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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 21

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XXI. Unerhört

Aus den Notizen in den Struck’schen neuen Affichen wissen wir so ziemlich, welche Heldentaten Jacobson unter preußischer Flagge im Laufe des Sommers verrichtet hatte.

Andere Kämpfe mit der russischen Flotte sind uns nicht genau aufbehalten, doch hatte es dergleichen gegeben, und sie waren, wie die meisten, mit schwedischen Schiffen, für den schwarzen Adler siegreich.

Was den letzten Aufsatz betrifft, so war es keineswegs Jacobsons Absicht, mit seinem Geschwader in den Hafen von Kolberg einzulaufen, sondern lediglich diese Stadt und Festung, welche durch die Russen sehr bedrängt wurde, ihre Söhne wiederzugeben.

Zu diesem Zweck hatte Swieten das Kommando des Merkur übernommen, das Geschwader griff die schwedischen Wachtschisse an. Während man sich schlug, segelte van Swieten mit seiner Kolberger Kindern in die Mündung der Persante hinein. Als es geschehen war, verließen die übrigen vier Schiffe die Gegend wieder, um einen anderen Schauplatz für ihre Tätigkeit aufzusuchen.

Wie wir später sehen werden, beabsichtigte Jacobson einen bedeutenden Handstreich, der dann auch glücklich ausgeführt wurde.

Die Frau des Obersten Staelswerd war eigentlich keine von den enthusiastischen Frauen. Man wird sich aus früheren Anführungen über sie dies auch leicht erklären können.

Dennoch hatte der Ruf des Freischiffers ihre Aufmerksamkeit erregt und ein geheimer Zug des Herzens ließ sie ihm ein ihr selbst unerklärliches Interesse zuwenden.

Dies musste sich durch die Beziehungen ihres Gemahls zu demselben bald noch mehr steigern und ging endlich in den Wunsch über, den merkwürdigen Mann kennenzulernen.

Übrigens war denn auch mit der Zeit über sein Herkommen so viel bekannt geworden, dass dies hinreichend war, ihn als eine seltene Erscheinung hinzustellen.

Der Wunsch der Baronin wäre indessen sicher ohne Erfüllung geblieben, wenn nicht der Zufall das Vermittleramt übernommen hätte.

Dass ein Mann wie Jacobson seine Späher überall haben musste, wo er feine Tätigkeit entfaltete oder zu entfalten Lust hatte, darf wohl kaum erst gesagt werden.

In dem damals schwedischen Vorpommern ging dies auch bei einer gewissen Lauheit der Verwaltung sehr leicht an. Außerdem waren die Bewohner des Landes seit der Zeit, dass die Schwester Karls XII. zur Regierung gekommen, durchaus nicht enthusiastische Schweden.

Wir haben bereits der Neigung der Baronin gedacht, den Armen beizustehen. Vielleicht war dies nur eine gewisse Koketterie, nur der Schein eines gar nicht vorhandenen Wohltätigkeitssinnes, doch führte derselbe die gute Dame zu Zimmern in die Hütten armer Vorstadtbewohner und anderer hilfsbedürftiger Personen.

Bei einem solchen Besuch musste die mildtätige Dame indessen wahrnehmen, dass die von ihr bisher unterstützten Leute sich einer gewissen luxuriösen Verwendung hinsichtlich der von ihnen zuletzt genossenen Nahrungsmittel schuldig gemacht hatten.

Antike wie moderne philanthropische Bestrebungen von Damen scheinen sich stets dadurch ausgezeichnet zu haben, dass diese Samariterinnen es sich zur Hauptsache gemacht haben, ihre Pfleglinge nie aus einem gewissen mäßigen Hunger herauskommen zu lassen, obwohl sie dieselben vor dem Hungertod gerade schützen.

Ein mäßig hungerndes Volk regiert sich am besten, soll einst ein Staatsmann gesagt haben.

Ein mäßig hungernder Mensch mag daher auch wohl am dankbarsten sein, denn erwiesenermaßen wischt sich der Gesättigte den Mund und wird leicht übermütig.

Die Frau Oberst also machte eine Entdeckung, die sie empörte, denn sie war in dieser Hinsicht sehr streng.

Eine wohltätige Dame kann bei ihren Schützlingen immerhin etwas wagen, und deshalb sprach die Baronin zuvörderst ihre Unzufriedenheit auf ziemlich plebejische Weise aus. Das geschah indessen wohl, weil sie eben zum Volk sprach, das die feine Ausdrucksweise der Aristokratie doch nicht verstanden hätte.

Sie ließ es indessen auch dabei noch nicht bewenden, sondern begann eine Haussuchung zu halten, bei der das Gerippe eines kapitolinischen Vogels, in der Naturgeschichte Hausgans genannt, zutage kam.

Es gibt ein Bild, auf dem die Szene dargestellt ist, wie ein katholischer Geistlicher eine Familie beim Fleischvertilgen in der Fastenzeit überraschte.

Eine ähnliche Szene folgte nun auch in der Wohnung des verarmten Fischers auf der Frankenvorstadt und die Frau Oberst Staelswerd war gleichsam die Directrice de Spectacle, bis eine andere Person ihr dies Amt streitig machte.

Dieselbe erhob sich nämlich aus einem Haufen von Lumpen und Kleidern, als die Ermahnungen der wohltätigen Dame zu arg wurden, die jeden Satz mit demselben Wort schloss, mit dem sie den nächsten wieder begann. Dieses Wort lautete: »Unerhört!«

Jene Person aber stellte sich dar als ein teeriger, russischer Bursche, von so verwildertem Exterieur, dass er wohl geeignet war, Furcht einzuflößen, als er rief: »Gott verdamm mich, es ist unerhört. Wer seid Ihr, Frau, und was wollt Ihr von meinem Gänsegerippe, das ich meinen Wirtsleuten zum Abnagen überlassen habe!«

Die Dame erschrak nicht wenig, doch sie fasste sich schnell. Dieser Bursche, der Ursache hatte, sich zu verbergen, der sich bei Leuten einlogierte, die sonst keine Herbergen haben, der trotz seines desolaten Äußeren einen prachtvollen Ring auf seinem schmutzigen Finger und eine goldene Kette in einem Knopfloch trug, welche das Vorhandensein einer Uhr verriet, war sicher ein gefährlicher Mensch, daran durfte sie nicht zweifeln.

Doch eine schnelle Ideenverbindung verriet ihr nebenbei, dass sie es mit keinem gewöhnlichen Verbrecher zu tun hatte. So weit gekommen, erholte sich die Frau Oberst mit einem Seufzer und dachte an eine Antwort.

»Oh!«, sagte sie langsam, »das ist etwas anderes. Auf diese Weise sind wir gewissermaßen Genossen. Doch was macht Euer Chef, der Kapitän Jacobson?«

»Donnerwetter!«, rief der Mann, indem er erschreckt zurückfuhr. Im nächsten Moment jedoch fuhr seine rechte Hand mit einer verdächtigen Bewegung unter die Klappe seiner Jacke.

»Lasst die Waffe ruhen!«, sagte die Dame beherzt. »Wo befindet sich der Kapitän jetzt!«

»So fragt man Leute aus!«, brummte der Mann verdrießlich, »doch ich kann auch nicht sagen, wenn ich auch wollte, denn ich weiß nur, wo ich mich befinden soll, damit ich wieder zu ihm komme!«

»Nun gut!«, sagte die Frau, »ich habe einen Auftrag für Euch, den Ihr dem Kapitän ausrichten sollt. Kommt deshalb in einer Stunde zu dem Portier des Gouvernementshauses. Ihr werdet dort ein Schreiben und Euren Lohn empfangen, oder noch besser – Frau, Ihr könnt beides von mir selbst abholen, damit dieser gute Mann nicht in Gefahr kommt. Gott befohlen.«

Frau Oberst von Staelswerd ging und ihr Auditorium blieb mit aufgesperrten Mäulern zurück. Doch nach einer kurzen Beratung folgte ihr die Frau und brachte, wie die Dame gesagt hatte, ein an den Freischiffer adressiertes Schreiben sowie eine Summe Geld als Botenlohn für den Überbringer zurück.

Diese Letztere teilte derselbe großmütig mit seinen Wirtsleuten, welchen auf diese Art zuerst eine wirkliche Wohltat durch die Dame zufloss.

Das Schreiben dagegen wendete und drehte er hundertmal zwischen seinen knochigen Fingern umher, steckte es fort und holte es wieder hervor.

»Unerhört!«, murmelte er endlich, »der Kerl hat den Teufel im Leib, das ist nun schon klar. Ich glaube, er briefwechselt auch mit dem König von Schweden, während er Krieg mit ihm führt. Doch am Ende ist das gut, wenn es und für uns vorteilhaft bleibt; vielleicht fällt auch noch von ihm etwas ab, wenn ich das Dings übergebe!«