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Die Büffeljäger am Lagerfeuer – Kapitel 25

Thomas Mayne Reid
Die Büffeljäger am Lagerfeuer
Reisebilder und Naturschilderungen aus dem Westen
Verlag Schmidt & Spring. Stuttgart.1858

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Ein anderer Kampf mit grauen Bären

Zunächst wurde nun ein Abenteuer mit grauen Bären erzählt, welches dem Captain zugestoßen war. Als er mit einer mutigen Schar, den Skalpjägern, durch die Gebirge von Santa Fé reiste, wurden sie von einem plötzlichen schweren Schneefall überrascht, der das Weiterkommen unmöglich machte.

Der Canyon, ein tiefes Tal, in welchem sie sich gelagert hatten, war jederzeit schwer zu passieren, aber nun hatte der tiefe, weiche Schnee den Weg ganz ungangbar gemacht. Als der Morgen anbrach, fanden sie sich mitten in der Falle.

Er erzählte:

»Vor und hinter uns war das Tal durch fünf Klafter tiefen Schnee verstopft. Derselbe hatte die ungeheuren Schluchten, welche man Barranca nennt, ausgefüllt. Es schien gefährlich, den Versuch zum Vordringen nach irgendeiner Richtung hin zu machen. Zwei Männer, die es gewagt hatten, waren bereits im Schnee verschwunden.

Zu beiden Seiten unseres Lagers erhoben sich die Wände des Canyon fast senkrecht zu der Höhe von hundert Fuß. Wir hätten sie erklettern können, wenn das Wetter mild gewesen wäre, denn der Felsen bestand aus Trapp und hatte zahlreiche Absätze und Kanten; nun aber waren diese mit einer Decke von Eis und Schnee bekleidet, welche das Ersteigen unmöglich machte. Der Boden war hart gefroren gewesen, ehe der Sturm hereinbrach. Es fror jedoch nun nicht mehr, und der Schnee konnte unsere Last nicht tragen. Alle unsere Bemühungen, aus dem Tal herauszukommen, erwiesen sich als unnütz. Wir gaben sie auf, um uns einer Art rücksichtsloser Verzweiflung zu überlassen und zu erwarten; was, wussten wir selber kaum.

Drei Tage lang saßen wir zähneklappernd um die Feuer, indem wir von Zeit zu Zeit düster fragende Blicke auf den Himmel warfen. Es antwortete uns nur das nämliche einförmige, mit nordwärts wirbelnden Flocken gemischte Grau, denn es fuhr noch immer fort, zu schneien. Keine einzige blaue Stelle am Himmel erfreute das schmerzende Auge.

Die kleine Hochebene, auf welcher wir uns befanden – ein Raum von zwei bis drei Agre –, war noch immer frei von Schnee, da sie vom Wind bestrichen wurde. Auf ihrer Oberfläche wuchsen ärmliche, verkrüppelte und von Nadeln entblößte Fichten, im Ganzen ungefähr fünfzig bis sechzig Bäume. Diese versorgten unsere Feuer. Aber was nützten uns die Feuer, wenn wir kein Fleisch hatten, um es an denselben zu kochen?

Es war nun der dritte Tag, dass wir uns ohne Nahrung befanden! Ohne Nahrung, wenn auch nicht ganz ohne zu essen – die Männer hatten ihre Flintendecken und die Katzenfellklappen ihrer Kugelbeutel verschlungen, und nun sah man sie als vorletztes Notmittel, die Untersohlen ihrer Mokassins losreißen!

Die Frauen drängten sich, in ihre Tilmas gehüllt, dicht an den Vater, Bruder, Gatten und Geliebten, denn all diese Bande der Zuneigung waren vertreten. Der bisher ihretwegen aufgesparte letzte Streifen Tasago (gedörrtes Fleisch) war an diesem Morgen unter sie verteilt worden. Dies war verschwunden; woher sollte ihr nächstes Mahl kommen? In langen Zwischenräumen hörte man, wenn ein kälterer Windstoß durch den Canyon fegte, ein nur leise gemurmeltes Ay de mi! Dios de mi alma! In den Gesichtern jener armen Ge schöpfe konnte man die stumme Geduld, die hohe Ausdauer lesen, welche einen so eigentümlichen Charakterzug der spanisch-mexikanischen Frauen bilden.

Selbst die ernsten Männer rings um sie hielten die Not mit weniger Sündhaftigkeit aus. Von Zeit zu Zeit wurden raue Flüche gemurmelt und Zähne knirschten unter jenem eigentümlichen verstörten Blick, der den Wahnsinn verkündet.

Ein paar Mal glaubte ich, Blicke von noch eigentümlicherem, wilderem Ausdrucke zu bemerken. Um die Augen hatten sich schwarze Ringe gebildet, wobei die Muskeln an den hageren, ausgehungerten Kinnladen bebten und zuckten. Die Männerstierten einander wie schuldbewusst an. O Gott! Es war furchtbar! Die bestenfalls nur freiwillig übernommene, halb räubermäßige Disziplin war unter dem alle gleichmachenden Einfluss gemeinschaftlicher Leiden verschwunden, und ich zitterte, wenn ich dachte, dass …

›Es klärt sich dort draußen ein wenig auf!‹, so unterbrach die Stimme des Trappers Garey, der aufgestanden war und nach Osten zeigte, meine Gedanken.

Im nächsten Augenblick waren wir alle auf den Beinen und blickten in die angedeutete Richtung. Es war richtig, dort zeigte sich eine Öffnung in den bleifarbigen Wolken; ein gelblicher Streifen, der immer breiter wurde, je länger wir darauf hinblickten. Die Flocken wurden kleiner und fielen seltener, und nach zwei Stunden hatte es ganz zu schneien auf gehört.

Ein halbes Dutzend von uns schulterten die Büchsen und marschierten talabwärts. Wir wollten noch einen Versuch machen, einen Weg durch den Schnee zu treten. Es war vergebens. Der Schnee lag über Mannshöhe und nach zweistündigen Anstrengungen hatten wir nicht mehr als 200 Schritte gewonnen. Hier bekamen wir eine Ahnung von dem, was vor uns lag. Soweit das Auge blicken konnte, ruhte es auf den nämlichen ungangbaren Massen. Verzweiflung und Hunger lähmten unsre Anstrengungen, und einer nach dem andern gab sie auf, um zum Lager zurückzugehen.

Wir legten uns in finsterem Schweigen um die Feuer nieder. Garey fuhr fort, auf und ab zu schreiten und von Zeit zu Zeit niederzuknien und mit der Hand über die Oberfläche des Schnees zu fahren. Endlich kam er zum Feuer und bemerkte in seiner langsamen, näselnden Art: ›Es fängt an zu frieren, meine ich.‹

›Nun, und wenn es auch friert?‹, fragte einer seiner Kameraden, ohne eine Antwort auf die Frage zu erwarten.

›Nun, und wenn es friert,« wiederholte der Trapper, ›so werden wir vor Sonnenaufgang aus diesem Loch herausmarschieren und noch dazu auf einer guten, harten Fährte.‹

Der Ausdruck eines jeden Gesichts änderte sich wie durch Zauberei. Einige sprangen auf. Godé, der mit dem Schnee wohlvertraute Kanadier, eilte zu einer Erhöhung, fuhr mit der Hand auf dem Kamm derselben entlang und rief zurück: ›C’est vrai; il gèle, il gèle.‹

Bald darauf erhob sich ein kalter Wind. Wir dachten, durch die besseren Aussichten ermuntert, wieder an die Feuer, die wir in den eben vergangenen Augenblicken achtloser Gleichgültigkeit fast hatten niederbrennen lassen. Die Delawaren ergriffen ihre Tomahawks und fingen an, auf die Fichten los zu hacken, während andere die gefällten Bäume herbeischleppten und die Zweige mit den scharfen Skalpiermessern abhieben.

In diesem Augenblick lenkte ein eigentümlicher Schrei unsere Aufmerksamkeit auf sich. Als wir uns umsahen, bemerkten wir, wie einer der Indianer plötzlich auf die Knie niedersank und mit seinem Beil auf die Erde hieb.

›Was gibt es, was gibt es?‹, riefen mehrere Stimmen in fast ebenso vielen Sprachen.

›Yam – Yam! Yam – Yam!«, rief der Indianer und fuhr fort, in der gefrorenen Erde zu graben.

›Der Indianer hat recht, es ist eine Mannwurzel!‹, sagte Garey, indem er einige Blätter aufhob, welche der Delaware abgehackt hatte.

Ich erblickte eine den Gebirgsbewohnern wohlbekannte Pflanze, eine seltene, aber wunderbare Windenart, die Brotwurzel. Der Name Mannwurzel wird ihr von den Jägern wegen der Ähnlichkeit gegeben, welche ihre Wurzel in der Gestalt und zuweilen in der Größe mit dem Körper eines Mannes hat. Diese ist essbar und dient zur Erhaltung des menschlichen Lebens.

In einem Augenblick lag ein halbes Dutzend Männer auf den Knien und kratzte und hackte die harte Erde; aber die Beile prallten ab, wie von der Oberfläche eines Felsens.

›Seht ihr‹, rief Gare», ›ihr verderbt nur eure Werkzeuge. Haut ein paar von diesen jungen Fichten nieder und macht ein Feuer über ihr.‹

Der Wink wurde augenblicklich befolgt und in ein paar Minuten waren ein Dutzend Fichtenklötze über der Stelle angehäuft und in Brand gesetzt.

Wir standen mit erwartungsvoller Begierde um die brennenden Klötze. Wenn sich die Wurzel als ein ausgewachsener Mann erwies, so konnte sie unserer ganzen Gesellschaft ein Abendessen liefern. Bei dem erheiternden Gedanken an ein Abendbrot wagte man einige Scherze – die ersten, die wir seit einiger Zeit gehört hatten. Die Jäger wurden von der Neuheit des Unternehmens, den alten Mann gleich gebraten auszugraben, gekitzelt und äußerten ihre Vermutungen darüber, ob es ein feister alter Kerl sein werde.

Da schallte von oben ein dumpfes Krachen, wie beim Niederstürzen eines abgestorbenen Baumes. Wir schauten auf. Ein großer Gegenstand – ein Tier – wirbelte von einer, in der Mitte des Felsens hervorstehenden Leiste vorwärts und niederwärts. Im Augenblick darauf traf es mit dem Kopf auf die Erde, dass es einen lauten Widerhall gab, schnellte mehrere Fuß wieder in die Höhe, kam nach einem Purzelbaum auf die Beine und stand fest da.

Ein unwillkürliches Hurra erschallte von den Jägern, die sämtlich auf den ersten Augenblick das Carnero cimmaron oder Bergschaf erkannten. Es war mit zwei Sätzen in den Abgrund gesprungen, wobei es jedes Mal auf seine großen halbmondförmigen Hörner niederkam.

Einen Augenblick lang schienen beide Teile – Jäger und Wild – gleich sehr überrascht zu sein und schauten einander in stummer Verwunderung an. Doch dauerte dies nur einen Augenblick. Die Männer eilten zu ihren Büchsen und das Tier warf, nachdem es sich von seinem Erstaunen erholt hatte, die Hörner zurück und setzte über die Ebene. Mit einem Dutzend Sprüngen hatte es den Rand des Schnees erreicht und stürzte sich in die nachgebende Tiefe desselben. Aber im nämlichen Augenblick auch krachten mehrere Büchsen und die weiße Decke färbte sich hinter ihm scharlachrot. Es fuhr jedoch fort, zu springen und durch den Schnee zu brechen.

Wir nahmen seine Fährte auf und folgten mit dem Eifer hungriger Wölfe. An den zahlreichen Schweißflecken konnten wir sehen, dass es sein Herzblut vergoss und ungefähr fünfzig Schritte weiterhin fanden wir es tot.

Ein lauter Ruf benachrichtigte unsere Gefährten von dem Erfolg. Wir hatten eben angefangen, die Beute zurück zu schleppen, da schallte verwirrtes Geschrei von der Ebene aus zu uns – Schreien der Männer, Kreischen der Frauen, ein Gemisch mit Flüchen und Ausrufungen des Schreckens!

Wir eilten zum Anfang der Fährte. Als wir denselben erreichten, hatten wir einen Anblick, der die Mutvollsten beben machte. Jäger, Indianer und Frauen liefen in wahnsinniger Verwirrung hin und her, indem sie ihr verschiedenartiges Geschrei ausstießen und nach oben zeigten. Wir blickten in diese Richtung; dort stand am Kamm des Felsens eine Reihe schaudererregender Gegenstände. Wir erkannten auf den ersten Blick in unseren Feinden die gefürchteten Ungeheuer des Gebirges – die grauen Bären!

Es waren ihrer fünf – fünf, welche wir sahen – es konnten vielleicht noch mehr hinter ihnen sein. Fünf genügten, um unsere ganze Gesellschaft, so eingesperrt und durch Hunger geschwächt, wie wir es waren, zu vernichten.

Sie waren bei der Verfolgung des Bergschafes zu dem Felsen gekommen. In ihrem fürchterlichen Aussehen zeigte sich der Hunger und getäuschte Erwartung. Zwei von ihnen waren bereits dicht an den Rand gekrochen, reckten die Pranken darüber hinaus und schnüffelten in die Luft, als ob sie einen Ort zum Herabsteigen suchten. Die drei anderen richteten sich auf den Hinterbeinen in die Höhe und fingen an, auf menschenähnliche und lächerliche Art mit den Vorderbeinen umher zu wedeln!

Unsere Lage war nicht danach, um uns an diesem Schauspiel zu ergötzen. Alle eilten, sich zu bewaffnen, und diejenigen, welche ihre Büchsen abgeschossen hatten, luden sie eilig wieder.

›Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so schießt nicht!‹, rief Garey, indem er nach der Büchse eines der Jäger griff.

Die Warnung kam zu spät, denn bereits pfiff ein halbes Dutzend Kugeln nach oben.

Der Erfolg war der von dem Trapper erwartete. Die Bären plumpten, in Wut gebracht durch die Kugeln, welche ihnen nicht mehr Schaden getan hatten, als das Stechen mit Stecknadeln, wieder auf alle viere nieder und fingen an, unter grimmigem Knurren den Felsen herabzuklettern. Die Verwirrung hatte nun ihren Gipfelpunkt erreicht. Mehrere von den Männern, die weniger mutig waren als ihre Kameraden, liefen davon, um sich im Schnee zu verstecken, während andere an fingen, die niedrigen Fichten zu erklimmen.

›Versteckt die Frauen!‹ rief Garey. ›Hier, ihr verwünschten spanischen Fettlappen, wenn Ihr nicht kämpfen wollt, so mögen ein paar von Euch die Frauen anpacken und sie in den Schnee hocken. Feige Schufte – Wagh!‹

›Seht nach ihnen, Doktor‹, rief ich dem Deutschen zu, von dem ich glaubte, dass er am leichtesten bei dem Kampf entbehrt werden könne. Einen Augenblick darauf brachte der Doktor die schreckerfüllten Frauen mithilfe einiger Mexikaner eilig zu dem Ort, wo wir das Cimarron verlassen hatten.

Viele von uns wussten, dass unter den vorliegenden Umständen das Verstecken schlimmer als nutzlos sein müsse. Die grimmigen, aber klugen Tiere würden uns einzeln entdeckt und vernichtet haben. Die Parole war also: Wir müssen ihnen die Stirn bieten und sie bekämpfen! Und dies beschlossen wir in Ausführung zu bringen.

Ungefähr ein Dutzend von uns hielt Stand – sämtliche Delawaren und Shawnee, nebst Garey und den Gebirgsmännern.

Wir fuhren fort, auf die Bären zu feuern, während sie bei ihrem Herabsteigen im Zickzack die Absätze der Felsen entlang liefen; aber unsere Büchsen waren nicht in Ordnung, unsere Finger vor Kälte erstarrt und unsere Nerven durch den Hunger geschwächt. Unsere Kugeln zapften den scheußlichen Bestien wohl Blut ab, aber kein einziger Schuss erwies sich als tödlich. Sie wurden durch dieselben nur zu grimmigerer Wut aufgestachelt.

Es war ein grauenhafter Augenblick, als wir den letzten Schuss getan und dennoch die Zahl der Feinde nicht um einen verringert hatten. Wir warfen die Büchsen weg, fassten die Äxte und Jagdmesser und erwarteten schweigend unsere grauen Feinde.

Wir hatten uns dicht am Felsen aufgestellt. Es war unsere Absicht, den ersten Schlag zu tun, da die Mehrzahl unserer Feinde mit dem Hinterteil voran die Klippe herab kamen. Hierin aber wurde unsere Erwartung getäuscht. Als der vorderste Bär einen ungefähr zehn Fuß von der Ebene entfernten Absatz erreicht hatte, machte er Halt und zögerte, herabzusteigen, da er unsere Stellung bemerkt hatte. Im folgenden Augenblick kamen seine, durch die Wunden rasend gemachten Gefährten auf den nämlichen Absatz herabgetaumelt und die fünf ungeheuren Körper stürzten unter grimmigem Geheul in unsere Mitte.

Nun kam ein verzweifelter Kampf, den ich nicht beschreiben kann – das Geschrei der Jäger, das wilde Geheul unserer indianischen Verbündeten, das dumpfe Knurren der Bären, der Widerhall der Tomahawks auf feuersteinharten Schädeln, das tiefe, gedämpfte Knirschen des Messers und dann und wann ein Stöhnen, wenn die gebogene Kralle den gespannte Muskel zerriss. O Gott! Es war ein furchtbares Schauspiel!

Bären und Menschen rollten, im wilden Kampfe auf Leben und Tod ringend, über die Ebene zwischen die Bäume und in die tiefen Wehen, deren Schnee sie mit ihrem Blut färbten! Hier waren zwei bis drei Männer mit einem einzigen Feinde beschäftigt – dort kämpfte ein wackerer Jäger allein. Mehrere wanden sich bereits am Boden und die Bären lichteten mit jedem Moment die Zahl ihrer Gegner immer mehr!

Ich war am Anfang des Kampfes niedergeschlagen worden. Als ich wieder auf die Beine kam, sah ich das Tier, welches mich niedergeworfen hatte, den am Boden liegenden Körper eines Mannes zwischen seinen Vorderpfoten pressen.

Es war Godé. Ich beugte mich über den Bären, indem ich sein zottiges Fell packte. Ich tat dies, um mir einen Anhalt zu verschaffen; ich war schwach und schwindlig, wie alle Übrigen. Ich stieß aus allen Kräften zu und jagte dem Tier mein Messer zwischen die Rippen.

Der Bär ließ den Franzosen los, drehte sich schnell um und richtete seine Wut gegen mich. Ich versuchte, dem Zusammenstoß auszuweichen und lief rückwärts, indem ich ihn mit meinem Messer abwehrte.

Plötzlich gelangte ich an die Schneewehe und stürzte hinterrücks nieder. Im folgenden Augenblicke stürzte sich der schwere Körper auf mich, die scharfen Krallen drangen tief in meine Schulter – ich atmete den pestilenzialischen Hauch des Ungeheuers ein. Während ich mit meinem noch freien rechten Arme wild um mich schlug, rollten wir im Schnee um und um.

Der trockene Schnee blendete mich. Ich fühlte, dass ich immer schwächer wurde – eine Folge des Blutverlustes. Ich stieß einen Schrei, einen wahren Verzweiflungsschrei aus, aber es hätte in einer Entfernung von zehn Schritten nicht gehört werden können. Dann vernahm ich ein sonderbares zischendes Geräusch, ein helles Licht blitzte vor meinen Augen, ein brennender Gegenstand fuhr über mein Gesicht und versengte dessen Haut. Ich bemerkte einen Geruch wie von verbrannten Haaren, ich hörte Stimmen sich mit dem Gebrüll meines Gegners mischen. Plötzlich wurden die Krallen aus meinem Fleisch gezogen, die Last von meiner Brust entfernt, und ich war allein! Ich erhob mich, rieb mir den Schnee aus den Augen und schaute um mich. Ich konnte niemand erblicken; ich befand mich in einer tiefen, durch unseren Kampf hervorgebrachten Aushöhlung, aber ich war allein!

Rings um mich war der ganze Schnee scharlachrot gefärbt; aber was war aus meinem fürchterlichen Gegner geworden? Wer hatte mich aus seiner tödlichen Umarmung erlöst?

Ich taumelte nach der offenen Stelle hin. Hier traf mein Auge auf ein neues Schauspiel: ein sonderbar aussehender Mann lief mit einem ungeheuren Feuerbrand – dem Stamm einer brennenden Fichte –, welchen er in der Luft schwang, über die Ebene. Er jagte einen der Bären, der sich, vor Wut und Schmerz knurrend, aufs Äußerste anstrengte, die Klippen zu erreichen. Zwei andere waren schon bis zur Hälfte hinaufgekommen und kletterten, augenscheinlich mit großer Schwierigkeit, da das Blut von ihren verwundeten Weichen herunter tropfte, ebenfalls nach oben.

Der verfolgte Bär machte sich bald auf die Felsen und war in kurzer Zeit, von der roten Flamme getrieben, die seine zottigen Hinterschenkel versengte, außerhalb des Bereiches seines Verfolgers. Letzterer eilte nun auf einen vierten zu, der noch mit zwei bis drei schwachen Gegnern kämpfte. Dieser wurde im Handumdrehen in die Flucht geschlagen und folgte mit einem Schreckensgeheul seinen Kameraden den Felsen hinauf. Der sonderbare Mann sah sich nach dem fünften um. Er war verschwunden. Niedergestreckte, verwundete Männer lagen auf der Erde zerstreut, aber der Bär war nirgends zu erblicken. Er war durch den Schnee entflohen.

Ich verwunderte mich immer noch, wer der Held mit dem Feuerbrand sein könne und woher er gekommen sei, wie ich denn schon gesagt habe, dass er ein sonderbar aussehender Mann war. Das war er sicherlich und glich keinem Einzigen aus unserer Gesellschaft, auf den ich mich besinnen konnte. Sein Kopf war kahl – nein, nicht kahl, sondern nackt, man konnte auf demselben weder oben noch an den Seiten ein Haar erblicken. Er glänzte im hellen Licht wie poliertes Elfenbein. Ich war unbeschreiblich verwirrt hierüber, da sprang plötzlich ein Mann – Garey, der durch einen Schlag von einem der Bären auf die Ebene niedergeworfen worden war – empor und rief aus: ›Drauf, Doc! Drei Hurras für den Doktor!‹

Zu meiner Verwunderung erkannte ich jetzt die Züge dieses Mannes, bei welchem die Abwesenheit seiner braunen Locken eine Veränderung hervorgebracht hatte, wie sie nach meinem Dafürhalten noch niemals durch entliehenes Haar bewerkstelligt worden ist.

›Hier ist Ihr Skalp, Doc!‹, rief Garey, indem er mit der Perücke herbeigelaufen kam. ›Beim lebendigen Donner, Sie haben uns alle gerettet!‹ Der Jäger schloss den Deutschen in seine kräftigen Arme.

»Ringsum gab es verwundete Männer, die anfingen, zusammen zu kriechen. Aber wo war der fünfte Bär? Es waren nur vier über die Klippen entflohen.

›Dort läuft er!«‹ rief eine Stimme, als ein seiner, über die Schneedecke aufsteigender Staubnebel zeigte, dass ein hier durch die Schneewehe watete.

Einige fingen an, ihre Büchsen zu laden, da sie beabsichtigten, ihm zu folgen und sich seiner womöglich zu bemächtigen.

Der Doktor bewaffnete sich mit einer frischen Fichte, aber ehe diese Vorbereitungen vollendet waren, drang ein eigentümlicher Schrei von dem Ort zu uns und machte unser Blut wieder erstarren. Die Indianer sprangen auf, erfassten ihre Tomahawks und eilten zu der Schlucht. Sie kannten die Bedeutung jenes Schreies, es war der Todesruf ihres Stammes!

Sie schlugen den von uns am Morgen getretenen Weg ein, und diejenigen, welche ihre Büchsen wieder geladen hatten, folgten ihnen. Wir beobachteten sie voll ängstlicher Erwartung von der Ebene aus, aber ehe sie die Stelle erreicht hatten, konnten wir sehen, dass sich der Staub langsam senkte. Es war klar, dass der Kampf geendet hatte.

Wir blieben noch immer, in atemlosem Schweigen wartend, stehen und beobachteten den auffliegenden Schnee, der ihr Vordringen durch die Wehe bezeichnete. Endlich hatten sie den Kampfplatz erreicht. Es folgte eine Unheil verkündende Stille, die einen Augenblick anhielt, dann wurde uns das Schicksal des Indianers durch den traurigen tiefen Ton verkündet, der klagend das Tal entlang schallte. Es war der Leichengesang eines Shawneekriegers.

Sie hatten ihren tapferen Kameraden tot gefunden und sein Skalpiermesser war in dem Herzen seines furchtbaren Gegners begraben gewesen!

Jenes Bärenfleisch war ein teures Abendessen, aber vielleicht hatte das eine Opfer vielen das Leben gerettet. Wir beschlossen, das Cimarron für den nächsten Morgen aufzuheben, und am darauffolgenden Tag sollte die Brotwurzel kommen; aber dann – was dann? Vielleicht – der Mensch!

Glücklicherweise wurden wir nicht bis zu diesem Äußersten getrieben. Der Frost hatte sich wieder eingestellt und die vorher durch die Sonne und Regen angefeuchtete Oberfläche des Schnees war bald zu Eis geworden, das stark genug war, uns zu tragen. Auf dieser festen Kruste zogen wir aus der gefahrvollen Schlucht und erreichten wohlbehalten die wärmeren Regionen der Ebene.

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