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Der Welt-Detektiv Band 6

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Starke Frauen V

Mary Jemison, der weiße Engel der Seneca

Als sich Anfang des Jahres 1743 ein Passagierschiff von Nordirland aus kommend einen Weg durch die sturmgepeitschten Fluten des Atlantiks hindurch nach Amerika pflügte, ahnte niemand, dass an Bord der William and Mary während der Überfahrt ein Kind zur Welt kommen sollte, welches bis heute in der amerikanischen Pioniergeschichte unvergessen ist.

Mary Jemison, die Tochter von Thomas Jemison und Jane Irwin erblickte das Licht der Welt, kurz bevor die Familie im Hafen von Philadelphia zum ersten Mal in ihrem Leben amerikanischen Boden betrat.

Dort schloss man sich anderen schottisch-irischstämmigen Protestanten an und zog gemeinsam mit ihnen nach Westen, um im Zentrum von Pennsylvania auf einem Landstrich zu siedeln, der auf einem Gebiet lag, das bis dato die Iroquois Confederacy für sich in Anspruch nahm.

Die ersten Jahre waren hart und entbehrungsreich, doch irgendwie schafften es die Auswanderer immer wieder zu überleben. Bis zu jenem Tag, als das Gespenst des siebenjährigen Krieges zwischen England und Frankreich auch ihr friedliches Tal erreichte.

Am Morgen des 5. April 1755 überfielen sechs Shawnee und vier französische Soldaten und Waldläufer das Gehöft der Jemisons, erschlugen und skalpierten Marys Eltern und einen Nachbarjungen, der zu Besuch auf der Farm weilte, und nahmen das damals zwölfjährige Mädchen gefangen. Ihren beiden Brüdern gelang auf eine bis heute nicht geklärte Weise die Flucht.

Die Mörder ihrer Eltern verschleppten Mary bis nach Fort Duquesne, in der Nähe der heutigen Stadt Pittsburgh, das damals unter französischer Kontrolle war.

Dort verkauften sie Mary an zwei Seneca-Frauen, die vor Kurzem ihren Bruder verloren hatten. In einer heidnischen Prozession verbrannten die Frauen ihre Kleider und gaben ihr den Namen De-he-wä-mis, was soviel bedeutete wie Zwei Stimmen. Erst viel später sollte Mary erfahren, dass das Verbrennen ihrer Kleider ein Zeichen dafür war, dass man ihr Leben verschonte und sie in den Stamm aufnahm, mit dem Ziel, dass sie den Seneca neue Krieger gebären sollte.

Es dauerte lange, bis sich Mary in ihr Schicksal fügte. Die Bilder vom Tod ihrer Eltern und des Farmerjungen wirkten viele Jahre nach. Erst als sie herausfand, dass man sie als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft ansah und ihr den gleichen Respekt wie einer echten Seneca entgegenbrachte, öffnete sie sich und begann ihr neues Leben zu akzeptieren.

Als sie alt genug war, um zu heiraten, gab sie dem Werben eines Delawaren namens Sheninjee nach, der in ihrem Dorf lebte. Als ihr gemeinsames Kind Thomas kräftig genug war, folgte sie ihrem Mann in dessen Heimat, obwohl sein Dorf fast siebenhundert Meilen entfernt im Segahunda Valley im heutigen Staat New York lag.

Ihr Marsch wurde zu einer einzigen Qual.

Im Jahr ihrer Abreise aus dem Senecadorf hielt der Winter bereits im Spätherbst mit Schneestürmen und eisiger Kälte Einzug ins Land.

Sheninjee starb bei dem Versuch, Fleisch für seine Familie zu jagen.

Obwohl Mary daraufhin gezwungen war, allein mit ihrem Baby in der Wildnis zu überleben, suchte sie nicht die Siedlungen der Weißen auf.

Stattdessen beschloss sie das Dorf ihres verstorbenen Mannes zu erreichen. Nach einem wahren Gewaltmarsch und unter unmenschlichen Strapazen kroch sie mehr als sie denn lief auf das Dorf zu, wo sie unter großer Anteilnahme von ihren indianischen Verwandten auf das Herzlichste empfangen wurde.

 

***

 

Trotz ihres harten Schicksals, der Geburt ihres Sohnes und all den anderen Entbehrungen war Mary Jemison immer noch eine attraktive Frau. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie in Hiokatoo, einem angesehenen Häuptling, schon bald wieder eine neue Liebe fand, dem sie im Laufe der Jahre nach der Geburt ihrer Tochter Nancy noch fünf weitere Kinder schenkte.

Mary Jemison war inzwischen längst zu einer Indianerin geworden.

Ihr Wunsch zu fliehen und zu den Weißen zurückzukehren, wurde mit jedem Jahr und jedem Kind, das sie aufzog, schwächer.

Aber das Leben in jenen Pioniertagen war für eine Frau wie sie einfach zu hart, um auf lange Dauer gesehen Glück zu bringen. Der Druck der weißen Siedler wurde immer größer. Als sie von dem bevorstehenden Unabhängigkeitsbestreben der Amerikaner gegenüber der britischen Besatzungsmacht erfuhr, ahnte sie, dass sich auch die Indianer irgendwann entscheiden mussten. Was sie nicht ahnte, war der Umstand, dass sich der Clan ihres Mannes und die anderen Seneca fatalerweise für die Seite der Engländer entschieden.

Voller Wut schickte George Washington daraufhin seinen General John Sullivan ins Land der Seneca. Dessen Armee pflügte einem Sturmwind gleich einen Pfad der Vernichtung und des Todes durch die Jagdgründe der Indianer.

Als die Überlebenden zum Fort Niagara flüchteten, schlug die Furcht aufseiten der Indianer in blankes Entsetzen um. Die verbündeten Engländer ließen sie nicht ins Fort, der Winter stand vor der Tür und die Vorräte waren zu knapp.

Die Indianer waren gezwungen, den Winter vor den Palisaden des Forts zu verbringen und verhungerten und erfroren in den Winterstürmen. Hiokatoo war einer der Krieger, die dem qualvollen Sterben durch Erfrierungen und Verhungern lieber dem Tod im Kampf vorzogen.

Mary Jemison, die innerhalb weniger Jahre bereits zum zweiten Mal zur Witwe geworden war, wählte nach dem Tod ihres Mannes einen anderen Weg, als die meisten Leute ihres Volkes.

Sie blieb mit ihren drei überlebenden Söhnen im Segahunda Valley und half auf einer Farm bei der Arbeit. Der in Naturalien ausbezahlte Lohn half ihr beim Überleben.

Als die Seneca von den im Unabhängigkeitskrieg siegreichen Amerikaner in Reservate gedrängt wurden, kehrte sie zu ihnen zurück. Schon bald erkannte sie, dass im Reservat die Kultur und Tradition der Indianer verkam.

Alkohol wurde zum Seelentröster.

Alkohol war es auch, der bis 1823 allen ihren Söhnen das Leben kostete.

Trotzdem steckte Mary den Kopf nicht in den Sand und wurde stattdessen zu einer engagierten Vermittlerin zwischen Seneca und Weißen.

Als sie im September 1833 für immer die Augen schloss, hatte sie sich längst den Respekt beider Völker erworben.

1910 kreierte Henry Kirke Bush-Brown ein überlebensgroßes Denkmal von Mary Jemison, das man noch heute im Letchworth State Park in Castile, einer kleinen Stadt im County Wyoming, New York, bewundern kann.

Quellen:

  • Deborah Larsen: The White. Knopf Doubleday Publishing Group. New York. 16. Juli 2002.
  • June Namias: White Captives Gender and Ethnicity on the American Frontier. The University of North Carolina Press. Chapel Hill, NC. 1. April 1993.
  • Thomas Jeier: Das große Buch der Indianer: Die Ureinwohner Nordamerikas. Carl Ueberreuther Verlag. Wien. 2008

(gs)