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Slatermans Westernkurier 08/2023

Auf ein Wort, Stranger, was ist dran am Mythos Cowboy, alles Wahrheit oder nur eine große Lüge?

Hand aufs Herz, denken nicht die meisten Leute beim Wort Cowboy an Lagerfeuerromantik, Freiheit und Abenteuer, an stolze, großgewachsene Männer mit markanten Gesichtern und tief hängenden Colts, an Rinder und holde Mädchen mit blondgelockten Haaren, die sie aus den Klauen mordlustiger Bösewichte oder skalphungriger Indianer befreien?

Schließlich stand und steht es doch auch noch heute in den meisten Western so geschrieben beziehungsweise gaukelte es uns die Filmindustrie vor. Aber dem ist nicht so, denn je mehr man sich mit dem Mythos Cowboy beschäftigt, umso mehr beginnt dieser zu bröckeln und zerfällt schließlich gänzlich, wenn man die tatsächliche Wahrheit über diesen Berufsstand kennt.

Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt A Cowboys Work is never done und das entspricht auch der Wirklichkeit. Tatsächlich war es so, dass die Arbeit eines Cowboys zum größten Teil darin bestand, für einen kargen Lohn von 25 bis 30 Dollar im Monat zwei Drittel des Jahres die Rinderherden seines Ranchers zu behüten, bei dem er sich ins Mannschaftsbuch eingeschrieben hatte. Tag für Tag fünfzehn bis sechzehn Stunden lang. Und nein, es ist keine Legende, dass viele Cowboys sich Tabak in die Augen rieben, damit sie das Brennen wach hielt.

Sie mussten die ihnen anvertrauten Rinder gegen Wölfe, Bären und Pumas beschützen, gegen Sandstürme, Präriefeuer, Klapperschlangen und auch gegen hungrige Indianer und Viehdiebe aller Hautfarben. Sie verrichteten ihre Arbeit mit Stolz und ohne zu klagen und der Tod war ihnen so vertraut wie das Leben. Es verging kein Jahr, ohne dass die Herbststürme nicht über neue Gräber wehten.

Der Dank der Rancher dagegen war mehr als armselig.

Jedes Jahr nach dem Herbst Roundup zahlten die meisten von ihnen ihre Mannschaften aus und schickten die nun arbeitslosen Reiter, die von einem Tag auf den anderen kein Dach mehr über dem Kopf hatten, in den Winter.

Die Kälte trieb sie übers Land, wo sie sich hier und da in verlassenen Weidehütten sammelten, um Blizzards, Eis und Schnee zu trotzen und zu überleben. Die Erfahrenen unter ihnen hatten beim letzten Viehauftrieb vorgesorgt und ein kleines Rudel ungebrannter Rinder beiseitegebracht, sozusagen als Winterjob, dass sie dann Stück für Stück an weit entfernte Metzger oder Restaurants verkauften. Die anderen, die kein Geld und keine Rinder, also Winterjobs besaßen, drängten sich in den Winterstürmen um irgendeine Feuerstelle zusammen oder ritten grub line.

Grubline bedeutet im übertragenen Sinne Futterstrecke.

Das heißt, dass diese Männer von Ranchküche zu Ranchküche ritten, um für eine Nacht Wärme zu finden oder den Löffel in einen Teller heiße Suppe tauchen zu dürfen, was man ihnen nach dem Gebot des Gastrechts nicht abschlagen durfte. Dann gab es noch jene, die weder einen Winterjob noch Glück beim Grubline reiten hatten und das waren nicht wenige.

Sie, die, während eine Kältewelle nach der andern über das Land jagte, in Erdhöhlen oder einsamen Hütten ausharrten und bei einer Flasche billigen Maisschnaps von Geld, Whisky und Frauen, aber auch von warmem Essen und einem sauberen Bett träumten, wurden irgendwann durch Untätigkeit und Trotz und zermürbender Ausweglosigkeit zu Männern, die ihr Schicksal nicht mehr länger hinnehmen wollten und schließlich vor lauter Verzweiflung, zu Geld zu kommen, mit einer Kugel im Leib oder einem Strick um den Hals ihr Leben beendeten.

Auf diese sich jährlich wiederholende Situation angesprochen erwiderte der texanische Viehbaron und Multimillionär George W. Littlefield einmal: »Warum ich meine Cowboys im Herbst entlasse? Wenn ich einen Mann nicht brauche, beschäftige ich ihn nicht, so einfach ist das, oder glaubt ihr, ich habe mein Geld von den Bäumen gepflückt?«

 

*

 

Um nur in etwa zu erahnen, was für einen lebensgefährlichen, knochenharten und unterbezahlten Job ein Cowboy verrichtete, muss man nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern auch seinen Alltag kennen. Das Umfeld um die Ranch, auf der er seine Arbeit ausübte, erstreckte sich in endlose Fernen und die Gebäude dieser Niederlassung standen nicht nahe der Zivilisation, sondern irgendwo verloren inmitten einer unendlichen, grasbedeckten Weite. Die meisten dieser Bauwerke, egal ob Ranchhaus, Mess- oder Kitchenhouse, Stallungen, Wagenschuppen oder Futtersilos, sahen nicht nur von der Ferne roh und unfertig aus, sondern waren es auch tatsächlich. Bis in die späten 1870er Jahre vermittelte eine Ranch, mochte sie auch so groß sein, dass sie ein Dutzend oder mehr Cowboys auf der Lohnliste stehen hatte, stets den Anblick und die Aura eines hastig errichteten Lagers, in dem die Annehmlichkeiten des täglichen Lebens in der Regel ganz unten auf der Bedarfsliste standen.

Der unwirtlichste und armseligste Ort in dieser spartanischen Umgebung war der Platz, wo die angestellten Helfer lebten. Das typische Bunk- oder Schlafhaus war oft nur ein Schuppen aus Schindelbrettern oder Pappelbaumbalken. Manchmal wurde das Bunkhaus aber auch nach dem sogenannten Satteltaschenplan errichtet. Das heißt, dass es durch einen überdachten Gang, den sogenannten Hundeweg, der zum Aufhängen von Sätteln, Zaumzeug und Lassos sowie zur Unterbringung von Hunden diente, mit einer Kombination aus Küchenhaus und Kantine verbunden war. Aber egal, wie sie auch gebaut waren und aussehen mochten, eines hatten diese Bunkhäuser alle gemeinsam, an dem man sie sofort erkannte: den Gestank.

Der Geruch, der einem beim Betreten entgegenschlug, war eine grauenhafte Mischung aus ungewaschenen Männern, getrockneter Kuhscheiße, tagelang getragenen Schweißsocken und dem Rauch der zahllosen Lampen, die oft mit dem Talg gespeist wurden, den man aus den zahlreichen Stinktieren aus der Umgebung der Ranch gewann. Das Leben in diesen Häusern war ein permanenter Kampf gegen Schmutz und Ungeziefer und es war keine Seltenheit, dass einer der Bewohner ein Strafgeld in die Mannschaftskasse entrichten musste, wenn er dabei erwischt wurde, wie er sich nach Graurücken, also großen Läusen, absuchte und diese auf den Boden warf, ohne sie vorher zu töten.

Den Feierabend oder ihre sonstige Freizeit verbrachten die Cowboys hauptsächlich mit bebilderten Magazinen und Versandhauskatalogen, die so oft gelesen wurden, zumindest von den Männern, die des Lesens und Schreibens mächtig waren, bis diese so zerfleddert waren, dass man mit ihnen schließlich das Innere des Bunkhauses tapezierte, um die mit der Zeit unansehnlichen Bretterwände wenigstens etwas zu verschönern. Kartenspiele wie Monte oder Poker gehörten ebenso zur Unterhaltung, sofern die Ranch keinem prüden, bibeltreuen und viktorianischen Besitzer gehörte.

Ansonsten verbrachte der Cowboy den weitaus größten Teil seiner Zeit mit der Versorgung des Viehs oder Dutzenden von anderen schmutzigen oder eintönigen Arbeiten, die mit den strahlenden Visionen eines Cowboylebens so viel gemeinsam hatten wie eine Kuh mit einer Muskatnuss.

 

*

 

Obwohl sich jeder Cowboy darüber bewusst war, dass eine Ranch nur zum Wohle der Rinder und zur Mehrung des Wohlstandes ihres Besitzers und nicht zum Wohl der Angestellten betrieben wurde, ließ er sich dennoch auf eine Arbeit ein, die eigentlich jeden Tag seinen Tod bedeuten konnte. Alle Cowboys mussten, wenn auch abwechselnd, zu jeder Stunde auf die Rinder aufpassen und dafür sorgen, dass sie gesund und vor allem am Leben blieben. Keine leichte Aufgabe bei texanischen Longhornrindern, die mit einem Gehörn bewehrt waren, dessen Spitzen oft mehr als zwei Meter auseinanderragten und die auch Auseinandersetzungen mit Wölfen oder Pumas nicht scheuten. Speziell im Sommer mussten die Rinder oft zu Tausenden gegen Schraubenwürmerfliegen verarztet werden. Diese Insekten legten Eier in offene Wunden wie frische Brandzeichen oder Kastrationsnarben nach dem Frühjahrs Roundup. Diese Eier entwickelten sich zu Schraubenwürmern, deren oft mehr als zwei Zentimeter lange Maden sich schraubenartig durch die Tiere fraßen und ihnen quälende Schmerzen und oftmals den Tod brachten. Um die Wunden zu heilen und die Schraubenwürmer zu töten, führten die Cowboys Flaschen mit, in denen sich Mixturen befanden, die der jeweilige Rancher für das beste Mittel zur Bekämpfung dieser Plagegeister hielt. Sie bestanden nicht nur aus Kräuterlösungen oder ausgelassenem Fett aus Rinderspeck, sondern waren oftmals auch Mischungen aus Petroleum, Karbolsäure und Radachsenfett, deren Wirkung manchmal tödlicher war als die Schraubenwürmer selbst.

Als Beispiel sei die Geschichte eines Cowboys namens J. W. Standifer erwähnt, der den Befehl bekam, während des Frühjahrs Roundups eine Reihe von Rindern zu behandeln, die unter einer räudeähnlichen Hautkrankheit litten. Er tat es, indem er die Tiere mit einer Mischung begoss, die, wie ortsüblich, zum größten Teil aus Petroleum bestand. Die Mischung hätte durchaus wirken können, aber gleich die erste derart behandelte Kuh lief muhend an einem der unzähligen Brandfeuer des Roundups vorbei und verwandelte sich durch das Petroleum binnen Sekunden in eine lebende Fackel. Die Kuh lief voller Todesangst zurück zur Herde und steckte, bevor sie qualvoll starb, etwa zwanzig ihrer Artgenossen auch in Brand, woraufhin diese ebenfalls verendeten.

Ein weiterer, gleichfalls lebensgefährlicher Job bestand darin, Rinder aus versumpften Wasserlöchern zu befreien, in die sie häufig hineingerieten, wenn sie anfangs der heißen Sommerzeit in Wasserlöchern Schutz vor den allgegenwärtigen Bremsenschwärmen suchten, indem sie sich so lange darin wälzten, bis das Wasserloch verschlammt war und sie darin einsanken.

Viele der Tiere wurden durch die Befreiungsversuche derart verrückt vor Angst, dass sie mit gesenkten Hörnern auf ihre Retter losgingen.

Ein weiterer undankbarer Job war das Enthornen der Rinder.

Eine Prozedur, die oftmals nötig wurde, um zu verhindern, dass sich die Longhorns mit ihren spitzen, weitausladenden Hörnern nicht gegenseitig aufspießten. Zu diesem Zweck trieb man die Tiere in einen Corral, von dem aus nur ein enger, von Holzbalken gesäumter Pfad ins Freie führte, sodass die Cowboys die Tiere dort mit zwei speziellen Fallgattern so fixieren konnten, dass man ihnen ohne allzu große Verletzungsgefahr die Hörner absägen konnte. Gefährlich wurde es aber, wenn es sich bei den Rindern um alte Bullen handelte, denn deren Hörner waren so hart, dass man sie mit dem Beil abschlagen musste.

Ein weiterer harter Job war die Feuerwache im Sommer, wenn die heiße Sonne das fast baumlose Grasland verbrannte. Die verdorrte Vegetation wurde so trocken, dass selbst das Metall einer Zügelkandare, an der sich das Sonnenlicht brach, ausreichte, um binnen Sekunden zehn, zwanzig Meter Land in Brand zu setzen. Um die Feuer einzudämmen, griffen die Cowboys zum Pflug und zogen Feuergräben. Zwischen diesen im Abstand zwischen zwanzig und sechzig Meter in den Boden gezogenen Furchen verbrannte man das Gras absichtlich, um dem Präriefeuer die Nahrung zu nehmen. Die Hitze, die Glut des Feuers und die schwere körperliche Arbeit brachten Mensch und Tier oft genug an den Rand des Zusammenbruchs.

Der Vormann einer Ranch im Panhandle von Texas schätzte, das allein er jeden Sommer über zweihundert Meilen dieser Feuergräben gepflügt hatte.

 

*

 

Trotz all dieser Strapazen, dem kargen Lohn und dem alltäglichen Risiko, bereits in jungen Jahren an einer tödlichen Blutvergiftung zu sterben, am Biss eines Stinktiers an Tollwut zu erkranken, im Gewitter vom Blitz getroffen, von umherstreifenden Indianern skalpiert und in Stücke gehackt zu werden, von Cholera, Typhus und den Blattern heimgesucht oder von Vogelspinnen, Taranteln und Skorpionen gestochen zu werden, oder gar beim Roundup beim Bränden durch die Hufe oder Hörner der halbwilden Longhorns in den Rollstuhl befördert zu werden, strömten jahrelang unzählige junge Burschen in den Westen, um als Weidereiter anzuheuern. Der Mythos Cowboy zog sie an wie ein Magnet.

Das Paradoxe an der ganzen Sache ist, dass dieser Mythos nicht etwa den Reihen der Cowboys entsprungen ist, sondern nach dem Bürgerkrieg im Osten der Vereinigten Staaten entstand, im Zentrum von Fabrikstädten, in feudalen Herrenhäusern und an Orten wie Opernhäusern, Universitäten oder bei Bankette der höheren Gesellschaft, an denen Herren mit Frack und Zylinder und Damen in eleganten Abendkleidern verkehrten. Sie waren es, welche die Thesen der ersten Chronisten und Historiker, die ebenfalls in ihren Kreisen verkehrten, weiter verbreiteten.

H. J. Stammel, einer der besten Kenner der amerikanischen Pioniergeschichte, hat in seinem Buch Die Stunde des Cowboys diesen Umstand so treffend wie noch nie jemand zuvor beschrieben. Deshalb möchte ich diese Worte dem geneigten Leser nicht vorenthalten.

»Die zeitgenössischen Berichte über die nomadischen Rinderhirten zu Pferde, sprich Cowboys, sind allesamt von Vertretern puritanischer Yankee-Moral verfasst. Sie verzeichnen zwar von Anfang an mit akribischer Genauigkeit Fakten und Daten, dokumentieren aber gleichzeitig auch jene typische Unfähigkeit von Zeloten Andersartige zu erkennen oder gar zu verstehen können.

So stellen diese Chronisten und Historiker den ganzen Typus Cowboy als einen gott- und heimatlosen Gewaltmenschen dar, der weder nach Frau und Familie noch nach Heim und Herd strebte, sondern der – gewissermaßen vom Teufel – den hehren Freiheitsbegriff in den profanen Staub zog, der schließlich letztendlich dem wohlverdienten Untergang anheimfiel.

Vier ernsthafte Historikergenerationen, die allerdings ausnahmslos die moralischen Werte puritanischem, profitorientiertem Yankeetums hochhielten, haben den Cowboy daher nur durch die Brille ihrer gott- und weltgefälligen Moral sehen können und gaben damit ein mehr oder weniger vernichtendes Urteil über diese Menschen ab.

Der Cowboy ihrer Vorstellungswelt lehnte den institutionalisierten Gottglauben ab, er verachtete den Tod, ignorierte Verzweiflung und Demut als menschenunwürdig und verstand ein freies, ungezügeltes Sexualleben als Salz in Gottes eigenem Süppchen. Er betrachtete jede Form von Autorität als Sklaverei und Sünde wider den Menschen, trachtete seinem Verhältnis zur Anwendung von Gewalt einen allgemeinen ordnenden Sinn zu geben und verabscheute das Streben nach Besitz und Reichtum. Ja, er sah die Welt und das Leben nicht als irdisches Jammertal an, als demütig entsagungsvolle Vorbereitung auf ewiges Wohlergehen, sondern saugte Lebenslust selbst noch aus den bittersten Erfahrungen und beanspruchte sogar das Recht für sich, seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten, wenn ihm die Umstände unerträglich erschienen.

Alles Charaktereigenschaften, die dem Christenmenschen aus dem Osten absolut unheimlich, unnatürlich und widersinnig erschienen.

Einerseits Symbol amerikanischer Freiheit, andererseits Menetekel eben der gleichen idealen persönlichen Freiheit ist dieses seltsam schizophrene Geschichtsbild des Cowboys das Ergebnis der elementaren Unfähigkeit dieser puritanischen Moral, Andersartiges oder gar Gegensätzliches als einen ebenfalls geistigen Wert anzuerkennen.

In Wirklichkeit waren die Cowboys nicht nur Männer voll von Aktivität und Lebenslust, sondern gleichzeitig auch Schwärmer voll unstillbarer Neugier, die Antitypen der puritanischen Yankees, denen Geld nichts, Besitz wenig, ein saftvolles Leben alles bedeutete. Cowboys waren nicht nur die ersten Hippies, Rocker und Sexualisten der amerikanischen Gesellschaft, sondern auch eine solche vollkommen kosmopolitische Männergesellschaft, wie es sie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte und auch niemals danach gegeben hat.

In ihren Reihen existierten Philosophen neben geistig Unbedarften, Männer adliger Herkunft neben ehemaligen Sklaven und Leibeigenen, Junge neben Alten, körperlich Wohlgestaltete neben Missgestalteten. Eine Gesellschaft, in der es keinerlei Rassendiskriminierung gab. Jeder dritte Reiter war afrikanischer oder indianischer Herkunft oder sogar Mischling beider Rassen.«

Zitat Ende.

 

*

 

Mitte bis Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts hielt die fortschreitende Industrialisierung und damit die von vielen Westmännern misstrauisch beobachtete sogenannte Zivilisation auch in Texas, der Wiege der Cowboys, ihren Einzug. Amerikanische und englisch-schottische Finanziers und Kapitalgesellschaften machten aus den Ranches binnen weniger Jahre profitorientierte Unternehmen und leiteten damit das Ende der freien Cowboys ein. Die wilden Longhorns wurden durch die zahmeren und auch fleischigeren Herefords und andere Rassen ersetzt, das Weideland eingezäunt und die Cowboys zu Festangestellten gemacht. Zum ersten Mal seit dem Bestehen ihrer Zunft wurde kein Cowboy mehr in die Winterarbeitslosigkeit geschickt

Im Gegenteil, die Männer genossen die Sicherheit eines dauerhaften Arbeitsplatzes, hatten von nun an ein regelmäßiges Einkommen und kamen in den Genuss von Sozialleistungen, von denen man in den siebziger Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte.

Die Kapitalgesellschaften sahen es gern, wenn die Cowboys, die nun ihre Arbeiter waren, heirateten, sesshaft wurden, eine Familie gründeten und ein Haus bauten. Sie halfen ihnen dabei, stellten für ihre Kinder Schulen zur Verfügung und sorgten dafür, dass Vertragsärzte die medizinische Versorgung der Cowboys und ihrer Familien übernahmen.

Der Preis aber, den der einzelne Cowboy dafür zahlen musste, war hoch. Er verlor seine Freiheit.

Kaum hatte er seine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag gesetzt, drückte man ihm einen vielseitigen Katalog mit den Unternehmensregeln in die Hand, der im Prinzip nichts anderes war als eine einzige Ansammlung von Vorschriften und Verboten.

So war es verboten, Schuss- oder Stichwaffen zu tragen, eigenes Vieh zu halten oder mehr als zwei eigene Pferde zu besitzen. Die Tiere konnten das Gras fressen, das in der Umgebung wuchs, und das gehörte ja schließlich dem Unternehmen. Es war sowohl verboten, Karten zu spielen als auch Glücksspiele aller Art, es war verboten Alkohol oder andere berauschende Getränke zu sich zu nehmen und es war auch nicht erlaubt, ohne Bezahlung länger als einen Tag Besuch zu empfangen oder länger als eine Nacht zu beherbergen. Außerdem war es nicht erlaubt, jegliche Art von Wild zu jagen. Die Einhaltung dieser Gebote wurde von einer companyeigenen Polizei überwacht und der geringste Verstoß mit fristloser Entlassung geahndet und mit der Auflage, das Land des Unternehmens binnen acht Stunden zu verlassen.

Die Bevormundung durch das beamtete Management der jeweiligen Ranchunternehmen war vollkommen. Aus dem ehedem in vollendeter Freiheit selbstverantwortlichen Cowboy war innerhalb zweier Dekaden ein reglementierter, nahezu entmündigter Lohnarbeiter geworden, dem man bis auf das Essen mit Messer und Gabel und der Verrichtung seiner Notdurft alles, aber auch wirklich alles vorschrieb.

Damit war der Cowboy als solcher mit all seiner grenzenlosen Freiheit endgültig gestorben.

Was blieb, war nur noch der Mythos.

Wenn man heute wissen will, was Cowboys sind, so muss man ins Kino gehen, aber auch da ist nicht mehr viel übrig geblieben.

Quellenhinweis:

  • H. J. Stammel, Die Stunde des Cowboys, ISBN 3421016917
  • Time Life Buchreihe Der wilde Westen – Die Cowboys
  • Der Cowboy, Legende und Wirklichkeit von A bis Z, ISBN 9783570054383