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Die Virginier Erster Band – 1. Kapitel

William Makepeace Thackeray
Die Virginier
Erster Band
Wurzen, Verlags-Kontor, 1858
1. Kapitel
In welchem einer der Virginier die Heimat besucht

An einem Sommermorgen des Jahres 1756, zur Regierungszeit Seiner Majestät König Georgs II., fuhr die Junge Kachel, ein virginisches Schiff unter Kapitän Edward Franks, den Avon hinauf, glücklich zurück von ihrer jährlichen Reise zum Potomac. Sie lief mit der Flut in Bristol ein und ankerte im Strom so dicht wie möglich bei Trails Reede, für die sie bestimmt war. Mr. Trail, ihr Miteigentümer, der das Schiff aus den Fenstern seines Kontors erblicken konnte, nahm sofort ein Boot und kam längsseits. Der Teilhaber der Jungen Rachel, ein großer ernster Mann ohne Perücke und mit pharisäisch ehrbarem Ausdruck, gab Kapitän Franks, der an Deck stand, zur Begrüßung die Hand und gratulierte ihm zu der flotten und glücklichen Fahrt. Und nachdem er bemerkt hatte, dass wir dem Himmel für so viel Güte danken müssten, ging er sofort zum Geschäft über und fragte nach Einzelheiten in Bezug auf Fracht und Passagiere.

Franks war ein munterer Mann, der einen Spaß liebte. Er sagte: »Wir haben nur den hässlichen Negerjungen da, der die Koffer holt, und einen Passagier, der die ganze Kajüte für sich allein hat.«

Mr. Trail sah drein, als wäre ihm mehr Güte des Himmels lieber gewesen. »Hol Euch der Kuckuck, Franks, samt Eurem Glück! Der Herzog William, der letzte Woche ein­lief, brachte vierzehn mit, und er hat nicht die Hälfte unse­rer Tonnage.«

»Und dieser Passagier, der die ganze Kajüte bewohnt, be­zahlt noch dazu nichts«, fuhr der Kapitän fort. »Flucht jetzt nur kräftig, Mr. Trail, es wird Euch guttun, wirklich. Ich habe diese Medizin selbst probiert.«

»Ein Passagier, der die ganze Kajüte nimmt und nichts bezahlt? Gnädiger Himmel, seid Ihr verrückt geworden, Kapitän Franks?«

»Fragt den Passagier selbst, denn hier kommt er.« Und während der Kapitän noch sprach, stieg ein junger Mann von etwa neunzehn Jahren die Luke herauf. Er war in tiefe Trauer gekleidet, trug Mantel und Degen unter dem Arm und rief: »Gumbo, du Idiot, warum holst du nicht das Gepäck aus der Kajüte? Nun, Schiffer, unsere Fahrt ist zu Ende. Ihr werdet heute Abend all das kleine Volk wieder­sehen, von dem Ihr mir erzählt habt. Grüßt Polly und Betty und Klein-Tommy von mir; meine Empfehlung an Mrs. Franks nicht zu vergessen. Gestern dachte ich noch, die Reise würde nie ein Ende nehmen, und jetzt bin ich fast traurig, dass wir schon da sind. Diese kleine Schlafkoje in meiner Kabine sieht behaglich aus, jetzt, da ich sie verlassen soll.«

Mr. Trail blickte scheel auf den jungen Passagier, der nicht für seine Überfahrt bezahlt hatte. Er nickte dem Fremden kaum zu, als Kapitän Franks vorstellte: »Dieser Herr hier ist Mr. Trail, dessen Namen Ihr schon gehört habt.«

»Er ist in Bristol recht gut bekannt, Sir«, bestätigte Mr. Trail majestätisch.

»Und dies ist Mr. Warrington, Madame Esmond Warring­tons Sohn aus Castlewood«, fuhr der Kapitän fort.

Des britischen Kaufmanns Kastorhut flog augenblicklich vom Kopf, und sein Besitzer vollführte eine so verschwenderische Anzahl von Verbeugungen, als ob ein königlicher Prinz vor ihm stünde.

»Gütiger Himmel, Mr. Warrington! Das ist wahrhaftig eine Freude! Welch krönende Gnade, dass Eure Reise so gedeih­lich verlaufen ist. Ihr müsst mein Boot besteigen, um an Land zu gehen. Lasst mich Euch herzlich und ehrerbietig in England willkommen heißen, lasst mich Eure Hand schütteln, die Hand des Sohnes meiner Gönnerin und Wohltäterin Mrs. Esmond Warrington, deren Name an der Börse von Bristol bekannt und geachtet ist, das versichere ich Euch. Nicht wahr, Franks?«

»Es gibt keinen würzigeren Tabak als den aus Virginia und keine bessere Sorte als die Drei Schlösser«, erwiderte Mr. Franko, zog eine große Messingdose aus der Tasche und steckte sich vergnügt einen Priem in den Mund. »Ihr wisst nicht, was für ein Labsal das ist, Sir; Ihr werdet es noch schätzen, wenn Ihr, um Vergebung, älter werdet. Nicht wahr, Mr. Trail. Ich wünschte nur, Ihr hättet zehn Schiffsladun­gen davon statt einer. Und Ihr könntet zehn Schiffslasten haben, ich habe das Mrs. Esmond auch gesagt; ich bin über ihre Plantage geritten, sie behandelt mich wie einen Lord, wenn ich ins Haus komme; sie spart nicht mit dem besten Wein und lässt mir nicht die Füße im Kontor kalt werden – wie manche anderen Leute.« (Dies mit einem Seitenblick auf Mr. Trail.) »Sie ist wirklich eine geborene Dame, das ist sie, und sie könnte ihre tausend Oxhoft Tabak haben, so gut wie ihre hundert, wenn es nur genug Arbeiter gäbe.«

»Ich bin seit Kurzem am Guinea-Handel beteiligt und könnte Ihre Gnaden schon vor dem nächsten Herbst mit jeder Anzahl gesunder junger Neger unterstützen«, empfahl sich Mr. Trail liebedienerisch.

»Wir sind gegen den Raub von Negern aus Afrika«, erwi­derte der junge Herr kalt. »Mein Großvater und meine Mutter waren dem stets abgeneigt, und ich denke nicht gern daran, dass diese armen Teufel gekauft und verkauft werden.«

»Es ist ja zu ihrem Besten, mein teurer junger Herr, zu ihrem zeitlichen und ewigen Heil!«, rief Mr. Trail. »Und wir verhandeln die armen Geschöpfe ja nur zu ihrem Segen; lasst mich diese Sache mit Euch in meinem eigenen Hause besprechen. Ich kann Euch in ein glückliches Heim, in eine christliche Familie und zu eines britischen Kaufmanns anständiger Mahlzeit führen. Nicht wahr, Kapitän Franks?«

»Weiß nicht«, brummte der Kapitän, »habt mich nie zu einem Bissen oder Schluck an Euren Tisch gebeten. Habt mich mal zum Psalmensingen eingeladen und um Mr. Ward predigen zu hören – bin nicht für solche Art Bewirtung.«

Mr. Trail nahm von der Bemerkung lieber keine Kenntnis und fuhr in seinem beflissenen Ton fort: »Geschäft ist Geschäft, mein teurer junger Herr, und ich weiß, es ist nur meine Pflicht, unser aller Pflicht, die Früchte der Erde zu ihrer Zeit anzubauen. Als der Erbe von Lady Esmonds Gütern, denn ich spreche, denke ich, zu dem Erben dieser großen Besitzung« – der junge Herr verbeugte sich – »möchte ich Euch im allerersten Augenblick die Notwendig­keit, die Pflicht ans Herz legen, die reichlichen Mittel zu ver­mehren, mit denen Euch der Himmel gesegnet hat. Als Euer ehrlicher Agent könnte ich nicht anders handeln, und sollte ich als kluger Mann nicht scheuen, davon zu sprechen, was zu Eurem und meinem Vorteil dient? Nein, mein teurer Mr. George.«

»Ich heiße nicht George, ich heiße Henry«, sagte der junge Mann, während er sich abwandte und ihm die Tränen in die Augen stiegen.

»Gütiger Himmel! Was meint Ihr, Sir? Sagtet Ihr nicht, Ihr wäret Myladys Erbe? Und ist nicht George Esmond Warring­ton, Esquire …«

»Haltet Euren Mund, Tropf, der Ihr seid!«, rief Mr. Franks und versetzte dem Kaufmann einen kräftigen Stoß in die füllige Flanke, als der Jüngling sich abwandte. »Seht Ihr nicht, dass der junge Herr sich die Augen wischt und bemerkt Ihr seine schwarzen Kleider nicht?«

»Was fällt Euch ein, Kapitän Franks, die Hand gegen Euren Reeder zu heben? Mr. George ist der Erbe, ich kenne das Testament des Obersten recht gut.«

»Mr. George ist dort«, sagte der Kapitän und zeigte mit dem Daumen abwärts aufs Deck.

»Wo?«, schrie der Agent.

»Mr. George ist dort«, wiederholte der Kapitän und wies nun mit erhobenem Finger empor zur Marsstenge oder auch zum Himmel darüber. »Er ist tot, Sir, am kommenden neunten Juli ist es ein Jahr her. Er war mit General Brad­dock auf dieses fürchterliche Unternehmen zu der Belle Riviere ausgezogen. Er und tausend andere kamen niemals wieder. Jeder einzelne Mann wurde umgebracht, sobald er fiel. Ihr kennt das Verfahren der Indianer, Mr. Trail?« Und der Kapitän ließ die Hand bezeichnend flink rund um seinen Kopf gleiten. »Scheußlich, nicht wahr, Sir? Scheußlich! Er war ein feiner junger Mann, das getreue Abbild von diesem hier, nur sein Haar war schwarz, das jetzt in einem ver­dammten Indianer-Wigwam hängt. Er kam oft und oft an Bord der Jungen Rachel und wollte seine Bücherkisten am liebsten schon an Deck aufgestemmt haben. Ein etwas scheuer und schweigsamer junger Herr, nicht wie dieser hier, der immer der lustigste, wildeste Bursche war mit seinen Liedchen und Späßen. Er nahm sich die Nachricht furchtbar zu Herzen, legte sich zu Bett und bekam dieses Fieber, das an dem sumpfigen Potomac so viele unter die Erde bringt; aber die Fahrt ist ihm gut bekommen, jedem tut die Seereise gut; und natürlich, der junge Herr kann auch nicht dauernd einem Bruder nachweinen, der stirbt und ihm ein großes Vermögen hinterlässt. Seit wir Irland sichteten, ist er schon ganz froh und munter gewesen, nur dass er zu Zeiten, wenn er am lustigsten ist, auf einmal fort­geht und sagt: ›Ich wünschte, mein liebster George könnte dieses Bild hier mit mir zusammen genießen.‹ Und als Ihr den Namen des anderen nanntet, seht Ihr, das konnte er noch nicht ertragen.« Und dem biederen Kapitän selbst stiegen die Tränen in die Augen, als er sich umwandte und nach dem Gegenstand seines Mitgefühls hinsah. Mr. Trail setzte eine untröstliche Miene auf zu den sehr schicklich wehleidigen Artigkeiten, die er für den jungen Virginier bereithielt, aber der antwortete ihm recht kurz, lehnte seine gastfreundlichen Angebote ab und verweilte nur so lange in Mr. Trails Haus, als nötig war, um ein Glas Wein zu trinken und die Summe Geldes zu erheben, die er brauchte. Doch von Kapitän Franks schied er mit den wärm­sten Worten, und als ihr Passagier von Bord ging, ließ ihn die ganze kleine Mannschaft der Jungen Rachel von der Reling aus hochleben.

Immer wieder und wieder hatten Harry Warrington und sein Bruder die Karte von England studiert und sich für den Weg entschieden, den sie einschlagen wollten, sobald sie in der Heimat ankämen. Alle Amerikaner, die das alte Land lieben – und welches nobel erzogene männliche oder weibliche Wesen angelsächsischer Herkunft tut das nicht? –, haben zuvor ihre englischen Reisen einstudiert und in der Fantasie die Orte besucht, die ihnen durch ihre Erwar­tungen, durch die liebevollen Erzählungen der Eltern, durch die Schilderungen von Freunden vertraut geworden sind. In der Geschichte des Streites, der die beiden großen Nationen trennte, ist für mich kaum etwas ergreifender als die Wiederkehr jenes Wortes Heimat, wie es von dem jüngeren für das ältere Land gebraucht wird. Harry War­rington hatte seine Karte ausgebreitet. Noch vor London und seinen berühmten Kathedralen St. Paul und St. Peter, seinem düsteren Tower, wo die Tapferen und Treuen ihr Blut vergossen hatten, von Wallace bis zu Baimerino und Kilmarnock, beklagt von edlen Herzen – noch vor dem ehrwürdigen Fenster von Whitehall, aus dem der Mär­tyrer Karl gestiegen war, um einmal noch zu knien und dann gen Himmel zu fahren – noch vor Theatern, Parks und Palästen, wunderbaren Treffpunkten von Geist, Ver­gnügen und Prunk – noch vor Shakespeares Ruhestätte unter dem hohen Turm, der am Avon inmitten der lieblichen Weiden von Warwickshire aufragt – vor Derby und Falkirk und Culloden, wo die Sache der Ehre und Treue gefallen war, um sich vielleicht nie wieder zu erheben – vor all diesen Höhepunkten ihrer Pilgerfahrt gab es einen, den die jungen Brüder aus Virginia noch heiliger hielten, und das war die Heimat ihrer Familie, das alte Castle­wood in Hampshire, von dem ihre Voreltern so liebevoll gesprochen haben. Von Bristol nach Bath, von Bath nach

Salisbury, nach Winchester, nach Hexton, nach Hause: Sie kannten den Weg und hatten die Reise so manches Mal auf der Karle gemacht.

Unseren amerikanischen Besucher müssen wir uns als einen hübschen jungen Burschen vorstellen, den die schwarze Kleidung nur noch interessanter erscheinen ließ. Die dralle Wirtin an ihrem Schanktisch, umgeben von Porzellan und Punschgläsern, von bauchigen goldglänzenden Flaschen voll starker Getränke und glitzernden Reihen silberner Weinkannen, sah dem jungen Herrn freundlich nach, wenn er aus der Postkutsche stieg und durch die Gaststube ging; und der unterwürfige Hausdiener geleitete ihn unter vielen Verbeugungen die Stiegen hinauf in der Rose oder dem Delphin. Das schmucke Zimmermädchen machte für sein Trinkgeld ihren schönsten Knicks, und Gumbo prahlte in der Wirtshausküche, wo das Stadtvolk seinen Henkelkrug Ale an dem großen offenen Feuer trank, von seines jungen Herrn prächtigem Haus in Virginia und dem ungeheuren Vermögen, dessen Erbe er war. Die Postkutsche ließ die bezauberndsten Heimatbilder, die er je gesehen hatte, an dem Reisenden vorübergleiten. Wenn die englische Landschaft dem Amerikaner von heute wohlgefällt, der notwendig die reichen Wälder, glänzenden Weiden und malerischen ehr­würdigen Dörfer des alten Landes mit dem rauen Anblick seines eigenen vergleicht, um wie viel vergnüglicher muss die Fahrt für Harry Warrington gewesen sein, dessen Wege bisher durch die Sümpfe und Waldeinsamkeit Virginias von einem Wirtshaus bis zur nächsten Blockhütte am Ende der Tagereise führten, und dem nun plötzlich das bewegte heitere, strahlende Bild des englischen Sommers leuch­tete? Und die Landstraße war hundert Jahre zuvor nicht die grasüberwucherte Öde von heute. Sie war ständig belebt von Handel und Wandel; die Landstädtchen und die Gast­höfe wimmelten von munterem Treiben. Der gewichtige Planwagen mit schnaufendem Gespann und klingelnden Glöckchen, die flinke Postkutsche, die in zwei Tagen vom Weißen Herzen in Salisbury zum Schwan mit zwei Hälsen in London fuhr, die Karawanen von Saumpferden, die damals noch nicht von der Straße verschwunden waren, Mylords vergoldete Chaise, sechsspännig mit galoppierenden Vorreitern, des Gutsbesitzers riesige Kutsche mit den schweren flandrischen Rössern, die Bauern, die zum Markt trabten, und der Pfarrer, der auf seiner runden Stute zum Kirchort stuckerte, seine Frau hinter sich auf dem Kissen – all diese vielfältigen Bilder und geschäftigen Leute grüßten den jungen Reisenden auf seiner sommerlichen Fahrt. Hodge, der Bauernjunge, zog den Hut, und Polly, das Milch­mädchen, knickste, wenn die Kutsche über den federnden Dorfanger rollte, und die flachsköpfigen Kinder hoben ihre pausbäckigen Gesichter und schrien Beifall. Die Kirchtürme funkelten golden, die Hüttengiebel glänzten im Sonnen­schein, die großen Ulmen flüsterten im leisen Sommerwind und warfen purpurne Schatten auf das Gras. Der junge Warrington hatte nie einen so herrlichen Tag oder eine so bezaubernde Landschaft erlebt. Neunzehn Jahre alt zu sein, guten Mutes, bei guter Gesundheit und voller Börse auf seiner ersten Reise in der Postkutsche mit neun Meilen die Stunde durchs Land zu rollen – o glücklicher Jüngling! Fast wird man selbst wieder jung, wenn man an ihn denkt. Aber Harry war zu ungeduldig, um der Abtei in Bath mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken oder länger als eine Sekunde staunend auf das gewaltige Münster in Salisbury zu starren. Ehe er nicht das Zuhause gesehen hatte, so schien ihm, konnte er für nichts anderes Augen haben.

Endlich hielt des jungen Herrn Postkutsche vor der ländlichen Schenke in Castlewood Green, von der sein Großvater ihm so manches Mal erzählt hatte und die in ihrem Schild, das von einer Ulme zu dem Vorbau hinüberschwingt, die Drei Schlösser der Familie Esmond führt. Sie hatten in Virginia über dem Torweg von Haus Castlewood auch ein Schild mit dem gleichen Symbol. Es war das Wappen von Francis Lord Castlewood, der nun in der Kapelle nahebei lag, während sein Sohn an seiner Statt herrschte.

Harry Warrington hatte oft von Francis Lord Castlewood gehört. Um seinetwillen, und weil er den Jungen so sehr liebte, beschloss Oberst Esmond damals, seinen eigenen Anspruch auf den englischen Besitz und den Rang seiner Familie aufzugeben und sich nach Virginia zurückzuziehen. Als junger Mann hatte Francis ein wildes Leben geführt: Er focht mit Auszeichnung unter Marlborough, er heiratete eine ausländische Dame und hatte, höchst beklagenswert, auch ihre Religion angenommen. Eine Zeitlang war er Jakobit gewesen (denn Treue zum Herrscher erbte sich seit je in der Familie Esmond fort), erfuhr dann aber irgendeine Kränkung oder Beleidigung durch den Prinzen, die ihn ver­anlasste, sich zu König Georgs Partei zu schlagen. Er hatte bei seiner zweiten Heirat den Irrlehren des Papismus abge­schworen, denen er zeitweise angehangen, und war in die englische Staatskirche zurückgekehrt. Für seine beständige Unterstützung des Königs und des derzeitigen Ministers wurde er von Seiner Majestät Georg II. belohnt und starb als Peer von England. Die Krone eines Grafen prangte nun in dem Wappen, das über dem Tor von Castlewood hing – und mit dem lustigen Herrn war es zu Ende. Zwischen Oberst Esmond, der sein Stiefvater geworden war, und seiner Lordschaft gingen seinerzeit kurze, aber herzliche Briefe hin und her – besonders von des Obersten Seite, der seinen Stiefsohn liebte und seinen Enkeln hundert Geschich­ten von ihm zu erzählen wusste. Madame Esmond jedoch sagte, dass sie nichts an ihrem Halbbruder finden könne. Er war langweilig, außer wenn er zu viel Wein trank, und das tat er gewiss jeden Tag beim Dinner. Dann wurde er lärmend und seine Unterhaltung nicht eben angenehm. Er sah gut aus – ja, er war ein schönes, großes, kräftiges Tier; sie jedenfalls wünschte, dass ihre Jungen lieber einem anderen Beispiel folgten. Die Jungen gedachten dieses Ver­wandten nicht mit großer Achtung trotz des Großvaters Lobreden auf den seligen Lord. Die Burschen samt ihrer Mutter waren unerschütterliche Jakobiten; bei schuldigem Respekt vor der jetzigen Majestät: Aber Recht musste Recht bleiben, und nichts konnte ihre Herzen von der Lehnstreue gegen die Nachkommen des Märtyrers Karl abwenden.

Mit klopfendem Herzen schritt Harry Warrington von der Schenke auf das Haus zu, wo sein Großvater die Jugend­jahre verlebt hatte. Der kleine Dorfanger von Castlewood senkt sich gegen den Fluss hin, über den sich eine alte Brücke mit einem einzigen Bogen spannt; und jenseits steigt der Boden allmählich an zu dem grauen Haus mit den vielen Giebeln und Zinnen vor dem Hintergrund dunkeln­der Wälder.

Ein alter Mann saß auf der Steinbank an dem Pförtner­häuschen vor dem hohen gewölbten Eingang zum Schloss, über dem das Wappen des Grafen hing. Ein alter Hund kauerte ihm zu Füßen.

Unmittelbar über dieser ehrwürdigen Wache am Tor stand ein Fensterflügel offen, und hinter den Bauernblumen auf dem Sims spähten ein paar muntere Mädchengesichter her­vor. Sie beobachteten den jungen schwarzgekleideten Besucher, wie er staunend auf das Schloss zukam, und den schwarzen Diener, der dem Herrn folgte, ebenfalls in Trauer ausstaffiert. Auch der am Tor war in Trauer, und die Mädchen, als sie herauskamen, trugen schwarze Bänder.

Zu Harrys Überraschung sprach ihn der alte Mann mit seinem Namen an »Ihr habt einen hübschen Ritt gemacht nach Hexton. Master Harry, und der Rotfuchs geht gut unter Euch.«

»Ich denke, Ihr müsst Lockwood sein«, sagte Harry mit hebender Stimme und hielt dem alten Mann die Hand hin. Sein Großvater hatte ihm oft von Lockwood erzählt, und wie er vierzig Jahre zuvor den Obersten und den jungen Viscount in Marlboroughs Feldzügen begleitet hatte. Der Veteran schien verwirrt, weil Harry ihm freundlich die Hand entgegenstreckte. Der alte Hund starrte auf den Ankömmling, dann ging er zu ihm und legte den Kopf an seine Knie. »Ich habe viel von Euch gehört. Wie wusstet Ihr meinen Namen?«, fragte Harry.

»Sie sagen, ich vergesse fast alles«, erwiderte der alte Mann mit einem Lächeln, »aber ganz so schlimm ist es noch nicht mit mir. Erst diesen Morgen, als Ihr ausrittet, fragte meine Tochter: ›Vater, wisst Ihr auch, warum Ihr einen schwarzen Rock anhabt?‹

›Natürlich weiß ich, warum ich einen schwarzen Rock anhabe‹, sagte ich.

»Mylord ist tot. Man sagt, es war kein fairer Kampf, und Master Frank ist jetzt Mylord, und Master Harry – ja, was habt Ihr nur gemacht, seitdem Ihr heute Morgen fortgingt? Was, Ihr seid ja größer geworden und habt auch anderes Haar – trotzdem erkenne ich Euch – ja, ich erkenne Euch.«

Eine der jungen Frauen war inzwischen aus dem Pförtnerhäuschen getrippelt und versank vor dem Fremden in einem artigen Knicks. »Großvater besinnt sich manchmal nicht so recht«, sagte sie und tippte sich an die Stirn. »Euer Gnaden haben, scheint es, von Lockwood gehört?«

»Und Ihr, habt Ihr nie von Oberst Henry Esmond gehört?«

»Er war Hauptmann und Major in Webbs Fußvolk, und ich war in zwei Feldzügen mit ihm, ganz sicher war ich das«, schrie Lockwood. »Stimmt es nicht, Ponto?«

»Der Oberst, der Viscountess Rachel heiratete, des seligen Lords Mutter, und fortzog, um bei den Indianern zu leben? Von ihm haben wir gehört. Sicher, wir haben sein Bild in der Galerie, und er selbst hat es gemalt.«

»Er zog fort, um in Virginia zu leben und starb dort vor sieben Jahren, und ich bin sein Enkel.«

»Himmel, Euer Gnaden! Ja, aber Euer Gnaden Haut ist doch so weiß wie meine!«, schrie Molly. »Großvater, hört Ihr das? Seine Gnaden ist der Enkel von Oberst Esmond, der Euch Tabak zu schicken pflegte, und seine Gnaden ist den ganzen weiten Weg aus Virginia hergekommen.« »Um Euch zu sehen, Lockwood«, sagte der junge Mann, »und die Familie. Ich habe erst gestern den Fuß auf eng­lischen Boden gesetzt, und mein erster Besuch gilt dem alten Heim. Ich kann doch das Haus ansehen, auch wenn die Familie nicht da ist?«

Molly wagte zu behaupten, dass Mrs. Barker Seine Gnaden das Schloss würde besichtigen lassen, und Harry Warrington ging so sicher über den Hof, er schien den Ort zu kennen, als ob er hier geboren wäre, dachte Miss Molly. Sie folgte ihm, begleitet von Mr. Gumbo, der sie mit einer Überfülle höflicher Verbeugungen und Komplimente beehrte.