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Vincent Voss – Im Eis

Im Eis
Eine Suche nach Antworten

Vor etwa 4500 Jahren, lange bevor europäische Walfänger und Entdecker die Ostküste Grönlands betraten, war die gesamte Region von Inuit besiedelt. Das Volk der Independence I-Kultur existierte etwa 600 Jahre.

Etwa 1100 Jahre später trat eine neue Welle von Inuit, die grönländischen Dorset, in die Fußstapfen ihrer Vorgänger. Beide Kulturen ernährten sich von Moschusochsen, Robben, Hasen, Vögeln und Fischen. Die Zeltlager der grönländischen Dorset waren weit verbreitet entlang der Küste Ostgrönlands verteilt, insbesondere in der Dove Bay und auf der Île de France. Die grönländischen Dorset lebten in Ostgrönland von etwa 800 v. Chr. bis 0.

Um 1200 n. Chr. erreichten die Vorfahren der heutigen Grönländer, die Thule-Kultur, Grönland und besiedelten über Nordgrönland bald die gesamte Küste Ostgrönlands. Sie waren Walfänger, besaßen Fellboote (Kajaks und Umiaks) und ernährten sich wie ihre Vorgänger. Überreste ihrer Behausungen sind in ganz Ostgrönland zu finden.

Seit einer gefühlten Ewigkeit ist Grönland das Ziel zahlreicher Expeditionen, um Passagen für die Schifffahrt zu finden oder um die nördlichen Breitengrade bis hin zum Nordpol zu ergründen. So zum Beispiel wurde im Jahre 1607 Henry Hudson von der Muscovy Company mit einer 11-köpfigen Mannschaft auf der Hopewell ausgesandt, um eine Passage nach Japan und China über den Nordpol zu suchen. Während Hudson das Hauptziel seiner Reise verfehlte, sollen seine Berichte über die großen Walvorkommen in den Gewässern um Spitzbergen nach Meinung vieler Experten zur Entwicklung der nördlichen Walfischerei geführt haben. Nach wie vor zieht es Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt nach Grönland, um vor Ort unter anderem Schlüsse für den gegenwärtigen Klimawandel ziehen zu können.

Viele Mythen und Sagen, allen voran die von der Mutter des Meeres, von Kaassassuk und dem Geistwesen Pissaap Inua, sind uns dank der schriftlichen Überlieferungen durch Knud Rasmussen in Myter og Sagn fra Grønland erhalten geblieben.

 

In seinem jüngsten Werk Im Eis greift der Autor Vincent Voss eine, während seines Ethnologiestudiums entstandene Idee auf, die bisher lange auf Eis lag. Seine Protagonistin Amelie Fischer, Professorin am Institut für Ethnologie in Hamburg, hat ein Faible für Polarexpeditionen; explizite die dritte Polarexpedition 1878 zum Nordpol. Eigentlich weiß sie darüber alles, da diese Thema ihrer Magister- und Doktorarbeit war und Amelie dadurch zu einer Expertin für historische circumpolare Forschung emporstieg. Ihr wurden per Kurier die geheimen, jahrzehntelang verschollenen Tagebücher des Kapitäns der Teutonia, Johannes Werkmeister, in die Hände gespielt.

In ihrem Büro beginnt die Professorin mit der Sichtung der Tagebücher. Beim Lesen stößt Amelie auf einen Hinweis, dass die eigentliche Aufgabe der beiden Schiffe Morgenröte und Teutonia darin bestand, ein drittes Schiff, die Sirene, zu begleiten. Mehr Fragen kristallisieren sich bei ihren neu gewonnenen Erkenntnissen heraus. Sollte sie die Tagebücher veröffentlichen? Worin bestanden Ziel und Zweck der Expedition? Amelie beschloss, den Dingen auf den Grund zu gehen und herauszufinden, was mit der Sirene geschehen war.

 

Wer einen Voss das erste Mal in den Händen hält, weiß zu Beginn nicht, worauf er sich einlässt; wer den Horror Master of the North kennt, könnte vage vermuten, wohin die Reise geht. Nun ja, der Titel seines jüngsten Horror-Thrillers Im Eis bestimmt bereits das Ziel – in den Hohen Norden. Doch der dritte Aggregatzustand von Wasser lässt viel Spielraum und Interpretation offen. Erinnert sei hier zum Beispiel an den Horrorfilm Das Ding aus einer anderen Welt aus dem Jahre 1951 oder an die vielen Gletscherfunde in der jüngsten Zeit. Selbst das Hintergrundmotiv der Buchvorder- und Buchrückseite, gestaltet von Timo Kümmel, sowie das eisblaue Leuchten des Bundsteges stimmen den Leser von Anfang an in den Roman ein. Man spürt förmlich die Kälte, die sich den Teilnehmern der Fischerʼschen Expedition offenbart. Und nicht zu vergessen – die Frost, mit welchen sich das Team um Amelie auf die Reise begibt.

Virtuos versteht es Vincent Voss, in seinem Horror-Thriller mit den Worten zu spielen, seine Handlungsträger graduell aufzustellen, zu charakterisieren und sie bis zum Final End agieren zu lassen; wie in einem Drehbuch – absolut filmreif. Warum? Ein überzeugender Schreibstil, eine der jeweiligen Situation angepasste Bildsprache sowie eine Detailtreue sind dafür verantwortlich, dass der Leser an Bord der Frost verweilen und an den Ereignissen in persona teilnehmen kann – wenn man sich auf das Vossʼsche Kopfkino einlässt. History, Sex and Crime meets Horror. Filmreif – sagte ich bereits!

Doch das ist noch nicht alles. Mit Im Eis richtet der Autor seinen ethnologischen Blick auf real existierende Probleme unserer Zeit, zum Beispiel auf den Klimawandel und den damit einhergehenden Folgen, wie die sich verändernde Lebenssituation der Inuit; ein sehr ernst zu nehmendes Thema, welches beim Lesen von Im Eis zum Nachdenken anregt.

Fazit:
Eine akribische, strukturelle und logische Herangehensweise an die Erstellung des Romans Im Eis ist ein erneuter Beweis dafür, dass Vincent Voss sein schriftstellerisches Handwerk versteht. Als Leser fühlt man sich zu jeder Zeit bestens unterhalten, schlittert mit der Crew der Frost in ein packendes Abenteuer hinein und schmunzelt ein wenig ob einer burlesken Erwähnung eines fränkischen Autorenkollegen.

Für diesen Roman vergebe ich volle zehn Eiskristalle.

Angaben zum Buch

Vincent Voss
Im Eis
Horror, Thriller, Taschenbuch, Verlag Tosten Low, Meitingen/Erlingen, November 2021, 408 Seiten, 14,90 EUR, ISBN: 9783966290180, Umschlaggestaltung, Karte, Seitenhintergründe: Timo Kümmel
Synopsis:
Amelie Fischer ist Professorin am Institut für Ethnologie in Hamburg und weiß alles über die dritte deutsche Polarexpedition 1878 zum Nordpol. Das denkt sie jedenfalls, bis ihr ein Dachbodenfund in die Hände gespielt wird. Nicht die Entdeckung einer eisfreien Passage, nicht die Erforschung des ewigen Eises war das eigentliche Ziel, sondern ein Schiff namens »Sirene« sicher ins Eis zu geleiten. Je mehr sie herausfindet, umso geheimnisvoller erscheint die Expedition in der Nachbetrachtung. Und als sie beschließt, selbst eine Gruppe von Wissenschaftlern in den Nord-Osten Grönlands zu führen, um die Sirene zu bergen, bringt sie ihr Leben in Gefahr …

Im Eis ist die deutsche Antwort auf Dan Simmonsʼ Terror: dunkel, spannend und atmosphärisch dicht. Nicht ausgeschlossen, dass dem Leser heiß UND eiskalt wird.

(Creepy Creatures Reviews)

Vincent Voss spielt auf der Klaviatur des Horrors wie kaum ein Zweiter. Selbst Alltägliches mutiert bei ihm zu einer Allegorie des Grauens. Meisterhaft!

(Thomas Finn)