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Der Welt-Detektiv Band 6

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Slatermans Westernkurier 11/2021

Auf ein Wort, Stranger, kennst du eigentlich noch Herman, den deutschen Apachen?

Sein Vater, Moritz Lehmann, wurde am 29. Mai 1827 in Friedersdorf in der Niederlausitz, dem heutigen polnischen Biedrzychowice Dolne, geboren. Augusta Johanna Adams, seine Mutter, erblickte in Kulm, dem heutigen Chelm Zarski, am 27. Februar 1833 das Licht der Welt.

Beide bestiegen im Rahmen einer Auswanderungswelle des Mainzer Adelsvereins am 8. September 1846 in Bremerhaven das Schiff LOUISE und erreichten am 2. November 1846 den Hafen von Galveston, Texas.

Beide lernten sich während der fast acht Wochen andauernden Überfahrt kennen und lieben, doch es dauerte noch einmal drei Jahre, bis sie am 30. September 1849 heirateten.

Aus dieser Ehe gingen insgesamt sieben Kinder hervor, wobei Emelyn Lehmann, ihr erstes Kind, am 28. April 1851 bereits wieder verstarb. Sie wurde genau ein halbes Jahr alt.

Herman wurde als viertes Kind am 5. Juni 1859 geboren.

Die Familie bewirtschaftete eine abgelegene Farm nahe der deutschen Siedlung Fredericksburg.

Es war ein hartes und karges Leben und auch die Kinder mussten schon in frühester Jugend Feldarbeiten verrichten.

So auch an jenem schicksalhaften 16. Mai 1870, als der fast elfjährige Herman mit seinem um zwei Jahre jüngeren Bruder William und ihren Schwestern Caroline und Wilhelmina auf die Felder liefen. Doch diesmal war ihr Tun mehr Spiel als Arbeit, sie sollten die Vögel von dem im März ausgesäten, noch jungen Getreidetrieben verjagen. Vergnügt verscheuchten die vier Kinder die Vögel vom Acker, als sie sich plötzlich von Mescalero umzingelt sahen.

Danach ging alles sehr schnell.

Wie gelähmt vor Angst durch den Anblick der rot bemalten Indianerfratzen machten die Kinder keine Anstalten zur Flucht und so hatten die Mescalero leichtes Spiel. Da eine schallende Ohrfeige, dort ein derber Hieb und schon waren Herman und William außer Gefecht. Da sich das Interesse der Apachen nur auf die beiden Jungen konzentrierte, gelang Caroline und Wilhelmina die Flucht zur elterlichen Farm.

Ihren Brüdern hingegen rissen die Mescalero die Kleider vom Leib, bevor sie die beiden nackt auf zwei ihrer Pferde banden und mit ihnen davongaloppierten.

 

*

 

Kindesentführungen waren in jenen Tagen keine Seltenheit.

Die Indianer der südlichen Plains raubten und adoptierten regelmäßig fremde Kinder, um ihre eigenen Verluste auszugleichen. Als Herman entführt wurde, kämpften die Ureinwohner Amerikas bereits auf verlorenem Posten.

Die weißen Siedler nahmen immer mehr Land in Anspruch und drängten die Indianer Nordamerikas aus ihrem Land in Reservationen. Mit dem Beginn des Goldrausches und dem Bau der Eisenbahn strömten die Siedler auch in die Gebiete der letzten frei lebenden Stämme. Den Indianern der Great Plains, zu denen auch die sogenannten Plains-Apachen und vor allem die Komantschen gehörten, entzogen sie durch das gezielte Abschlachten der Büffelherden ihre Lebensgrundlage.

Deshalb darf man den Raub der Kinder auch nicht als einen barbarischen Akt verurteilen, sondern muss ihn aus der Sichtweise der Indianer der damaligen Zeit sehen, um das Geschehen beurteilen zu können.

Die Mescalero versuchten mit den beiden Jungen gen Westen nach New Mexiko zu entkommen.

Sie wurden allerdings bereits vier Tage nach der Gefangennahme der beiden Lehmann-Brüder von einer Armeepatrouille entdeckt und in ein Feuergefecht verwickelt, in dessen Verlauf William fliehen konnte. Den überlebenden Apachen jedoch gelang mit Herman die Flucht. Sie brachten ihn in ihr Lager in die östliche Bergwildnis von New Mexiko, wo er von Häuptling Carnoviste und dessen Frau Laughing Eyes als Adoptivsohn aufgenommen wurde.

Sie gaben ihm den Namen En Da, was frei übersetzt so viel wie weißer Junge bedeutete.

Herman lebte etwa sechs Jahre bei den Apachen und assimilierte sich völlig.

Er wurde zu einem der ihren, zu einem Krieger und Kämpfer.

Er war noch keine 16, als er seinen ersten Mann tötete, einen mexikanischen Büffeljäger.

Eine weitere Tat, die ihm unter den Apachen Ruhm einbrachte, war seine Teilnahme an einem Gefecht mit Texas-Rangern am 24. August 1875. Das Gefecht fand am Concho Plain, ungefähr 100 Meilen westlich des heutigen San Angelo, Texas, statt. Der Texas Ranger James Gillett war dabei drauf und dran, ihn zu erschießen, als er erkannte, das Herman ein Weißer war.

Als die Ranger versuchten, ihn zu fangen, konnte er entkommen. Herman hatte sich der Lebensweise der Apachen inzwischen angepasst und galt längst als einer der ihren.

Dann kam das Frühjahr 1876 und damit ein erneuter radikaler Einschnitt in seinem Leben.

Eine feindlich gesinnte Apachengruppe hatte die Band, bei der er lebte, in einem Gefecht aufgerieben und ihren Führer Häuptling Carnoviste getötet.

Im Gegenzug tötete Herman den Medizinmann dieser Bande, der seinen Adoptivvater ermordet hatte. Da er die Rache dieser Apachengruppe fürchtete und wusste, dass ihm seine Band keinen Schutz mehr bieten konnte, flüchtete er in entlegenere Gebiete, die er später in seiner Autobiografie als ein Paradies mit grünen Flussauen, reichlich Wasser und Jagdwild und idealen Temperaturen beschrieb. Dort lebte er fast ein Jahr, bis er immer öfter auf Anzeichen stieß, dass er in diesem Paradies nicht allein war.

Er zog sich noch weiter zurück, aber schon bald wurde ihm klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis man ihn entdeckte. Das Gebiet hatte sich als die Jagdgründe eines Komantschenstammes entpuppt. Es dauerte nicht lange, bis er den Entschluss fasste, sich den Komantschen anzuschließen.

Herman näherte sich ihrem Lager, beobachtete es eine Weile und ging dann schließlich zu ihnen.

Er erzählte ihnen seine Lebensgeschichte und überzeugte sie von seinen guten Absichten, worauf er schließlich von ihnen aufgenommen wurde.

Die Komantschen gaben ihm den Namen Montechena.

 

*

 

Zu dieser Zeit neigte sich die Ära der freien Komantschen immer schneller ihrem Ende entgegen.

Quanah Parker, der wohl bedeutendste Häuptling dieses Indianerstammes, deren Krieger man bis vor wenigen Jahren noch ehrfurchtsvoll als die Herren der Plains bezeichnete, hatte 1875 die Waffen niedergelegt und mit den Weißen einen Friedensvertrag ausgehandelt, der ihnen ein menschenwürdiges Dasein in einer Reservation zusicherte.

Im Juli 1877 reiste der Häuptling durch die Comancheria, dem ehemaligen Herrschaftsgebiet des einst so stolzen Volkes und versuchte die versprengten Gruppen, die ihre Waffen noch nicht niedergelegt hatten, zur Aufgabe und zur Übersiedlung in das Kiowa-Comanche-Reservat in der Nähe von Fort Sill, im heutigen Oklahoma, zu bewegen.

Die Gruppe von Herman folgte seinem Rat, nur Herman selbst weigerte sich. Er kam jedoch später auch nach. In Fort Sill lebte er schließlich bis 1878 mit der Familie von Quanah Parker in dem Reservat.

Während dieser Zeit war einigen Personen aufgefallen, dass er als Weißer unter den Indianern lebte. Seine Mutter hatte die Hoffnung, ihn wiederzufinden, nie aufgegeben. Als sie von den Berichten hörte, wandte sie sich an den Kommandanten von Fort Sill, Ranald Slidell McKenzie, und traf ihn schließlich in Fredericksburg.

Im April 1878 wurde Herman von fünf Soldaten und einem Fahrer mit einem Ambulanzwagen nach Loyal Valley, Mason County Texas, zu seiner Familie gebracht.

Herman, der lange davon ausgegangen war, dass seine Familie nicht mehr lebte, erkannte seine Mutter zunächst genau so wenig wie sie ihn. Das lag zum einen daran, dass er weder seine Muttersprache Deutsch noch beherrschte, sondern auch Englisch nicht mehr verstand. Zum anderen auch daran, dass er längst mit der Welt der Weißen abgeschlossen hatte und sich bis tief in sein Innerstes hinein als Indianer fühlte.

Bezeichnend dafür war der Umstand, dass er sich, nachdem seine Apachenband aufgerieben war, sich nicht den Weißen zuwandte, sondern Zuflucht und Sicherheit bei einem anderen Indianerstamm gesucht hatte.

Obwohl ihn seine Mutter und die Familie bei der Wiedereingliederung in die Welt der Weißen mit aller Kraft unterstützte, gelang ihm die vollständige Anpassung an deren Lebensweise nie.

Er blieb in seinem Herzen immer ein Indianer, bis zu seinem Tod.

Eine erste Ehe, die er 1885 mit einer Frau namens N. E. Burke schloss, scheiterte früh.

Mit seiner zweiten Frau, Fannie Light, ging er dann zurück ins damalige Indian Territory, wo er als Mitglied des Volkes der Komantschen eine Landzuteilung erhalten hatte.

Dort wurden auch ihre fünf Kinder geboren.

1927 erschien in Austin Hermans Biografie Nine Years Among the Indians, die heute noch eine der besten Beschreibungen der indianischen Lebensweise der Apachen und Komantschen in der Zeit der Indianerkriege darstellt. Nirgendwo sonst wurde indianische Religionsauffassung, das Verhältnis von Mann und Frau und Themen wie Essen, Trinken, Jagen, Krieg und Waffen plastischer und realitätsnaher beschrieben als hier.

Herman Lehmann, der bis zu seinem Tod die Namen En Da oder Montechena bevorzugte, starb am 2. Februar 1932 in Loyal Valley in Texas, wo auch sein Bruder William am 11. September 1951 verstarb.

Quellenhinweis:

  • www.spiegel.de
  • Interessierten möchte ich die Filmdokumentation über das Leben dieses außergewöhnlichen Mannes ans Herz legen, die in der ZDF-Mediathek jederzeit abrufbar ist.