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Der Detektiv – Band 26 – Doktor Satanas – Teil 1

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 26
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Doktor Satanas

Teil 1

Baron van Zeerten, der Polizeirat und Bezirkschef der Kriminalpolizei der niederländisch-indischen Hauptstadt Batavia auf der Insel Java, winkte uns schon von Weitem zu.

Wir befanden uns auf der Veranda des prächtigen Bungalows (Wohnhaus) des Großkaufmanns van Wreeden. Über uns rauschten die Kronen riesiger Palmen und vor uns auf dem Rasenplatz sprühte eine Riesenfontäne ihre vom Abendwind zur Seite gedrückte, in Millionen von Tröpfchen zerstobene Wassersäule fast bis zu unserem Tisch hin, an dem nur der Hausherr, Harst und ich saßen.

Der Baron eilte die Verandatreppe trotz seiner massigen Gestalt leichtfüßig empor, drückte uns nun die Hände; begann sofort: »Ich komme mit einer großen Bitte, lieber Harst. Vor einer halben Stunde teilte mir Kriminalinspektor Schliepner aus Semarang telefonisch mit, dass dort offenbar ein Kapitalverbrechen, ein Mord mit gleichzeitiger Beseitigung der Leiche verübt worden ist. Er fügte hinzu, er wüsste, dass indessen gerade hier in Batavia der berühmteste Detektiv aller Zeiten …«

Harst hielt sich lachend die Ohren zu.

»Hören Sie auf, Baron! Ich hätte Ihnen derart faustdicke Schmeicheleien nicht zugetraut!«, meinte er gutgelaunt. »Um aber Ihre Angelegenheit schnell und nach Ihrem Wunsch vorläufig aus der Welt zu schaffen: Ich hatte ohnedies die Absicht, mir Semarang anzusehen, und bin daher gern bereit, Sie sofort zum Bahnhof zu begleiten.«

So begann unser tragisches Abenteuer mit der schönen javanischen Prinzessin Shorikindio von Surakarta.

Eigentlich war sie keine Prinzessin mehr, seit sie den holländischen Bezirksarzt Dr. Drygaarden vor drei Jahren geheiratet hatte.

Alle Welt hatte sich gewundert, als Ihre Hoheit gerade den wahrlich nicht reizvollen Doktor Drygaarden erhört hatte, nachdem sie bereits von ganz anderen Bewerbern, sowohl was Stellung als Äußeres anbetraf, umschwärmt worden war. Galt sie doch als die fein gebildetste und liebreizendste der eingeborenen Damen Javas. Ihr Vater hatte seiner Zeit schon als Jüngling den Holländern sein Fürstentum gegen eine jährliche Abfindungssumme überlassen und auf jede Selbständigkeit verzichten müssen. Titel und Rang sowie sein Stammschloss in der Hauptstadt Surakarta waren ihm geblieben, ebenso eine Anzahl Vorrechte, die Holland jedem der nunmehr länderlosen Fürsten seiner Sunda-Kolonien gewährt hatte.

Nun war Doktor Drygaarden in seinem Bungalow in Semarang ermordet und seine Leiche beiseitegeschafft worden. Niemand wusste, wer die Täter sein könnten, denn es waren offenbar mehrere Personen dabei beteiligt gewesen. Man hatte morgens das Schlafzimmer des Arztes leer gefunden, dafür aber untrügliche Beweise dafür, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Die Prinzessin, die seit einer Woche zum Besuch bei ihrem Vater in Surakarta geweilt hatte, war sofort nach Semarang zurückgekehrt. Sie war es gewesen, die dem Kriminalinspektor Schliepner, einem geborenen Deutschen, nahegelegt hatte, Harst durch Baron van Zeerten bitten zu lassen, mit nach Semarang zu kommen.

Dies alles erzählte uns Zeerten gleich nach der Abfahrt des Eilzuges in unserem Abteil, wo wir es so bequem wie in einer geräumigen Dampferkabine hatten.

Am folgenden Mittag waren wir in Surakarta. Wir hatten hier 20 Minuten Aufenthalt. Zeerten begrüßte auf dem Bahnsteig einen Offizier der Kolonialarmee, sodass ich nun endlich Gelegenheit fand, Harst nach etwas zu fragen, was mir gestern Abend aufgefallen war.

»Weshalb erklärtest du dem Baron, du hättest ohnedies nach Semarang fahren wollen?«, meinte ich. »Das kann doch nur eine kleine Höflichkeitsflunkerei gewesen sein! Bisher war der Name Semarang nie über deine Lippen gekommen.«

»Höflichkeitsflunkerei? Nein, es war nur eine Ungenauigkeit«, erwiderte er zerstreut.

Wir lehnten am breiten, offenen Fenster unseres Abteils und hatten das interessante Bild eines Bahnhofs mit ausgesprochen internationalem Leben und Treiben dicht vor uns.

»Eine Ungenauigkeit insofern, als ich bestimmt hier nach Surakarta gereist wäre und mich etwas näher mit dem Fürsten Madja Draga Bir, dem Vater der Frau Doktor Drygaarden beschäftigt hätte«, fügte Harst sehr langsam die Sätze bildend hinzu.

Eine Weile schwieg er nun. Dann plötzlich: »Ah … merkwürdig!«, rief er leise. »Sollte etwa …«

»Was sollte denn …? So beende doch den Satz!«, mahnte ich.

»Solltest du etwa in der Batavia-Post von vor zehn Tagen nicht auch den Artikel über den Fürsten bemerkt haben?«, fragte er darauf. »Ich versprach mich vorhin nur. Ich wollte den Satz mit Solltest du und nicht mit Sollte etwa beginnen.«

Dies war nun offenbar Schwindel. Ich war überzeugt, dass Harst auf dem Bahnsteig etwas entdeckt hatte, das er mir verheimlichen wollte.

»In dem Artikel, lieber Alter, stand nämlich so allerlei für Feinschmecker, wie wir es sind. Ich durchstöberte bekanntlich vorgestern Abend bei Wreeden einen Stoß Zeitungen, wohlgeordnete Nummern der Bataviapost. Auch du nahmst die Zeitungen zur Hand. Ist dir der Artikel entgangen?«

»Das nicht. Dick genug war die Überschrift. Nur weiß ich nicht recht, was diese an sich ja recht spannende Schilderung des Unfalls bei den Tierkämpfen im Palastgarten des Fürsten …«

Da kam der Baron auf uns zu und stellte uns den Major der niederländischen Kolonialarmee Jan de Bartreux vor.

Bartreux betrat dann unser Abteil und blieb bei uns. Er gehörte zu der Garnison von Semarang und wollte nach einem achttägigen Urlaub dorthin zurückkehren.

Es war nur natürlich, dass Zeerten das Gespräch sehr bald auf den Mord in Semarang brachte.

»Sie kennen doch Drygaardens Gattin«, meinte er zu Bartreux. »Herr Harst will sich ja mit diesem Kriminalfall näher beschäftigen und deshalb dürfte es ihm vielleicht angenehm sein, wenn Sie ihm über den Doktor und die Prinzessin nähere Auskunft geben würden. Ich selbst kenne das Paar nur sehr oberflächlich. Einen sympathischen Eindruck hat Drygaarden auf mich nie gemacht. Der Teufel mag wissen, weshalb die Prinzessin diesen schwarzen Satanas geheiratet hat, wie er hier auf Java allgemein heimlich genannt wird, denn öffentlich traut sich niemand, Drygaardens Unwillen hervorzurufen. Er ist der reinste Raufbold anscheinend.«

Der Major rauchte sehr hastig einige Züge aus seiner Zigarre und hüllte sich förmlich in blaugraue Wölkchen ein. Aber das half ihm nichts. Er war plötzlich zu rot geworden, als dass dies Harsts und meinen Polizeiaugen entgehen konnte.

Als er nun erwiderte, »oh – meine Bekanntschaft mit Drygaardens ist auch nur sehr oberflächlich«, klang das so unsicher und zögernd, dass ich Harsts vielsagenden Blick recht gut verstand.

Hier war irgendetwas nicht in Ordnung! Dieser schlanke, frische Major unterschlug etwas.

Zeerten rief denn auch sofort: »Wie, Sie wollen die Drygaardens nicht kennen – oder doch nicht näher kennen? Aber Bartreux! Die auch hier heimischen Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass ein gewisser Jan de Bartreux einst zu den glühendsten Verehrern der Prinzessin gehörte.«

»Gestatten Sie, Baron, das war einmal!«, erklärte der Major recht schroff. »Doktor Satanas ist keine Persönlichkeit, der ich das Recht einräumen möchte, mich zu seinem engeren Bekanntenkreis zu zählen. Ich bedauere deshalb auch, Herrn Harst in nichts hier unterstützen zu können. Ich bedauere es sehr, möchte ich betonen. Ich weiß nämlich, dass Inspektor Schliepner Semarang bereits den hirnverbrannten Verdacht hat, die Prinzessin sei an der Beseitigung ihres Mannes irgendwie beteiligt. Und diese Dame von diesem schmählichen Verdacht zu befreien, würde ich alles tun!«

Harst warf mir wieder einen Blick zu. Ich verstand abermals: Bartreux liebte die Prinzessin noch immer, hasste aber wohl den Doktor Satanas ebenso sehr.

Alles in allem spielten bei diesem Mord also besondere Verhältnisse mit, die das Verbrechen nicht gerade als Durchschnittsfall erscheinen ließen.

Harst begann über Semarang zu sprechen, über das gesellschaftliche Leben in der dortigen Europäerkolonie und die Leute, mit denen Doktor Drygaarden hauptsächlich verkehrt hatte.

Der Major äußerte sich nun recht eingehend zu diesen Fragen Harsts. Aber seine Antworten und freiwilligen Schilderungen einzelner Personen boten nur etwas Wichtiges: dass Drygaarden wenig beliebt gewesen war und dass er eigentlich nur zwei Freunde gehabt hätte, den arabischen Großkaufmann Mohammed ben Mahsud und den englischen Konsul Master Reginald Towsend. Mit dem Inspektor Schliepner hätte er sehr schlecht gestanden, da jener den Doktor wiederholt als gänzlich unwissend in seinem Beruf bezeichnet hätte, ein Urteil, zu dem Schliepner vielleicht berechtigt war, da Drygaarden gleichzeitig den Polizeiarzt in Semarang spielte.

»Der Inspektor ist ein Landsmann von Ihnen, Herr Harst, und ein Ehrenmann durch und durch. Dabei ein Original und ein feiner Kopf, den ich sehr schätze. Wir sind befreundet, und ich will Ihnen nun auch ganz ehrlich sagen, dass Schliepner selbst mir gestern Abend telefonisch mitteilte, er hielte die Prinzessin für mitschuldig. Wir haben uns dann am Telefon entzweit, da ich grob wurde. Ich bezeichnete diesen Verdacht als Blödsinn.«

Harst schaute sinnend vor sich hin. »Pflegt Schliepner sich gelegentlich als Eingeborener oder sonst wie zu verkleiden?«, fragte er dann.

Bartreux lächelte. »Das ist nicht gut möglich, bei seiner Nasengröße. Eine solche Hakennase hat kein Farbiger, nicht mal ein Araber. Sie ist wie ein Zubehörteil für einen Riesen hineingeraten in ein Gesicht, das einem Kinderantlitz gleicht, sowohl was die Rundung, die Pausbacken, als auch die zarten Farben anbetrifft.«

Das weitere Gespräch hatte für dieses unser Problem keinerlei Interesse.

Um 7 Uhr abends waren wir in Semarang; um halb 8 saßen wir zu dritt im Speisezimmer des Bungalows August Schliepners, eines vielseitigen, in jungen Jahren nach dem Orient verschlagenen Deutschen.

Wir hatten seine Einladung, bei ihm zu wohnen, gern angenommen. Zeerten war bei Major Bartreux zu Gast.