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Die Gespenster – Vierter Teil – 7. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Siebente Erzählung

Einem Offizier werden durch ein geisterartiges Wesen die Pferde gebannt

Im Sommer 1760 reiste mein Vater aus den Pyrenäen nach Paris. Abends um vier Uhr hatte er Bayonne verlassen und rollte, mit drei Postpferden vor eine leichte Chaise gespannt, schnell von einer Station zur anderen. Zwischen Bayonne und Bordeaux war eine beinahe zehn Stunden lange ganz waldichte Strecke Landes, unter dem Namen les grandes landes bekannt, wo keine Dörfer an der Heerstraße dem Reisenden Zuflucht darbieten und nur die Posthäuser anzutreffen sind, wo die Pferde gewechselt werden. Den Weg durch diesen einsamen Wald sollte mein Vater in der Nacht zurücklegen. Gewohnt, viel und allein zu reisen, hatte er keinen Bedienten bei sich und fuhr unbekümmert mit seinem Postillion durch das schauerliche Gehölz. Der Himmel war mit schwarzen Wolken umhängt und alles auf der Erde in tiefe Nacht gehüllt.

Beinahe in der Mitte des Waldes und ungefähr eine Stunde von der letzten Station entfernt, blieben plötzlich die raschen Pferde stehen. Sie fingen an zu schnauben und sich zu bäumen, machten, ohne dass der fluchende Postillion es verhindern konnte, mit der Chaise rechtsum und wollten Reißaus nehmen, als hätten sie den Teufel erblickt.

Von der unsanften Bewegung aus einem leichten Schlummer aufgeschüttelt, erkundigte sich mein Va­ter nach der Ursache dieses unerwarteten Umkehrens und forderte den Postillion auf, seine Pferde besser zu führen und ihn geschwinde weiterzubringen. Der Postillion lenkte wieder ein und vergalt seinen Pferden den ihm gespielten willkürlichen Streich mit argen Peitschenhieben. Indessen sobald sie wie­der auf die Stelle gekommen waren, wo sie vorhin angefangen hatten sich zu bäumen, schnaubten und stiegen sie heftiger als zuvor und waren ungeachtet wiederholter Versuche durchaus nicht über eine gewisse Gegend des Weges hinwegzubringen. Nir­gends war in der Dunkelheit ein Gegenstand zu entdecken, der die Pferde hätte scheu machen können, nirgends regte sich etwas. Die breite Poststraße zog sich glatt und ohne Einschnitte durch den Wald hin.

Mein Vater, der von allen Vorurteilen frei war und als Soldat keine Furcht kannte, – er hatte kurz vorher den holländischen Dienst verlassen, – suchte den natürlichen Grund dieses Ereignisse in der Halsstarrigkeit, die man oft bei abgejagten Pferden antrifft. Er schalt daher den Postillion der schlechten Mären wegen und befahl ihm, sie auszuspannen, zur Station zurückzureiten und ihm bessere Pferde zu besorgen, indessen er mit der Chaise im Wald bleiben wolle.

Ärgerlich, so aufgehalten zu werden, legte er sich in eine Wagenecke und erwartete ungeduldig die Rückkehr des Schwagers. Nach Verlauf einer Stunde kam dieser mit frischen mutigen Pferden angetrabt. Es war auch kein Zweifel, dass die Reise nun umso schneller weiter gehen würde. Aber kaum eingespannt, kaum auf die spukhafte Stelle gekommen, erneuerte sich das alte Unwesen. Die Tiere schnaubten, bäumten sich und waren weder mit Liebkosungen noch mit Peitschenhieben weiterzubringen. Das war doch in der Tat bedenklich und es gehörte ein hoher Grad von Fassung dazu, um hier nicht eine spukhafte Veranlassung zu ahnen!

Mein Vater stieg nun endlich selbst aus der Chaise und fing an, die Pferde, die Räder und die ominöse Stelle des Weges, vor welcher die Tiere sich so sehr zu fürchten schienen, auf das Genaueste zu untersuchen. Nirgends konnte er indessen eine nahe oder entfernte Ursache dieser sonderbaren Erscheinung spüren. Noch viel weniger konnte der Postillion klug daraus werden, denn diesen beunruhigte im Stillen noch der Gedanke: Die Sache gehe nicht mit rechten Dingen zu und der Gott sei bei uns selbst müsse hier sein Wesen treiben. Dagegen war mein Vater noch immer in dem Wahn, es müsse durchaus nur an den Pferden liegen. Er ließ daher eines davon ausspannen, befahl dem Postillion, aufzusitzen und zum zweiten Mal zurückkehren, um noch drei andere Pferde zu holen, in der Hoffnung, mit sechs doch endlich von der Stelle zu kommen. Der Schwager, dem die Haut schauderte, brummte mancherlei in den Bart, gehorchte indessen, saß auf und jagte davon.

Da stand nun der abermals Verlassene, seine Pistolen unter dem Arm, missmutig bei der Chaise, hütete die Pferde und dachte über das wunderbare Abenteuer nach.

Es war Mitternacht, der Himmel wurde immer dunkler und endlich fing es langsam an zu regnen. Nun ließ ein fernes Rasseln sich hören. Er horchte aufmerksam, das Geräusch kam immer näher. Endlich konnte er eine Postchaise unterscheiden, die von Bordeaux her auf der anderen Seite des Postdammes ungehindert und schnell vorüberfuhr. Ihr folgte bald danach eine zweite, die nicht minder geschwind und unaufgehalten ihren Weg fortsetzte. Dann trat die vorige schauerliche Stille wieder ein.

Warum können andere vorbeikommen und nur ich nicht?, dachte mein Vater, der nun noch weniger als vorhin begriff, was ihn hier zur Stunde der Gespenster bannte. Zuletzt wurde er des vergeblichen Grübelns müde und fing aus Langeweile an zu pfeifen und zu singen. Aber plötzlich schallte aus der Tiefe des Waldes eine heisere Stimme hervor. Zugleich ließ der Schimmer eines zweideutigen Lichtes sich in dem fernen Dickicht sehen.

Nun erst fiel es meinem Vater ein, dass es doch ein wenig zu viel gewagt sei, so allein im Wald geblieben zu sein. Zwar fürchtete er nicht Gespenster und Kobolde, aber ihm graute es unwillkürlich vor dem Gedanken, von Räubern überfallen zu werden. In einer Gegend, wo so manches Kreuz auf Mord­plätzen längs der Heerstraßen die Reisenden warnt, hätte es auch allerdings sehr leicht, besonders so spät in der Nacht, geschehen können. Er bereute es nun, durch sein Pfeifen und Singen vielleicht sich selbst verraten zu haben. Indessen musste er Stand halten und die Rückkehr des Schwagers erwarten.

Immer näher schwebte das Licht und eine dumpfe Stimme rief: »Wer da?«

»Wer da du selbst?«, antwortete mein Vater und spannte den Hahn eines Pistols.

Da schallte ein beruhigendes »Gut Freund« zurück.

Eine Gestalt trat aus dem Wald hervor, näherte sich behutsam. Ebenso behutsam ging ihr mein Vater mit vorgehaltenem Gewehr entgegen, und siehe da – es war ein friedlicher Köhler, der in seiner Hütte oben im Wald schon lange etwas Unrichtiges auf der Straße gehört hatte und nun mit seiner Laterne herunterkam, um zu sehen, ob vielleicht einem Reisenden irgendein Unglück begegnet sei.

Seine Ankunft war meinem Vater sehr er­wünscht. Er erzählte ihm den sonderbaren Vorfall mit den Pferden. Der Köhler konnte ebenso wenig wie er die Ursache ergründen, welche ihn bis dahin so unerklärbar aufgehalten hatte. Sie bespra­chen sich lange darüber. Nach und nach verfielen sie auf andere Themen. Zuletzt riss der Faden des Gespräches gänzlich ab, und noch immer nicht kam der Postillion zurück. Der gute Köhler hielt sich verpflichtet, meinen Vater, der anfing, ungeduldig zu werden, mit Neuigkeiten zu unterhalten. Diejenige, wovon seine Seele noch ganz voll war, betraf das große Unglück des vergangenen Tages.

»Ein schreck­liches Gewitter«, sagte er, »erschlug gestern gerade auf dieser Straße und in dieser Gegend einen Mann mit zwei Pferden.«

Auf einmal ging meinem Vater, der bis dahin nur halb auf die Erzählungen gehorcht hatte, ein helles Licht auf. Sogleich erriet er nun auch, warum er nicht von der Stelle hatte gebracht werden können. Bekanntlich haben die Pferde eine sehr feine Nase, wittern auf viele Schritte ein Aas, und auch sogar den bloßen Platz, wo kurz vorher dergleichen gelegen hatte, und haben einen unüberwindlichen Abscheu dagegen, besonders gegen die Überreste toter Pferde. Nun war es, der Aussage des Köhlers nach, mehr als wahrscheinlich, dass sich das Unglück gerade auf der Stelle ereignet hatte, wo die Pferde anfingen, scheu zu werden. Ohne allen Zweifel witterten auch die zurückgeschickten Postpferde hier noch das Blut der erschlagenen Tiere, welche man hier gewöhnlich auf der Stelle, wo sie fallen, schindet.

So war auch das ganze Rätsel gelöst, das einen so schauerlichen spukhaften Anschein hatte, als ihm von fernher Hufschlag und Peitschenknall die würde man ihm auch niemals ausgeredet haben, dass die Stelle verhext gewesen oder ein ihm unsichtbarer feindlicher Kobold den Pferden erschienen sei, um sie aufzuhalten, besonders, da zwei andere Chaisen auf der anderen Seite des Postdammes ungehindert vorbeifuhren.

Zwar möchte eben dieser Umstand manchem in der vorigen Erklärungsart noch einige Dunkelheit zurückzulassen scheinen; indessen lässt, scheint mir, auch sie sich leicht aufhellen. Jene zwei Chaisen ka­men unstreitig mit dem Wind von der Bordeauxer Seite her; den Pferden meines Vaters hingegen, die von Bayonne herkamen, wurden die Ausdünstungen von den Erschlagenen entgegengeweht. Dazu kommt noch, dass die Chausseen in Frankreich wenigstens vierzig Fuß breit sind und die gepflasterte gewölbte Straße in der Mitte, trennt die beiden neben ihr hinlaufenden Sand- oder Sommerwege, welche bei gutem Wetter mehr als der eigentliche Postdamm gebraucht werden, so weit voneinander, dass man leicht begreift, wie die Pferde der beiden Chaisen, die unaufgehalten vor­beirollten, nichts von den Ausdünstungen witterten, welche jenseits die Pferde meinem Vaters, gerade da, wo der mörderische Wetterstrahl niedergefahren war, so gewaltig erschreckt hatten.