Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 14. Kapitel

Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840

Vierzehntestes Kapitel

Wie der jüdische Kaufmann Moses seinen Räuber wiedererkannte und wie diesem sein Urteil gesprochen wurde

Wie nun Moses in die ihm bezeichnete Schenke eingetreten war, da traute er kaum seinen Augen, als er an einem Tisch den Burschen erblickte, der ihn vor Kurzem beraubt und so grausam durchgeprügelt hatte. Er sah hin und wieder hin; die Kleidung, jeder Gesichtszug war derselbe; es war sein Räuber, wie er leibte und lebte. Der war aber lustig und guter Dinge, trank und scherzte und sah dabei so offen und unbefangen umher, als habe er nie ein Wässer­chen getrübt.

Höchlich verwundert, schlich Moses sich zur Tür hinaus und erzählte dem Gastwirt treu und ausführlich, wie es ihm ergangen sei. Der entsetzte sich sehr über die unerhörte Verruchtheit, und auf seine Anzeige geschah es, dass alsbald der Dorfrichter Kunz in das Zimmer trat, begleitet von zwei handfesten Bütteln. Nun wollte es aber dem fröhlichen Schneidergesellen Bendix fast lächerlich bedünken, als Moses ihm geradezu ins Gesicht Schuld gab, ihn beraubt und misshandelt zu haben auf die jäm­merlichste Weise. Was er aber auch dagegen ein­wenden mochte, es half ihm nichts, und er musste sich noch denselben Abend, unter sicherer Bedeckung, nach Hirschberg fortschleppen lassen. Als er nun dort vor dem Richter Wilibald wiederholt äußerte, dass er den jüdischen Kaufmann, den er beraubt haben solle, sein Lebtag nicht gesehen, und dass derselbe nicht recht bei Sinnen sein müsse, ihn eines solchen Verbrechens zu bezichtigen, und wie sein Wanderbuch das unverdächtigste Zeugnis ablegen müsste für seinen unbescholtenen Ruf – da befahl ihm der Richter, besagtes Wanderbuch aus seinem Felleisen hervorzuholen.

Es klimperte und klirrte aber, als Bendix darin nach seinem Wanderbuch umhersuchte. Plötzlich fiel eine schwere Geldkatze heraus.

»Gottes Wunder!«, schrie der Kaufmann Moses, »habe ich es nicht gesagt. Ist das nicht mein Geldkätzchen, wie ich es beschrieben habe.«

Bendix aber stand starr vor Schreck, als Moses so sprach, den Blick auf die Geldkatze geheftet.

»Ei, du sauberer Vogel«, sprach der Richter, »willst du deinen Raub noch leug­nen?« Da traten aber dem armen Bendix die hellen Tränen in die Augen und er konnte kaum ein Wort vor heftigem Schluchzen hervorbringen.

»Gott rufe ich zum Zeugen an, dass ich unschuldig bin!«, rief er mit bebender Stimme. »Geraubt habe ich diese Geldkatze nicht, das kann ich mit gutem Gewissen beschwören, obwohl es mir unbegreiflich ist, wie dieselbe in mein Felleisen gekommen ist.«

»Verstockter Bösewicht!«, sprach der Richter. »Es gibt doch wohl noch Mittel, dich zum Geständnis zu bringen.« So sprechend, flüsterte er einige Augenblicke mit dem Büttel, der den Gerichtssaal verließ und bald wiederkam, Daumschrauben und andere Marterinstrumente bringend, wie sie bei der Tortur üblich sind, zu welcher nun geschritten werden sollte.

Da schau­derte der arme Bendix zurück vor den Qualen, die ihn erwarteten, und seinen Lippen entfuhr das Geständnis: »O, haltet ein – ich will bekennen – ja, ich habe den Kaufmann beraubt und misshandelt!« Kaum hatte er dieses Geständnis getan, als ihm nach dem schnellen Gerichtsverfahren damaliger Zeit auch sofort das Urteil gesprochen wurde, durch den Strick vom Leben zum Tode gebracht zu werden, und zwar in drei Tagen, an einem auf dem Markt zu Hirschberg befindlichen Galgen! Unter allen aber, die zugegen waren und dies Urteil vernahmen, pries niemand lauter des wohllöblichen Magistrats Gerechtigkeit, wie der fein gekleidete Mann, der den jüdischen Kaufmann Moses erst beraubt, misshandelt und dann sich seiner freundlich angenommen hatte, und der, wie der geneigte Leser weiß, niemand anderes war als der wohl bekannte Berggeist Rübezahl.