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Geisterschloss Dohlenstein – Kapitel 2

Geisterschloss Dohlenstein
Abenteuer eines flüchtigen Pariser Studenten
Eine Geister- und Räubergeschichte
Kapitel 2 – Die Ankunft in der Heimat

Nach fahriger Abwesenheit kehrte der junge Theodor zu seiner Familie in Largen am Ufer des Rheins zurück, wo er sich nach etlichen Tagen von seinen Strapazen allmählich erholte.

»Wie groß er geworden ist«, rief man, wenn man ihn sah, »und wie hübsch ist er jetzt im Vergleich zu früher!«

»Ei! Sechs Jahre vermögen einen jungen Menschen zu verändern! Ihr findet, dass ich zugenommen habe, nicht wahr? Nun! Aber das steht nicht im Vergleich mit dem, was ich an Geist gewonnen habe. Ich komme von Paris. In diesem einzigen Wort liegt alles, was ich Euch nur sagen kann.«

Der Sonntag kam. Theodor, noch eingedenk der Freuden seiner Kindheit, schlug vor, nachmittags ein Tänzchen im Schlosshof zu veranstalten.

»Man geht nicht mehr dahin, mein Sohn«, wendete seine Mutter traurig ein, »seit dem Aussterben der edlen Familie von Dohlenstein ist das Schloss öde und verlassen.«

»Ei, das weiß ich ja, liebe Mutter. Es sind zwölf Jahre her, dass der letzte männliche Zweig dieses Stammes starb. Und seitdem ist das Schloss nicht mehr bewohnt, jedoch haben wir stets auf dem großen Hof getanzt, ausgenommen im Trauerjahr. Ich kenne die Geschichte vom Anfang bis zum Ende.«

»Ich weiß aber auch, lieber Sohn, dass, um darin tanzen zu können, man erst hineinkommen muss, und das ist jetzt nicht mehr möglich.«

»Wie? Man hat das Gitter vielleicht verschlossen?«

»O nein! Alles steht noch offen, wie zu deiner Zeit.«

»Und man kann nicht mehr hinein?«

»Ach! Nein.«

»Hat man denn Wachen aufgestellt?«

»Nein, nein, und noch einmal nein!«

»Ei, das ist ja drollig! Und was hindert einem denn nun, dass man nicht hineingeht?«

»Geister, mein Sohn.«

»Ha! Ha! Ha! Gibt es denn hierzulande noch Geister?«

»Gewiss. O, das ist eine entsetzliche Geschichte. Man sagt, dass vor beinahe fünfhundert Jahren zwei Brüder und eine Schwester darin lebten, die noch jetzt alle Nächte einen fürchterlichen Lärm darin machen. Die Schwester hatte den Brüdern eine strafbare Liebe eingeflößt. Beide Brüder, von furchtbarer Eifersucht geplagt, schlugen sich auf dem großen Hof.«

»Wo wir so vergnügt getanzt haben?«

»Ja, mein Sohn. Die Schwester lief herbei, um sie auseinander zu bringen, als sie sich gegenseitig verletzt hatten. Aber von Wut entflammt, sich einer dem anderen den Todesstoß zu versetzen, durchbohrten sie die Schwester mit ihren Schwertern, und sie sank tot zu Boden. Von Schmerz und Mitleid erweicht, legte sich ihre Wut, und man fand sie beide tot zu Füßen ihres Opfers.«

»Das ist in der Tat traurig.«

»Nun, und diese kommen jetzt zurück. Sie steigen aus dem Keller, wo man sie begraben hatte, empor, und durchwandern alle Zimmer des Schlosses. Ihnen voran gehen flammende Lichter, von niemandem getragen. Zuweilen gehen sie so bis zum großen Hof, wo sie ihren blutigen Kampf unter schrecklichem Getöse von Neuem beginnen.«

»Und hast du denn das gesehen, Mutter?«

»Ich selbst nicht, aber Peter Biedermann und andere, welche sich darüber sehr erschreckt haben.«

»Das kommt daher, weil diese guten Leute nie aus ihrem Dorf herausgekommen sind.«

»Wie, mein Sohn?«

»Ja, Mutter! Wärst du wie ich bei einem Buchhändler wie mein Onkel in Paris sechs Jahre lang aus- und eingegangen, so würdest du an solche Späßchen nicht mehr glauben.«

»Ach! Barmherzigkeit! Wie, du glaubst nicht, dass die Toten wiederkehren?«

»Nein, liebe Mutter! Und ich werde es nie glauben. Könntest du mir aber wohl die Ursache sagen, warum diese Geister, die seit fünfhundert Jahren nichts von sich hören ließen, erst seitdem ich in Paris bin, wiederkehren?«

»Du kannst ja nicht wissen, guter Sohn, ob sie nicht früher bereits da gewesen sind und ihr jetziges Erscheinen ein Zeichen des Himmels ist.«

»O liebe Mutter, es gibt keine Zeichen des Himmels mehr, und ich kann nicht anders glauben, als dass Biedermann und die anderen entweder Betrüger oder Dummköpfe sind.«

»Ei! Ei! Bin ich auch ein Dummkopf, wenn ich dir sage, dass ich schon einige Male mit eigenen Augen die großen feurigen Buchstaben an der Mauer gelesen habe? ›Wehe den Bewohnern des Dorfes, wenn sie durch ihre verfluchten Tänze den Frieden der Toten ferner stören!‹«

»Das hast du selbst gesehen, liebe Mutter?«

»Ja, ich selbst!«

»Nun, dann muss ich’s ja schon glauben.«

»Ach! Ich wusste wohl …«

»Damit will ich nicht sagen, dass ich an Gespenster glaube, sondern bloß, dass ich glaube, dass die Schrift wirklich da gewesen sei.«

»Sie ist noch da, und zwar zeigt sie sich besonders an Vorabenden von hohen Festtagen. Und sage mir nur, du Freigeist, wer soll sie hingesetzt haben ohne des Himmels Geheiß? Morgen ist wieder ein solcher Abend, an dem sich schon einige Male diese Warnschrift sehen ließ. Da kannst du dich mit eigenen Augen überzeugen, du loser Freigeist!«

»Schurken!«

»Mit feurigen Buchstaben auf Stein?«

»Nichts leichter als das, nämlich mit Phosphor. O, das weißt du nicht, liebe Mutter. In den Büchern meines Oheims habe ich noch ganz andere Dinge gefunden, ohne dass man deshalb an Geister glauben muss. Das sind böse Menschen, die sich über diese Albernheiten lustig machen, welche jedoch gewöhnlich genug sind, als dass man nicht hinter diese Spitzbüberei kommen könnte. Lass du mich nur machen. Sage mir, wo sich unsere jungen Burschen und Mädchen versammeln. Ich will sie morgen auf ihren alten Tanzplatz führen.«

Theodors Mutter nannte ihm tags darauf eine kleine Wiese am Eingang des Dorfes, zu der er kurze Zeit später ging. Aber man machte es ihm nicht leicht, gute Gründe für sein Vorhaben anzuführen. Niemand hörte ihm zu, und er verschwendete seine Überredungsgabe.

»Wohlan!«, sagte er. »Ihr wollt nicht mitgehen, so gehe ich allein hin. Ich werde nicht nur im Hof tanzen, sondern werde auch in die oberen Zimmer gehen und darin die Nacht hindurch bleiben. Morgen will ich euch dann über alles berichten.«

Jedermann bewunderte seinen Entschluss, doch niemand war geneigt, ihm zu folgen. Außer einem Menschen namens Niklas, der seit zwei Jahren bei einem als Mieter wohnte und sich für einen alten Soldaten ausgegeben hatte. Im ganzen Dorf aber war er unter dem Namen Veteran bekannt. Er bot sich an, den jungen Theodor zu begleiten, was dieser jedoch aus Trotz ablehnte.

»So nimm wenigstens dieses Paar Pistolen«, sagte er, »ich habe sie von meinen Feldzügen mitgebracht. Ich habe noch zwei oder drei Patronen, mit denen du sie laden kannst. Und wenn die Geister dann Händel mit dir anfangen wollen, so wirst du sie schon zur Ruhe bringen.«

Diesen Vorschlag nahm Theodor dankbar an. Er ging mit dem Veteranen zum nahe gelegenen Pachtgut, wo dieser ein Kämmerchen hatte, lud selbst die Pistolen und ging danach zur Wiese zurück, wo sich die erstaunten Burschen und Mädchen nicht genug über seinen Mut wundern konnten. Als die Nacht nahte, schlug er, mit seinen Waffen, einer Laterne und einem Feuerzeug versehen, seinen Weg zum verlassenen Schloss ein. Einige Bauern begleiteten ihn bis an das äußere Gitter und machten ihn auf die Inschrift aufmerksam, die bereits einen matten Schimmer durch das Halbdunkel warf. Dieser Anblick, der Theodor nur noch mehr in seiner Ansicht wegen des Phosphors bestärkte, bestimmte ihn, auf jeden Fall im Schloss zu übernachten. Er hörte auf keine der Vorstellungen seiner Freunde und ging mutig über die Brücke des Walles, nachdem ihm jene traurig einen guten Abend gewünscht hatten.

Während er seinem Versprechen gemäß auf dem Hof tanzte, kamen sein Vater, seine Mutter, Oheime, Tanten, Brüder und Schwestern, welche man von seinem Entschluss benachrichtigt hatte, und baten ihn inständig, dass er nach Hause gehen möge.

»Theodor!«, sagten sie zu ihm. »Komm zurück. Es zweifelt ja niemand an deinem Mut. Komm zurück! Du hast dein Versprechen erfüllt, da du auf dem Hof tanztest.«

»O nein! Ich muss noch im Schloss übernachten. Aber zuvor will ich Euch noch zeigen, dass diese Buchstaben, vor denen Ihr so große Furcht habt, aus Phosphor sind.«

Er fand im Hof eine lange Stange, rieb damit an der Schrift. Der Phosphor setzte sich an die Stange, ohne dass deshalb die Schrift erloschen wäre. Theodor legte die Stange ab, strich mit seinen Fingern über die scheinbar brennende Spitze, und der Phosphor blieb an seiner Hand haften.

»Seht ihr?«, sprach er, »das Feuer brennt nicht, es ist die Nacht, welche es so glänzend macht.«

»Gut, mein Sohn, ich will es glauben. Aber komm doch nun heraus und stürze dich nicht in dein eigenes Unglück!«

Der junge Mann wurde dadurch nicht erschüttert. Alle zogen sich nach und nach zurück, nachdem sie ihm seine Unklugheit vorgeworfen und ihn allen Heiligen empfohlen hatten.