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Wolfram von Bärenburg – Teil 3

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 3

Faustrecht und Femegericht

Die Freunde von Rittergeschichten werden oft schon vom Faustrecht und Femegericht gelesen haben, ohne darin etwas Näheres über ihren Ursprung, ihre Einrichtung, ihre Wirksamkeit, ihre Dauer und ihr Ende zu finden, was doch zum gründlichen Verständnis solcher Erzählungen notwendig erscheint. Diese Lücke soll nun hier in möglichster Kürze ausgefüllt und somit dem Wunsch wissbegieriger Leser auf eine unterhaltende Weise entsprochen werden.

Kaiser Ludwig der Deutsche erlaubte seinen größeren Lehnmännern die Erbauung von Burgen zum Schutz von Deutschlands Grenzen gegen die Einfälle feindlicher Völker. Diese Burgen vermehrten sich aber bald so sehr, dass sie bei den Gewalttätigkeiten der Lehnmänner selbst den Kaisern gefährlich wurden. Die Burgherren, welche wohl wussten, dass sie den Kaisern für die Zwecke des Thrones unentbehrlich waren, benahmen sich wie Unabhängige und übten daher eine Willkür der Selbsthilfe gegeneinander, welche unter dem Namen Faustrecht sechs Jahrhunderte lang alle Ordnung zerstörte.

Das Schwert wurde der einzige Schiedsrichter, wodurch bald eine Verwirrung aller Verhältnisse und eine Schutzlosigkeit der Unbewehrten, eine frevelhafte Nichtachtung der heiligsten Verträge und selbst der Vorrechte geheiligter Stätten entstanden. Nach dem damaligen Zeitgeist war es nur der Kirche möglich, einen Versuch zur Abhilfe mit Aussicht auf einigen Erfolg zu machen. Von Burgund aus, wo die Gräuel des Faustrechtes am heftigsten wüteten, geschah der erste Schritt dazu. Mehrere burgundische Bischöfe machten einen Brief bekannt, der an vier Tage in der Woche, einschließlich des Sonntags, alle Privatfehden untersagte, sodass nur drei Tage dem wilden Ritter für seine blutigen Gerichte, die er über den wirklichen oder vorgeblichen Beleidiger halten wollte, übrig blieben, und nach welchem Kirchen, milde Stiftungen und landesherrliche Schlösser verschont sein sollten.

Kaiser Konrad II. genehmigte 1038 die Vorschriften dieses Briefes, den man Gottesfriede nannte, und es schien auch ein milderer, rechtlicher Geist walten zu wollen, besonders da das Ritterwesen mehr veredelt und ein Gesetzbuch für dieses errichtet wurde, worin jedem, der ehrloser Fehde schuldig war, die Turnierschranken verschlossen blieben. Aber die schwache, kraftlose Herrschaft mehrerer Kaiser vernichtete bald alles frühere Gute wieder. Ungeachtet des von Friedrich I. errichteten Land- und Burgfriedens, der alle Befehdungen auf dreitägige Vorankündigung beschränkte, ungeachtet der nach und nach entstehenden Schutz- und Trutzbündnisse, wurde doch das Faustrecht mit einer empörenden Zügellosigkeit, mit einer unbegrenzten Verhöhnung aller Gesetze wieder gehandhabt, die arbeitende Schicht von dem niederen Adel, welcher sich der Arbeit schämte, und von den Rittern, welche sich durch die Kreuzzüge oder Verschwendung zugrunde gerichtet hatten, angefallen, beraubt, misshandelt, getötet wurden.

Der kräftigen Hand des Kaisers Rudolph von Habsburg gelang es, einige Ordnung wieder herzustellen. Er zerstörte 70 Burgen oder Raubschlösser, und seine äußere Macht und innere Kraft legten der ritterlichen Zügellosigkeit eherne Fesseln an. Nach seinem Tod trat das alte Unheil wieder zutage. Die Streitigkeiten der Kaiser mit dem Päpstlichen Stuhl, das Auftreten mehr als eines römischen Königs zu gleicher Zeit und die Uneinigkeit der deutschen Fürsten erleichterten den Raubrittern wieder ihr schändliches Treiben. Albrecht II. starb, ohne einen guten Erfolg seiner großen Bemühungen erlebt zu haben. Dem edlen Kaiser Maximilian I. war es vorbehalten, auf dem Reichstag zu Worms am 7. August 1495, dem unvergesslichen Festtag Deutschlands durch die Einführung des ewigen Landfriedens das Faustrecht mit einem Mal aufzuheben. Alle Fehden wurden darin bei Strafe der Reichsacht und bei 2000 Mark reinen Goldes, auch bei Verlust aller Vorrechte, Lehensgüter und anderer Ansprüche im ganzen Reich und auf ewig verboten. Gleicher Strafe verfiel jener, der einen Landfriedensbrecher beherbergen oder auf andere Art ihm förderlich sein würde.

Dagegen wurde am selben Tag eine Kammergerichtsordnung bekannt gegeben. Das Kammergericht sollte über alle Streitigkeiten zwischen den Ständen entscheiden. Ihm war die Aufsicht über die Aufrechthaltung des Landfriedens, die Bestrafung der Übertreter übertragen. Dieser Gerichtshof trat an die Stelle des sonst stets gezückten Schwertes. Der Reichstag im Jahre 1512, welcher Deutschland eine neue, zweckmäßigere Gebietseinteilung gab, verschaffte dadurch dem Landfrieden eine noch festere Dauer.

Zur Zeit, als das Faustrecht im ärgsten Schwunge war, hatten die Gerichte, welche die Bischöfe oder die königlichen Kommissarien hielten, alle Macht und alles Ansehen verloren. Niemand konnte bei ihnen sein gutes Recht finden, weil sie ihre Aussprüche nicht zu vollziehen vermochten. Nach dem Fall Heinrichs des Löwen (1182), nach der Auslösung des Herzogtums Sachsen, erhielt der Erzbischof von Köln von Heinrichs Ländern Engern und Westfalen unter dem Namen eines Herzogtums. Damals entstanden die heimlichen Gerichte, oder, wie sie sich selbst nannten, Freigerichte, westfälische Gerichte, Femegerichte, von dem alten sächsischen Wort verfemen, das so viel als verbannen, verfluchen, ächten bedeutet. Während der allgemeinen Verwirrung in Deutschland verschafften sie sich ein furchtbares Ansehen, welches die Kaiser in der Folge dadurch vergrößerten, dass sie selbst diese Freigerichte bisweilen zu ihren Absichten benutzten, um mächtige Adlige dadurch zu schrecken. Wo Gewalt alles und Recht nichts galt, konnten diese heimlichen Gerichte allerdings bisweilen wohltätige Wirkungen hervorbringen. Vor ihrem Urteilsspruch, der plötzlich erschien und vollzogen wurde, musste selbst der kühnste Frevler zittern.

Aber diese Gerichte arteten in der Folge aus, banden sich nicht mehr an Gesetze und Vorschriften, und das Geheimnis, in das sie sich hüllten, diente zuletzt nur dem Eigennutz und der Bosheit zum Deckmantel. Ihre eigentlichen Sitze waren in Westfalen. Es gab sie auch in Niedersachsen und selbst in einigen andern deutschen Provinzen, doch in diesen nur auf einen gewissen Bezirk eingeschränkt. Am berühmtesten und furchtbarsten waren die heimlichen Gerichte im 14. und 15. Jahrhundert. Der Vorsitzer dieser nannte sich Freigraf – Grafen hießen in früheren Zeiten jene, welche in den Gauen im Namen des Königs Recht sprachen. Seine Beisitzer, die bei den Urteilen abstimmten und sie vollzogen, hießen Freischöffen, ihre Sitzungen Freidinge und der Ort der Sitzungen der freie Stuhl. Die Zahl der freien Schöffen in allen Gauen und Städten Deutschlands betrug hunderttausend, wodurch sich ihr gewaltiges und furchtbares Ansehen erklärt.

Die Freischöffen erkannten sich an gewissen Zeichen und Losungen und wurden deshalb Wissende genannt. Ein furchtbarer Eid band sie, welche gelobten: »Die heilige Feme halten zu helfen und zu verhehlen vor Weib und Kind, vor Vater und Mutter, vor Schwester und Bruder, vor Feuer und Wind, vor allem, was die Sonne bescheint, der Regen netzt, vor allem, was zwischen Himmel und Erde ist.«

Wenn also die beiden schwarzen Männer dem Ritter Kurt gestanden, dass sie Wissende seien, so brachen sie ihren Eid, aber nur aus Angst und um ihr Leben vor dem Rasenden zu schützen, der sie als vermummte Räuber töten konnte, um sein eigenes, vermeintlich von ihnen bedrohtes Leben zu sichern.

Die Mitglieder der heimlichen Gerichte erkannten den Kaiser als ihr Oberhaupt an und machten ihn aus diesem Grunde meistens bei seiner Krönung in Aachen zum Mitwissenden. Die Aufnahme sollte nach strenger Regel nur auf roter, das heißt westfälischer Erde geschehen, daher sie sich auch Brüder der roten Erde nannten.

Die Sitzungen des Gerichtes waren öffentliche und heimliche, jene bei Tage, unter freiem Himmel, diese bei Nacht in einem Walde oder in unterirdischen verborgenen Orten. Sie richteten über die Verbrechen der Ketzerei, Zauberei, Notzucht, des Diebstahls, Raubes und Mordes. Die Anklage geschah durch einen Freischöffen, der, ohne weiteren Beweis zu führen, durch Ablegung eines Eides versicherte, dass der Angeklagte das Verbrechen wirklich begangen habe.

Der Angeklagte wurde nun dreimal vor das heimliche Gericht geladen, indem man die Ladung insgeheim an die Tür seiner Wohnung oder in deren Nähe heftete, der Ankläger blieb unbekannt. Wenn der Angeklagte auf die dritte Ladung nicht erschien, so wurde er in einer feierlichen Sitzung des Gerichtes, die man die heimliche Acht nannte, noch einmal vorgeladen, und wenn er auch dieses Mal ausblieb, verfemt, nämlich den Freischöffen Preis gegeben. Der erste Freischöffe nun, der den Angeklagten traf, knüpfte ihn an einem Baum auf, nicht an einem Galgen, zum Zeichen, dass der Freischöffe es getan hatte. Wehrte sich der Verurteilte, so hatte der Freischöffe das Recht, ihn niederzustoßen. Sie legten dann ihr Messer neben den Körper, ebenfalls um anzuzeigen, dass es kein Mord, sondern die von einem Freischöffen vollzogene Strafe wäre. Der Freischöffe, der einem Verurteilten einen geheimen Wink zu seiner Rettung gab, wurde selbst mit dem Tode bestraft.

Die heimlichen Gerichte, welche die Gründe ihrer Urteile nie bekannt machten, nie von der Ausübung ihrer Gewalt Rechenschaft geben wollten, und, ohne den Angeklagten zu hören ihres Urteils auf meuchelmörderische Weise vollziehen ließen, sind ein ewiger Schandfleck in der deutschen Geschichte.

Das letzte Femegericht wurde 1568 bei Zelle abgehalten.