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Der Vampir – Im Balkanpass

Hans Wachenhusen
Der Vampir
Eine Novelle aus Bulgarien, 1878

Im Balkanpass

Es ist lange her, und doch nicht so lange, dass mir in­zwischen ein Zug, eine Linie, ein Licht oder ein Schatten von dem, was ich schildere, im Gedächtnis erblasst oder verschwun­den wäre. Es ist eine Erinnerung aus der Jugendzeit, wo das Herz noch voll üppiger, überschwänglicher Träume, der Kopf voll kühner Pläne, wo die Hand mit grüner Unerschrockenheit in die düstere, nächste Zukunft hinausgriff.

Der Schauplatz, von dem ich erzähle, ist heute noch derselbe. Der Balkan streckt noch heute sein schneebedecktes Haupt, der Sonne trotzend, über Bulgarien und Rumelien, seinen Brüdern drüben jenseits des Marmarameeres und des goldenen Hornes winkend. Adler und Geier kreisen über den wild gezackten und geklüfteten Felsen und Schlünden des Balkangebirges, die schnellfüßigen bulgarischen Rosse tänzeln noch heute in langen Reihen über die schmalen Pässe des Balkans an steiler Granit- oder Kreide­wand, an unergründbaren Tiefen entlang. Bär und Wolf hausen noch heute ungestört in dem Dickicht der Bergkuppen, in den blauen Schluchten, und nur das Haide des türkischen Postillons, das melancholische Flötenspiel rastenden Hirten oder das Gebell eines wilden Hundes unterbricht die Stille wohl , die kein Schuss des Jägers zu stören wagt.

Es ist alles, wie es war , und Todesstille mag augenblicklich wieder über den fantastisch gestalteten Abhängen des Ge­birgszuges Balkan herrschen, die Stille des Todes, namentlich an den trostlosen Stätten, welche die Geier vor Kurzem beutewitternd überkreisten, als der Gläubige seinem Propheten so grauenhafte Opfer brachte, als Plündersucht und Mordlust die christlichen Dörfer und Flecken überfielen und zu Tausenden die Bekenner des Kreuzes hinschlachteten. Trümmerhaufen mögen nun die Stätten bezeichnen, an welchen die bulgarischen Niederlassungen gestanden hatten, ein stilles, duldendes Völkchen beherbergend, das in der Furcht vor der Willkür der Gouverneure und seiner Schergen die goldenen Du­katen vergrub, die sein Schweiß erspart, schweigend seine Fron­arbeit unter der Peitsche seiner Würger leistete, den Zehnten ge­wissenhaft zum Mudir trug und am stillen Herd in den unter­irdischen Höhlenwohnungen der Armen, unter dem anspruchs­losen Dach des Bauern heimlich seine Lieder summte, in denen es die Helden einer blutigen Vorzeit feiert.

Langsam ansteigend hebt sich aus den grünen Donautriften der Weg zum Balkanpass von Tirnowa. Grotesker gestalten sich vor uns die dunklen Bergkolosse, einer den anderen über­ragend, schärfer werden ihre Umrisse, aus dem Nebelblau heraustretend. Spärlicher werden die Ansiedlungen, selbst die Herden der wilden Hunde werden seltener und die Gassen von Nussbaum, Feige, von Maulbeere und Edelkastanie weichen dem wilden Unterholz, dem majestätisch anwachsenden, von keiner Axt gelichteten Gebirgsforst.

Höher steigt der Weg, auf dem uns nur zuweilen ein von schwarzen Büffeln bespannter Karren oder ein auf dem Esel trottender, zerlumpter Wanderer noch begegnet. Die Maisfelder hören auf, aus denen uns die schwarzen Augen bulgarischer Mädchen neugierig entgegen schauten. Ginster, Disteln und Dornen wechseln mit mannshoch bewachsenen Ebenen, in denen keine Rossherde mehr weidet. Felsiger wird der Pfad, dunkler, massiger wird es vor uns, die schroffen, scharf gezackten, gespal­tenen oder übereinander geschobenen Granit- und Schieferwände rücken näher und näher.

Wir erreichen den Eingang des Balkanpasses. Zwei riesige Feldblöcke bewachen ihn, auf ihrer Höhe zwei drohende Schanzen, die schon ihre Rollen in den Erbfehden mit Russland gespielt hatten, der erste Vorposten eines Gebirgspfades, den auf schwindelnden Höhen nur der Fuß des zierlichen Bergrosses, eins hinter dem anderen kletternd, zu ersteigen vermag.

Hell schlägt der Huf unter uns auf dem Felsenweg, dass das Echo an den steilen schwarzen, mit Gestrüpp überhangenen Wänden eine taktmäßige Musik unterhält. Schauerlich überfällt uns die Kälte. Die Unke flieht gestört in ihre Felsspalte zurück, die schillernde Eidechse windet sich an dem auf­starrenden Gestein zwischen dem Rankenwerk, die kleine Landschildkröte steckt neugierig den Kopf aus dem Gesträuch hervor, Fuchs und Iltis jagen in hohen Sprüngen über die Schründe und gellend ertönt das Pfeifen des Falken über uns.

Nun tut die Schlucht sich auf. Wie ein Feenmärchen liegt es vor uns. Rechts hebt sich die Gebirgswand steiler, mäch­tiger, von Schlingpflanzen, Efeu, Felsblümchen und Steinröschen wie mit einer bunten Tapete überhangen; links gießt sich die Jan­tra, ein silbern lustiges Gebirgsflüsschen, über kolossale schwarze, in ihrem unruhigen Bett lagernde Feldblöcke, die, von den Höhen herabgestürzt und spiegelblank geschliffen durch die ewig spülende, schäumende Welle, ihr Recht dort behaupten.

Zischend gießt sich der Fluss vom Abhang herab, seine Millionen glitzernder Perlen in weiten Sprühregen über die frisch begrünte Talsohle dahinstreuend. Üppiges Rankenwerk hängt vom jenseitigen Ufer in den Fluss herab, Ahorn-, Maul­beer-, Feigenbaum und wilder Jasmin spiegeln sich in der lustigen, geschwätzigen Flut. Alles atmet Leben, alles singt ein Lobgedicht, alles wuchert und sprießt, und wiederum steigt vor uns der Fels an; zackig ist der Giebel, über dessen Front sich die Jantra herabstürzt.

Drüben, von den Feldspitzen überragt, schaut von dem Ab­hang ein seltsam geformtes Gebäude mit flachen Dächern und graziösen Türmchen; weiß und blendend leuchten seine Mauern über das Tal, blendender noch strahlen die weißen Metall­dächer der Türme, auf denen die Sonne spielt.

»Ein Monastir ist es«, so sagt der Tatar, »ein Kloster.« Und  so ist es ja überall! Mögen sie zu Allah oder Zebaoth beten, die Herren der Kirche suchen für ihre Einsamkeit die herrlichsten Stätten. Seit Kurzem ist das Kloster verödet, nachdem es den härtesten Schicksalen, dem Fanatismus des Islam getrotzt. Nur jeweilig beherbergt es wieder fahrende Mönche, fromme Pilger, die vom Morgen zum Abend ziehen. Ist doch die Menschenseele nie froher und frommer, als ob sie vor des Allmächtigen schönsten Werken steht!

Eine Stunde lang dehnt sich das poetische Tal dahin, immer begleitet von der geschwätzigen Jantra, bis der Weg wiederum eine steile Höhe erklimmt, dicht vorüber an dem tief abschießenden Flussufer. Es ist ein Hochtal. Wieder dieselbe Romantik. Ein ungeheurer Felsblock liegt inmitten des Kessels. Riesige Baumdome beschatten die grünen Triften. Über ihnen klettern bereits die kleinen Häuschen der Bulgaren und Türken an den Terrassen der Basaltwände hinan und abermals blicken uns von den Plateaus zwei mächtige Schanzen, überweht von der roten Halbmondflagge, entgegen. Es ist der Osmanentross, der hier den Pass verlegt, dessen Feuerschlünde Verderben drohend in das Tal hinab gerichtet. Hinter den Schanzen hängen wiederum die Häuschen gleich Schwalbennestern an den Abhängen, und die schlanken Minaretts mit ihren Blechdächern verkünden uns die Stadt Tir­nowa , die einstige Residenz der bulgarischen Könige.

Eine enge Straße nimmt uns auf, nicht zugleich der Schmutz echt orientalischer Städte. Das griechische Christentum hat sich hier vorzugsweise seit langem Gedenken angesiedelt. Die Häuser sind meist von Holz nach Orientsitte, aber sie sind sauber und einladend mit ihren flachen Dächern. Blumen stehen auf den Holzgesimsen an den geöffneten Fenstern; manch dunkel­äugiges, schönes Bulgarenkind mit den blanken Münzen in den um das Haupt gewundenen schwarzen Zöpfen schaut neugierig heraus, als frage es den Fremden: »Um Gott, wie kommst denn du hierher?«

Der Pferdehuf dröhnt auf dem holprigen Pflaster, der begleitende Gendarm gibt sich eine achtunggebietende Miene, hebt sich im Sattel, zieht die Läufe seiner Pistolen höher aus den Holstern, streicht sich den Schnauzbart und blickt mit Amts­miene auf die bulgarischen, griechischen, armenischen und türkischen Kaufleute, die in ihren nach der Straße zu offenen Läden hocken.

Die Schneider lassen die Nadel ruhen, die Schuster den Hammer, der Tabakshändler vergisst das frische, duftende Kraut zu schneiden. Der Weg geht direkt zum Pascha-Konak, zur Residenz des Gouverneurs. »Haide!«, ruft der voranreitende Postillon durch die sich krumm dahinwindenden, aber freund­lichen Gassen. Das weite Tor des Konak steht geöffnet; es füllt sich mit bärtigen Gesichtern, mit bunten Uniformen, unter ihnen der stets bereite Dolmetscher des Paschas, dahinter im Torgewölbe der neugierige Dienertross desselben, und da steht auch, allen voran, überragt von zwei baumlangen eng­lischen Offizieren, der Held unserer Erzählung, von dem ich diese bis auf einige romantische Zutaten buchstäblich wahre Geschichte nun erzählen will.

Ein hübscher Bursche von etwa vierundzwanzig Jahren, mit schwarzbraunem Kraushaar, blitzenden dunklen Augen, leicht gestutzter Nase und einem keck gekräuselten Bärtchen auf der Oberlippe – ein Bild jugendlichen Trotzes, den er seiner wetterbraunen Gesichtsfarbe nach schon geprüft zu haben scheint.

Schlank und doch von muskulösem Bau, in einer dunklen Joppe, das Tuch lose um den Hals geschlungen, ein Stilett in dem schmalen rotseidenen Gürtel, die Reitstiefel über das Knie gezogen, spielt er eine auffallende Rolle unter der bunten Ge­sellschaft.

Der Orientkrieg hatte damals eine Menge abenteuerlicher Existenzen auf der Balkanhalbinsel versammelt; die westmächt­lichen Truppen waren bereits gelandet, die ersten englischen und französischen Kriegsdampfer ankerten auf der Reede von Varna und Burgas; es fehlte also nicht an wilder, roman­tischer Staffage.

Die Belagerung Silistrias war vor einigen Wochen aufge­hoben; die russischen Truppen hatten sich über die Donau in die Wallachei zurückgezogen, verfolgt von den Türken, die ihnen drüben noch die zwei siegreichen Treffen bei Giurgewo und Oltenitza lieferten. Alles wälzte sich also nun gen Osten an die Ufer des Schwarzen Meeres. Die Balkanpässe von Tir­nowa und Prawadi bildeten die Etappenstraßen für die nach Beendigung des Vorspiels, des Donaukrieges, disponibel ge­wordenen türkischen Regimenter.

Und auch die sahen abenteuerlich genug aus! Eine Armee, die keine Intendantur, also auch kein regelmäßiges Verpflegungs­wesen kennt, hatte drei Jahreszeiten hindurch ohne Sold, ohne ausreichende Nahrung, ohne selbst den nötigen Ersatz für ihre Bekleidung die russischen Angriffe , die Belagerungen von Kalafat und Silistria bestanden.

Zerlumpt, aber mit ungebrochenem Mut, getragen vom Bewusstsein ihrer Bravour, zogen die türkischen Tabors die Balkanwege daher, die Füße in Lappen gewickelt, die Uniformen zerfetzt, die Offiziere selbst mit zerrissenen Nähten und klaffen­den Stiefeln.

Und doch herrschte trotz allem die bewundernswerteste Ordnung in den Regimentern des Nizam, der Linie, selbst in denen der Redif, der Landwehr. Und was an Demoralisation verlautete, das leisteten damals wie heute die Irregulären, die Baschi-Bozuks, die nicht selten in den Balkanschluchten die Proviantzüge ihres eigenen Padischah überfielen und auf eigene Faust den Krieg gegen Feind und Freund führten.