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Neue Gespenster – 18. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Achtzehnte Erzählung

Die Berggeister bei Sierp in der schwedischen Provinz Uppland ermorden ein Kind.

Als am 25. Juli des Jahres 1800 – an einem Freitag – die fahrende Briefpost von der Station Mehede, einem unweit Sierp in der schwedischen Provinz Uppland gelegenen Dorf des Morgens abging, wünschte die dreieinhalb-jährige Tochter eines dortigen Bauers, mit dem Postwagen ein bisschen mitzufahren, um dann zu Fuß wieder zu ihrer Eltern Haus zurückzugehen. Der Postillion, wohl bekannt in dieser Bauernfamilie, liebte dieses Kind vorzüglich und konnte ihm die Erfüllung dieses Wunsches nicht abschlagen.

Er hob es zu sich auf den Wagen und fuhr mit dem frohen Mädchen, nicht ohne Vorwissen ihrer Angehörigen, davon. Wegen des großen Waldes, der das Dorf umgibt, hatte der Postillion die Vorsicht, das Kind nur drei oder vier Steinwürfe mitfahren zu lassen. Nun setzte er dasselbe von dem Postwagen herab und entließ es mit den Worten: »Nun, liebes Lieschen, nun geh hübsch wieder nach Hause.«

Wirklich nahm auch das Kind den Weg zu seiner Eltern Haus, welchen der Postwagen soeben gemacht hatte, wieder zurück, wovon der Schwager, bevor er weiterfuhr, Augenzeuge gewesen sein will. Indessen kehrte das Kind, unstreitig aus Dummheit vom Weg abgekommen, dennoch nie wieder zu seinen ängstlich harrenden Eltern zurück.

Als es lange ausblieb, vereinigten sich mit den bekümmerten Eltern die Nachbarn, um gemeinschaftlich im nächsten Gehölz das verlaufene Kind wieder zu suchen; aber so unermüdlich man auch den ganzen Freitag mit diesem Suchen fortfuhr, so wurden doch diese Bemühungen mit keinem glücklichen Erfolg gekrönt. Das Kind war und blieb weg.

Tags darauf, am Sonnabend, wo sich die Nachricht von dem Unglück der untröstlichen Eltern immer allgemeiner und selbst in die umliegende Gegend verbreitete, vereinigten sich menschenfreundlich gegen siebzig Mann, welche das Suchen nach dem Kind in dem großen Wald den ganzen Tag fortsetzten und über diese süße Pflicht der Menschenliebe gern der Heuernte vergaßen, die eben nun aller Hände beschäftigte; leider waren aber auch diese Bemühungen vergeblich. Die Suchenden wurden von dem Abend des Tages übereilt, ohne auch nur die geringste Spur von dem verlaufenen Kind bemerkt zu haben.

Tages daraus, am Sonntag, nahm der Pfarrer des Ortes Gelegenheit, der Gemeine im Namen der bekümmerten Eltern des Kindes für die ihnen tätig erwiesene christliche Teilnahme Dank zu sagen, ihr die mit jedem verlorenen Tag wachsende Gefahr, dass das Kind den Hungertod sterben werde, auf eine rührende Art an das Herz zu legen und sie im Namen Gottes zu ermuntern, in noch zahlreicheren Haufen und nach einem zweckmäßigeren Plan das christlich liebevolle Suchen nach dem Kind fortzusetzen und nicht vor der Zeit zu zweifeln, dass der Menschen Vater diese Nächstenliebe mit dem erwünschten Erfolge belohnen werde.

Dies wirkte. Ungeachtet der immer dringenderen Heuerntegeschäfte versammelten sich mit dem Anbruch des nächsten Tages (des Montages) ungefähr sechshundert Erwachsene, die, nach und unter der Anleitung des Dorfschulzen und einiger ihm zugesellten Anführer, in bester Ordnung das nun planmäßige Geschäft des Suchens begannen – des festen Vorsatzes, nicht eher zu ermüden, als bis man das Verlorene, tot oder lebendig, wiedergefunden haben würde.

So war wenigstens die Stimmung der Suchenden im Ganzen. Zum Unglück für das Kind und die gute Sache hatten sich indessen auch einige Abergläubige in den großen Haufen mit eingemischt, deren vielleicht nicht böse gemeinte, aber dennoch mörderische Aussprengungen das edle Werk dieses Tages bald hintertrieben und kaum halb vollendet, fruchtlos machten. Diese von einem elenden Wahn verblendeten Menschen waren, anstatt den Ermunterungen des vernünftigen Pfarrers Gehör zu geben, nach einem sogenannten weisen Mann (in Schweden: Unger-Greis) gefahren, um durch ihn sich wahrsagen zu lassen, ob und wie das Kind wieder gefunden werden könne.

Dieser trügerische Unglücksprophet hatte heilig versichert, »das vermisste Mädchen könne durch kein Suchen wiedergefunden werden, weil es sich längst in den Klauen jener Berggeister (im Schwedischen: Bergtroll,) befinde, deren Tummelplatz das in dem dortigen Walde befindliche schauerliche Gebirge sei. Das Einzige, was dasselbe aus deren Banden befreien könne, wären zauberische Beschwörungsformeln, wodurch die Berggeister sich gezwungen sehen würden, das Kind wieder auszuliefern.«

Kaum war dieses mehr als alberne – dieses meuchelmörderische Geschwätz des weisen Mannes unter die Menge der Suchenden verbreitet worden, so ermüdete man in dem mühsamen, und nun, nach der ihnen beigebrachten Meinung, völlig unnützen Geschäfte des Suchens. Man ging gegen Mittag, ohne das Kind gefunden zu haben, völlig beruhigt nach Hause und überließ nunmehr unbesorgt das Herbeischaffen des Kindes – dem Weisen Mann.

Dieser Schurke zauberte nun frisch drauflos; aber seine Gaukeleien blieben natürlich ohne allen Einfluss auf die vermeinten Berggeister. Es konnte nicht fehlen, das bedauernswürdige verirrte Kind war nun, seit der Einstellung des Suchens nach demselben, unwiederbringlich verloren, denn nichts hinderte dasselbe, sich vielleicht mit jedem Tag weiter zu entfernen.

Am dreizigsten August desselben Jahres, also nach vollen fünf Wochen, wurde endlich das unglückliche Schlachtopfer der Unaufgeklärtheit und des Geisterwahnes zufällig im Wald wieder gefunden. Der Spürhund eines Forstbedienten, der hier in seinem Beruf war, witterte es unter einem Fichtenbusch und tat seinem Gebieter Anzeige davon. Es lag hier in der dicksten Wildnis tot auf dem Bauch. Der Ort war in gerader Richtung, ungefähr eine schwedische Meile oder anderthalb deutsche Meilen von des Kindes Heimat.

Allem Anschein nach hatte dieses Kind ganze vier Wochen von Heidelbeeren und Waldkräutern gelebt, denn es war ungeachtet der heißen Jahreszeit (des Augustmonats) noch nicht in Verwesung übergegangen. Nichts als die Nasenspitze, welche die bloße Erde berührte, war ein wenig angegangen.

Der Herausgeber schließt dieses traurige Ereignis mit der Frage: »Sollte man nicht vonseiten der Obrigkeit die weisen Männer obiger Art, die man überall in Deutschland und in Schweden findet, ebenso von Rechtswegen in das Zuchthaus schicken, wie man zum Beispiel den Trunkenbold rechtlich dahin sendet, wenn er in der Trunkenheit ein Menschenleben verkürzte?«

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