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Catherine Parr Band 1 – Kapitel 4

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

IV.
Der König von Gottes Zorn

»Wer wagt es, uns zu stören?«, rief der König, indem er mit ungestümen Schritten den Balkon verließ und in das Zimmer zurückkehrte. »Wer ist so vermessen, hier einzudringen?«

»Ich wage es!«, sagte eine junge Dame, welche bleich, mit entstellten Zügen, in furchtbarer Aufregung nun auf den König zueilte und sich vor ihm niederwarf. »Marie Askew!«, rief Catherine entsetzt. Marie, was willst du hier?«

»Gnade will ich! Gnade für diese Unglücklichen, welche dort leiden!«, rief das junge Mädchen mit dem Ausdruck des Entsetzens hinüber deutend zum geröteten Himmel. »Gnade will ich für den König selbst, der so grausam sein will, die Edelsten und Besten seiner Un­tertanen wie elende Tiere zur Schlachtbank zu führen!«

»Oh, Sire, habt Erbarmen mit diesem armen Kind!«, flehte Catherine, sich an Heinrich wendend. »Erbarmen mit ihrer leidenschaftlichen Erregung und ihrem Jugendfeuer! Sie ist dieser schauervollen Szenen noch ungewohnt; sie weiß noch nicht, dass es die traurige Pflicht der Könige ist, strafen zu müssen, wo sie vielleicht gern begnadigen möchten!«

Heinrich lächelte, aber den Blick, welchen er auf das kniende, junge Mädchen warf, machte Catherine erbeben. Es lag ein Todesurteil in diesem Blick!

»Marie Askew, wenn ich nicht irre, ist Eure zweite Ehrendame?«, fragte der König, »und es geschah auf Euren ausdrücklichen Wunsch, dass sie diese Stelle einnahm?«

»Ja, Sire!«

»Ihr kanntet sie also?«

»Nein, Sire, ich sah sie vor einigen Tagen zum ersten Mal! Aber sie hat beim ersten Begegnen schon mein Herz gewonnen, und ich fühle, dass ich sie wie eine Freundin lieben werde! Üben Sie also Nachsicht, Majestät!«

Aber der König war immer noch gedankenvoll, und die Antworten Catherines genügten ihm noch nicht.

»Weshalb interessiert Ihr Euch alsdann für diese junge Dame, wenn Ihr sie nicht kanntet?«

»Man hatte sie mir so lebhaft empfohlen!«

»Wer tat das?«

Catherine stockte einen Moment; sie fühlte, dass sie in ihrem Eifer vielleicht zu weit gegangen war, und dass es unvorsichtig gewesen, dem König die Wahrheit zu sagen. Aber des Königs strenger durch­bohrender Blick ruhte auf ihr, und sie erinnerte sich, dass er sie erst heute Abend so dringend und feierlich beschworen hatte, ihm immer die Wahrheit zu sagen! Zudem war es am Hof kein Geheimnis, wer die Beschützer dieses jungen Mädchens, und wer die Ver­anlassung gewesen war, dass sie diese Stelle als Dame der Königin erhielt, eine Stelle, um welche sich so viele reiche und angesehene Familien für ihre Töchter beworben hatten!

»Wer empfahl Euch diese Dame?«, wiederholte der König. Schon begann der Unmut sein Gesicht zu röten und seine Stimme zittern zu machen.

»Der Erzbischof Cranmer tat es, Sire!«, sagte Catherine, indem sie den Blick zum König erhob und ihn mit einem unendlich reizenden Lächeln anblickte.

In diesem Moment vernahm man von außen her lautes Trommelgewirbel, welches indessen noch übertönt wurde von kreischendem Klagegeschrei und entsetzlichen Jammertönen. Die Lohe des Feuers schlug höher auf, und man sah nun ganz deutlich die hellen Flammen, welche mit einer mörderischen Wut zum Himmel empor leckten!

Marie Askew, welche während der Unterredung des Königspaares ehrfurchtsvoll geschwiegen hatte, fühlte sich nun von diesem entsetzlichen Anblick überwältigt und des letzten Restes ihrer Besonnenheit beraubt.

»Mein Gott, mein Gott«, sagte sie, vor inneren Schau­ern bebend und ihre Hände flehend dem König ent­gegen streckend, »hört Ihr denn nicht dieses fürchterliche Jammergeschrei der Unglücklichen? Wohnt denn in der Brust dieses Königs kein Herz? Kennt er denn kein Erbarmen? Sire, bei dem Andenken an Eure eigene Todesstunde beschwöre ich Euch, habt Erbarmen mit diesen Unglücklichen! Lasst sie mindestens nicht lebend in die Flammen werfen! Erspart ihnen mindestens diese letzte fürchterliche Marter!«

König Heinrich warf einen zornigen Blick auf das kniende junge Mädchen, dann schritt er an ihr vorüber zu der Tür, welche in den angrenzenden Saal führte, in dem die Hofherren ihres Königs harrten.

Er winkte den beiden Erzbischöfen Cranmer und Gardiner, näher zu kommen, und befahl den Lakaien die Saaltüren weit zu öffnen.

Die Szene bot nun einen belebten, seltsamen An­blick dar, und dieses vorher so stille Zimmer wurde plötzlich zum Schauplatz eines großen, vielleicht blutig endenden Dramas umgewandelt. In diesem kleinen, mit so viel Pomp und Luxus ausgestatteten Schlafzimmer der Königin befanden sich die Haupt­personen dieses Dramas noch immer versammelt.

Der König, dessen von goldgestickten und mit Edel­steinen verzierten Gewändern umhüllte Gestalt von dem hellen Licht des Kronleuchters bestrahlt wurde, stand in der Mitte des Zimmers, neben ihm die junge Königin, deren schönes und liebliches Antlitz mit ängst­licher Spannung dem König zugewandt war, in dessen düsteren und strengen Zügen sie die Entwicklung dieser Szene zu lesen suchte. Unfern von ihr kniete noch immer das junge Mädchen, ihr von Tränen überflutetes Antlitz in ihren Händen verbergend, während weiter im Hintergrund sich die beiden Bischöfe befanden, welche mit ernster, kalter Ruhe die Gruppe vor ihnen betrachteten. Durch die geöffneten Saal­türen erblickte man die gespannten und neugierigen Gesichter der Hofleute, die Kopf an Kopf gedrängt in dem Raum der Tür standen, und ihnen gegenüber, durch die geöffneten Balkontüren, sah man den glutrot flammen­den Himmel, hörte man das Glockenläuten und Trommel­wirbeln, das Klagegeschrei und Heulen des Volkes!

Eine tiefe Stille trat ein, und als der König dann sprach, war der Ton seiner Stimme so eisern und kalt, dass ein unwillkürlicher Schauer alle An­wesenden durchrieselte. »Meine Herren Bischöfe von Winchester und Canter­bury«, sagte der König, »wir haben Euch gerufen, da­mit Ihr durch die Kraft Eures Gebetes und durch die Weisheit Eurer Worte dieses junge Mädchen hier von dem Teufel heilen mögt, welcher ohne Zweifel Gewalt über sie hat, denn sie wagt es, ihren König und Herrn der Grausamkeit und der Ungerechtigkeit anzuklagen!«

Die beiden Bischöfe traten näher zu dem knienden Mädchen hin. Beide legten sie eine Hand auf ihre Schulter und neigten sich zu ihr, aber beide mit ganz verschiedenem Ausdruck ihrer Mienen. Cranmers Blick war mild und ernst, und ein mit­leidiges und ermutigendes Lächeln zugleich umspielte seine schmalen Lippen.

Gardiners Züge hingegen trugen den Ausdruck einer grausamen, kaltherzigen Ironie, und das Lächeln, welches auf seinen breiten, aufgeworfenen Lippen stand, war das freudige und erbarmungslose eines Priesters, welcher bereit ist, seinem Götzen ein Opfer hinzu­schlachten.

»Mut, meine Tochter, Mut und Besonnenheit!«, flüsterte Cranmer.

»Der Gott, welcher die Gerechten segnet, und die Sünder straft und vernichtet, sei mit dir und uns allen«, sagte Gardiner.

Aber Marie Askew schauderte vor der Berührung seiner Hand zurück und stieß sie mit einer heftigen Bewegung von ihrer Schulter weg.

»Rührt mich nicht an, Ihr seid der Henker jener Armen, welche man dort unten richtet«, sagte sie heftig; und indem sie sich wieder an den König wandte und ihre Hände flehend zu ihm hinstreckte, rief sie: »Gnade, König Heinrich, Gnade!«

»Gnade?«, wiederholte der König, »Gnade? Und für wen? Wer sind diejenigen, welche man dort unten richtet? Sagt mir doch, meine Herren Bischöfe, wen führt man heute zu den Scheiterhaufen? Was sind die Verurteilten?«

»Es sind Ketzer, welche der neuen Irrlehre huldi­gen, die von Deutschland zu uns herübergekommen ist, und welche es wagen, die geistliche Oberherrschaft un­sers Herrn und Königs nicht anerkennen zu wollen!«, sagte Bischof Gardiner.

»Es sind Katholiken, welche den Papst zu Rom als den Oberhirten der christlichen Kirche betrachten und niemand außer ihm als ihren Herrn betrachten wol­len!«, sagte Bischof Cranmer.

»Ach seht, dieses junge Mädchen beschuldigt uns der Ungerechtigkeit«, rief der König, »und doch sagt Ihr, dass es nicht bloß Ketzer sind, welche dort unten gerichtet werden, sondern auch Katholiken. Es scheint mir also, dass wir gerecht und unparteiisch, wie immer, nur die Verbrecher gestraft und die Schuldigen dem Blutgericht übergeben haben!«

»Oh, hättet Ihr gesehen, was ich gesehen habe«, erwiderte Marie Askew schaudernd, »dann würdet Ihr Eure ganze Lebenskraft zusammenraffen zu einem einzigen Schrei, zu dem einzigen Wort: Gnade! Welches Ihr von hieraus hinüber riefet zu jener fürchterlichen Stätte der Qual und des Entsetzens!«

»Nun, und was sahet Ihr?«, fragte der König.

Marie Askew hatte sich aufgerichtet, und ihre schlanke, hohe Gestalt erhob sich nun wie eine Lilie zwischen den beiden dunklen Gestalten der Bischöfe. Ihr Auge war starr und weit geöffnet, ihre edlen und zarten Züge trugen den Ausdruck des Entsetzens und des Grauens.

»Ich sah ein Weib, welches man zur Hinrichtung führte«, sagte sie. »Nicht eine Verbrecherin, sondern eine edle Dame, deren stolzes und erhabenes Herz niemals einen Gedanken des Verrats oder der Untreue gehegt, die aber, treu ihrem Glauben und ihrer Überzeugung den Gott nicht abschwören wollte, welchem sie dient! Wie sie durch die Menge ging, da schien es, als ob eine Glorie ihr Haupt umgebe und ihr weißes Haar wie mit silbernen Strahlen umleuchte. Alle Welt neigte sich vor ihr, und die härtesten Männer selbst weinten über diese unglückselige Frau, welche mehr denn sie­bzig Jahre gelebt hatte, und dem man nun doch nicht einmal vergönnen wollte, auf ihrem Lager zu sterben, sondern die man hinschlachten wollte zur Ehre Gottes und des Königs. Sie aber lächelte und grüßte freundlich das weinende, schluchzende Volk und schritt zu dem Schafott hin, als sei es ein Thron, den sie nur zu besteigen habe, um die Huldigungen ihres Volks entgegenzunehmen. Die zweijährige Kerkerhaft hatte ihre Wangen gebleicht, aber sie hatte nicht vermocht, das Feuer ihrer Augen und die Kraft ihres Geistes zu töten; und ihre siebzig Jahre hatten ihren Nacken nicht gebeugt und ihren Mut nicht gebrochen! Sie schritt stolz und fest die Stufen des Schafotts empor und grüßte noch einmal das Volk und rief: ›Ich werde bei Gott für Euch beten!‹ Als sich ihr aber der Hen­ker näherte und von ihr verlangte, dass sie sich die Hände binden lassen und niederknien sollte, um ihr Haupt auf den Block zu legen, weigerte sie sich und stieß ihn entrüstet von sich fort. ›Nur Verräter und Ver­brecher legen ihr Haupt auf den Block‹, rief sie mit laut donnernder Stimme. ›Ich habe nicht nötig, das zu tun, und ich will mich Eurem Blutgesetz nicht unterwerfen, solange noch ein Atem in mir ist! Nimm also mein Leben, wenn du es bekommen kannst.‹ Und nun begann eine jener fürchterlichen Szenen, welche das Herz jedes Zuschauers mit Grau­sen erfüllt, und welche man nie vergisst, selbst in seiner Todesstunde nicht! Die Gräfin lief wie ein gehetztes Wild auf dem Schafott umher! Ihr weißes Haar flatterte im Wind, ihr schwarzes Sterbekleid umrauschte sie wie eine dunkle Wolke, und hinter ihr her mit er­hobenem Beil sah man den Henker in seinem feuerroten Gewande. Er, immer bemüht, sie mit seinem fallenden Beil zu treffen, sie, immer versuchend, das Haupt hier und dorthin wendend, den fallenden Hieben auszuweichen! Aber endlich wurde ihr Wider­stand schwächer, die Hiebe des Beiles trafen ihre Gestalt und färbten ihr weißes Haar, das über ihre Schultern niederhing, mit purpurroten Streifen. Mit einem herzzerreißenden Schrei sank sie ohnmächtig zu­sammen. Aber neben ihr, erschöpft, in Schweiß ge­badet, sank auch der Henker hin! Diese fürchterliche Hetzjagd hatte seinen Arm gelähmt, seine Kraft gebrochen. Keuchend, atemlos war er nicht imstande, dieses ohnmächtige, blutende Weib zu dem Block hin­zuschleppen, nicht imstande, das Beil emporzuhe­ben, um ihr edles Haupt von seinem Körper zu trennen. Aber das Volk heulte vor Jammer und Entsetzen und flehte und weinte um Gnade, und der Lord Oberrichter selber konnte sich kaum der Tränen erwehren. Er befahl mit der grausamen Arbeit innezuhalten, bis sich die Gräfin und der Henker erholt hatten, denn nicht eine Sterbende, sondern eine Lebende sollte hingerichtet werden, so lautete das Gesetz! Man bettete die Gräfin auf dem Schafott und versuchte sie zu beleben, man flößte dem Henker stärkenden Wein ein, um ihm die Kraft zu seinem Mordwerk wiederzugeben, und das Volk wandte sich den Scheiterhaufen zu, die zu beiden Seiten des Schafotts aufgerichtet waren, und auf denen man eben vier andere Märtyrer verbrennen wollte! Ich aber flog, wie ein gejagtes Reh hierher, und jetzt, König, liege ich zu Euren Füßen! Noch ist es Zeit! Gnade, König, Gnade für die Gräfin Sommerset, die Letzte der Plantagenet!«

»Gnade, Sire, Gnade!«, wiederholte Catherine Parr, indem sie sich weinend und bebend an die Seite ihres Gemahls schmiegte.

»Gnade!«, wiederholte der Erzbischof Cranmer.

Schüchtern und ängstlich flüsterten einige der Hofleute es ihm nach. Des Königs große und leuchtende Augen über­flogen mit einem raschen, durchdringenden Blick die ganze Versammlung.

»Nun, und Ihr, Mylord und Erzbischof Gardiner«, fragte er dann mit kaltem, spöttischem Ton, »wollt Ihr nicht auch um Gnade flehen, wie all diese weich­herzigen Seelen hier?«

»Der Herr, unser Gott, ist ein strafender Gott«, sagte Gardiner feierlich, »und es stehet geschrieben, wer gesündigt hat, den wird Gott strafen bis ins dritte und vierte Geschlecht.«

»Und was geschrieben ist, das soll wahr bleiben«, rief der König mit donnernder Stimme. »Keine Gnade für die Missetäter, kein Erbarmen für die Verbrecher! Das Beil soll fallen auf das Haupt der Schuldigen, die Flamme soll verzehren die Leiber der Verbrecher!«

»Sire, gedenkt Eurer hohen Bestimmung!«, rief Marie Askew mit begeistertem Ton. »Bedenkt, welch einen hohen Namen Ihr Euch selbst in Euren Lan­den gegeben habt! Das Oberhaupt der Kirche nennt Ihr Euch und an Gottes statt wollt Ihr herrschen und regieren auf Erden! Übt also Gnade, König, denn Ihr nennt Euch von Gottes Gnaden!«

»Nein, ich nenne mich nicht König von Gottes Gnaden, ich nenne mich König von Gottes Zorn!«, rief Heinrich, indem er drohend seinen Arm empor hob. »Mein Amt ist es, Gott die Sünder zuzusenden, möge er sie dort oben begnadigen, wenn er will! Ich bin der strafende Richter, und ich richte nach dem Gesetz unerbittlich, ohne Erbarmen! Mögen die Gerich­teten an Gott appellieren, und mag er sie begnadigen! Ich kann es nicht, und ich will es auch nicht! Die Könige sind da, um zu strafen, und nicht in der Liebe, sondern in dem rächenden Zorn gleichen sie Gott!«

»Wehe, wehe dann über Euch und über uns alle!«, rief Marie Askew, »wehe über Euch selbst, König Heinrich, wenn das, was Ihr da sagt, die Wahrheit ist! Dann haben diese Männer, welche dort den Schei­terhaufen bestiegen, recht, wenn sie Euch einen Ty­rannen schelten, dann hat der Bischof in Rom recht, wenn er Euch einen Abtrünnigen und Entarteten schilt und den Bannstrahl gegen Euch schleudert! Dann …«

»Schweig, Unglückliche, schweig!«, rief Cathrine, und indem sie das zornflammende junge Mädchen heftig zurückdrängte, fasste sie des Königs Hand und zog sie an ihre Lippen.

»Sire«, flüsterte sie mit innigem Ausdruck, »Sire, Ihr sagtet mir vorher, dass Ihr mich liebt! Beweist es, indem Ihr diesem jungen Mädchenverzeiht und Nachsicht habt mit ihrer leidenschaftlichen Erregung. Beweist es mir, indem Ihr mir erlaubt, Marie Askew auf ihr Zimmer zu führen und ihr zu gebieten, dass sie schweige!«

Aber der König war in diesem Moment ganz un­zugänglich für andere Gefühle als die des Zorns und einer blutgierigen Freude.

Der Geier hatte eine Taube gesehen, und es gelüstete ihn, ihr Blut zu trinken!

Der wilde blutgierige Instinkt des Königs war er­wacht, es war nicht Raum mehr in seiner Brust für irgendein anderes Gefühl!

Er wehrte Catherine unwillig von sich ab, und den stechenden, durchbohrenden Blick unverwandt auf dieses junge Mädchen gerichtet, sagte er mit hastigem, dumpfem Ton: »Lasst sie! Sie soll reden! Niemand wage es, sie zu unterbrechen!«

Catherine, zitternd vor Angst, und innerlich verletzt von der barschen Weise des Königs, trat seufzend in eine der Fensternischen zurück.

Marie Askew hatte alles, was um sie her geschah, gar nicht beachtet. Sie befand sich immer noch in jenem Zustand der Exaltation, welcher keine Rücksich­ten kennt und vor keiner Gefahr zurückbebt! Sie würde in diesem Moment mit freudigem Mut den Scheiterhaufen bestiegen haben, und es gelüstete sie fast nach dieser heiligen Märtyrerschaft!

»Redet, Marie Askew, redet!«, befahl der König. »Sagt mir, wisst Ihr denn, was jene Gräfin getan hat, für welche Ihr meine Gnade anfleht? Wisst Ihr, weshalb man jene vier Männer zu dem Scheiterhaufen führte?«

»Ich weiß es, König Heinrich von Gottes Zorn!«, sagte das junge Mädchen mit flammender Leidenschaftlichkeit! »Ich weiß, warum Ihr die edle Gräfin zur Schlachtbank führt, und warum Ihr keine Gnade an ihr üben wer­det! Sie ist aus edlem, königlichem Blut, und der Kardinal Polus ist ihr Sohn! Ihr wollt den Sohn in seiner Mutter strafen, und weil Ihr den Kardinal nicht erwürgen könnt, mordet Ihr seine Mutter!«

»Oh, Ihr seid ein sehr gelehrtes Kind!«, rief der König mit einem grausamen, ironischen Lachen. »Ihr kennt meine geheimsten Gedanken und meine verborgensten Gesinnungen! Ohne Zweifel seid Ihr also eine gute Katholikin, weil der Tod der katholischen Gräfin Euch mit so herzzerreißendem Jammer erfüllt. Dann müsst Ihr mir wenigstens zugestehen, dass man Recht tut, die anderen vier Ketzer zu verbrennen!«

»Ketzer!«, rief Marie begeistert, »Ketzer nennt Ihr diese edlen Männer, welche mit freudigem Mut für ihre Überzeugung und ihren Glauben in den Tod gehen? König Heinrich, König Heinrich!? Wehe über Euch, wenn Ihr diese Männer als Ketzer verdammt! Sie allein sind die Rechtgläubigen, die wahren Diener Got­tes! Sie haben sich frei gemacht von Menschengewalt, und wie Ihr den Papst, so wollen sie wiederum Euch nicht anerkennen als Oberhaupt der Kirche! Gott allein, sagen sie, ist der Kirche Herr, und ihrer Ge­wissen Meister, und wer kann vermessen genug sein, sie deshalb Verbrecher zu nennen!«

»Ich!«, rief Heinrich der Achte mit mächtigem Ton! »Ich wage es! Ich sage, dass sie Ketzer sind und dass ich sie vernichten, sie alle unter meine Füße treten will, sie alle, alle, welche so denken wie sie! Ich sage, dass ich das Blut dieser Verbrecher vergießen und ihnen Qualen bereiten will, vor denen die menschliche Natur schaudern und erbeben soll! Gott will sich durch mich offenbaren in Feuer und Blut! Er hat mir das Schwert in die Hand gedrückt, ich will es führen zu seiner Ehre und dem heiligen Georg gleich will ich den Lindwurm der Ketzerei unter meine Füße treten!«

Und indem er sein hochgerötetes Gesicht stolz emporhob und seine großen, mit Blut unterlaufenen Augen wild im Kreis umher rollen ließ, fuhr er fort: »Hört es alle, die Ihr hier versammelt seid! Kein Erbarmen mit den Ketzern, keine Gnade für die Ka­tholiken! Ich bin es, ich allein, welchen der Herr, unser Gott, zu seinem Henker und Meister erwählt und gesegnet hat! Ich bin der Hohepriester seiner Kirche, und wer es wagt, mich zu verleugnen, der verleugnet Gott; und wer so vermessen ist, ein anderes Ober­haupt der Kirche anbeten zu wollen, der ist ein Baalpriester und kniet vor einem Götzenbilde. Kniet alle vor mir nieder und verehrt in mir den Gott, dessen irdischer Stellvertreter ich bin, und der sich durch mich offenbart in seiner schreckensvollen und erhabenen Herrlichkeit! Kniet nieder, denn ich bin das alleinige Oberhaupt der Kirche, der Hohepriester unseres Gottes!«

Und wie auf einen Schlag beugten sich aller Knie, sanken alle diese stolzen Kavaliere, diese von Gold und Edelsteinen funkelnden Ladys, selbst die beiden Bischöfe und die Königin auf den Boden nieder!

Der König weidete sich einen Moment an diesem Anblick, und mit strahlenden Blicken und einem trium­phierenden Lächeln überflogen seine Augen diese vor ihm gedemütigte, aus den Edelsten seines Reiches bestehende Versammlung.

Plötzlich hafteten sie auf Marie Askew.

Sie allein hatte ihre Knie nicht gebeugt, sondern stand stolz und hochaufgerichtet, wie der König selbst, in der Mitte der Knienden.

Eine finstere Wolke überflog das Antlitz des Königs.

»Ihr gehorcht meinen Befehlen nicht?«, fragte er.

Sie schüttelte ihr lockiges Haupt und sah ihn fest und durchdringend an. »Nein«, sagte sie, »gleich jenen dort drüben, deren letzten Todesschrei wir eben ver­nehmen. Gleich jenen sage ich: Gott allein gebührt die Ehre, er allein ist seiner Kirche Herr! Wollt Ihr, dass ich vor Euch niederknie, als vor meinem König, so werde ich es tun, nicht aber beuge ich mich vor Euch als dem Oberhaupt der Heiligen Kirche!«

Ein Gemurmel des Entsetzens flog durch die Ver­sammlung und jedes Auge wandte sich mit Schrecken und Erstaunen auf dieses kühne junge Mädchen hin, das lächelnd und mit begeistertem Angesicht dem König gegenüberstand.

Auf einen Wink Heinrichs erhoben sich die Knie­nden, in atemlosen Schweigen die kommende, schreckensvolle Szene erwartend.

Eine Pause trat ein. König Heinrich selbst rang nach Atem und bedurfte eines Moments innerer Sammlung! Nicht, als ob der Zorn und die Leiden­schaft ihn der Sprache beraubt hätten! Er war weder zornig noch leidenschaftlich, es war vielmehr nur die Freude, welche ihm den Atem versetzte! Die Freude, wieder ein Opfer gefunden zu haben, mit dem er seine Blutgier befriedigen durfte, an dessen Qualen er sich weiden, dessen Todesseufzer er begierig einatmen könnte. Ein Opfer, an dem er seine Gottherrlichkeit und sein Königtum in blutigen Flammenzügen wieder offen­baren und dessen schauervolle Majestät seinem Volk aufs Neue vergegenwärtigen könnte!

Der König war niemals heiterer, als wenn er ein Todesurteil unterzeichnet hatte! Denn alsdann fühlte er sich ganz im Vollgenuss seiner Herr­lichkeit, als der Herr über Leben und Sterben von Millionen anderer Menschen, und dieses Gefühl machte ihn stolz und glücklich und seiner Erhabenheit sich ganz bewusst!

Als er daher nun an Marie Askew wandte, war sein Antlitz ruhig und heiter, und seine Stimme freundlich, fast zärtlich.

»Marie Askew«, sagte er, »wisst Ihr, dass Euch diese Worte, welche Ihr da gesprochen habt, zu einer Hochverrä­terin machen?«

»Ich weiß es, Sire!«

»Und wisst Ihr, welche Strafe der Hochverräter wartet?«

»Der Tod, ich weiß es!«

»Der Feuertod!«, sagte der König ganz ruhig, ganz gelassen.

Ein dumpfes Gemurmel flog durch die Versamm­lung. Nur eine Stimme wagte es, das Wort Gnade! hören zu lassen.

Diese eine war Catherine, des Königs Gemahlin! Sie trat vor, sie wollte zu dem König hineilen und noch einmal seine Gnade, sein Erbarmen anflehen! Aber sie fühlte sich leise zurückgehalten.

Erzbischof Cranmer stand neben ihr und sah sie mit ernsten, flehenden Blicken an. »Fassung, Fassung!«, murmelte er. »Ihr werdet sie nicht retten können, sie ist verloren! Denkt an Euch selbst und an die reine und heilige Religion, deren Beschützerin Ihr seid! Erhaltet Euch Eurer Kirche und Euren Glaubensgenossen!«

»Und sie muss sterben?«, fragte Catherine, deren Augen sich mit Tränen füllten, als sie hinüber blickte zu diesem armen, jungen Kind, das mit so schönem und unschuldigem Lächeln dem König gegenüberstand.

»Vielleicht können wir sie noch retten, aber jetzt ist nicht der Moment dazu! Jeder Widerstand würde jetzt den König nur noch mehr reizen, und er wäre imstande, das Mädchen augenblicklich in die Flammen der noch brennenden Scheiterhaufen werfen zu lassen! Schwei­gen wir also!«

»Ja, schweigen wir!«, murmelte Catherine in sich erschauernd, indem sie sich wieder in die Fensternische zurückzog.

»Der Feuertod erwartet Euch, Marie Askew!«, wie­derholte der König.