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Große Schurken – Dr. Mabuse I

Die Geschichte des Bösewichts Dr. Mabuse – Teil 1

Er war ein wahres Genie des Bösen, ein Schuft auf Augenhöhe eines Fu-Manchu oder eines Ernst Stavro Blofeld. Seine kriminelle Karriere hielt von den Unruhen während der Weimarer Republik über mehrere Jahrzehnte an. Sogar der Tod selbst konnte ihn nicht aufhalten. Dr. Mabuse, ein hoch angesehener Arzt, ein wahnsinniges Genie und ein hervorragender Hypnotiseur, der stets bestrebt ist, die Welt in ein Chaos und in eine Ära des Verbrechens zu tauchen.

Mabuse ist das geistige Produkt des Autors Norbert Jacques, der am 06. Juni 1880 in Luxemburg geboren wurde. Nachdem er Rechtswissenschaften an der Universität von Bonn studiert hatte, arbeitete er als Journalist und reiste um die Welt. Seine gesammelten Erfahrungen nutzte er, um Reiseberichte und Abenteuerromane zu schreiben. Sein erster Roman Funchal erschien 1909 im S. Fischer Verlag Berlin. Es folgten eine Reihe anderer Romane in verschiedenen Genres. War Norbert Jacques dadurch ein Autor für die breite Masse? Er selbst bestritt vermutlich diesen Anspruch. Schließlich schrieb er nicht nur für die deutsche Leserschar. Seine Romane wurden als Fortsetzungen in seriösen Tageszeitungen veröffentlicht. Und Jacques war wohl kaum ein Schreiberling, obwohl ihn sogar Thomas Mann aufgrund seiner Fähigkeiten als Autor lobte. Dennoch werden viele seiner Arbeiten als trivial empfunden. Dies gilt insbesondere für den Roman Dr Mabuse the Gambler (Dr. Mabuse, der Spieler), welcher den Autor Norbert Jacques berühmt gemacht hat. Zwischen 25. September 1921 und 29. Januar 1922 wurde das Werk als Fortsetzungsroman in der deutschen illustrierten Wochenzeitschrift BIZ (Berliner Illustrierte Zeitung) veröffentlicht.

Anfang der 20er Jahre herrschte in Deutschland eine Zeit politischen und sozialen Aufruhrs vor. Die Weimarer Republik, die wie Phönix aus der Asche des alten deutschen Kaiserreiches emporgestiegen war, erwies sich als sehr instabil und fand beim Großteil der Bevölkerung kaum Unterstützung. Die Menschen waren wahlmüde geworden, die Mehrheiten im Reichstag veränderten sich alle paar Monate. In den Straßen gab es sowohl linke als auch rechte Ausschreitungen und kleinere Aufstände. Die Inflation erreichte unglaubliche Höhen, Dinge des täglichen Bedarfs kosteten Unsummen. So musste man für ein Pfund Rindfleisch Ende September 1923 50 bis 68 Millionen, für ein Pfund Butter 100 Millionen und für ein Ei 9 Millionen Mark bezahlen. In den Großstädten wie Berlin entwickelte sich ein aktives Nachtleben mit all den damit verbundenen Problemen. Die Geschäfte mit Prostitution, Glücksspiel und Drogenhandel blühten auf, manch alte moralische Fessel wurde über Bord geworfen. Es herrschte ein soziales Klima vor, wie es Mabuse haben wollte.

Der Roman beginnt mit dem jungen Staatsanwalt Von Wenk, der eine Reihe von Glücksspielbetrügereien untersucht, die den Grafen Told und seine Frau in den Ruin geführt haben. Die Spur führt zu einem kriminellen Syndikat unter der Leitung von Dr. Mabuse.
Tagsüber ist Mabuse ist ein angesehener Psychologe. Psychoanalyse war damals noch nicht so populär und wurde von vielen Menschen mit Misstrauen betrachtet. Norbert Jacques gab seiner Hauptfigur den Namen »Mabuse« nach dem niederländischen Maler Jan Gossaert, der sich selbst bei seiner Immatrikulation bei der Gilde des heiligen Lucas 1503 in Antwerpen den Künstlernamen Jan Mabuse nach seinem Heimatort Maubeuge gab. Nachts steuert und kontrolliert der Protagonist die kriminellen Aktivitäten, die von Glücksspielbetrug über Prostitution, Drogenhandel, Fälschung bis hin zum Mord reichen. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme in Deutschland in jener Zeit verwundert es nicht, dass Mabuse auch seinen Blick auf die Wirtschaft richtete. Er organisierte Markteinbrüche und Inflationen, um das Chaos und die Herrschaft des Verbrechens zu erschaffen. Der Glaube, dass die Inflation Anfang der 1920er Jahre von ruchlosen Mächten hervorgerufen wurde, war damals eine populäre Verschwörungstheorie. Mabuses Wahnsinn reichte so weit, dass er unter allen Umständen sein eigenes Königreich Eitopomar im Amazonasdschungel gründen wollte. Da kamen ihm seine hypnotischen Kräfte, um seine Opfer steuern zu können, gerade recht und machten ihn so gefährlich. Nur Von Wenk erwies sich gegen diese Kräfte immun und konnte als Einziger etwas gegen Mabuse und seine Organisation unternehmen. Von Wenks Entschlossenheit verstärkte sich, als er seine Liebe zur Tänzerin Cara Carozza entdeckte.

Kritiker unserer Zeit sind sich nicht sicher, was sie von diesem Roman halten sollen. Dr Mabuse the Gambler ist ein zutiefst konservativer Text. Verkörpert der aristokratische Staatsanwalt Von Wenk das alte Deutsche Reich, umringt von einer neuen Republik mit all dem Laster, was in ihr hervorgebracht und durch Dr. Mabuse symbolisiert wird? Oder handelt es sich um einen sehr prophetischen Roman mit einem Mabuse als eine diktatorische Figur? Eines ist jedoch klar: Obwohl er als ein Bösewicht dargestellt wird, ist Mabuse der eigentliche Star des Romans.

Norbert Jacques war mit Thea von Harbou gut befreundet, welche als Drehbuchautorin für die deutschen Film-Produktionsfirma UFA gearbeitet hatte. Thea von Harbou stellte Jacques ihrem Ehemann, Regisseur Fritz Lang, vor. Lang hatte gerade seinen ersten großen Erfolg mit dem Dschungelabenteuer Das indische Grabmal (1921) und war auf der Suche nach einer neuen Thematik. Thea von Harbou schlug eine Adaption von Dr Mabuse the Gambler vor, die am 26. Mai 1922 uraufgeführt wurde. Die Rolle des Dr. Mabuse übernahm Rudolf Klein-Rogge. Kenner der Fritz-Lang-Filme wissen, dass Klein-Rogge bereits in Metropolis als verrückter Erfinder C.A. Rotwang zu sehen war. Berhard Goetzke schlüpfte in die Rolle des Von Wenk. Die norwegische Schauspielerin Aud Egede Nissen spielte die Tänzerin Cara Carozza. Etwas überschattet wurde der Film durch den weitaus bekannteren Film Metropolis. Dennoch gehört Dr Mabuse the Gambler zu den Glanzstücken deutscher Stummfilme und kann als Vorläufer für M, Langs Meisterwerk aus dem Jahr 1931 über die Jagd nach einem Serienmörder, angesehen werden.
Der Film hielt sich an die Vorlage des Romans. Der einzige Unterschied liegt in der Gestaltung des Endes. Im Roman wird Mabuse getötet. Die letzten Sequenzen des Films zeigen Mabuse in seinem Versteck, mit Geld spielend, völlig verrückt. Dieses Filmende hat eine weitaus unheimlichere Atmosphäre als die »saubere« Art des Romans. Die Möglichkeit, eine Fortsetzung zu bringen, blieb somit offen. Angesichts der Erfolge von Roman und Film war diese unvermeidlich.

Quelle:

  • Günter Scholdt: Der Fall Norbert Jacques: Über den Rang und Niedergang eines Erzählers (1880-1954). Akademischer Verlag Heinz. Stuttgart. 1976

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