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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Wildschütz – Kapitel 12

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Zwölftes Kapitel

Nachforschungen

Als am Morgen nach jener ereignisreichen Nacht der alte Leonhard erwachte und sich in das Schankzimmer begab, fiel ihm die herrschende Unordnung in den unteren Teilen des Hauses auf. Er ging in das Gemach, worin Georg gewöhnlich schlief. Das Bett stand leer und war unberührt geblieben, so wie es am Tage zuvor gewesen war. Der alte Mann schüttelte bedenklich den Kopf. Das Treiben seines Sohnes veranlasste ihm großen Kummer. So konnte es nicht länger gehen und er beschloss, den wilden Menschen mit Ernst an seine Pflichten zu erinnern.

Die Magd, eine alte schwerhörige Jungfer, brachte unterdessen das Frühstück. Der Bärenwirt setzte sich an den Tisch und verzehrte es mit kummervoller Miene.

Das Stampfen von Pferdehufen störte ihn nach einiger Zeit aus seinen Gedanken. Er begab sich an eines der niedrigen Fenster und erblickte zu seiner Überraschung einen Gendarmen, welcher soeben ab­gestiegen war und sein schnaufendes Ross an einen Ring neben dem Eingang des Hauses befestigte.

Bald darauf trat der Beamte herein. Vater Leonhard empfing ihn mit Offenheit und lud ihn zu seinem einfachen Frühstück ein, wozu sich jener auch nicht zweimal nötigen ließ.

Nach einem belanglosen Gespräch über das Wetter und an­dere Dinge lenkte der Gast die Unterhaltung auf die Bewohnerschaft des Dörfchens und schloss mit der Frage an den Wirt, ob ihm nicht ein gewisser Martin hier im Ort bekannt sei.

»O ja«, versetzte der Alte, »ich kenne den Mann zwar nicht so genau, weil er sehr zurückgezogen lebt. Seine Frau ist kürzlich gestorben und seine Kinder sind ihm eine schwere Last. Er muss kaum wissen, wie er sie durchbringen soll. Es mag ihm oft sauer genug werden.«

»Was treibt der Mann?«, fragte der Gendarm.

»Hm«, versetzte Leonhard, »wenn ich es sagen soll, so weiß ich es selbst nicht. Er lässt sich, wie schon gesagt, selten blicken und seine Zurückgezogenheit grenzt beinahe an Menschenscheu.«

Der Beamte drehte seinen starken Schnurrbart. Die Bemerkungen seines Wirtes schienen ihn noch nicht hinlänglich befriedigt zu haben.

»Ich möchte den Mann einmal sehen«, sagte er, »und da er ver­mutlich zu Hause sein wird, so will ich die Gelegenheit benutzen, ihn kennenzulernen.«

Leonhard sah den Sprecher verwundert an und er konnte die Frage nicht unterdrücken, ob vielleicht was in der vergangenen Nacht vorgefallen sei.

Jener verneinte es. »Es soll zwar nicht so ganz sicher hier herum sein«, fügte er hinzu, »und ich erhielt den Auftrag, die Gegend einmal zu untersuchen. Man erzählt sich so Verschiedenes und über­haupt haben wir schon mannigfache Beweise, die unseren Argwohn bestätigen.«

Während er noch sprach, hörte man vor der Haustür die Stimmen zweier Kinder, welche in flehendem Ton um ein Almosen baten.

»Diese ewige Bettelei«, bemerkte der Gendarm, während er aufstand, um hinauszugehen.

Der alte Wirt begleitete ihn und beim Heraustreten sagte er mitleidig: »Mein Herr, lassen Sie die Schelme laufen. Es sind die ältesten zwei Buben des armen Martins, nach welchen Sie sich soeben er­kundigten. Sie halten wöchentlich einen Umgang im Dörfchen und find übrigens zwei gutherzige Jungen.«

»Sie kommen wie gerufen«, sagte der Beamte. »Heda, ihr Schlingel, kommt herein, ich will euch eine Münze geben. Aber ihr müsst mir dasjenige sagen, was ich euch fragen werde.«

Die beiden Knaben von 10 bis 11 Jahren blieben schüchtern neben dem Eingang stehen und schlugen die Augen nieder. Endlich traten sie auf wiederholtes Zureden ein.

»Wer heißt euch zu betteln? Wisst Ihr nicht, dass man Bettelvolk ins Loch steckt?«, sagte der Gendarm. »Ich werde euch mit in die Stadt nehmen.«

»Ach, lieber Herr«, sagte der Ältere in bittendem Ton, »meine kleinen Schwestern hatten großen Hunger und da der Vater nicht zu Hause ist und wir kein Geld haben, so wollten wir um ein paar Stückchen Brot bitten gehen.«

»Euer Vater sorgt wohl recht schlecht für euch, nicht wahr, Jungs?«, fragte der Beamte. »Er ist gewiss froh, wenn ihr recht oft bettelt, damit er nicht nötig hat, für euch zu arbeiten.«

»Der Vater würde gewiss arbeiten, wenn er etwas verdienen könnte«, sagte der jüngere Knabe, während er dem Fragenden fest ins Auge schaute, »aber es gibt für ihn selten etwas zu tun. Die Leute glauben immer, er verstehe nichts von ihren Geschäften. Daher wollen sie ihn zu nichts gebrauchen.«

»Ist er zu Hause?«, fuhr jener fort.

»Nein«, antworteten Beide zugleich. »Er ist während der Nacht fortgegangen. Wohin, das wissen wir nicht anzugeben, und wann er wiederkommt, wissen wir eben so wenig.«

»Nun, wenn er dann zurückkommt, bringt er euch dann nicht manchmal was Hübsches mit?«, fragte der Gendarm.

Die Knaben sahen einander bedenklich an.

»O ja«, sagte endlich der Jüngere. »Erst neulich hat er meiner Schwester ein seidenes Tuch und uns Speck und Schinken mitgebracht.«

»Ei, das ist sehr schön von ihm«, sagte jener. »Du könntest mir doch wohl das hübsche Geschenk einmal zeigen. Wenn du es tust, so gebe ich dir diesen blanken Gulden.«

»O, das will ich recht gern dafür tun«, rief der Knabe ver­gnügt. »Freilich«, setzte er bedenklich hinzu, »meine Schwester wird es mir nicht geben wollen.«

»Nun, ich will mit dir nach Hause gehen, dann wird sie uns gewiss den Gefallen tun.« Mit diesen Worten gab er dem Kleinen das erwähnte Geldstück.

Die Kinder waren zufrieden und kehrten froh mit dem Gendarmen zu ihrer Wohnung zurück, wohin zu folgen auch der alte Leonhard aufgefordert wurde.

Das Haus war bald erreicht und bei dem Anblick der beiden Männer verkrochen sich die kleinen Geschwister ängstlich in den Winkeln der dumpfigen Stube. Die Eingetretenen redeten ihnen indessen freundlich zu, worauf sie nach und nach ein Herz fassten und wieder aus ihrem Versteck hervorkamen.

Der älteste Knabe, mit Namen Friz, führte hierauf den Gendarmen zu einer niedrigen Kammer.

In diesem Augenblick kam jedoch das jüngste Mädchen schnell herbei und den Bruder zurückhaltend, sagte sie in unwilligem Ton: Fritz, der Vater hat es uns verboten, jemand hineinzulassen, wenn er nicht da ist.«

Friz wurde rot im Gesicht. Er blieb. Die Erinnerung der Schwester schien Bedenken bei ihm erweckt zu haben. Der Beamte achtete jedoch nicht länger darauf, er schob den Knaben sanft auf die Seite und trat in die Kammer.

Das Erste, was er erblickte, war eine leere Geldkatze. Sie lag neben einem kleinen Kasten auf dem Estrich. Die darin befindlichen Riemen waren mit einem scharfen Messer durchschnitten und bei näherer Untersuchung fand sich ein kleiner Zettel darin, mit der Adresse des unglücklichen Pächters Andreas. Sie wurde auch vonseiten Leonhards als das Eigentum des Genannten erkannt. Hätte der alte Mann gewusst, in welcher Beziehung sein eigener Sohn mit dem gemachten Fund stand, er würde nicht so ruhig bei dem weiteren Verfolge der Haussuchung geblieben sein, der er bis zu Ende ziemlich gleichgültig beiwohnte.

Die von den beiden Knaben gemachte Bemerkung ergab sich ebenfalls als wahr. Denn in einem finsteren Winkel der Kammer hingen eine Anzahl fette Speckseiten, zum Teil durch ein altes Stück grobe Leinwand verborgen. Es war allerdings Zweifel erregend, ob dieselben auf ehrlichem Wege erworben waren, besonders da der abwesende Hausbesitzer kaum die Mittel besaß, für seine Familie Brot herbeizuschaffen. Wie viel weniger konnte er in solchen Umständen dergleichen Vorräte rechtlicher Weise einsammeln.

Endlich brachte man auch das erwähnte Tuch zum Vorschein. Der Beamte betrachtete es genau; es war nicht mehr neu und das Bedauern der Kinder wurde lebhaft, als sie sahen, wie es der bärtige Mann samt der aufgefundenen Geldkatze zu sich steckte.

Bald darauf entfernten sich die beiden Männer.

»Ich will darauf wetten, dass der duckmäusige Martin ein ausgemachter Spitzbube ist«, sagte der Gendarmarm auf dem Weg zur Schänke. »Nach dem, was ich gesehen habe, kann ich sogar keinen Augenblick daran zweifeln. Wie kommen die Sachen in sein Haus? Nun, ich will ihn schon auflauern und dann soll er sich schwerlich herauslügen. Haltet ein scharfes Auge auf ihn, Vater Leonhard«, fuhr er gutmütig fort. »Ich werde noch heute Anzeige von dem Ergebnis meiner Untersuchung machen. Und wenn Ihr zu einer Gefangennahme etwas beitragt, so sollt Ihr Euch nicht umsonst bemüht haben. Bestellt zwei oder drei starke Männer aus dem Dorf. Sobald er heimkehrt, so greift ihn ohne Weiteres in seinen vier Pfählen auf. Ich bin überzeugt, dass ihm dadurch kein Unrecht geschieht.«

Leonhard versprach alles nach der Angabe des Beamten zu voll­ziehen, worauf sich der Letztere nach einem noch kurzen Aufenthalt entfernte.

Während der Reiter schnell dem Wald zuritt, kam Georg lang­sam auf einem Fußweg daher, welcher durch eine Niederung führte. Er hatte kaum den Beamten erblickt, als er sich scheu hinter einem dichten Strauchwerk verbarg, um unbemerkt zu bleiben. Es gelang ihm und jener sprengte vorwärts, ohne den Galgenvogel gesehen zu haben.

Georg wanderte nun rasch dem Dorf zu. Sein Vater empfing ihn mit ernster, strafender Miene und sein Auge ruhte vorwurfsvoll auf seinen frechen Zügen. »Wohin soll das noch führen«, sagte der alte Mann im Ton der heftigsten Entrüstung. »Du bist jetzt keine Nacht zu Hause anzutreffen und schwärmst auf unbekannten Wegen. Wahrhaftig, seit­dem sich jene beiden Fremden bei uns eingefunden haben, ist ein Wesen in dir eingezogen, das ich nicht gutheißen kann, ausgenommen ich wollte mich selbst betrügen. Dein Betragen gefällt mir nicht mehr. Sprich, wo kommst du her und was war die Ursache deines Herumtreibens?«

Georg sah den erzürnten Vater mit Verachtung an. »Hört«, sagte er, darauf sich stolz erhebend, »die Bubenjahre sind vorüber, wo ich mich unter der Rute beugen musste. Ich lasse mich von nun an nicht mehr wie früher behandeln. Es ist jetzt anders geworden und ich glaube, dass ich berechtigt bin, nun auch ein geltendes Wort zu reden.«

»Schäme dich, Bube«, sagte der alte Bärenwirt tief erschüttert, »durch die Frechheit eines Sohnes muss ich solchen Undank für meine Liebe zu dir erleben. Ich hätte Lust, dich meine schwache Hand noch einmal fühlen zu lassen, wenn ich es vermöchte, sie mit Nach­druck zu führen.«

»Ho, ho«, lachte Georg, »versucht es einmal. Vielleicht geht es noch und wenn es Euch Spaß macht, so will ich auf meinen Rücken die Strafe geduldig laden, ohne mich auch nur einmal umzusehen.«

»Du bist ein frecher Bube«, sagte Leonhard, »und merke wohl, es ist keine Ehre und kein Segen bei denen, welche die Eltern durch Verachtung schänden. Wehe über den Sohn, der seines Vaters Liebe mit giftigem Hohn vergilt und seine Schwäche verspottet. Er wird einst ohne seinen Segen mit Schmach beladen aus dem Haus gehen.«

»Mich verlangt nicht nach Eurem Segen«, erwiderte Georg trotzig, »gebt mir lieber, was mir von Rechtswegen gehört. Ja, ja, alter Betrüger, gebt es heraus das Erbe meiner Mutter. Ich bin seit 8 Tagen mündig und ich habe nicht Lust, Euch noch länger Kredit zu schenken.«

»Abscheulicher Mensch!«, rief Leonhard fast außer sich. »Bei Gott! Eine solche Sprache hast du noch niemals gegen mich geführt.«

Seine Stimme wurde weich und während er sich umwandte, zerdrückte er ein paar große Tränen auf der bleichen, eingefallenen Wange. Dann wandte er sich gefasster gegen den rohen Menschen und sagte mit ziemlicher Ruhe: »Das Gericht mag unsere Angelegenheiten auf gütlichem Wege entscheiden. Ich will nichts von dir, und dein Erbe soll dir werden ohne den geringsten Verlust. Ich will dir Heller für Heller auszahlen. Sobald dies aber geschehen sein wird, musst du mich ver­lassen. Ich will nicht länger mit einem Sohn unter diesem Dach leben, der mich einen Betrüger gescholten hat. Die Sonderung soll bald geschehen und ich wünsche von Herzen, dass du mit dem Erbe deiner Mutter zugleich ihren Segen davontragen magst. Hätte sie den harten Vorwurf gehört, welchen du mir gemacht hast, sie würde Wehe über dich rufen.«

Georg schien einigermaßen verstimmt worden zu sein. Er schwieg und wandte den Blick zu Boden.

»Wie lange wird es dauern«, fuhr der Alte fort, »so hast du dein mütterliches Erbteil durchgebracht. Deine Freunde werden dir dabei behilflich sein. Dann wirst du vielleicht wiederkommen, um auch das noch zu holen, was jetzt noch das meine ist. Nun, du wirst es vielleicht bald bekommen, denn dein Betragen wird das alte graue Haar in Kurzem unter die Erde bringen, wohin es schon längst gehörte.«

Georg zeigte sich einigermaßen gerührt und sein Vater, welcher diese Umwandlung bemerkt haben mochte, begann nach einer kleinen Pause wieder: »Ich will dir nicht länger Vorwürfe machen, Georg, aber eines bitte ich dich zu bedenken, und zwar bei deinem eigenen Wohl: Lass ab von der Gesellschaft deiner gegenwärtigen Gefährten. Magst du sie gefunden haben, wo du willst, ich sage dir, die Zeit ist nicht fern, wo du es beklagen wirst, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.«

»Erspart Euch diesen Kummer«, versetzte Georg trocken. »Sie sind fort, die Euch Bedenken machen, und sie werden bald wieder in der Hauptstadt angelangt sein. Seid unbesorgt, sie werden nicht so bald wieder hierher zurückkehren.«

»Nun, Gott sei Dank dafür!«, sagte der alte Leonhard, »dass es geschehen ist. Ich will nicht wünschen, dass sie jemals wiederkommen. Doch da fällt mir etwas ein. Hast du unseren Nachbar Martin nicht während der letzten Zeit erblickt? Es ist Nachfrage wegen seiner gewesen, und zwar hat diesen Morgen eine Hausdurchsuchung durch den Gendarmen bei ihm stattgefunden.«

Georg verfärbte sich. Sein Gesicht wurde blasser und dann verbreitete sich eine augenblickliche Röte über dasselbe.

»Was weiß ich von Martin«, sagte er unwillig, »und was könnte ich auch von ihm wissen. Wir standen niemals in Verbindung miteinander; was geht er mich an, mag ihn suchen wer da will. Ich habe ihn weder gesehen noch mit ihm verkehrt.«

»Ich glaube es dir ja recht gern, dass du keine Verbindung mit ihm gehabt hast«, sagte der Bärenwirt besänftigend. »Ich glaube, es wird ihm übel genug bekommen. Man hat einiges gefunden, was seine Ehrlichkeit sehr in Zweifel zieht.«

»Gefunden?«, rief Georg hastig, sodass es dem Vater fast auf­fällig werden musste, »was hat man bei ihm gefunden?«

»Eine Geldkatze, die ich für die des Pächters Andreas erkannte«, versetzte der Gefragte. »Weißt du nicht, dass sie der Letztere noch gestern um seinen Leib geschnallt trug.«

»Was weiß ich«, unterbrach ihn Georg heftig. »Wenn dem Pächter ein Unglück auf seiner Heimreise widerfahren wäre, dann würden wir längst Nachricht davon bekommen haben. Ihr seid ein alter Schwätzer, der ohne Überlegung ins Wesen hineinplaudert. Wie könnt Ihr gründlich behaupten wollen, dass jene Geldkatze dem Pächter gehörte. Eurer dummen Behauptung zufolge wird man gegen den armen Teufel eine Anklage erheben, und dann werdet Ihr es zu beweisen haben, dass die Aussage begründet ist.«

Ein Reiter, welcher im gestreckten Galopp daher und der Schänke zu jagte, unterbrach die Unterhaltung zwischen Vater und Sohn. Der Alte ging hinaus, um den Ankommenden zu empfangen, während Georg gedankenvoll im Zimmer auf und ab ging. In seinem Inneren begann es heftig zu toben. Ein beengendes Gefühl ergriff ihn bei dem Gedanken an dem Vorfall in Martins Wohnung.

»Doch warum soll ich mich ängstigen«, sagte er zu sich selbst. »Martin ist gut aufgehoben; sie werden ihn nicht so leicht auf die Anklagebank ziehen können, solange wir ihn verborgen halten.«

Unterdessen war der Reiter vor der Schänke angelangt und Georg erkannte in ihm den Knecht des unglücklichen Pächters. Er stieg sogleich vom Pferd und trat dem Bärenwirt hastig mit der Frage entgegen, ob sein Herr nicht im Verlaufe des vergangenen Tages hier gewesen sei.

Leonhard bejahte es und fügte hinzu, dass er noch spät am Abend hier verweilte.

»Er ist noch nicht zurückgekommen«, sagte der Knecht, »und niemand weiß, wo er sich befindet.«

»Wartet ein wenig, lieber Freund«, erwiderte Leonhard, »ich will meinen Sohn darüber fragen. Er wird uns nähere Auskunft geben können, da er noch bis spät am Abend in seiner Gesellschaft gewesen ist. Heda, mein Sohn, komm heraus!«, rief er dann in das Schankzimmer hinein, sodass Georg heftig erschrak und mit blassem Gesicht in der Tür erschien.

»Wann ist Herr Andreas von hier fortgeritten?«, fragte der Alte. »Du musst es wissen, er ist bis jetzt noch nicht heimgekehrt und es steht zu befürchten, dass ihm ein Unheil begegnet ist.«

»Ich weiß es nicht so genau«, versetzte Georg mit düsterer Miene. »Dass er fortritt, weiß ich wohl; aber um welche Zeit ist mir unbewusst.«

»Nun, dann steh uns Gott bei!«, stöhnte der Knecht erschrocken. »Dann ist es umso mehr zu befürchten, dass ihn ein Unglück ge­troffen hat. Ach, die arme Pächterin will vor Kummer vergehen und es hat sich ihrer eine Angst bemächtigt, die sie nicht zu bemeistern imstande ist. Ich habe mich auf ihr Geheiß aufgemacht, um den Entschwundenen zu suchen und ich will seine Spur verfolgen, so lange bis ich ihn gefunden habe.«

Der gute Mensch bezeigte dabei eine Aufgeregtheit, welche seine Anhänglichkeit gegen seinen Herrn deutlich genug verriet. Er stieg wieder zu Pferd und sprengte davon, begleitet von den Blicken des alten Leonhards, welcher ihn kopfschüttelnd nachschaute.

»Reite zu«, murmelte Georg, der seine ganze Keckheit wiederge­wonnen hatte. »Du sollst ihn gewiss nicht finden, und wenn das Letztere wirklich geschehen sollte, dann würde es doch in einem Zu­stand geschehen, in welchem er nichts auszuplaudern vermöchte.« Mit diesen Worten begab er sich nach dem Zimmer zurück.

Sein Entschluss, die in der Höhle versteckten Gefährten von den drohenden Angelegenheiten zu benachrichtigen, war bald gefasst. Noch vor Einbruch der Nacht beschloss er den Schlupfwinkel aufzusuchen.