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Slatermans Westernkurier 02/2022

Auf ein Wort, Stranger, sagt dir der Name Miche Phink eigentlich noch etwas?

Von allen Volkshelden der amerikanischen Frontier prahlte keiner lauter, schoss treffsicherer, stritt niederträchtiger, hurte und soff hemmungsloser als Mike Fink, der sagenumwobene König der Kielbootfahrer vom Ohio River. Fink war ein wahres Ungeheuer von Mann und hatte im Gegensatz zu den anderen Legenden des Wilden Westens seine Taten, deretwegen er genauso berühmt wie berüchtigt war, tatsächlich fast alle selbst begangen.

Er musste sie nicht ausschmücken oder benötigte gar die Hilfe von Schriftstellern wie Jahrzehnte später solche Blender wie William »Buffalo Bill« Cody. Finks Taten waren so unglaublich, solche Geschichten konnte nur das wahre Leben schreiben.

Es ist bis heute nicht belegt, wo und wann genau er geboren wurde. Einige Quellen sagen um 1770 irgendwo an der Frontier von Pennsylvania, andere behaupten um 1780 in der Nähe von Fort Pitt, dem heutigen Pittsburgh. Was seinen Geburtsort anbelangt ist man sich auch heute noch nicht sicher, was das Geburtsjahr anbelangt dagegen schon. Es muss so um 1770 gewesen sein, denn ein zehnjähriger Indianerkämpfer und Scharfschütze ist selbst für damalige Zeiten sehr unwahrscheinlich. Belegt dagegen ist, dass ihn seine franko-kanadischen Eltern Miche Phink tauften und er den Namen später in die anglisierte Form Mike Fink umwandelte.

Er diente bereits in jungen Jahren als Indianerscout im Ohio River Valley und war ein solch schneller und unfehlbarer Schütze, dass ihm die Soldaten in Fort Pitt den Spitznamen Bangall (Schieß auf alles) gaben.

Als die Indianerkriege in diesem Gebiet in den frühen neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts zu Ende gingen und Fink aus dem Armeedienst entlassen wurde, verschmähte auch er – wie so viele altgediente Soldaten und Scouts – eine Rückkehr ins bürgerliche Leben, das ihnen nur die Wahl ließ, Farmer, Ladengehilfe, Schweinebauer oder Landarbeiter zu werden.

Fink suchte sein Glück als Kielbootfahrer im Transportgeschäft auf dem Ohio und dem Mississippi.

Allein von der Statur her war er dazu mehr als prädestiniert.

Mike Fink war mit einer Größe von etwa 2,05 Meter und einem Gewicht von mehr als 180 Pfund für seine Zeit ein wahrer Riese. Mit seiner Kraft, seiner Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber und dem unbändigen Willen, sich stets die lukrativsten Aufträge zu schnappen, bekam er auf den Flüssen schnell einen neuen Spitznamen. Jetzt nannte man ihn Snapping Turtle, die schnappende Schildkröte. Man behauptete, was er auch bewies, er könnte eine Gallone Whiskey trinken und selbst dann noch einem Schwein aus 90 Schritt Entfernung den Schwanz abschießen.

Eine andere Legende dieser rauen Zeit, David de Crocketagne, besser als David Crokett bekannt und unsterblich als einer der letzten Verteidiger von Alamo, soll einmal, nachdem er ihn näher kennengelernt hatte, über ihn gesagt haben:

»Mike Fink ist kein Mensch, dieser Mann ist eine Mischung aus Pferd und Alligator.«

 

*

 

Das Leben als Kielbootfahrer in jener Zeit war lebensgefährlich. Piraten, Indianer, Hochwasser, reißende Sturmfluten in der Regenzeit, zugefrorene Flussläufe im Winter und Neid der Konkurrenz erforderten absolute Wachsamkeit. Nur einen Augenblick nicht aufgepasst und schon trieb man als toter Mann den Fluss hinunter. Die Zeitungen des Landes waren bis zum Aufkommen der Dampfschiffe, mit welchen die Kielboote an Bedeutung verloren, jedes Jahr voll von den Todesanzeigen dieser Unglücklichen. Das Leben war also hart und brutal, leider traf dies auch auf den Charakter und den Umgang der Kielbootfahrer gegenüber ihren Mitmenschen zu.

Einen Mann zusammenzuschlagen bedeutete für diese grobschlächtigen Gesellen für gewöhnlich, dass dieser gerade noch so mit dem Leben davonkam. Wenn sie, wie sie es nannten, »roh und unbändig« miteinander kämpften, versuchten sie dem Gegner mit den Fingern die Augen auszustechen und ihm Stücke aus den Lippen, der Nase oder den Ohren zu beißen. Wenn manch einer, was viele taten, einen Ohrring trug, kam es oft vor, dass diesem hernach nicht nur der Ring, sondern auch das komplette Ohr abgerissen wurde.

Der Unterlegene konnte seiner Vernichtung zwar entgehen, indem er »Genug« schrie und die Hand hob, aber der Ehrbegriff der Kielbootfahrer schrieb vor, dass ein richtiger Kerl den Kampf nicht aufgab, nur weil er ein Auge, ein Ohr oder ein Stück seiner Nase verloren hatte, sondern dass er seinerseits versuchte, seinen Gegner zu verstümmeln.

In dieser gewalttätigen Welt genoss Mike Fink den Ruf eines wahren Meisters.

Aus mancherlei Gründen gewann Mike in den Kreisen der Kielbootfahrer auch den Ruf eines Frauenhelden. Einer davon war wohl der Umstand, dass sich die meisten seiner Kumpanen damit brüsteten, in jedem Hafen eine Frau zu haben, während Fink darüber hinaus auch noch eine Frau mit auf das Schiff nahm. Allerdings waren seine Methoden, sich der Treue dieser Frau zu versichern, genauso roh und gewalttätig wie seine Umgangsformen mit den anderen Kielbootfahrern.

Als eine seiner Auserwählten in seinem Beisein einmal einem anderen Mann zublinzelte, setzte er kurzerhand ihre Kleider in Brand und sie konnte sich nur noch durch einen Sprung in den Fluss retten.

Neben seinem fast schon perfiden Vergnügen, sich zu prügeln, zu saufen und zu schießen, besaß Mike Fink auch noch einen schwarzen, bösartigen, ja fast grausamen Sinn für Humor, den er häufig mit dem Gewehr zum Ausdruck brachte.

Ein Tiefpunkt dieses Humors war jener Tag, als er einen Sklaven mit vorstehender Ferse entdeckte.

Schweigend und voller Ernsthaftigkeit hob Fink darauf sein Gewehr, zielte kurz und schoss dem Mann den hinteren Teil vom Fuß ab. Vor Gericht wies er den Richter darauf hin, dass sein Opfer niemals einen modischen Stiefel hätte tragen können, wenn nicht ein barmherziger Samariter wie er eingegriffen hätte.

Auch wenn Finks sadistische Ader ihm bei diesem Vorfall nur ein paar Wochen Gefängnis eingebracht hatte, war es doch sie, die letztendlich zu seinem Tode führte.

 

*

 

1822 schloss sich Fink mit William Carpenter und Levi Talbot, zwei langjährigen, engen Freunden, einer Pelzhandelsexpedition der Ashley Rocky Mountain Fur Company zum oberen Missouri-Tal an. Während des langen Winters wetteiferten Fink und Carpenter mit zuweilen bösartigen Mitteln um die Zuneigung einer Indianerin.

Die Entscheidung, unter welche Decke die Frau während der kalten Winternächte schlüpfen sollte, fiel schließlich während eines heftigen Saufgelages, als Fink vorschlug, einander sich abwechselnd Whiskeybecher vom Kopf zu schießen, um den besseren Schützen herauszufinden, der dann als Gewinn die Indianerin bekam.

Eine Wettkampf, wie er fast in jedem Hafen am Mississippi stattfand.

Carpenter stimmte zu, ging, nachdem er beim Losen mit einer Münze verloren hatte, ins Freie, balancierte seinen Becher sorgfältig auf dem Kopf und forderte Fink auf anzufangen.

Fink nahm das Gewehr hoch, schoss und verteilte Carpenters Gehirn im Schnee.

»Carpenter!«, rief er danach klagend. »Zum Teufel, du hast den Whiskey verschüttet!«

Dieser zynische Nachruf war zu viel für Talbot. Er schnappte sich Carpenters Pistole und schoss Fink eine Kugel mitten ins Herz.

Die große, lebende Legende der keelboater, die nie eine Herausforderung zum Schießen, Prügeln und Saufen ausgelassen hatte, war auf der Stelle tot.

Man schrieb das Jahr 1823.

Ungeachtet seiner brutalen und menschenverachtenden Lebensweise ist Mike Fink in Amerika ein Volksheld, seltsamerweise verstärkt seit dem 20. Jahrhundert.

1955 verkörperte der Schauspieler Jeff York Mike Fink in zwei Episoden der damals beliebten Westernserie Davy Crokett und 1956 in dem Spielfilm Davy Crokett an the River Pirates. Der Autor Zachary Ball schrieb ab 1958 mehrere Abenteuerbücher für Jungs mit Mike Fink als Helden und 1998 erschien das Buch Mike Fink, A Tall Tale von dem Kinderbuchautor Steven Kellogg.

Im Disneyland war sein Boot Gullywhumper mit einer Ausstellung über sein Leben eine wahre Attraktion.

Das ist aber nur eine kleine Auswahl der Werke über Mike Fink.

2007 kam Louis Meyers Historienroman Mississippi Jack auf den Markt, dessen Hauptprotagonist ebenfalls Mike Finn war. Bis 2019 gab es auf dem Ohio River ein Bootsrestaurant namens Mike Fink, das dort 40 Jahre lang Fischspezialitäten servierte.

Anzumerken ist, dass bei allen Film-, Fernseh- und Buchpublikationen Mike Fink als zwar raubeiniger, aber stets lustiger Geselle mit nur positiven Charaktereigenschaften geschildert wurde.

Hierzulande, wie auch im Rest von Europa dagegen ist Mike Fink kaum bekannt und wenn, dann nicht als Volksheld, sondern als das, was er tatsächlich war.

Ein saufender und schießender Raufbold, der außer Spuren lesen und Kielboot fahren so gut wie nichts konnte.

Quellenhinweis:

  • popularpittsburgh.com
  • www.appalachianhistory.net
  • Die Flussdampfer aus der Time Life Buchreihe Wilder Westen von Paul O´Neil, aus dem Englischen übertragen von Andrea Hamann, Leitung der deutschen Redaktion Hans-Heinrich Wellmann, Textredaktion Elke Martin