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Der Hexer 35

Robert Craven (Michael Schönenbröcher)
Der Hexer, Band 27
Todesvisionen

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 15. April 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Espinosa

Der Laut kam mit dem Wind heran, leise erst, kaum wahrnehmbar; ein Raunen in der Ferne, weit hinter den zerklüfteten Felsen und jenseits der Schlucht, in der wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Dann schwoll er an, wurde lauter und lauter- und schien sich gleich darauf zu entfernen. Fast wie das Rauschen des Ozeans, der sich an einem fernen Gestade bricht… Mit einem Ruck fuhr ich fuhr ich auf, als ich endlich erkannte, was es war. STIMMEN! Ein monotoner Singsang wie aus Hunderten von Kehlen; ein dumpfer Ton, der einen fast hypnotischen Rhythmus folgte. Ein indianisches Totenlied! Und während ich reglos auf meine Ellbogen gestützt dalag und dem klagenden, fernen Lied lauschte, schwoll das Singen abermals an, wurde drängender, fordernder, ja wütender. Und es kam näher!

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Der Berg der Weißen Götter. Selbst Lancelot Postlethwaite, der verschrobene Cambridger Wissenschaftler, hat nicht mehr recht daran geglaubt, ihn noch zu finden. Und nun steht er mittendrin – begleitet von einem Siouxhäuptling, einem berühmten Westmann, einer bezaubernden Kunstschützin und einem sonderbaren jungen Mann mit einer gezackten Strähne im Haar.

Und Hunderten von versteinerten Menschen – Wikinger und Indianer. Denn der Berg ist kein Olymp, von dem aus Götter die Geschicke der Welt lenken, sondern vielmehr eine Gruft. Schreckliches muss sich hier zugetragen haben …

Aber der Schrecken dauert noch an! Denn einer der »Götter« hat den Fluch überlebt. Ein wahnsinniger Gott, der über ein Heer von Toten gebietet. Mit einer List gelingt es den Gefährten, sein Vertrauen zu gewinnen. Und Erik Wolfshand, der letzte Wikinger, erzählt seine Geschichte:

Einst gelangten stolze Nordmänner an die Gestade dieses fernen Landes, das später Amerika genannt werden sollte. Sie machten sich die hier lebenden Indianerstämme Untertan und richteten ihre Festung in diesem Berg ein. Doch Neid und Niedertracht spaltete sie in zwei Gruppen: die Erik Hellauges und die des Zauberers Skallagrim. Der unselige Einfluss eines großen Edelsteins, den sie im Berg fanden, beschwor die Blutfehde herauf: ein Kristallhirn der GROßEN ALTEN, der finsteren Dämonen, die einst die Erde beherrschten, lange, bevor die Menschen kamen.

Mit böser Magie gelang es schließlich Skallagrim, den Kristall in Eriks Hauptquartier zu schaffen. Doch der vernichtende Einfluss, einmal freigesetzt, tötete sie alle. Ein junger Wikinger allein überlebte, doch die Strahlung raubte ihm den Verstand: Erik Wolfshand. Die Wächterindianer außerhalb des Berges aber führten den Ritus, die Götter zu bewirten, über Jahrhunderte fort, opferten bis heute ihre Ernten diesem einzigen Überlebenden, ohne es zu ahnen.

Im Inneren des Berges steht die Zeit still, und der Einfluss des Kristallhirnes wirkt noch immer. Nach kurzer Zeit schon beginnen sich Robert Craven und seine Gefährten gegeneinander zu wenden. Ihre Anwesenheit aber stört die Ruhe des Kristalls. Er erwacht zu neuem Leben – und mit ihm die versteinerten Menschen! Der uralte Kampf, Erik gegen Skallagrim, findet seinen Abschluss, während die Freunde entsetzt fliehen. Doch nicht allein – zwischen den Steingestalten hat Robert eine wiedererkannt, die er schon verloren glaubte: Shadow, die menschgewordene El-o-hym; der Engel! Sie ist es schließlich, die den Kristall endgültig zerstört und den Verdammten die Erlösung bringt.

 

***

 

Ich setzte mich vollends auf und streckte meine müden Glieder. Der Mond brach durch die schnell dahinjagenden Wolken und tauchte das Lager für Sekunden in kaltes, graues Licht. Rings um die noch glimmenden Feuerstellen erkannte ich die in Decken gehüllten Gestalten meiner Begleiter. Keiner von ihnen regte sich. Nur unsere Packpferde und die indianischen Ponys, die wir in einer natürlichen Felsenbucht in der Nähe festgebunden hatten, schnaubten unruhig und warfen die Köpfe hin und her, als witterten sie eine Gefahr.

Irgendetwas hatte mich geweckt, aber ich wusste, dass es nicht dieses unheimliche, klagende Lied gewesen sein konnte. Normalerweise bedarf es drastischerer Mittel, um mich aus dem Schlaf zu reißen, und nach den Strapazen der letzten Tage wäre selbst der Erfolg eines Pistolenschusses zweifelhaft gewesen.

Nein, es gab einen anderen Grund für mein Erwachen. Ich hatte es im gleichen Augenblick gespürt, als ich die Augen aufschlug.

Es waren meine magisch geschärften Sinne! Irgendetwas tief in mir war aus seinem trügerischen Schlaf erwacht und regte sich nun, tastete mit unsichtbaren Fühlern in die Nacht, folgte dem Wind, der wüsteneinwärts wehte, suchte, forschte – und zog sich plötzlich mit solcher Hast wieder zurück, dass ich beinahe aufgeschrien hätte. Für einen Moment tanzten grelle Lichter vor meinen Augen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, um dann mit doppelter Wucht weiterzupochen.

Und dann spürte ich die Panik tief in mir. Eine grundlose, wilde Angst, die für Sekunden mein Denken zu überschwemmen drohte. Angst vor … was?

Ich schloss die Augen und kämpfte die Schrecken in meiner Seele mühsam nieder. Allmählich beruhigte sich mein Herzschlag wieder, und das Zittern meiner Hände verschwand so rasch, wie es gekommen war.

Zurück blieb ein bitterer Geschmack von Furcht in meinem Herzen. Und vielleicht war gerade dies das Schlimmste …

Mit einem Ruck schlug ich die schwere Wolldecke beiseite und stand vollends auf. Die eisige Nachtluft betäubte meine Lungen, und schon nach wenigen Sekunden hatte sich die Kälte durch meine Kleidung gefressen und ließ mich frösteln.

Aber das bemerkte ich kaum. All meine Sinne waren auf das Ende der Schlucht gerichtet; dorthin, wo die Schatten zwischen den bizarren Felsen zurückblieben und das endlose, bleiche Meer der Wüste begann.

Und von wo der schreckliche Laut heranwehte …

Für einen Moment war ich versucht, meine Gefährten zu wecken, zumindest Bill, der leise schnarchend gleich neben meiner Lagerstätte schlief. Aber dann entsann ich mich der, indianischen Wache, die irgendwo in den Felsen auf Posten sein musste.

Vorsichtig bewegte ich mich zwischen den zusammengerollten Gestalten hindurch, setzte mit einem Sprung über eines der erlöschenden Feuer hinweg und näherte mich dem Posten. Deutlich konnte ich seine Silhouette gegen den hellen Grund des Wüstensandes ausmachen; er hockte auf einem Felsen am Ende der Schlucht, eine Decke um seine Schultern geschlagen, und starrte hinaus in die endlose Weite.

»Heda, Freund – ich bin es«, raunte ich ihm halblaut zu, nur, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Ich wusste, dass er meine Sprache ebenso wenig verstand wie ich die seine. Aber einen Indianer zu überraschen, noch dazu von hinten, konnte unangenehme Folgen mit sich bringen. Ein Messer in der Brust, zum Beispiel.

Doch der Mann reagierte nicht auf meine Worte. Auch als ich ihn erreicht hatte und die Hand auf seine Schulter legte, wandte er sich nicht um.

Irgendetwas stimmte nicht!

Alarmiert packte ich die Decke und zog sie ihm von den Schultern.

Ich hatte halbwegs erwartet, ihn bewusstlos oder gar tot zu finden, ermordet von der geheimnisvollen, magischen Macht, deren Anwesenheit ich so deutlich spürte.

Nichts von beidem traf zu. Der Indianer, ein hagerer Bursche mit Hakennase und scharf geschnittenen Zügen, lebte durchaus noch – und er war bei vollem Bewusstsein, wie mir seine weit aufgerissenen Augen zeigten. Sein Brustkorb, durch dessen Haut sich die Rippen überdeutlich abzeichneten, hob und senkte sich in gleichmäßigen Atemzügen.

Aber es war eine Haut so grau wie Stein – und ebenso hart!

Ich stöhnte vor Entsetzen und wich einen Schritt zurück. Instinktiv glitt meine Hand zu dem kleinen indianischen Dolch, den mir Sitting Bull im Berg der Götter geschenkt hatte und den ich seitdem im Gürtel trug.

Der Wächter reagierte mit keiner Bewegung. Sein Blick ging noch immer starr hinaus in eine unendliche Ferne. Und während ich ihn noch fassungslos betrachtete, begann sich etwas tief in diesen starren, dunklen Augen zu regen; ein Funke wie von Glut, pulsierend und immer größer und größer werdend.

Ich zog den Dolch unter dem Gürtel hervor und trat wieder an den Indianer heran – vorsichtig und mit angespannten Muskeln, in jeder Sekunde auf einen Angriff gefasst.

Und trotzdem kam meine Reaktion zu spät! Die versteinerte Hand des Wächters zuckte vor und umschloss das Gelenk meiner Linken wie eine zuschnappende Bärenfalle.

Es war ein reiner Reflex – ich sprang zurück und bohrte die schlanke Klinge des Dolches mit aller Kraft in seinen Arm.

Wenigstens wollte ich es.

Der Stahl brach mit einem hellen, klirrenden Laut dicht unter dem Schaft ab und flog in hohem Bogen davon. Gleichzeitig riss mich der Indianer wieder zu sich heran, sodass ich gegen den Felsen prallte, auf dem er saß. Seine Hand umklammerte mein Gelenk mit stahlhartem Griff, und der Schmerz trieb mir Tränen in die Augen.

Sekundenlang hing ich so da, halb gegen den Fels gelehnt und nur von dem Roten aufrecht gehalten. Dann wandte der Indianer den Kopf und sah mich aus brennenden Augen an. Und das im wahrsten Sinne des Wortes! Die Pupillen seiner Augen waren vollends verschwunden und hatten einem gleißenden, pulsierenden Leuchten Platz gemacht. Roter Widerschein erhellte sein Gesicht, als er mich weiter zu sich heranzog und mich anstarrte wie ein Raubtier sein wehrloses Opfer. Seine Züge verzerrten sich zu einer wilden Grimasse der Wut. Und trotzdem glaubte ich für einen Moment, so etwas wie… Enttäuschung darin zu erkennen.

Dann – urplötzlich – ließ er mich los.

Vollkommen überrascht stolperte ich zurück und hob abwehrend die Hände. Aber das war unnötig, wie ich bald erkannte – der Indianer machte keine Anstalten, mich nochmals anzugreifen. Das Feuer in seinen Augen erlosch, und das Grau seiner Haut wurde fleckig und dunkel.

Und dann öffnete er die versteinerten Lippen, und seine raue, hasserfüllte Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. »Du bist nicht Ta-tan-ka I-yo-ta-ke. Du bist nicht der Mörder.«

Nur diese Worte. Mehr nicht. Er drehte wieder den Kopf und blickte in die Weite der Mojave-Wüste hinaus, als wäre nichts geschehen. Die Glut in seinen Augen erlosch endgültig, und dann griff er mit einer schwerfälligen, seltsam eckigen Bewegung nach der Decke und schwang sie sich wieder um die Schultern.

Wie lange ich noch reglos dastand und ihn anstarrte, während meine Gedanken wild im Kreise rasten, weiß ich nicht mehr. Er hatte mich töten wollen, und nun? Mein Verstand wollte sich nicht damit abfinden, was meine Augen sahen. Drohte von einer anderen Seite Gefahr, die ich nicht bemerkt hatte?

Ich wirbelte herum, drehte mich auf dem Absatz im Kreis. Und dann fiel auch mein Blick hinaus auf das endlose, sandige Meer.

Ein gellender Schrei brach über meine Lippen. Instinktiv riss ich die Arme schützend vor das Gesicht, taumelte zurück und stürzte in den Sand, kroch hastig noch weiter zurück und kam stolpernd wieder auf die Beine.

Es war ein Bild wie aus einem qualvollen Alptraum; schrecklicher als alles, was ich bisher je erblickt hatte.

Die endlose Wüstenlandschaft war übersät mit Leichen.

Ich schlug die Hände vor die Augen, doch mein Blick schien durch Fleisch und Knochen hindurchzugehen, und das Bild brannte sich mit schrecklicher Klarheit in mein Gedächtnis und ließ mich wie von Sinnen schreien.

So weit mein Blick auch ging – überall, bis zum fernen Horizont und wahrscheinlich noch darüber hinweg, lagen die blutigen Körper von Indianern in voller Kriegsbemalung und Weißen in der Uniform der Kavallerie der Vereinigten Staaten; Körper, die von Speeren und Pfeilen, von Säbeln und Kugeln getroffen worden waren, wie von einem schrecklichen Sämann über den weißen Sand verstreut. Körper mit gebrochenen Augen und weit aufgerissenen Mündern, aus denen der klagende Laut wehte.

Ein blutiges Schlachtfeld.

Little Bighorn.

Ich wusste es im selben Moment, als ich die Uniformen erkannte, wusste es mit lähmender Gewissheit, obwohl ich nie eine Illustration oder eine Fotografie des schrecklichen Massakers gesehen hatte, dass dies die Vision von Little Bighorn war, dem schwärzesten Kapitel der amerikanischen Geschichte. Eine Vision!

Und mit dieser Erkenntnis verlor der Schrecken seine Macht. Es konnte nicht Wirklichkeit sein! Ich musste dies alles … träumen!?

Mit einem Ruck fuhr ich herum. Vor mir erstreckte sich das Lager – und nichts hatte sich verändert! Nicht einer der über zwanzig Männer war durch mein Schreien erwacht. Und dann wanderte mein Blick zu meiner Schlafstatt, und ich sah – mich selbst, in eine wollene Decke gehüllt und friedlich schlafend!