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Hessische Sagen 10

Der Wildeweibchenstein

Nicht weit vom Rodenstein, mitten im Wald, liegt der sogenannte Wildeweibchenstein, eine an einem Berghang aus gewaltigen Granitblöcken aufgetürmte Felsenmasse. Auf einem der obersten Steine bemerkt man ein roh eingehauenes Kreuz und in der Mitte geht ein Spalt hinab, welcher den Eingang zu einer Höhle gebildet haben soll.

In dieser Höhle wohnten vor Zeiten zwei wilde Weibchen. Eines von ihnen war sehr schön, sodass ein Jäger um seine Liebe warb. Bald schenkte es ihm ein gar holdseliges Knäbchen. Aber da war – man weiß, wie Jäger so sind – des Jägers Liebe alle und er kümmerte sich lange Jahre nicht mehr um das wilde Weibchen und vergaß es endlich ganz. Eines Tages kam er auf der Jagd an den Stein. Da er müde von der Jagd war, legte er sich darauf nieder, um auszuruhen und ließ ein Bein an dem Felsen herunterhängen. Indem kam das Knäbchen dahergesprungen. Er erkannte es natürlich nicht, wollte aber sehen, was das Kind da mache, denn er hatte seine Freude an ihm und dachte darüber nach, wie es dahinkomme und wem es gehöre. Damit es aber ganz ungestört sei, drückte er seine Augen halb zu, als ob er schliefe. Ein Weilchen drauf kam auch das Wildeweibchen und rief dem Knäbchen zu: »Kind, heb deinem Vater sein Bein auf!«

Da erwachte plötzlich seine alte Liebe von Neuem, er sprang auf und drückte das wilde Weibchen an sein Herz, blieb ihm auch von da an treu zugetan.

Die beiden Wildeweibchen sollen allerlei prophezeit und besonders mehrere Male geäußert haben: »Wenn die Bauern wüssten, zu was die wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben (Salbei) gut sind, dann könnten sie mit silbernen Karsten hacken.«

Einmal wurde eins von den Bauern gefangen, da rief ihm das andere nach, es solle nur ja nicht sagen, wozu die wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben gut seien.

Unweit des Wildeweibchensteins liegt die sogenannte Freiheit, ein aus einigen Gebäuden bestehendes ehemaliges freies Reichshaus, wie die Bauern melden. Da wurde vor langer Zeit einmal eine Hochzeit gehalten, auf der die wilden Weibchen erschienen, die Brautleute beschenkten und tanzten.


Die zwei Herren von der Glauburg

Am Tage der Kirchweih fanden sich vor alters jährlich in Stockheim zwei fremde Herren, welche niemand kannte, in unbekannter Tracht, aber sehr stattlich gekleidet, ein. Sie scherzten mit den Mädchen, tanzten viel und schön, und waren überhaupt recht lustig. Dabei betrugen sie sich aber so anständig, dass man wohl sah, sie seien was Rechtes. Auch waren sie bei allen Kirchweihgästen recht beliebt, denn sie gaben viel zum Besten. Sie kamen stets miteinander, und immer zur nämlichen Stunde, gegen Abend, beim Feste an. Sie waren immer plötzlich beim Tanze da, und niemand sah sie je von der Straße her und zur Tür hereinkommen. Länger aber als eine halbe Stunde vor Mitternacht blieben sie nicht und niemand sah sie weggehen. So unbemerkt sie hereingekommen, so unbemerkt verschwanden sie wieder. Das reizte die Neugierde vieler. Als sie eines Jahres wieder am Kirchweihfest beim Tanz waren, bot sich ihnen ein Bursche aus Stockheim zum Begleiter auf ihrem Heimweg an, was sie auch annahmen. Sie gingen mit ihm nach der Glauburg zu und erstiegen mit ihm den Berg. Als sie oben angekommen, standen sie vor einem breiten viereckigen Loch im Boden, durch welches sie hinab in eine ungeheuere Tiefe sahen, auf deren Grund ein kristallheller Teich sich spiegelte. Da stürzten sich die beiden Fremden in jenes Loch hinab in den Teich, dass der Bursche sie nicht mehr sah. Der Bursche hatte aber den einen, als er sich zum Sturz in die Tiefe anschickte, an der Hand gefasst, um ihn zurückzuhalten, was ihm jedoch nicht gelang. Denn der Fremde riss sich los und ließ ihm nur seinen Handschuh in der Hand, den er noch vom Tanz her anhatte. Da lief der Bursche in großer Angst zurück nach Stockheim zum Tanz, wo er den Handschuh vorzeigte und erzählte, was er gesehen. Die Fremden sind aber nimmer zur Kirchweih gekommen und nimmer gesehen worden.


Fuchs und Hund

In der Nähe von Niedernhausen liegt ein Teich, darin wohnt ein Wassergeist.

Die beiden Dörfer Obern- und Niedernhausen liegen nur einen Büchsenschuss voneinander entfernt und haben deshalb einen gemeinschaftlichen Nachtwächter, der zuerst in Obernhausen die Stunden ausbläst und dann zu demselben Zweck nach dem anderen Ort hinübergeht.

Auf diesem Wege begegnete es ihm eine Nacht, dass, noch ungefähr 50 Schritte vor Niedernhausen, sein Hund ihm plötzlich erschreckt zwischen die Beine kroch. Er sah sich verwundert um und bemerkte in einiger Entfernung ein Ding gleich einem Fuchs, das am Fuß eines Baumes hockte. Er beschwichtigte seinen Hund und ging nach Niedernhausen und blies die zwölfte Stunde richtig ab. Als er zurückkam, saß dasselbe Ding wieder da. Da ward es ihm denn doch zu arg und er hetzte seinen Hund darauf. Das Ding sprang auf, der Hund ihm nach über Feld und Graben, über Stock und Stein. Umsonst rief und pfiff der Nachtwächter, der Hund kam nicht wieder.

Nach drei Tagen fand man den Hund ersoffen in jenem Teich, denn der Fuchs war der Wassergeist gewesen.


Alraun

In der alten hessischen Familie der Freiherren Riedesel von Eisenbach bewahrte man sonst (und vielleicht auch noch heute) eine Puppe, welche in einem gläsernen Kästchen lag und die man jeden Tag aufmerksam beobachtete. Was nämlich irgendeinem Mitglied der Familie geschah, das ereignete sich, wenn nicht vorher, doch zu gleicher Zeit mit der Puppe. Wenn zum Beispiel eins stürzte und einen Arm oder ein Bein brach, so lag die Puppe mit demselben gebrochenen Glied da, wenn eins sterben sollte, so wurde sie blass und bekam eine vollständige Totenfarbe.


Alb erwischt

Ein Arbeitsmann hatte nachts keine Ruhe vor dem Alb, war indes endlich müde und nahm sich vor, wenn er wieder käme, dann wolle er ihn packen, um zu sehen, wer ihm den Tort antue. In der folgenden Nacht kam der Alb nach gewohnter Weise, ihn zu plagen. Er aber fasste schnell seine Decke zusammen, holte sein Licht, welches er schon bereitgestellt hatte, und öffnete vorsichtig die Decke. Und was fand er? Einen Pantoffel.

»Gut«, sprach er, »du sollst mich nicht wieder pantoffeln.« Der Mann nahm Hammer und Nägel und nagelte den Pantoffel an die Tür, und als er morgens aufstand, was fand er? – Seine Frau, die mit einem Ohr an der Tür festgenagelt hing. Da wusste er, wo der Hase im Pfeffer lag.


Die Atzel

In Niederbeerbach wohnte ein Bauer, der hatte zwei Knechte und die schliefen im Stall. Der eine von ihnen wachte eines Sonntags früher als gewöhnlich auf und bemerkte, dass der andere sehr ächzte und keuchte. Da weckte er ihn auf und fragte ihn, was ihm fehle.

»Ach«, sagte der andere, »es hat mich auf der Brust gedrückt und gezwickt. Das war der Alb, der mich so oft peinigt und quält.«

»Wir wollen ihn fangen«, sprach der Erste, und das war abgemachte Sache.

Am folgenden Morgen stand dieser früh auf und der andere tat so, als ob er schliefe. Als nun die Mahr kam und ihr Spiel wieder beginnen wollte, da fuhr der Erste mit der Mistgabel über des Zweiten Brust umher. Im selben Augenblick flatterte es und es war, als ob eine Atzel in der Ecke des Kämmerchens schrie.

»Schlag zu, da ist sie!«, rief der Zweite, aber da schrie die Atzel in der Scheune und immer aus einer andern Ecke heraus, wenn sie ihr nahe zu sein glaubten. Endlich sprang die Atzel aus der Scheune heraus und in den Garten, wo die beiden Burschen sie noch lange mit Flinten verfolgten, um sie zu erschießen. Aber daran war nicht zu denken und sie entwischte ihnen trotz aller Mühe, welche sie sich gaben.


Die Kornähre

Ein Schreinergeselle klagte einem klugen Mann, dass er jede Nacht gedrückt werde und wisse nicht von wem.

Der Mann versprach ihm zu helfen und legte sich die folgende Nacht neben sein Bett, das in der Werkstatt stand.

Um elf Uhr hörte er den Alb durch ein Löchlein in der Wand hereinschlüpfen, worauf der andere auch gleich zu ächzen anfing. Da sprang er rasch auf und verstopfte die Öffnung. Als das geschehen war, weckte er den Gesellen, hieß ihn ein Licht anzünden und durchsuchte mit ihm die ganze Werkstatt. Sie konnten nichts Verdächtiges finden, als eine Kornähre, die schraubte der kluge Mann in den Schraubstock. Des anderen Morgens fanden sie statt der Ähre eine nackte Weibsperson darin.


Alb im Betttuch

Im Schwalmgrund hat man folgendes Mittel, den Alb zu fangen. Man deckt sich nur mit dem Betttuch zu, und wenn er kommt, schlägt man dasselbe über ihm zusammen, hält es fest zu und verschließt es in einen Kasten. Öffnet man diesen früher, als ein Mensch darin ersticken kann, so fliegt eine weiße Taube heraus, wo nicht, so setzt man sich der Gefahr aus, seine Liebste zu ersticken, denn diese ist gewöhnlich der Alb.


Das weiße Mäuschen

Ein junger Mensch in Hirschhorn wurde allnächtlich vom Alb heimgesucht. Seine Mutter konnte das zuletzt nicht mehr ansehen und suchte Rat dagegen, den sie auch bald fand. Sie verabredete sich mit ihrem Sohn, er solle ihr ein Zeichen geben, wenn er des Albs Ankunft gewahre, breitete, als er abends im Bett lag, ein weißes Tuch über ihn und hielt sich in der Nähe. Es dauerte nicht lange, so schlüpfte der Alb durch das Schlüsselloch herein, der Sohn gab das Zeichen und war im selben Augenblick auch schon seiner ohnmächtig, fing an zu seufzen und zu wimmern. Da sprang die Mutter hinzu, schlug rasch die vier Zipfel des weißen Tuches zusammen und legte es in eine Schublade der Kommode. Den Schlüssel ließ sie stecken. Zugleich atmete ihr Sohn tief auf, als ob eine zentnerschwere Last von seiner Brust genommen sei. Daraus ersahen sie, dass es ihnen geglückt war, den Alb zu fangen.

In derselben Stunde aber starb in Erbach plötzlich ein Mädchen, ohne dass man wusste, was für eine Frechheit es gehabt haben könne. Es ward gekleidet und auf Bahre gelegt und sollte begraben werden. Da traf sich es, dass der Bursche in Hirschhorn, der schon zwei Nächte vom Alb frei geblieben war, am dritten Tag zufällig den Schlüssel von der Schublade abzog, worin das Tuch lag. Sogleich schlupfte ein weißes Mäuschen aus dem Schlüsselloch und lief zur Tür hinaus. Zur selben Stunde wollte man den Sarg des Mädchens in Erbach schließen, da fuhr ein weißes Mäuschen zur Tür herein und in den Mund der Toten, welche alsbald die Augen weit öffnete und nicht wenig erstaunt war, sich im Sarg zu finden.


Der Alb aus der Fremde

In Oberhessen war ein Bursche, der jede Nacht so gedrückt wurde, dass er ganz dahinschwand. Sein Vater beschloss den Alb zu fangen. Er schnitzte einen hölzernen Pfropf, der genau auf das Schlüsselloch passte, durch welches der Bursche schon mehrmals ein Ding wie ein Mäuslein hatte hereinschlüpfen sehen. Die Nacht schlief er neben seinem Sohn, und als der wieder zu ächzen und zu stöhnen anfing, sprang er rasch aus dem Bett und verschloss das Schlüsselloch. Als es hell wurde, sahen sie, was sie gefangen hatten, es war ein nacktes Mägdlein, so wunderschön und lieblich, wie sie noch keines gesehen. Sie weinte sehr und wusste nicht, wie sie hierher gekommen, so weit weg von Zuhause. Der Bursche aber ließ ihr schöne Kleider machen und nahm sie zum Weib.

Als er nun über ein Jahr lang glücklich mit ihr gelebt und ein Kind von ihr bekommen hatte, drang sie eines Tages gar sehr in ihren Mann, er möge doch den Pfropf aus dem Schlüsselloch nehmen. Er tat es und verschwunden war sie.

Nach drei Jahren, als er längst alle Hoffnung aufgegeben hatte, sein Weib wieder zu sehen, kam eines Tages ein prächtiger, mit sechs Rappen bespannter Wagen zum Dorf hereingefahren und hielt vor dem Haus des verlassenen Ehemannes. Zwei Bedienstete in stolzer Livree rissen den Schlag auf und heraus stieg eine wunderschöne Dame, welche dem Bauern um den Hals fiel und ihn als ihren Gemahl begrüßte.

Damals, als er das Schlüsselloch öffnete, war sie nach Hause geeilt und kam jetzt zurück, um ihn und ihr Kind abzuholen, und zwar sechshundert Stunden weit fort in ihre Heimat. Das ist vor mehr als hundert Jahren geschehen.