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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Wildschütz – Kapitel 7

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875
Siebtes Kapitel

Das Verhör

In Begleitung seiner Führer schritt unser Arrestant rasch über den öden Schlossplatz. Sein Auge spähte dabei verstohlen umher, in der Hoffnung, den Gegenstand seines Herzens, sein geliebtes Käthchen zu erblicken, in deren Nähe ihn jetzt ein ungünstiges Geschick unfreiwillig gebracht hatte.

Käthchen war durch den entstandenen Lärm aus dem Schlaf geweckt worden. Sie hatte, aufgescheucht von bangen Gefühlen, ihr Zimmer verlassen. Um nach der Ursache der nächtlichen Störung zu forschen, eilte sie rasch zum Hof hinab.

Der Zufall fügte es, dass das gute Mädchen in demselben Augenblick unten ankam, als man den Gefangenen vorüberführte. Sie erkannte ihn beim Schein mehrerer Laternen sogleich, sein Anblick erschreckte sie auf das Heftigste und die Überraschung raubte ihr beinahe das Bewusstsein.

Die Furcht, ihre Gefühle, welche sie für den Gefangenen hegte, zu verraten, erinnerte Käthchen daran, dass sie die größte Vorsicht zu beobachten habe. Sie bezwang auch ihren Schmerz, und um jedem Bemerktwerden zu entgehen, eilte sie mit pochendem Herzen in ihr Zimmer zurück. Hier sank sie kraftlos auf ihr Ruhebett und flehte mit tränenden Augen zum Himmel um Rettung des Geliebten, welcher den härtesten Ahndungen des Gesetzes verfallen war.

»Könnte ich nur ein Mittel zu seiner Befreiung finden«, seufzte sie, »ich würde es ergreifen, und wenn selbst mein Leben dabei in Gefahr kommen sollte. Ach, wie werden seine Feinde nun mit ihm verfahren und wie wird der alte Graf bemüht sein, dem armen Curt Nachteil zu bereiten. Man wird ihn einsperren und wir werden niemals einander angehören können! Doch das darf nicht sein und ich will nichts unversucht lassen, um ihm beizustehen«, fuhr sie nach langem Schweigen fort, »ich werde gewiss ein Mittel zu seiner Befreiung finden.«

Käthchen vermochte nicht wieder einzuschlafen, denn ihre Gedanken waren zu lebhaft mit den Angelegenheiten ihres bekümmerten Herzens beschäftigt. Unterdessen hatte man den Gefangenen in ein fest verwahrten Gefängnis gebracht. Der Raum seines Kerkers enthielt nur wenig Quadratfuß und war fast von allem entblößt, was ihm einige Bequemlichkeit hätte bieten können. Das einzige Fenster war von außen und innen mit starken Eisenstäben vergittert, deren Ausblick jeden Gedanken an ein Entkommen vernichtete. In der Mitte des Kerkers stand ein großer Steinblock mit einer kurzen, starken Kette, an welche Curt sogleich angeschlossen wurde.

Bisher hatte der Letztere fast noch kein Wort gesprochen; als man ihm jedoch die schweren Fesseln anlegte, da war es ihm unmöglich, die Gefühle seines Inneren durch längeres Schweigen zu unterdrücken. Die gefesselte Rechte erhebend, sagte er mit einem bitteren Blick auf Valentin: »Ist es doch, als ob man mich als den gefährlichsten Menschen betrachten müsse! Und worin besteht denn eigentlich mein Verbrechen? Ich habe weder gestohlen noch gemordet, und es wäre daher wohl von meiner Seite nichts Unbilliges, wenn ich mir erlaube, Eure Menschlichkeit um eine mildere Behandlung anzusprechen.«

»Schweig, du Lasterbube!«, polterte Förster Valentin, »du verdienst eine bessere Behandlung nicht, und ich glaube, dass das, was dir heute begegnet, noch nicht das Schlimmste sein wird, in Betracht dessen, was noch kommen kann.«

Der Gefangene wollte antworten, allein Valentin, welcher die Hetzpeitsche zu schwingen begann, drohte mit neuen Misshandlungen. Um sich nun denselben nicht wieder auszusetzen, schwieg der Erstere lieber. Sich mit Verachtung hinwegwendend, heftete er den Blick unverwandt auf den feuchten Fußboden seines öden Kerkers.

Bald darauf entfernten sich die Anwesenden und der alte Christian verschloss das Gefängnis, die Schlüssel zu sich steckend. Der Gefangene befand sich nun allein; er schüttelte grimmig seine Ketten und seine Hände ballten sich krampfhaft in ohnmächtiger Wut, doch wurde er nach und nach ruhiger und setzte sich auf den Stein, den Kopf in die Hände stützend, um so den nahenden Morgen zu erwarten.

Am nächsten Vormittag sollte die Vernehmung des Wildschützen vor sich gehen. Der Graf wollte die Voruntersuchung selbst leiten. Nachdem die nötigen Anstalten getroffen waren, ließ er den Gefangenen aus seinem Kerker führen.

Curt trat mit Unerschrockenheit in das Gemach, wo der Graf bereits auf einem Lehnstuhl Platz genommen hatte. Beider Blicke begegneten sich und das Auge des jungen Mannes zuckte nicht, während ihn dasjenige seines mächtigen Gegners zu durchbohren drohte.

»Wie ist dein Name?«, lautete die erste Frage des Schlossherrn, die er nach einem peinlichen Schweigen an den Beschuldigten richtete. Der Gefragte schien wenig Lust zu haben, darauf Antwort zu geben.

»Man nennt mich Curt«, sagte er zögernd, »doch wenn Ihnen daran gelegen ist, mehr über mich zu erfahren, dann muss ich Ew. Gnaden an meine alte Pflegemutter verweisen, denn sie wird Ihnen nähere Auskunft geben können.«

»Wie heißt deine Pflegemutter?«, fragte der Graf weiter.

»Elisabeth Wolfram.«

Der Graf machte eine schnelle Bewegung, es schien, als habe der Name der alten Frau üble Erinnerungen in seinem Inneren geweckt.

»Wo wohnt jenes Weib?«, fuhr er jedoch nach einer kurzen Pause fort.

»Im Moorgrund, unweit von Ew. Gnaden Schloss, wo sie ein Häuschen besitzt.« »Man hat dich schon oft auf ungerechten Wegen angetroffen«, fuhr der Graf fort, »das kann ferner nicht mehr so gehen und es ist Zeit, dass deinem Treiben ein Ende gemacht wird. Ich werde daher Sorge tragen, dass du Zeit bekommst, über dein liederliches Leben gehörig nachzudenken. Auch bist du angeklagt, Teilnehmer eines Raubes zu sein, der in der gestrigen Nacht bei einem meiner Pächter verübt wurde.«

Curt fuhr bei dieser Beschuldigung rasch und entrüstet empor.

»Wer sagt das und wer kann das mit dem geringsten Schein von Recht sagen?«, rief er heftig. »Nein, bei Gott, dessen, was man mich anklagt, bin ich weder fähig noch schuldig!«

»Ruhig!«, befahl der Graf. Es wird sich später zeigen, wieviel Wahrheit in deinen Worten ist, und ich will diejenigen nicht eines übereilten und ungerechten Urteils schelten, die dich des erwähnten Verbrechens fähig halten, obwohl du entschieden widerlegst. Das Letztere ist eine Eigenschaft und ein Gemeingut aller Schurken? Doch jetzt beantworte mir eine andere Frage«, fuhr der Graf fort. »Gestehst du es ein, gestern Abend einen Rehbock in meinem Revier geschossen zu haben?«

Der Gefragte zögerte mit einer Antwort, endlich sagte er: »Wenn ich nein sage, dann glauben es Ew. Gnaden doch nicht, folglich ist es eben so gut, wenn ich schweige.« »Das sollst du nicht«, entgegnete jener, »die Gerechtigkeit wird in deiner Sache wie in jeder anderen ihren Gang gehen, und ich werde sogleich die Aussage eines Zeugen in deiner Gegenwart zu Protokoll nehmen lassen.«

Der Schlossherr schellte und Christian trat herein, ihm folgte Martin, der Graveur, bei dessen Anblick eine trübe Ahnung durch die Brust des Angeklagten zog. »Wäre es möglich«, sagte er zu sich selbst, »dass derjenige ein Verräter an mir sein könnte, dem ich wohlzutun suchte? Sollte Martin so schlecht an mir handeln können?«

Der zuletzt Genannte wagte nicht, seine Augen gegen Curt zu erheben, er blieb vielmehr ängstlich neben dem Eingang des Zimmers stehen, bis ihm der Graf befahl, näher zu treten.

Nachdem Martin aufgefordert worden war, über dasjenige, was ihm in Betreff des Angeklagten bekannt sei, Auskunft zu geben, begann er in einem Ton, welcher den unsicheren Standpunkt fast verriet, auf dem er sich fast befand.

»Es war gestern Abend – die Zeit kann ich nicht so genau angeben – als ich durch wiederholtes Pochen an meiner Tür aufgefordert wurde, vor die Wohnung hinauszutreten, wo ich einen Menschen traf, in welchem ich den Angeklagten bald erkannte. Nach dem ich mich nach seinem Begehr erkundigt hatte, sagte er mir, dass draußen am Wald ein Rehbock liege, den er für mich bestimmt habe, weil er wisse, dass wir sehr arm seien. Ich zeigte anfänglich keine Lust, der Aufforderung Folge zu leisten, allein der Angeklagte ließ mir nicht eher Ruhe, als bis ich hinausging und das Wild hereinholte. Es geschah dies nun allerdings, ich habe aber sofort Anzeige davon gemacht, ein Umstand, der mich hoffentlich von jedem Verdacht freisprechen wird. Als ich wieder nach Hause zurückkehrte, fand ich mein armes Weib tot auf dem Bett liegen, und Ew. Gnaden können wohl glauben, dass ich unter solchen Umständen kein Haarbreit von der Wahrheit abgewichen bin. Ich war bisher ein ehrlicher Mann und mein Bestreben ist, es auch ferner zu sein.«

Dass Martin bei seiner Aussage unverschämt log, brauchen wir in Betracht der Ereignisse, die in jener Nacht stattgefunden und die dem Leser bereits bekannt sind, nicht erst zu bemerken. Er hatte allerdings den Rehbock nicht holen wollen, ebenso wenig aber konnte er behaupten, dass es gerade Curt gewesen war, der ihn dazu aufgefordert hatte, da er ihn nicht einmal so genau kannte. Die Veranlassung zu seiner Anzeige wurde lediglich von seinen Spießgenossen gegeben, die ihn dazu vermocht hatten, um somit auch die Aufmerksamkeit auf den Angeklagten wegen des in der Pächterei verübten Raubes zu lenken. Der Plan war nicht so übel berechnet, und der Graf war gern bereit, eine Andeutung dieser Art aufzunehmen, zur Bekräftigung seiner zum Teil aus Vorurteilen zusammengesetzten Vermutungen.

Er entließ Martin mit dem Lob eines ehrlichen und braven Mannes und gab ihm die Zusicherung, sich seiner künftig anzunehmen, wenn er in Not kommen sollte. Dass Martin dies alles ohne Vorwürfe in seinem Inneren anzuhören vermochte, konnte wohl ebenso wenig der Fall sein, als er das erhaltene Lob verdiente. Er schlich leise zur Tür hinaus, ohne denjenigen mit einem Blick angesehen zu haben, der sich in Betracht seines Elends zu einer Handlung hatte bewegen lassen, die ihn ins Verderben bringen sollte.

»Man führe den Gefangenen in sein Gefängnis zurück«, befahl hierauf der Graf, »damit er dort einsehen lerne, dass er der verdienten Strafe nicht entgehen wird und nur ein offenes Geständnis dieselbe mildern kann.« Curt folgte der zu seiner Begleitung bestimmten Mannschaft. Nachdem er wieder in seiner Zelle angelangt war, überließ er sich den Gedanken an die soeben erlittene Täuschung, die er von einem Menschen erfahren musste, dem er sich zu Dank verpflichtet zu haben glaubte.