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Hanns Heiling … – Teil 8

Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Hanns Heiling, vierter und letzter Regent der Erd-, Luft-, Wasser- und Feuergeister und sein Kampf mit den Teufeln der Hölle
Eine höchst merkwürdige, abenteuerliche und wundervolle Ritter-, Räuber-, Geister- und Teufelsgeschichte
Verlag der J. Lutzenberger’schen Buchhandlung, Altötting, 1860

Der Findling

Im Thüringer Wald lag ein alleinstehendes Gehöft, welches dem vermögenden Bauern Guntram gehörte. Seine Frau hieß Brigitta. Beide waren schon bejahrt.

Eines Morgens saßen sie friedlich beisammen und frühstückten eine warme Milchsuppe.

»Wie schön wäre es, Brigitta«, sagte der Bauer, »wenn jetzt ein paar lustige, grauslockige Kinder mit uns essen und uns allerlei vorplaudern würden!«

»Es ist halt nun einmal nicht so, und da müssen wir uns gleichwohl damit trösten, dass es Gott so haben wollte.«

»Wenn es so wäre, wäre es mir recht lieb, aber …«

»Ja, aber hart ist es doch! Wenn wir beide die Augen zu tun, haben wir keine Kinder, denen wir unser schönes Anwesen vermachen können.«

»Das ist wahr, Alter, bedenke aber, dass wir auch Kinder haben könnten, die ganz auf der Art schlagen. Wenn auch nur eines davon, so fromm wir sie auch aufziehen wollten, wie viel Verdruss und Jammer würde uns dadurch bereitet werden!«

»Hast auch wieder recht, Brigitta, wir wollen also alles Gott überlassen; denn was Gott tut, das ist wohlgetan.«

Die Milchsuppe war verzehrt und beide beteten ihr Dankgebet.

Da hörten sie ein lautes Wimmern im Blumen­gärtchen dicht neben dem Haus.

»Hörst du nicht? Guntram? Was ist doch das für ein Gewimmer?«, fragte Brigitta.

»Ja, was wird es wohl sein? Ein kleines, verlau­fenes Rehkitz?«

»Ich will nachschauen«, erwiderte Brigitta und ging eiligen Schrittes in den Garten.

»Nun, Guntram, da haben wir, was uns fehlt, ein liebes, schönes Kind, einen Knaben. Sieh nur, wie freundlich er lächelt!«

»Wahrhaftig, ein schöner Knabe, den uns Gott gesendet hat, unseren Wunsch zu erfüllen. Er soll unser Sohn und Erbe werden. Bist du damit einverstanden?«

»Sehr gerne. Der Knabe muss aber von vornehmen Leuten sein, da dieses Körbchen, in welchem er liegt, mit den kostbarsten Spitzen ausgeschlagen ist.«

»Ohne Zweifel ist er der Sohn eines reichen Ritters, wurde ihm geraubt und vom Räuber aus Furcht oder Reue im Vorüberziehen in unseren Garten gelegt. Ah, er schreit! Er wird Hunger und Durst haben.«

»Eine Geis soll bis auf Weiteres seine Nährmutter werden«, sprach mit freudiger Miene Brigitta.

Der kleine Findling gedieh sehr gut, war die Wonne seiner Pflegeeltern und erreichte unter kindlichen Spielen das sechste Jahr. Am liebsten tummelte er sich auf der großen, mit zahllosen schönen Blumen geschmückten Wiese vor dem Haus herum. Die zwei Alten saßen dann auf der Bank vor demselben und ergötzten sich an seiner Jugendlust. Sein ganzer Leib war tadellos; nur von seiner rechten Schulter zog sich eine schmale Linie, noch weißer als die Farbe seiner Haut, bis zum Knöchel des rechten Fußes herab, welche die Pflegeeltern für ein Muttermal hielten. Er hatte ein sehr gutmütiges Herz und kannte keine größere Freude, als vorüberziehenden armen Leuten Brot, Nudeln oder einen Zehrpfennig geben zu dürfen.

An einem schönen Herbsttag saß der Knabe auf der Bank vor dem Haus, als Hanns, Markgraf von Horgatz, an der Seite seiner Gemahlin Lubmilla, hinter welcher ihre erste Hofdame Gisela, ein schönes, aber hochmütiges , bösartiges und zugleich heuchlerisches Ritterfräulein auf einem weißen Zelter ritt, mit einem großen Gefolge von Knappen und Reisigen des Weges vorüberkam.

Er hielt bei dem Anblick des schönen Knaben, der seine Arbeit weglegte und sich verbeugte, an.

»Haust hier nicht der Bauer Guntram?«, fragte er ihn.

»Ja, er ist mein Pflegevater, und seine Frau Brigitta meine Pflegemutter, die ich beide recht lieb habe.«

»Sag ihnen, sie sollen herauskommen!«

Der Knabe eilte ins Haus.

»Gefällt dir dieser Knabe nicht besonders gut?«, fragte er seine Gemahlin.

»Gewiss, ich wollte fast, er lebte bei uns.«

«Es ist wahrlich ein holder Knabe, der beim ersten Anblick mein Herz eingenommen hat«, entgegnete der Ritter.

Die beiden alten Untertanen des Markgrafen er­schienen ganz demütig vor ihm und berichteten aus­führlich, auf welche Art er ihnen zugekommen sei, zeigten auch das Körbchen, worin er gelegen, und die kostbaren Spitzen, die ihn umhüllten hatten.

»Ist der Knabe schon getauft?«, fragte der Markgraf.

»Wir vermuten es wohl, aber wir wissen es nicht.“

»Er muss jedenfalls getauft werden, meinen Taufnamen Hanns, und weil ich ihn getroffen habe, ihm zum Heil, den Zunamen Heiling erhalten, sohin Hanns Heiling heißen. Der Knabe ist offenbar aus einem vornehmen Geschlecht und soll standesgemäß erzogen werden, wie ich es einst von seinen Eltern, wenn sie aufgefunden werden, verantworten kann. Ihr werbet wohl selbst einsehen, liebe Leute«, fuhr der Markgraf fort, »dass er nicht bei Euch bleiben kann, sondern eine ritterliche Erziehung erhalten muss. Deshalb bleibt er für Euch nicht verloren; mein braver Burgvogt zu Horgatz, der den Knaben morgen abholen soll, wird ihn von Zeit zu Zeit zu Euch bringen. Lebt wohl!«

Der Reiterzug bewegte sich wieder fort. Natürlich mussten die beiden Alten als Untertanen des Markgrafen dem Willen desselben unbedingt gehorchen. Diese bevorstehende rasche Trennung hat ihnen indessen tief im Herzen weh.

Der Knabe aber tröstete sich gefasst und sagte: »Wer weiß, wie lange ich von euch entfernt sein werde , ich wäre viel lieber bei euch als bei dem Markgrafen! Wenn es mir nicht taugt, bitte ich den Markgrafen, dass ich wieder zu euch gehen darf.«

Die Pflegeeltern weinten bittere Tränen, nachdem am anderen Tag der Burgvogt von Horgatz den Knaben abgeholt und auf sein Ross genommen hatte.