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Die Kinderhexe

Kathi lebt in Würzburg zurzeit des 30-jährigen Krieges. Der Stadt könnte es trotz der Kriegswirren gut gehen, wäre da nicht die ständige Angst vor der Bedrohung durch Hexen und Zauberer, die versuchen, gute Christenmenschen von ihrem Erlöser fortzureißen. Die Hexenkommissare haben alle Hände voll zu tun und Brandtag reiht sich an Brandtag. Für Kathi selbst gehören die brennenden Scheiterhaufen mittlerweile fast schon zum Stadtbild und so lebt das zehnjährige Mädchen in den Tag hinein, stets bemüht, der strafenden Rute ihres Lehrmeisters, des Apothekers Grein, zu entkommen.

Doch alles ändert sich, als die Hebamme und Ziehmutter Kathis, die alte Babette, als Hexe bezichtigt und schließlich getötet wird. Kathi überlegt, wie sie es denen, die ihrer alten Amme das angetan haben, heimzahlen kann. Und so kommt sie auf einen Gedanken, der an Wahnwitz kaum zu überbieten zu sein scheint. Sie und ein anderes Mädchen, das in einer unglücklichen Liebe zu einem Ratsherrn der Stadt gefangen scheint und alles daransetzen will, dessen Gattin loszuwerden, erklären, sie wären mit der Hexe Babette geflogen und hätten Bürger der Stadt beim Tanz mit dem Teufel gesehen. Immer mehr Menschen werden der Hexerei und des Bündnisses mit dem Gehörnten bezichtigt, bis Kathi plötzlich einen Rückzieher macht und widerruft.

Alles scheint wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen, doch Kathi hat nicht mit dem Ehrgeiz der Hexenkommissare und der kirchlichen Oberhäupter gerechnet. Und droht ihr schließlich selbst das Schicksal, das sie den Mördern ihrer Amme zugedacht hatte, der Tod auf dem Scheiterhaufen.

Roman Rausch beweist hier in vielen Kleinigkeiten seine Liebe zum Detail, indem er den Leser in diese Großstadt der Kriegszeit eintauchen lässt und ihn die Nöte und Sorgen, den Hass und die Liebe, die Verzweiflung und die Angst seiner Hauptfiguren bis ins kleinste plastisch dargestellt spüren lässt. Dabei beschreibt er das Leben der Menschen ebenso eingehend, wie die Folterpraktiken der Hexenjäger, was zuweilen durchaus makaber anmutet. Letztlich ist es sein erfrischend offener Erzählstil, der den Leser von der ersten Seite an, an die Geschichte fesselt und ihn erst wieder loslässt, wenn er weiß, was nun wirklich mit der kleinen Kathi geschieht. Dabei malt Rausch seine Figuren nicht schwarz/weiß, sondern lässt durchaus auch Zweifel an den Taten und Absichten seiner Hauptfiguren zu, sodass sie vor allem eines werden: menschlich.

Das Buch ist als Taschenbuch bei Rowohlt (rororo) erschienen und zeigt ein Bild des alten Würzburg. Davor sieht der Betrachter das Bild eines Mädchens, das durchaus die junge Kathi sein könnte. Der rote Vorhang, der sich über die Szene zu legen scheint und das Feuer, dass scheinbar dabei ist das Bild vom Cover des Buches zu tilgen, passen wunderbar in die Atmosphäre, die das Buch vermitteln will. Einzig ein Nachwort, dass dem Leser Aufschluss über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt der Geschichte geben könnte, fehlt. So wirkt das Werk am Ende etwas unvollständig, was den Gesamteindruck aber nur leicht schmälern kann.

Fazit:
Ein gelungener historischer Roman, der durch Liebe zum Detail und geschickt gestaltete Hauptfiguren besticht. Allein die Tatsache, dass man zuweilen das Gefühl hat, dass der Autor mit der Zahl der Anklagen und Anklagepunkte hier und dort etwas übertreibt, schmälert das Lesevergnügen leicht. Ein Nachwort hätte hier für Klarheit sorgen können. Wer sich jedoch davon nicht abschrecken lässt, wird hier einige schöne Stunden nahezu uneingeschränkten Lesevergnügens genießen können.

Copyright © 2012 by John Poulsen

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Roman Rausch
Die Kinderhexe

Rowohlt, Reinbek
Dezember 2011
384 Seiten, 8,99 €
ISBN: 978-3-499-25710-0