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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Dritter Teil – 30. Erzählung – Nr. 5

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Dreißigste Erzählung

Fünf Tatsachen, welche erweisen, dass und warum viele Verstorbene spuken

Nr. 5

Mein Großvater mütterlicherseits, der Prediger Krüger zu Groß Schwechten, einem bei Stendal in der Altmark gelegenen Dorf, war im Besitz einer Gattin, die ihn ganz beglückte. Nicht ohne tief verborgenen Schmerz sah er daher in der zweiten Hälfte seiner mit ihr geführten Ehe ihre Kräfte allgemach schwinden und der Anschein drohte über lang oder kurz ihre gänzliche Auflösung. Selbst früher noch, als er ihren Tod fürchtete, schlummerte sie am Abend eines Sonntags, ehe man es dachte, sanft und ruhig ins bessere Leben hinüber.

Ihr Arzt, der damalige Kreisphysikus aus Stendal, besuchte sie oft, seitdem sie kränkelte, und kam zufällig ungerufen auch bald nach ihrem Tod. Zwar lag sie schon, angetan mit dem Totengewand, in der engen Behausung, worin sie der Mutter Erde wieder gegeben wer­den sollte; zwar fand sich auch nicht die kleinste Spur von Lebenszeichen. Und dennoch meinte der einsichtsvolle und äußerst vorsichtige Arzt, bei ihrer bekannten Geneigtheit zu Ohnmachten, bei ihren alten hysterischen Übeln und bei ihrem, ohne vorhergegangene tödliche Krankheit, plötzlich erfolgtem Tod komme ihm ihr Todesschlummer bedenklich vor, und wenn er auch leicht irren könne, so halte er sich dennoch verpflichtet, sie noch wie eine Scheinleiche zu betrachten und zu behandeln, überhaupt aber ihrer baldigen Beerdigung sich gänzlich zu widersetzen.

So bitter lächelnd das Gefühl des Gattenschmerzes bei dieser Äußerung des Arztes auch aus dem Großvater sprach, so ließ jener sich doch nicht abhalten, noch einige Versuche der Erweckung aus dem Zustand der gebundenen Lebenskraft mit der Leiche anzustellen. Mit kindlicher Herzlichkeit dankten die vier unmündigen Kinder der Verstorbenen, worunter meine damals zwölfjährige Mutter das Älteste war, für den schwachen Strahl von Hoffnung, dass die geliebte Tote vielleicht ins Leben wiederkehren werde. Der Arzt, nicht einsichtsvoller Geschäftsmann allein, sondern auch gefühlvoller Freund des Hauses, tat alles, was das Amt, sein eigenes Herz und jene kindlichen Bitten ihm so dringend zur Pflicht machten. Alles war indessen vergebens und der Arzt entfernte sich, ohne seine menschenfreundlichen Bemühungen mit einem glücklichen Erfolg gekrönt zu sehen.

Indessen war mein Großvater dadurch doch aufmerksam auf Möglichkeiten geworden, denn wenn der Leidende beim Trostzuspruch auch zweifelt, so wird es ihm doch nicht leicht an allem Sinn für das leise Flüstern der Hoffnung fehlen. Daher mochte es kommen, dass der vorhin bitterlächelnde Ungläubige von nun an fast nicht vom Lager seiner hingeschiedenen Gattin wich.

Nach langem vergeblichen Wachen forderte die Natur endlich ihre Rechte; die Schläfrigkeit übermannte den von der Trauer mehr noch als vom Wachen Ermatteten, und veranlasste, dass er, vom anderen Mittag an, halb krank, das Bett hüten musste. Der Arzt erschien wieder und teilte seine Sorgfalt und Kunst nun zwischen dem kranken Lebenden und der toten Kranken.

In der schwülen Sommernacht zum Dienstag, früh um zwei Uhr, glaubte die bei der ver­meinten Leiche angestellte Krankenwärterin eine äußerst geringe Bewegung an der Lippe der Toten sowie auch an einem Finger der rechten Hand wahrzunehmen. Sie, die vom Scheintod noch keine seiner anscheinend wunderbaren Äußerungen kennen mochte, war fast des Todes über diese ihr ganz unerwartete Beobachtung und eilte, vor Schrecken mehr tot als lebendig, zu dem schlummernden Hausvater.

»Ach Gott erbarme es, Herr Prediger! Ihre selige Frau spukt mit Hand und Lippe.«

Dies waren die Worte des Schreckens und des Trostes, womit die Unwissende ihr Entsetzen ausdrückte, und die den erschöpften Kräften des entzückten Gatten neue Schwungkraft gaben. Er entsprang mit jugendlicher Lebhaftigkeit dem Bett und eilte mit dem Arzt der Erwachenden zu Hilfe. Letzterer erneuerte nun mit regem Eifer all die Künste, welche mit dazu beitragen mochten, die anscheinend noch immer völlig tot daliegende Hausfrau aus dem Todesschlummer schöpferisch ins handelnde Leben zurückzurufen.

Im frohesten Entzücken rief er nach einer Zeit: »Hier, Freund, ist Leben, denn hier sind Spuren, unverkennbare Spuren der wiederkehrenden Lebenskraft. Eine vor die Nase­nlöcher gehaltene Daunenfeder wurde vom Odem fast noch unmerklich bewegt. In der Gegend der Herzgrube bemerkte man eine gelinde Wärme.

Nicht lange, und die Totgeglaubte tat einen aller Herzen erfreuenden Lebensblick und flüsterte leise und gebrochen: »Ach Kinder! Warum habt ihr mich nicht schlafen lassen? Ich schlief so sanft, so ruhig.«

Alle Mitglieder der Familie umgaben das Bett, in welches der Arzt die Scheintote gleich anfangs wieder hatte legen lassen. Alle vernahmen diese wunderbaren hocherfreulichen Werte des Lebens. Aber ich enthalte mich billig, das Entzücken zu schildern, welches die Brust jedes Einzelnen froh empor hob. Für den Ausdruck der unwillkürlichen Gefühle des freudigsten und heißesten Gedankens an die Gottheit wird jede Sprache ewig zu arm sein.

Die Frau des Predigers Krüger erholte sich bald nach diesem wohltätigen Todesschlummer, lebte, gesünder als vorher, noch ganzer neun Jahre in der so gleichsam erneuten vergnügten Ehe und gebar nach diesem Ereignis ihrem Gatten noch einen Sohn, den zu jener Zeit lebenden Bürgermeister, Herrn Krüger, in Stendal.