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Der Hexer Band 3

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer Band 3
Cthulhu lebt!

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 14. Mai 1985, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Michael Whelan

Necron erwachte.
Seine Lider hoben sich, aber der Blick der dunklen, fast pupillenlosen Augen dahinter blieb leer. Es dauerte lange, bis sich seine Brust in einem ersten, mühsamen Atemzug hob. Während der letzten Tage hatte er nicht geatmet. Sein Herz hatte nicht geschlagen, und seine Haut war so kalt gewesen wie der Fels, auf dem er lag. Jeder Arzt hätte seinen Tod festgestellt. Und doch – er lebte!

Leseprobe

Seine Gedanken fanden nur allmählich in die Wirklichkeit zurück. Die Hände rührten sich, fahrig und unsicher. Es waren schmale, sehnige Hände, ausgemergelt vom Alter und mit pergamentener, trockener Haut, aber trotzdem noch voller Kraft. Die langen Fingernägel fuhren scharrend über den Stein und fanden Halt. Dann stemmten die Hände den Körper hoch, und nach einer weiteren, sekundenlangen Pause, die er brauchte, um neue Kräfte zu sammeln, setzte sich Necron vollends auf und sah sich um.

Der Raum hatte die exakte geometrische Form eines Würfels. Wände, Decke und Boden bestanden aus Stein, in dem noch die Spuren der primitiven Werkzeuge sichtbar waren, mit denen der Raum vor Urzeiten aus dem Fels gemeißelt worden war. Es hatte zwei Menschenalter gedauert und zehn Dutzend Menschenleben gefordert, dem Berg diese Kaverne abzuringen. Der Raum hatte Blut und Leid und Tränen gesehen, aber nichts davon war geblieben; die Wände waren kalt und hart und bar jeden Lebens, und etwas Dunkles, Böses schien ihm zu entströmen wie ein finsterer Atem.

Das Licht der einzelnen, blakenden Fackeln warf zuckende Reflexe und dunkle Schatten gegen die Wände, und von irgendwo, weit entfernt, kam das monotone Geräusch von tropfendem Wasser. Trotzdem war es still in der Kammer.

Still wie in einem gewaltigen steinernen Grab.

Necrons Blick blieb an einem hölzernen Gestell vor der gegenüberliegenden Wand hängen. Auf der tischähnlichen Platte flackerte eine tiefschwarze, armdicke Kerze, daneben waren die heruntergebrannten Stummel von fünf weiteren Kerzen zu erkennen. Zerschmolzenes Wachs war über die schräge Platte gelaufen und zu Boden getropft.

Necron runzelte einen Moment nachdenklich die Stirn. Fünf Kerzen – das bedeutete, dass fünf Tage vergangen waren, seit er sich auf dem steinernen Tisch ausgestreckt hatte und in Trance verfallen war.

Viel mehr, als er geglaubt hatte. Ihm war es vorgekommen, als wären nur Augenblicke vergangen. Nicht mehr als ein rasches Schließen und Öffnen der Augen. Er erinnerte sich nicht einmal, eingeschlafen zu sein.

Aber die Kräfte, derer er sich bediente, waren unergründlich. Nicht einmal er wusste vorher zu sagen, ob er fünf Minuten oder Wochen oder Monate ins Reich der Schatten eintreten würde. Oder gar für …

Er vertrieb den Gedanken schnell, stand auf und wandte sich zum Ausgang. Es gab keine Tür, sondern nur eine halbhohe Öffnung in der Felswand, hinter der sich ein dunkler Gang erstreckte.

Das Licht der Kerzen reichte nicht bis in den Gang hinein, sondern schien dicht hinter seinem Eingang absorbiert zu werden, als gäbe es dort einen unsichtbaren Vorhang, aber die Schatten teilten sich vor Necron, als er gebückt durch die niedrige Öffnung trat und den Stollen hinabging.

Kälte umfing ihn wie ein Hauch aus einer anderen, verbotenen Welt, und die Schatten schienen sich zu verdichten und seinen Körper zu umkreisen, wie kleine, aufmerksame Wächter, die in ihrer Ruhe gestört wurden.

Die Schatten wogten stärker, und plötzlich glaubte Necron Lichter zwischen ihnen aufblitzen zu sehen; boshaft-grüne Lichter, die nicht von dieser Welt stammten. Ein Schwall eisiger, lähmender Kälte ergriff ihn. Er schauderte, fuhr herum – und erstarrte.

Der Gang war verschwunden. Hinter ihm dehnte sich plötzlich eine endlose, vom grünen Licht beschienene Ebene!

Necron unterdrückte im letzten Moment einen Schrei. Das war es gewesen, was er gespürt hatte, als er den Schritt in die Wirklichkeit zurück tat!

Er war nicht allein gekommen. Er hatte das Tor benutzt, und mit ihm waren Wesen aus der anderen, fremden Welt hinübergekommen, Wesen, die nur für den einen Zweck lebten – um zu töten!

Necron krümmte sich, als einer der Schatten plötzlich zu einem schwarzen, glitzernden Etwas gerann, groß und hässlich und wie ein Haufen feuchtschwarzer, sich windender Schlangen oder Würmer. Ein dünner, mit Stacheln besetzter Tentakel peitschte auf ihn zu und wickelte sich wie eine Peitschenschnur um seinen Hals.

Necrons Schrei wurde zu einem erstickten Keuchen. Blut lief über sein Gewand, und mit einem Male spürte er einen grausamen, nie gekannten Schmerz, der wie flammende Lava durch seine Adern pulsierte.

Verzweifelt packte Necron den Tentakel und versuchte ihn herunterzureißen, erreichte damit aber nur, dass sich die tödliche Schlinge noch weiter zusammenzog. Sein Herz raste.

Er bekam keine Luft mehr, und vor seinen Augen begannen bunte, farbige Kreise zu flimmern. Das Ungeheuer und die endlose Ebene begannen sich vor seinem Blick aufzulösen.

Und dann war es vorbei.

Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, verging die Vision, und um ihn herum waren wieder die massiven Wände des Ganges. Necron keuchte, fiel kraftlos gegen den rauen Fels und schlug mit einem würgenden Laut die Hände gegen den Hals. Unter seinen Fingern war warmes Blut, und er spürte die winzigen, tiefen Wunden, die der Schlangenarm des Ungeheuers in seine Haut gerissen hatte.

Aber warum lebte er noch?

Weil ich dich noch brauche, du Narr.

Necron fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen, richtete sich auf und sah sich wild um. Aber er war allein. Erst nach Sekunden begriff er, dass die Stimme – war es überhaupt eine Stimme? – direkt in seinen Gedanken erscholl, ein ungeheuer machtvoller, dröhnender Klang, der Necron erschauern ließ wie das Zürnen eines finsteren Gottes.

»Wer… wer bist du?«, fragte er zitternd.

Weißt du es wirklich nicht?, antwortete die gedankliche Stimme.

Necron schwieg einen Moment. Wieder glaubte er eine Bewegung in den Schatten vor sich wahrzunehmen. Dann nickte er. »Doch. Ich … glaube.«

Dann ist es gut, antwortete der Unsichtbare. Du hast die Macht, die dir gegeben wurde, missbraucht, Necron. Ich müsste dich dafür bestrafen. Doch dein Ziel ist auch das meine.

»Was … was soll ich tun?«, flüsterte Necron.

Was d…u ohnehin vorhattest, erwiderte die Stimme des GROSSEN ALTEN in seinen Gedanken. Doch du wirst es in unserem Sinne tun. Ich kam nur, um dich zu warnen. Versuche nicht, persönliche Vorteile aus Dingen zu ziehen, die zu wichtig sind, als dass du sie begreifen könntest.

»Ich … werde gehorchen, Herr«, antwortete Necron demütig.

Aber der Unsichtbare war schon nicht mehr da. Necron schauderte. Es war lange her, dass er einem GROSSEN ALTEN selbst gegenübergestanden hatte. Er hatte vergessen, wie mächtig diese Wesen jenseits von Raum und Zeit wirklich waren.

Er blieb stehen, bis sich das Zittern seiner Hände beruhigt hatte, dann wischte er sich das Blut vom Hals, wandte sich um und ging mit raschen Schritten weiter. Der Lichtschein am Ende des Stollens gewann an Leuchtkraft und Wärme. Es war, als trete er nun auch körperlich aus dem Reich des Todes und der Schatten wieder hinaus in die Welt der Lebenden.

Die beiden Posten rechts und links des Durchganges strafften sich, als der Alte gebückt auf den Korridor hinaustrat.

Die Züge der beiden Männer waren nicht zu erkennen. Ein Streifen des dunklen Tuches, das in der Art eines Turbans um ihre Köpfe geschlungen war, verhüllte auch ihre Gesichter. Trotzdem gewahrte der Alte den Schrecken in ihren Augen, als sie das Blut auf seinem Hals sahen. Aber keiner von beiden gab auch nur einen Laut von sich.

Die beiden Männer gehörten zu den wenigen Privilegierten, denen der Zugang zum innersten Bereich der Drachenfestung gestattet war. Sie dienten ihm seit Jahren treu und ergeben; wie alle seine Anhänger hätten sie mit Freude ihr Leben für ihn gegeben.

»Kommt mit«, sagte Necron. Seine Stimme stand in krassem Gegensatz zu seinem Äußeren. Er sah aus wie ein uralter Mann, aber seine Stimme war jung und befehlsgewohnt, und seine Bewegungen waren voller Kraft und Energie. Rasch wandte er sich um und ging mit weit ausgreifenden Schritten den fensterlosen Korridor entlang.

An seinem Ende blieben die beiden Krieger stehen, während der Alte eine niedrige, metallbeschlagene Tür öffnete. »Holt Raoul«, befahl er dann.

Schweigend entfernten sich die Krieger, um seinen Befehl auszuführen, während der Alte vollends durch die Tür trat und unschlüssig auf und ab zu gehen begann.

Das Zimmer unterschied sich drastisch von der kahlen Felsenkammer, in der er aufgewacht war. Es war warm; man spürte die Hitze des brennenden Steines, der tief im Fels unter der Festung brodelte. Die Wände verbargen sich hinter Bahnen schweren, schwarzen Stoffes, und der Boden war mit wertvollen Teppichen, Fellen und Stoffballen bedeckt.

In der gegenüberliegenden Wand war eine Tür; niedrig, aus schweren, geschwärzten Bohlen gefertigt und mit vergoldeten Beschlägen und Ziernägeln versehen. Wo das Schloss sein sollte, prangte ein bizarres Symbol, das auf geheimnisvolle Weise in Bewegung zu sein schien. Fast, als lebe es.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis draußen auf dem Gang Schritte laut wurden und die Krieger zurückkamen. In ihrer Begleitung befand sich ein schmalschulteriger, kleiner Mann mit schwarzem Haar und verschlagenen Augen, unter denen dunkle Tränensäcke hingen. Ein dünner Oberlippenbart versuchte vergeblich, seinem Gesicht einen Zug von männlicher Härte zu verleihen. Der Mann hatte Ähnlichkeit mit einer Ratte.

»Herr!« Raoul senkte den Blick, verbeugte sich tief und erschrak sichtlich, als er das Blut auf Necrons Gewand sah. »Ihr seid verletzt, Herr!«

Necron machte eine rasche, unwillige Geste. »Das spielt jetzt keine Rolle, Raoul«, sagte er. »Ich gehe fort. Solange ich nicht hier bin, wirst du für die Sicherheit der Festung verantwortlich sein.«

»Ihr … geht fort?«, vergewisserte sich Raoul. Seine Stimme bebte, und seine Hände vollführten kleine, nervöse Bewegungen. »Aber Ihr seid doch gerade erst …«

»Ich muss es tun«, unterbrach ihn Necron. »Ich habe herausgefunden, wo sich der Sohn des Magiers versteckt hält. Ich werde gehen und tun, was der Eid, den unsere Ahnen abgelegt haben, verlangt. Andaras Sohn muss sterben.«

»Aber das … Ihr könnt einen anderen schicken!«, sagte Raoul zögernd. »Es ist gefährlich, Herr …«

»Einen anderen?« Necron lächelte humorlos. »Einen wie Shannon, Raoul?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe einmal den Fehler gemacht, Robert Craven zu unterschätzen.« Er schwieg einen Moment, um seinen Worten das gehörige Gewicht zu verleihen, straffte dann seine Gestalt und deutete auf die goldbeschlagene Tür am anderen Ende des Raumes. »Ich muss selbst gehen«, sagte er noch einmal.

Raouls Blick huschte nervös über die Tür. Er schluckte ein paarmal. Seine Furcht war nicht mehr zu übersehen. Aber es war nicht die Furcht vor Necron oder der Macht, die er darstellte, es war die Angst vor dem, was hinter dieser Tür lauerte.

»Ihr wollt … allein gehen?«, fragte er stockend. Sein Adamsapfel hüpfte hektisch auf und ab.

»Nicht ganz allein«, erwiderte Necron. »Zehn deiner tapfersten Männer werden mich begleiten. Du wirst sie auswählen, während ich die nötigen … Vorbereitungen treffe.«

»Nur zehn?«, entfuhr es Raoul. »Wäre es nicht besser, wenn …«

»Nur zehn«, unterbrach ihn Necron. »Und nun geh. Geh und suche die besten Krieger aus, die du hast. Ich erwarte sie in einer Stunde hier.«

Raoul nickte demütig, senkte das Haupt und entfernte sich, rückwärtsgehend und von den beiden stummen Kriegern flankiert. Aber kurz, bevor er den Raum verließ, sah er noch einmal auf, und was er erblickte, ließ ihn erbleichen.

Necron hatte sich umgewandt und die Hände in einer beschwörenden Geste gegen die Tür ausgestreckt.

Das formlose Ding, das dort anstelle eines Schlosses hing, hatte angefangen zu pulsieren.

Es schlägt, dachte Raoul schaudernd. Es schlägt wie ein gewaltiges pulsierendes Herz …

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