichtigen Angelegenheiten wurde ihr Rat begehrt und mit reichen Geschenken belohnt. Da verkündete sie einst eine ungeheure Niederlage der fremden Eindringlinge, der Römer, doch diese siegten und führten die Prophetin als Gefangene nach Rom.

Alle Religionen gestanden ihren Verkündigern die Macht zu, Wunder zu vollbringen, durch diese beglaubigte sie die Gottheit gewissermaßen, und sie bildeten die erlaubte, geheiligte Zauberei.

Neben ihr, die mit dem Götterkultus auf das Innigste verbunden war, kannte das graue Altertum schon eine unheilige Zauberei, die mit übernatürlichen Kräften Böses wirkte. Diese altheidnischen Zauberer traten jedoch in keinen allzu schroffen Gegensatz mit den Wundertaten der Priester, wenn man sie auch scheu vermied.

In dem Kreis der Urgewalten, welche man sich als feindlich gegen die guten Götter dachte, war das tiefste Zauberwissen heimisch. Hierher gehörten die finsteren Todesgötter. Ihre Priester und Priesterinnen vermochten Unwetter über die Saaten heraufzubeschwören und durch Zauberformeln die Viehherden zu vernichten, doch wussten sie auch den Leib und die Waffen der Krieger fest gegen Hieb und Stoß zu machen. Sie begingen ihren Tempeldienst in nächtlicher Dunkelheit und opferten dunkelfarbige Tiere während desselben. Diese Priesterinnen wurden als Hazusen oder Hegissen – Hexen – bis tief hinein in das Mittelalter und noch darüber hinaus fortgepflanzt.

Als das Christentum sich auszubreiten begann und der Zersetzungsprozess, dem das heidnische Wesen verfiel, auf den neuen Glauben die Hauptbestandteile des alten übertrug, fiel alles das, was unklar und düster war, dem bösen Geist, dem Teufel zu.

Gleicherweise sanken Priester und Priesterinnen der heidnischen Götter, welche die religiösen Zeremonien standhaft bewahrten, zu Zauberern und Hexen im bösen Sinn herab und ihr Gottesdienst, der nur noch im Verborgenen begangen werden durfte, gestaltete sich nach und nach in den Augen christlicher Priester und ihrer Anhänger zu einem geheimnisvollen, lichtscheuen Verkehr mit dem Satan um.

Die Heidentempel erhoben sich entweder auf den Gipfeln der Berge oder sie standen, den Göttern geweiht, in Hainen, umrauscht von mächtigen Eichen oder glattstämmigen Buchen. Dort versammelte sich das Volk an den Festtagen und beging die Feier mit Opfer, Tanz und Schmaus. Dann stiegen die Götter zur Erde hernieder und hielten feierlichen Umzug, die Guten belohnend, die Bösen bestrafend. Solche Feste waren der Frühlingsanfang, die Sommersonnenwende, die Wintersonnenwende und die heiligen zwölf Nächte, d. h. die letzten sechs des alten, und die ersten sechs des neuen Jahres. Unauslöschlich hatte sich die Erinnerung an diese Zeiten dem Gedächtnis des Volkes eingeprägt, und es erschien den Priestern der neuen Lehre deshalb notwendig, die christlichen Hauptfeste auf solche Tage zu verlegen, um die Verbindung zwischen dem Leben der Kirche und dem Leben der Nation fester zu knüpfen.

Aus den Umzügen der Götter bildete der Volksglaube nun Sagen wie die von der wilden Jagd, dem Totenheer, der Frau Holle, der Perchta und andere. Indessen galten Zauberer, Nachtfrauen und Wahrsagerinnen nicht für Hexen. Erst als man den Teufel zu ihrem Oberhaupt machte und ihre Verbindung mit ihm als eine wissentliche und frevelhafte hinstellte, begann man sie zu verfolgen. Und auch da beachtete die Kirche diese Dinge wenig und strafte mild, wenn nicht geradezu Verbrechen vorlagen. Erst als starre Glaubenslehren mit unbeugsamer Härte aufrechterhalten werden sollten und Einzelne sich dagegen auflehnten, wurden diese Abtrünnigen, die sicher, mit Feuer und Schwert verfolgt und zu den Gefolgsleuten des Satans geworfen. Die Ketzer zeigten sich schon früh und wurden durch den Kirchenbann unschädlich gemacht. Ebenso tauchten im 11. und 12. Jahrhundert einzelne Sekten auf, die sich aber, um die strafende Gerechtigkeit nicht herauszufordern, in der Stille zurückhielten, weshalb ihr Entstehen und Verschwinden nur kleine Kreise auf der Oberfläche der allgemeinen Strömung zurückließ. Erst als die Sekte der Waldenser oder Albigenser, wie man sie nach ihrem Gründer Petrus Waldus oder nach der Stadt Alby nannte, größere Ausdehnung in Südfrankreich gewann und die Mutterkirche dadurch ernstlich bedroht wurde, griff man zu strengen Maßregeln.

Der Papst ließ das Kreuz predigen, ein Heer scharte sich von allen Seiten zusammen und vernichtete auf seinem Zug mit fanatischer Wut alles, was sich ihm entgegenstellte. Damals zirkulierten die widersinnigsten Gerüchte über das Treiben dieser Ketzer in ihren nächtlichen Versammlungen. Die Lossagung von den Satzungen der Kirche erschien als eine verbrecherische Abschwörung Gottes, die heimlichen Zusammenkünfte galten als Feste des Satans, gefeiert durch die Ausübung schrecklicher und unnatürlicher Laster.

Nicht anders erging es den Stedingern, einem friesischen Volksstamm, der seinen Sitz im heutigen Oldenburg, an den Ufern der Hunte hatte. Sie beklagten sich in einer Schrift, welche sie dem geistlichen Oberhaupt vorlegen ließen, über die Priester und über die Edelleute. Wenn jene in unersättlicher Habgier nach ihren Gütern trachteten, so kränkten diese sie tiefer, indem sie ihnen bei den Kirchfahrten ihre Weiber und Töchter entführten, um schnöde Lust zu üben. Die Antwort auf diese Beschwerde war eine Gegenklage auf Ketzerei und Zauberei und ein Kreuzheer, aufgebracht von den Rittern des Stedinger Landes. Die Bauern kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, mussten aber doch der Übermacht erliegen und wurden teils erschlagen, teils in die Fluten der Weser getrieben, in denen sie ihr Grab fanden.

In diese Zeit fällt die Einführung eines geistlichen Gerichts, welches jenem alten, strengen Griechen, dem Drakon gleich, seine Gesetze mit Blut und Tränen schrieb. Die Leitung desselben wurde dem Dominikanerorden übertragen, dessen Aufgabe es sein sollte, Ketzer und Teufelsanhänger aufzuspüren und zur Bestrafung zu ziehen. Die südlichen Länder, Spanien und Italien, leisteten wenig Widerstand, in Deutschland aber wurden die ersten Inquisitoren, Konrad von Marburg und zwei seiner Genossen vom Volk erschlagen. Für diese spätere Entwicklung rächte sich das furchtbare Gericht, unter dessen ehernem Fuß die herrlichen deutschen Landschaften sich in langem, schmerzvollem Todeskampf winden mussten. Es ist unmöglich, diese allgemeine Einleitung zu schließen, ohne mit einigen wenigen Zügen das Verfahren weltlicher Obrigkeit, den Anschuldigungen der Zauberei gegenüber, zu bezeichnen.

Kein Gesetzbuch der alten Zeit enthielt Lebensstrafen für diejenigen, welche man der Nachtfahrten oder des Wettermachens beschuldigte. Nur auf wirklich begangene Verbrechen, wie Mord, giftige Liebestränke und Ähnliches war der Tod gesetzt. Einzelne römische Kaiser straften willkürlich auch solche, denen zauberische Handlungen nachgewiesen wurden, welche zum Zweck gehabt hatten, die Lebens- oder Regierungsdauer der Fürsten zu erforschen. Allein sie straften nicht des angewendeten Zaubers willen, sondern der bösen Absicht wegen, und nicht selten mochten die Fragenden wohl versucht haben, tätig in den Verlauf der Dinge mit einzugreifen und Tod oder Entthronung des Kaisers zu beschleunigen.

Bei den Franken schon trachtete man das Geständnis der Zauberei durch Qualen zu erpressen, doch auch hier immer nur dann, wenn wirkliche oder vorgegebene Intrigen gegen den Landesfürsten und dessen Angehörige zugrunde lagen. Karl der Große befahl, dass die Richter gestraft werden sollten, welche die Zauberer, ihrer abergläubischen Bräuche wegen, die niemand Schaden getan, verurteilten. Diese rechtliche Anschauung erhielt sich mehrere Jahrhunderte. Allein der Sachsenspiegel, eine Sammlung alter Gesetze, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand, verordnet, dass Ungläubige, welche damit umgehen zu zaubern oder zu vergiften, gestraft werden sollen an Leib und Leben. Auch er vermengt hier offenbar Ketzerei mit Zauberei.

Da erschien am 5. Dezember 1484 eine Bulle des damaligen Papstes Innozenz VII., welche im Auszug folgendermaßen lautete:

»Gewisslich, es ist neulich nicht ohne große Beschwerung zu unseren Ohren gekommen, dass in einigen Teilen Oberdeutschlands, wie auch in den Mainzischen, Kölnischen, Trierschen, Salzburgischen und Bremischen Erzbistümern, Städten, Orten etc. sehr viele Personen beiderlei Geschlechts, ihrer eigenen Seligkeit vergessend und von dem katholischen Glauben abfallend, mit den Teufeln, die sich als Männer oder Weiber mit ihnen vermischen, Missbrauch machen, mit ihren Verzauberungen und Liedern und ihren Verschwörungen und anderem abscheulichen Aberglauben und zauberischen Übertretungen, Lastern und Verbrechen die Geburten der Weiber, die Jungen der Tiere, die Früchte der Erde, die Weintrauben und die Baumfrüchte etc. verderben, ersticken und umkommen machen, mit grausamen, sowohl innerlichen als äußerlichen Schmerzen und Plagen belegen und peinigen, und eben dieselben Menschen, dass sie nicht zeugen, und die Weiber, dass sie nicht empfangen, verhindern, überdies den Glauben selbst, welchen sie beim Empfang der heiligen Taufe angenommen haben, mit eidbrüchigem Munde verleugnen etc. – In Erwägung dessen und damit nicht die Seuche des ketzerischen Unwesens und anderer solcher Verbrechen ihr Gift zum Verderben der unschuldigen ausbreiten möge, wird den beiden bisherigen Ketzermeistern Jakob Sprenger und Heinrich Institor, denen noch ein Dritter, Johann Gremper, beigegeben, unbedingte Vollmacht erteilt, wider jede und alle Personen, wessen Standes und Ranges sie auch sein mögen, das Amt der Inquisition zu vollziehen und die Personen selbst, welche sie der vorbenannten Dinge schuldig befinden, nach ihren Verbrechen zu züchtigen, in Haft zu bringen, an Leib und Vermögen zu strafen.«

Diese Bulle, welche das Verfahren gegen Andersdenkende oder der Zauberei Angeklagte zu einem recht- und gesetzmäßigen stempelte, war gewissermaßen das Vorspiel zu jener schrecklichen Tragödie des Hexenprozesses, deren letzter Akt sich erst gegen das Ende des 18. Jahrhunderts schloss, nachdem zahllose Opfer gefallen waren, Opfer der Habgier, der Rachsucht des Fanatismus, Opfer aller und jeder niederen Leidenschaft, deren das menschliche Gemüt in seiner äußersten Verderbtheit fähig ist. Möge eine kurze und gedrängte Darstellung jener Zeiten dem Leser ein getreues Bild geben von den Schrecknissen, die den Lebenshimmel unserer Altvordern so schwer umdüsterten und ihm eine Träne des Mitgefühls für diejenigen entlocken, welche in diesem Kampf des Lichtes und der Finsternis untergingen.