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Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 13. Kapitel

Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840

Dreizehntestes Kapitel

Von des Schneidergesellen Bendix Übermut und der Beraubung des jüdischen Kaufmanns Moses

Es begab sich, dass an einem heiteren Sommertag mehrere Handwerksgesellen fröhlich daher zogen durch das Riesengebirge. Sie hofften Arbeit zu finden in dem Städtlein Hirschberg. Als sie nun so wanderten, erzählten sie sich zum Zeitvertreib allerlei lustige Din­ge, sangen auch wohl einige muntere Schelmliedlein. Plötzlich aber blieb der eine Geselle stehen und sprach leise: »Halt! Wir sind auf der Riesenkoppe, und zwar auf der Stelle, wo, wie die Leute sprechen, sich der Berggeist gewöhnlich zu zeigen pflegt. Damit wir nun sicher sind vor seinen bekannten Neckereien und Schalksstreichen, so lasst uns still und sittsam unseres Weges ziehen.«

Den gut gemeinten Rat befolgten nun die munteren Burschen alle, bis auf einen. Der wurde Bendix genannt und seines Gewerbes ein Schneidergeselle. Laut warf er seinen Gefährten ihre Feigheit vor, und um zu zeigen, mit welchem Unrecht die edle Schnei­derzunft von jeher jener Vorwurf getroffen wurde, ging er in seinen Übermut so weit, dass er den Berggeist herauszufordern versuchte durch den lauten Ruf: »He Rübezahl! Hervor, du Jungferndieb! Du Rübenzähler!«

Als der Berggeist den ihm verhassten Spottnamen hörte, ergrimmte er sehr, nach so langen Zeiten immer wieder an seine Liebesabenteuer mit des schlesischen Fürsten Bersanupą Tochter erinnert zu werden. Es wollte ihm bedünken, er habe wohl Ursache, einen dichten Steinhagel herabzusenden auf die wandernden Handwerksburschen. Bald aber besann er sich wieder, dass es ja schreiendes Unrecht wäre, auch an den Übrigen solche Rache zu nehmen, die ja ohnedies dem Spötter vielfach gewarnt und ihn inständig gebeten hatten, sein loses Maul im Zaum zu halten. Wie wäre es aber, dachte er, wenn ich dem verdammten Schneidergesellen nachginge und ihn auf der Stelle erwürgte? Aber auch diesen Vorsatz gab er auf und zog sich tiefer zurück in den Wald, mit dem festen Entschluss, an dem, der ihn beleidigt hatte, sich auf noch empfindlichere Weise zu rächen. Es begab sich aber, dass ein alter jüdischer Kaufmann aus Hirschberg, Moses geheißen, und überall bekannt und verrufen wegen seines schnöden Wuchers, durch das Riesengebirge wanderte, einen Quersack auf dem Rücken und eine schwere Geldkatze um den Leib geschnallt. Kaum hatte Rübezahl ihn erblickt, als er ihm aus einem Gebüsch in des Schneidergesellen Bendix Gestalt entgegensprang, ihn jämmerlich durchbläute, und nachdem er ihm seine schwere Geldkatze abgenommen hatte, halb tot liegen ließ. Aus Furcht, sein Räuber könnte zurückkehren und ihm vollends das Lebenslicht ausblasen, regte Moses lange kein Glied. Als er nun leise wimmerte vor Schmerz und fruchtlos aufzustehen versuchte, vernahm er nahe Fußtritte. Es war ein fein gekleideter Mann, einem ehrsamen Hirschberger Bürger gleichend. Der nahm sich seiner hilfreich an, wie ein barmherziger Samariter, legte kühlenden Bal­sam auf seine Wunden, die er sorgsam verband, er­quickte ihn durch ein Schlücklein Wei, und brachte ihn in das nächste Dorf. Vor einer Schenke, die er ihm empfahl, drückte er ihm beim Abschied noch so viel Goldstücke in die Hand, dass er ihm das geraubte Geld fast wieder ersetzte. Was aber Moses nicht wusste, errät der Leser dieses Märleins leicht, dass es nämlich Rübezahl war, der sich des armen Kaufmanns so hilfreich angenommen hatte.