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Der Detektiv – Die leuchtende Fratze – Teil 8

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die leuchtende Fratze
Teil 4

Wir waren allein in dem großen Keller. Harst hatte hier bisher alles nur mit gedämpfter Stimme gesprochen. Jetzt zog er mich vor die Rückwand, deutete auf die leuchtende Fratze und erklärte laut und mit einem heiteren Auflachen: »Ich wette, Fräulein Irmgard ist die Künstlerin, der dieses Bild zuzuschreiben ist. Eine echte Mädchenrache für ihres Vaters Weigerung, ihr eine Verlobung mit Tompson zu gestatten. Nun, wir haben zunächst Besseres zu tun, als hier derartige Kindereien aufzuklären. Machen wir, dass wir nach Baroda zurückkommen.«

Es war mir sofort klar: Die Worte waren für einen Lauscher bestimmt! Wir verließen nun den Keller, bestiegen das in sicherer Entfernung von Makresch unserer wartende Auto und waren bald wieder in Shesneys behaglichem Heim. Der Inspektor erfuhr alles, was Harst mit Timoleit verhandelt hatte. Aber sonst auch nicht eine Silbe mehr. Wie Harst über all diese Dinge dachte, behielt er für sich: Shesney musste nur im Schloss anfragen, ob der Fürst uns um 6 Uhr nachmittags empfangen wolle. Die Antwort lautete bejahend.

Ich will die Audienz beim Gaekwar nur ganz kurz streifen. Sie hat für dieses Abenteuer Harsts lediglich der Person des alten Gärtners wegen Interesse, dann noch wegen der Fortsetzung, die Harst ihr in Makresch gab. Der Fürst war außerordentlich liebenswürdig. Wir drei – Shesney, Harst und ich – saßen dem Gaekwar auf der Schlossterasse gegenüber. Der Empfang war zwanglos. Der Fürst sprach über die Beraubung der Schatzkammer des Nazar Bagh und händigte dann jedem von uns ein sehr wertvolles Andenken aus. Nein, richtiger: Er wollte diese uns überreichen, musste die prachtvollen Brillantringe aber wieder auf den Tisch zurücklegen, da Harst sehr höflich, aber auch sehr bestimmt erklärte: »Hoheit, ich möchte zuvor eine Angelegenheit mit Ihnen besprechen, die mich im Grunde nichts angeht, deren richtige Enthüllung durch mich ich aber gerade von Ihnen gern bestätigt haben möchte.« Er berichtete kurz die Vorgänge im Dschemala von der verflossenen Nacht und fügte dann hinzu: »Der Enkel des alten Tomay Sangri hat die Unwahrheit gesagt, als er behauptete, er hätte von draußen einen Lichtschein in dem Femezimmer gesehen. Nein: Großvater und Enkel befanden sich im Dschemala, als die vier Vermummten über uns zu Gericht saßen und dann die Schüsse auf die Buddhastatue abgefeuert wurden. Von draußen kann der Bursche kein Licht wahrgenommen haben. Dazu schlossen die Vorhänge zu gut. Die beiden haben abends oder auch am Tage im Dschemala regelmäßig zu tun. Sie holen sich stets durch den geheimen Gang die in der Vorhalle niedergesetzten Speisen. Diese tägliche Gabe von Speise und Trank dürfte folgenden Grund haben. Ihr Vorgänger, Durchlaucht, wird noch längere Zeit in dem Häuschen Tomar Sangris in der Verborgenheit gelebt haben. Sie wussten dies und sorgten für das leibliche Wohl des verschwundenen Fürsten durch diese Geisterfütterung. Bei der Besichtigung der Hütte des alten Gärtners fiel mir nämlich die Einrichtung des größten Gemaches auf. Sie war beinahe prunkvoll. In einem Bücherschrank las ich auf dem Rücken der Einbände Titel von Werken, die kein einfacher Hindu sich anschafft. Nach dem Tod Ihres Vorgängers ließen Sie dann diese Darreichung von Speise und Trank fortbestehen. Das Dschemala aber wurde nicht mehr benutzt, damit niemand in die Nähe des Häuschen Tomar Sangris käme, das ja ganz abseits und einsam liegt.«

Der Gaekwar (er ist vor drei Monaten verstorben) bestätigte dann auch wirklich Harsts Annahme in allen Punkten. Einzelheiten hierüber spare ich mir, da wir dem Fürsten Schweigen geloben mussten. Nun erst erfolgte die Aushändigung der Andenken an uns. Harst wollte dem Fürsten, der sich für die Detektivtätigkeit so glühend interessierte, seinen Dank in besonderer Form abstatten und teilte dem Fürsten nun auch all das mit, was mit der leuchtenden Fratze zusammenhing, lud ihn dann auch ein, uns nach Makresch zu begleiten.

»Ich hoffe, Ihnen eine spannende Abwechslung bieten zu können, Durchlaucht«, sagte er. »Es wird sehr wahrscheinlich einige recht dramatische und aufregende Szenen geben.« Der Fürst war mit Eifer dabei. Bereits um ¾ 7 Uhr brachte ein Auto uns vier nach Makresch. In einem anderen Auto waren sechs Beamte Shesneys uns vorausgefahren, die noch eine siebente Person mitgenommen hatten.

Wir stiegen vor dem großen Verwaltungsgebäude des Gestüts aus, in dem sich im ersten Stock die Wohnung Timoleits befand. Wir trafen die Familie mit ihren beiden Gästen bei der Abendmahlzeit auf dem sehr großen Balkon an. Irmgard Timoleit war eine glutäugige, dunkelhaarige Schönheit. Robin Lagrange und Jules Alvatang stellten den Typ geckenhafter Lebemänner dar; beide waren vor Schreck über unser Erscheinen zunächst so verstört, dass sie sogar vergaßen, dem Fürsten eine Verbeugung zu machen.

Harst nahm darauf, dass er die Familie beim Essen störte, keinerlei Rücksicht. Kaum hatte der Gaekwar sich gesetzt, als Harst sofort begann: »Ich habe hier einiges in Ordnung zu bringen. Es betrifft das Femgericht gestern Nacht, weiter das leuchtende Gesicht und schließlich den Geldschrank im Büro. Die Herren Lagrange und Alvatang warne ich vor jedem Fluchtversuch. Die Gebäude sind von der Polizei umstellt.«

Lagrange und Alvatang waren nun sehr blass geworden.

»Es tut mir leid, lieber Landsmann«, wandte Harst sich nun an Timoleit, »Ihr Familienleben vielleicht für immer zerstören zu müssen. Doch ich kann nicht gut dulden, dass Sie in schamloser Weise von den Ihren hintergangen und von einem Verbrecher mithilfe Ihres Schwager bestohlen werden. Ob all das im Einzelnen richtig ist, was ich mir als Gesamtbild über die Vorgänge hier auf Grund der mir bekannt gewordenen Tatsachen zusammengestellt habe, weiß ich nicht. Die Hauptpunkte müssen jedoch stimmen.« Dann folgte Schlag auf Schlag — jedes Wort wie ein Keulenhieb. »Die gestrige Feme bestand aus Edward Tompson alias James Palperlon, Robin Lagrange und Irmgard Timoleit. Der vierte an der Wand Stehende war Alvatang. Palperlons Zahnstocher lag auf der Kellertreppe; er allein feuerte dann sämtliche Schüsse auf den Götzen ab. Lagranges Krawattennadel fand ich in der einen Decke. Irmgard Timoleits Hände waren mitsamt den Revolverkolben so weit sichtbar, dass ich sie als Frauenhände erkannte. Außerdem tragen Sie auch jetzt wieder den Marquisring, den ich gestern bemerkte, Fräulein Timoleit. Alvatang muss der Vierte gewesen sein, da er ja den angeblichen Jagdausflug mitgemacht hat. Weshalb diese Komödie und wer der geistige Urheber? Nur Palperlon hat sie veranlasst, um mich zu zwingen, für immer von ihm abzulassen. Er wird seinen hiesigen Verbündeten eingeredet haben, er sei ein von mir unschuldig Verfolgter, hat sie aber auch zu Helfershelfern bei seinem Anschlag gegen die Stahlkammer des Nazar Bagh gemacht, indem er Lagrange und Alvatang aus ihren Geldnöten herauszuhelfen und Irmgard Timoleit wieder nach dem geglückten großen Schlag mit sich zu nehmen und zu heiraten versprach. Er brauchte diese Komplizen, weil er mit der Riesenbeute in den beiden Koffern nicht weit flüchten konnte – nur bis in den Keller der Tempelruine. Und von diesem Keller sollte – das heißt von dem als Kühlraum benutzten Teil – jedermann nach Möglichkeit durch die leuchtende Fratze verscheucht werden, die zuerst sechs Tage vor dem großen Schlag auftauchte und die nur Irmgard Timoleit stets mit einer Phosphorlösung hingepinselt haben kann. Palperlon wollte mit den Koffern und mit Warbatty-Doogston in dieses Versteck flüchten. Beweis: der Kamelwagen, den eine verschleierte Europäerin in Baroda am Nachmittag jenes entscheidenden Tages gekauft und den sie dann abends abgeholt und vor den Nazar Bagh-Palast geschafft hat. Dies auszukundschaften hat mich zwei volle Tage gekostet. Dass die Verschleierte Irmgard Timoleit gewesen ist, weiß ich erst heute.«

Bisher hatten alle wie gelähmt regungslos dagestanden oder gesessen. Nun aber konnte Timoleit nicht länger an sich halten. Er bekam seine Tochter bei den Schultern zu packen, brüllte förmlich: »Du … Du … ist das alles wahr? … Ah … Dein Gesicht sagt genug!«

Harst riss ihn zurück. »Landsmann, vergessen Sie sich nicht!«, rief er.

Timoleit sank in seinen Stuhl zurück. Seine Blicke waren nun auf seine Frau gerichtet, die für ihre Jahre noch immer ein hübsches Frauchen war. Die geborene Lagrange hatte den Kopf tief gesenkt. Und als Timoleit nun dumpf fragte, »hast du von alledem gewusst, Etienne?«, da fuhr sie plötzlich mit verzerrtem Gesicht auf, sprudelte eine Flut haltloser Vorwürfe heraus, die in der Hauptsache sich auf ihres Mannes Sparsamkeit, unfeines Wesen und Ähnliches bezogen.

Harst beendete diese unerquickliche Szene durch ein sehr energisches »Hier rede ich jetzt, Frau Timoleit! Ich habe nicht mehr viel hinzuzufügen.« Er gab Shesney einen Wink. Der Inspektor holte nun den Gefangenen herein, der draußen schon bereit gestanden hatte, den angeblichen Palperlon.

Der blonde Mensch war völlig gebrochen. Er hatte bereits mittags ein volles Geständnis ablegen wollen. Shesney hatte es aber vorläufig abgelehnt. Nun erklärte er hier Folgendes: Er heiße Thomas Lincoln, war Buchmacher, in Heidarabad ansässig und seit Langem mit Lagrange befreundet. Aus Not hatte er sich bestechen lassen, im Dschemala den Lockvogel zu spielen. Lagrange hatte ihm nur anvertraut, es handele sich darum, einem Polizeispitzel einen gehörigen Denkzettel zu geben. Von allem anderen wusste er nichts. Man hätte ihn dafür, dass er sich als Palperlon ausgab, auch nur gering bestrafen können. Palperlon hatte auf diese Weise die Polizei nur noch mehr irreführen wollen. Und Lincoln hätte man nachher die Ausrede wohl oder übel glauben müssen, er habe lediglich aus Abenteuerlust im Dschemala genächtigt und aus Renommiersucht sich Palperlon genannt.

Harst, Timoleit und ich begaben uns nun in den Kühlkeller. Shesney und ein Beamter bewachten oben die ganze saubere Gesellschaft. Timoleit hatte sich bereits wieder gefasst.

»Niemand soll geschont werden, niemand!«, sagte er ingrimmig. »Ich … ich habe stets nur für die meinen gearbeitet und gespart. Und der Dank? Dass meine Frau und Tochter mich nicht liebten, wusste ich längst. Aber dass sie derart verderbt sein könnten, nein, das ahnte ich nicht. Ihre Genuss- und Putzsucht, die Leichtfertigkeit der Lagranges ist an allem schuld.«

Wir standen nun vor der linken Mauerecke des Kellers. Harst hatte den gespannten Revolver in der Rechten. Das Mauerstück drehte sich rückwärts. Ich leuchtete in die Öffnung hinein. Ein kurzer Gang lag dahinter. Dann gelangten wir in einen großen Raum, in dem allerlei einfache Möbel standen: zwei Holzbetten, ein Tisch, Stühle und anderes.

Aber das Nest war leer! Auf dem Tisch lag ein Zettel. Darauf war in uns wohlbekannten Schriftzügen geschrieben: Ich habe mich bereits heute Vormittag empfohlen. Grüßen Sie Irmgard, Master Harst. Sie soll mir nicht nachtrauern. Ich hätte sie nie geheiratet. Meine einzige große Liebe ist Lizabet Doogston gewesen und wird es auch bleiben. Dass Sie dieses Versteck entdecken würden, davon war ich in demselben Augenblick überzeugt, als Lagrange mir mitteilte, Sie würden sich den Kühlkeller ansehen und als Sie uns dann gestern Nacht entschlüpften. Auf Wiedersehen, Harald Harst. James Palperlon.

Wir blieben nur noch zwei Tage in Baroda. Harst hatte Sehnsucht nach daheim, nach seiner Mutter. Aber wie traurig war dann unser Empfang in der Harstschen Wohnung, Berlin-Schmargendorf, Blücherstraße, 10! Die alte treue Köchin Malwine empfing uns mit rotgeweinten Augen.

Frau Auguste Harst war seit dem vorigen Nachmittag spurlos verschwunden. Hierüber im nächsten Bande Näheres über unsere Suche nach Harald Harsts gütiger, liebevoller Mutter.

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