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Im Gespräch mit Sebastian Fitzek zu seinem Roman »Der Augensammler«

Geisterspiegel: Hallo Sebastian, ich begrüße dich ganz herzlich hier in Gießen, in meiner Heimatstadt nicht, aber meiner Wahlheimat, und ich freu mich, dass du den Weg hierher gefunden hast zur Lesung.

Sebastian Fitzek: Ich auch.

Geisterspiegel: Ich habe ein paar Fragen zu deinem aktuellen Buch. Legen wir einfach los. Der Augensammler ist deiner Meinung und die der meisten Leser nach dein bisher bestes Buch. Was macht aus deiner Sicht den Unterschied zu deinen anderen Romanen aus, was ist der entscheidende Unterschied, der es besser macht?

Sebastian Fitzek: Zunächst einmal, dass es mein sechstes Buch ist und es ist tatsächlich so, dass man nur durch Schreiben besser wird. Man wird übrigens auch nur dadurch besser, dass man Fehler macht. Und es gibt kein perfektes Buch, glaub ich, jedenfalls nicht von mir. Vielleicht hat es jemand anderes geschrieben, aber bei mir weiß ich immer sofort, nein nicht sofort, ich weiß nach einigen Monaten, einem halben Jahr, was ich anders machen würde. Und dann probiere ich tatsächlich auch mithilfe der Leser und der Leserinnen, die mir E-Mails schreiben, Kommentare dazu geben, positive wie negative, konstruktive, dass ich von Mal zu Mal besser werde. Und das gelingt manchmal, und manchmal auch nicht, aber es liegt immer im Auge des Betrachters. Aber wenn ich selber mich als Leser sehe, dann würde ich sagen, hier habe ich zum ersten Mal Figuren geschaffen, die auch noch mehr hergeben als nur für ein einziges Buch. Am Ende meiner anderen Bücher fand ich, waren meine Figuren dann in der Regel entzaubert. Das ist nicht negativ, sondern es ging ja darum, ein Geheimnis zu lösen und wenn das Geheimnis gelöst war, waren die Figuren für mich nicht mehr so interessant. Das ist hier zum ersten Mal anders. Und ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass es besser ist, aber es ist auf jeden Fall anders und es leitet etwas Neues ein und das find ich immer gut, wenn was Neues kommt.

Geisterspiegel: In meiner Rezension schrieb ich, dass meine Erwartungen zu hoch waren. Allerdings muss ich zugeben, die Raffinesse des Romans »Der Augensammler« war um einiges höher. Rückwärtsnummerierung, verwirrende Theorien, Unstimmigkeiten bei Alinas Visionen usw. Für die meisten Leser ein grandioses Zusammenspiel, für mich zu viel des Guten. Wie siehst du das nun nach Erscheinen des Buches, würdest du es wieder genauso aufbauen oder kamen dir im Nachhinein Zweifel an der Richtigkeit der Fülle von Hinweisen auf die Auflösung des Rätsels?

Sebastian Fitzek: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass man immer, wenn man Bücher schreibt so wie ich, die Rätsel sind, dann muss man Hinweise zur Lösung dieses Rätsel geben. Es gibt einige Romane, die das nicht tun. Da ist man dann am Ende völlig platt über das Ergebnis, aber man wäre auch ums Verrecken nie drauf gekommen. Und das ist eher unbefriedigend, als wenn, ich sag mal 10 Prozent der Krimiaffinen, es ahnen. Das ist auch schon bei der Therapie so gewesen und mir ging es so im Film »The Sixt Sense«. Ich saß da und ich wusste relativ schnell, worauf es hinausläuft. Ich fand es am Ende toll, dass ich es gewusst habe, aber es gibt ja auch solche, die es toll finden, und andere sind enttäuscht und sagen, das ist irgendwie blöd. Wie bei »Angel Heart« oder bei »Shutter Island« oder sowas, wo die Leute sehr schnell wissen, worauf läuft es hinaus, aber … man muss diese Hinweise geben, muss sie auch sehr deutlich geben. Denn nichts ist schlimmer, als wenn man am Ende getäuscht ist und nicht sagen kann, ach Gott, von Anfang an stand es doch glasklar fest. Und 80 Prozent der Leser schaffen das und 20 Prozent der Leser nicht. Damit muss ich leider leben. Ich würde es also, was die Hinweise anbelangt, immer genauso machen. Das Einzige, was ich anders machen würde, ich würde vorn ein Disclaimer schreiben, dass das Buch ganz normal zu lesen ist, von vorne nach hinten, auch wenn es rückwärts nummeriert ist, weil ich mir nie geträumt hätte, dass so viele Menschen erstmal nach hinten blättern wegen der Seitenzahl. Es ist technisch unmöglich, dieses Buch von hinten zu lesen, und trotzdem haben es einige probiert.

Geisterspiegel: Wir hatten da auch einige diverse Kundenreklamationen …
Alle Themen, die du in deinen Romanen verarbeitest, bergen traurigerweise ein Stück Realität. Gab es auch für den Augensammler wieder ein reales Vorbild und wenn, wie viel von dieser Realität findet sich in dem Roman wieder?

Sebastian Fitzek: Für das Thema auf jeden Fall gibt es ein reales Vorbild. Das Thema hat ja viel mit Vernachlässigung zu tun, Vernachlässigung speziell von Vätern gegenüber ihren Kindern und ich ertappe mich selbst dabei, dass ich, obwohl ich noch kein Kind habe, manchmal die Prioritäten falsch setze. Dass ich beispielsweise im Urlaub im Hotelzimmer bleibe, um E-Mails zu checken, anstatt mich um wichtigere Dinge zu kümmern. Das war dieses Grundthema, was auf jeden Fall ich mir wahrscheinlich selbst von der Seele geschrieben habe. Aber ansonsten … es ist immer eine Urangst, grad bei mir, eines werdenden Vaters, dass Kinder eben verschleppt werden, aus welchem Grund auch immer.
Und ich schreibe mir meine Ängste von der Seele und therapiere mich damit, stülpe meine Alpträume anderen über, kann selbst dann ganz befreit durch die Gegend gehen …

Geisterspiegel: Die anderen können nicht schlafen …

Sebastian Fitzek: Ja, dann hoffe ich, dass die anderen nicht schlafen können, vor allem hoffe ich aber, dass meine Realität nicht Wirklichkeit wird, wobei ich glaube, dass die Realität leider oftmals sehr viel grausamer ist als das, was ich aufschreibe. Leider.

Geisterspiegel: Das ist vorstellbar, ja, man muss nur in die Zeitung gucken.

Sebastian Fitzek: Genau. Da muss man nur »Der Totenleser« von Michael Tsokos lesen, gerade erschienen. Das ist die Realität. Er ist Rechtsmediziner. Wenn man dann hört, wie er ein siebenjähriges vergewaltigtes Mädchen, was ermordet wurde, in einem Pappkarton angeliefert bekommt in der Rechtsmedizin … Das kann man nicht so einfach wieder zurück ins Regal stellen und sagen, es ist ja nur Fiktion. Es ist Realität. Viel härter, als was ich beschreibe.

Geisterspiegel: Wie recherchiert man als Autor, wie lange die Luft in einem Gefängnis wie z. B. einem Fahrstuhl oder Kühlschrank reicht? Du hast dir das ja anhand der 7 Minuten nicht gerade leicht gemacht.

Sebastian Fitzek: Nein, aber ganz ehrlich habe ich hier eine gewisse künstlerische Freiheit. Wie lange die Luft nämlich reicht, ist immer davon abhängig, wie viel der Mensch, der da drin ist, verbraucht. Wie er atmet, wie schnell er atmet und es hängt von den Temperaturen ab … Man kann es nur Pi mal Daumen sagen und da kann man auch ein bisschen künstlerische Freiheit walten lassen.

Geisterspiegel: Apropos 7 Minuten … In »Splitter« gibt es einen Hinweis auf den Augensammler, dort beträgt die Zeitpanne zum Auffinden der Kinder 72 Stunden, im Roman dann 45 Stunden und 7 Minuten. Die Differenz erkläre ich mir mit dramaturgischen Gründen, aber warum wurde das in späteren Auflagen von »Splitter« nie geändert?

Sebastian Fitzek: Es hätte in »Splitter« geändert werden können, aber ehrlich gesagt ist das etwas, wo … also ich mag es, auf diese Unstimmigkeit hingewiesen zu werden, weil es eindeutig zeigt, dass Menschen sich mit meinem Buch auseinandergesetzt haben. Und ich halte nichts davon, jetzt dieses Buch einfach nochmal rückwirkend zu ändern. Dann haben Leute verschiedene Ausgaben, in denen Verschiedenes drin steht. Also ich habe es nicht für so notwendig erachtet. Der Augensammler hat einfach seine Methode etwas geändert und das beweist eindeutig auch, dass ich nicht an zwei Büchern parallel schreibe. Ich hab manchmal Ideen im Kopf und lass die miteinander verflechten, aber am Ende entwickelt die Geschichte ihre eigene Dynamik. Ich bin nicht mehr Herr meiner Geschichten und das ist eigentlich der eindeutige Beweis dafür, dass ich nicht vorm Reißbrett arbeite, sondern am Ende läuft die Geschichte zum Glück doch anders, als ich denke.

Geisterspiegel: Das finde ich eine gute Erklärung.
Alina als blinde Protagonistin hat mir als Leser ein wenig die Augen geöffnet. In vielen Details erläuterst du den Alltag blinder Menschen, ihre Probleme, die sich ein Sehender gar nicht vorstellen kann, weil es für ihn selbstverständlich ist. Zum Beispiel die Farbauswahl der Kleidung und solche Sachen.
Über die Recherchearbeit schreibst du ausführlich in deiner Danksagung. Doch wie sah es zur Zeit der Recherche in dir selbst aus? Was hast du empfunden? Wie hat es gewirkt auf dich?

Sebastian Fitzek: Ja, das ist vielleicht der Grund, warum ich dieses Buch tatsächlich für anders und damit für besser halte. Gerade in der Figur von Alina begründet, weil beim Schreiben ist es mir unglaublich schwergefallen, gerade am Anfang, mich in diese Figur hineinzuversetzen. Es ist nämlich nicht so, dass man einfach die Augen zumachen kann und dann weiß man, okay, es ist schwarz und dunkel, so ist es eben, wenn man blind ist. Schon gar nicht kann man sich das vorstellen, wie es ist, wenn man noch nie etwas im Leben gesehen hat. Oder wie Alina nur sehr wenig, weil sie im Alter von drei Jahren erblindet ist. Und wie ist das eigentlich, wenn man noch nie einen Tisch gesehen hat. Empfindet ein Blinder den genauso wie wir als Tisch? Sieht er ihn wie wir, hat er Bilder? Nein, hat er gar nicht. Das ist einfach ehrlich gesagt unvorstellbar sich da hineinzuversetzen und hat eine ganz lange Zeit gebraucht. Irgendwann hat es dann klick gemacht und dann hat mich diese Welt unglaublich fasziniert und der Respekt ist mit jedem Satz gewachsen, als ich dann erst einmal in dieser Figur drin war.

Geisterspiegel: Aus der Überlegung wurde nun Tatsache, du wirst eine Fortsetzung zum Augensammler schreiben. Was kannst du uns darüber schon verraten? Und findet sich wieder ein konkreter Hinweis im Augensammler, den ich »überlesen« habe?

Sebastian Fitzek: (Lacht) Nein, also nicht, dass ich wüsste. Findet sich dort nicht. Es ist tatsächlich so, dass zum ersten Mal eine Figur, wahrscheinlich auch zwei Figuren, es ins nächste Buch schaffen und diesmal nicht nur als Nebenfigur. Es ist aber keine klassische Fortsetzung. Es beginnt nicht in der Sekunde, in der »Der Augensammler« aufhört. Das nächste Buch wird »Der Augenjäger« heißen, das kann man schon mal sagen. Es wird auch nicht erst einmal nur um die eine noch offene Frage gehen, die im »Augensammler« noch offen ist, sondern es geht eigentlich um etwas ganz anderes. Es geht natürlich auch um bestimmte Punkte, die im »Augensammler« nicht geklärt sind, aber »Der Augenjäger« ist ein völlig eigenständiges Buch, handelt von einem Augenarzt, von einem sehr perfiden Augenarzt, der die kompliziertesten Operationen am Auge durchführen kann. Das macht er tagsüber und nachtsüber entfernt er seinen weiblichen Opfern alle Augenlider, bevor er sie vergewaltigt. Und das ist etwas, was sehr bedrohlich wird in diesem Buch, und es geht um diesen Augenarzt. Und es geht natürlich auch um das Thema Blindheit und auch hier hat es einen bestimmten Grund. Das ist also keine klassische Fortsetzung, wie man sie vielleicht vermuten würde daraufhin und ganz wichtig, man braucht den »Augensammler« nicht gelesen haben, um den »Augenjäger« zu verstehen.
Anders herum allerdings wird dann in jedem Falle der »Augensammler« entzaubert. Wenn man den »Augenjäger« liest, dann werden schon einige Hinweise, noch einige mehr Hinweise gegeben, sodass wenn man beides lesen will, dann sollte man mit dem »Augensammler« beginnen. Ist aber nicht notwendig, um den »Augenjäger« zu verstehen.

Geisterspiegel: Also, wie es bei »Therapie« und »Seelenbrecher« war.

Sebastian Fitzek: Beispielsweise, genau, ja. Wobei da sind die Hinweise noch ganz subtil und jemand, der den »Seelenbrecher« gelesen hat, hat vielfach trotzdem das Ende von der »Therapie« nicht verstanden.
Hier wird es dann ein bisschen deutlicher sein, weil das Trauma, das Alina erlebt, prägt sie natürlich. Das kann ich nicht einfach vernachlässigen im 2. Band und tun, als ob da nichts gewesen ist. Insofern ist es dann doch eine Fortsetzung.

Geisterspiegel: Mit der letzten Frage komme ich nochmal auf »Splitter« zurück. Der Roman wurde von den Usern des Horrorforums zum Vincent-Preis nominiert und gewann den 4. Platz. Für mich persönlich eine kleine Überraschung, doch aufgrund des Themas nachvollziehbar. Was bedeutet dir diese kleine aber feine Auszeichnung, da sie doch speziell von Horrorlesern vergeben wird?

Sebastian Fitzek: Sehr, sehr viel. Ich finde es eigentlich erst mal ganz toll, da es der Beweis dafür ist, dass man meine Bücher nicht in irgendeine Schublade stecken kann. Natürlich steht da Psychothriller drauf, weil es schon einfacher ist, dem Kind einen Namen zu geben. Aber wenn man fragt, was ist überhaupt ein Psychothriller, dann kommt man ins Schwimmen. Und das macht man eigentlich nur, um sich von dem klassischen Krimi abzugrenzen. Und das kann ich schon sagen, klassische Krimis, die ich zwar gerne lese, schreibe ich aber nicht gern. Klassische, ermittlerbezogene Romane, da geht es um einen Ermittler, meistens einen Polizisten und ländlich ist es sehr häufig, sehr landschaftsbezogen und am Ende ist es dann aber immer die Frage, wer war es. Bei meinen Thrillern geht es mir eher um das Warum, das Weshalb, das Wie.
Wer war es, wer ist der Augensammler, das ist für mich eine völlig nebensächliche Frage im Übrigen. Und beim Horror auch. Beim Horror geht darum, das Gefühl zu erzeugen. So schaben meine Bücher ja immer an der Grenze zwischen Thriller, Psychothriller und Horror und sind so genreüberschreitend. Und das finde ich das Tolle daran, dass es Horrorlesern gefällt. Das ist so eine Adelung, kann man schon sagen.

Geisterspiegel: Toll, das find ich nämlich auch.

Sebastian Fitzek: Danke sehr.

Geisterspiegel: Dann danke ich für die Beantwortung der Fragen …

Sebastian Fitzek: Ich danke.

Geisterspiegel: … und freu mich auf die Lesung.

Copyright © 2010 by Anke Brandt