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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Arzt auf Java – Dritter Band – Kapitel 8

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Dritter Band
Kapitel 8

Forderungen eines Gläubigers

Das Liebesfieber, welches Eusebius verzehrte, und welches durch die Getränke genährt wurde, die Arroa ihm reichte, triumphierte schnell über seine Jugend und seine Gesundheit. Einige Tage des Glücks bei der schönen Indianerin hatten das Werk, welches die entnervende Ungeduld der Begier und der Erwartung begann, vollendet, indem sie das Leben des jungen Holländers aufrieben. Er zählte noch nicht dreißig Jahre und war schon ein Greis. Die Heftigkeit der Gefühle, denen er sich hingegeben, hatte sein Gesicht mit den Runzeln durchfurcht, welche die fürchterlichsten Leidenschaften in der Länge den Zügen derer ausdrücken, die denselben erliegen. Er ging gebückt, seine Stirn senkte sich gegen den Boden und sein Auge hatte nur dann noch Feuer, wenn es Arroa gefällig war, den finsteren Schein darin widerspiegeln zu lassen, den sie selbst in ihrem Blick trug; denn in dem Grade, in welchem Eusebius’ Körper erschlaffte, wurde seine Zärtlichkeit für die Tochter Argalenkas heftiger. Man hätte glauben können, diese Zärtlichkeit sei nun das einzige Band, welches den gebrechlichen Körper noch über dem Grad erhielte, dem er sich zuneigte. Die Sonne erreichte die Mitte ihres Laufes, der Himmel hatte die dunkelblauschwarze Färbung angenommen, welche die blendet, deren Blick die Abgründe zu erforschen trachtet. Das Meer, glatt wie ein Spiegel, trug auf seiner Oberfläche einen Dunstschleier, der spiralförmig zum Himmel aufstieg, wie ebenso viele Feuerschlangen. Die Hitze war erstickend, das flammende Gestirn schien die Erde, das Wasser und das Himmelsgewölbe durch seinen Brand vereinigt zu haben.

Der Windhauch verstummte, die Wogen murmelten kaum, die Vögel, unter dem Laubwerk verborgen, hatten ihr Geschrei oder ihren Gesang verstummen lassen, die Grille rührte in dem Gras ihre kreischenden Flügel nicht mehr. Die Blätter der großen Kokosbäume hingen schmachtend herab und regten sich nicht. Es war das gewaltige Schweigen des Mittags, tiefer, feierlicher noch in den Tropenländern als das Schweigen der Nacht.

Nur zwei Stimmen protestierten gegen diese Erschlaffung der ganzen Natur; zwei Stimmen sprachen von Liebe, während die übrige Schöpfung der Ermattung erlag, in einem solchen Glutofen leben zu müssen.

Diese Stimmen ertönten aus einem Gebüsch von Zitronen- und Mangobäumen, dessen dunkelgrüne und violette Blätter nicht unter der heißen Jahreszeit gelitten zu haben schienen, da ihre Wurzeln durch die Gewässer des Flusses erfrischt wurden, welche wenige Schritte weit entfernt dahin rannen, und ihre Wipfel durch die Spitzen der hohen Bäume beschattet wurden, die über dem ersten Gewölbe von Laubwerk ein zweites bildeten, das für die Glut des Tages undurchdringlich war. Eine dieser Stimmen sang, indem sie sich mit dem Chalempoung begleitete, einer Art javanischer Gitarre. »Wenn die ganze Welt dich hasste«, sagte sie, »würde ich dich doch noch lieben; ich würde dich immer lieben; meine Liebe für dich könnte sich nicht verändern, wenn selbst zwei Sonnen am Himmel ständen. Begrabe dich in den Mittelpunkt der Erde oder versenke dich mitten in das Feuer, und ich folge dir. Unsere Liebe ist gegenseitig, und nichts kann uns trennen; Buddha möge uns vereint zu sich nehmen oder dein Tod ist mir verderblich. Die Augenblicke, in denen ich bei dir lebe, sind mir festlichen, als wenn ich zu den Ebenen der Ewigen Glückseligkeit erhoben würde. Sei zornig gegen mich oder stoße mich zurück, so wird meine Liebe sich dennoch nicht ändern. Dein Bild allein zeigt sich auf dem Auge meiner Gedanken. Wenn ich schlafe oder wenn ich wache, macht meine Leidenschaft, dass ich dich überall sehe, dass ich beständig zu dir spreche. Wenn ich sterbe, so sage nicht, es sei durch die Bestimmung des Geschicks geschehen, sondern sage, dass ich aus Liebe zu dir gestorben bin. Nichts lässt sich den köstlichen Entzückungen vergleichen, die meine Liebe in meiner Einbildungskraft so lebendig ausmalt. Wenn ich auch so weit von dir entfernt bin, wie man es nur denken kann, so ist mein Herz doch stets bei dir, und meine Augen richten sich auf die deinen, die in Zärtlichkeit erlöschen und meine Reize verschlingen. Lass sehen, wer die Liebe am besten auszudrücken vermag! Ha! Der wird es sein, der ihre Entzückungen am lebhaftesten fühlt.«

»Arroa, Arroa«, antwortete die andere Stimme, »wiederhole noch einmal dieses Wort, dessen Silben zusammengesetzt zu sein scheinen, um deinem Mund den süßesten Liebesgesang zu liefern, der je in die Ohren eines Menschen drang. Mein Herz kann sich ebenso wenig daran sättigen, dich sagen zu hören: Ich liebe dich, wie der Reisende sich die Quelle entreißen lässt, die den Durst stillen soll, der ihn verzehrt.«

»Ach, wenn mein Herz sprechen könnte, Eusebius«, erwiderte Arroa, »so würde seine Sprache eine andere Macht haben als die, welche es meinem Mund verleiht. Könnte es eines Dolmetschers entbehren, nun dann würdest du über das Feuer zu urteilen vermögen, durch welches es für dich verzehrt wird.«

»Ha, ewig dieses Glückes zu genießen, ohne Unterlass diesen Becher zu leeren, auf dessen Boden nie die Sättigung sich findet, das wäre eine Freude, welche die Wonne der Erwählten überträfe.«

»Ach!«, seufzte Arroa.

»Weshalb breitet diese Trauer sich über dein Gesicht?«, entgegnete Eusebius. »Weshalb denkst du mitten in der Wollust an den Tod? Nimm ein Beispiel an mir, Arroa. Sieh, ein unbekanntes Übel reibt mich auf, aber meine Lippen sind deshalb nicht minder begierig. Ich vergesse alles und suche nicht zu erforschen, ob das eifersüchtige Schicksal ein Gift in die Blumen gelegt hat, deren Saft mich berauscht.«

»Es ist auch nicht der Tod, an den ich denke«, entgegnete Arroa. »Eusebius, der Tod in deinen Armen, der Tod unter Küssen, das ist ein Hochgenus, der mich jeden anderen vergessen lassen könnte, und dessen Erinnerung selbst noch über das Grab hinaus währte.«

»Weshalb verjagst du dann nicht die Wolke, die dein Lächeln verdunkelt?«

»Weil, wenn ich nicht an den Tod denke, etwas anderes mich erschreckt, das ich mehr fürchte als den Tod. Eine Trennung, die uns lebend eines von dem anderen entfernen würde, während welcher wir die Arme gegeneinander ausstreckten, ohne sie verschlingen zu können! Ich denke daran, dass meine Seele, die unter deinen Küssen erwachte, bald vielleicht wieder durch die Abwesenheit und das Sehnen erstirbt.«

»Was willst du sagen? Was kannst du fürchten?«

»Alles.«

»Um des Himmels willen, erkläre dich deutlicher.«

»Eusebius, Eusebius«, entgegnete Arroa, deren Stimme stockte, als ob die Aufregung ihre Brust zusammenschnürte, »ich wollte meine Besorgnisse und meine Angst für mich behalten und sie deiner Liebe ersparen. Ach, ich erröte über meine Schwäche. Geziemt es wohl der Sklavin, ihrem Gebieter einen Dorn zu bringen, statt des Tributs der Rosen, den sie ihm schuldig ist? Nein, höre auf, mich zu befragen. Lass uns dem Vergnügen entgegeneilen, wie der Schmetterling der Blume und dem Licht, ohne uns darum zu kümmern, was das Morgen uns vorbehält.«

»Arroa, die Männer des Okzidents gleichen nicht denen deines Landes. Ihr Herz verdoppelt sich durch das Herz derjenigen, die sie lieben und der Kummer kann den einen nicht verwunden, ohne auch den andern zu treffen. Sprich daher ohne Furcht, ergieße deine Leiden in die Seele deines Geliebten, der seine Hälfte davon in Anspruch nimmt. Sag, was fürchtest du?«

»Meinen Vater!«

»Deinen Vater, der uns miteinander verlobte?«

»Ja, aber seit dem Tag, an welchem er in seiner Freude, mich dem Leben wieder zulächeln zu sehen, deine Hand in die meine legte, hat sein Nachdenken seine Stirn durch sorgenvolle Gedanken gefurcht. Er hat sich daran erinnert, dass unser Glaube nicht der gleiche ist. Er erblickt in dir einen Ungläubigen, er sagt, dass wir deinetwegen Götzendiener sind, und der Greis erhebt, indem er versichert, dass Buddha diese gottlose Vereinigung verfluchen wird.«

»Kind, der Gott, den wir verehren, ist derselbe, mit welchem Namen auch die Menschen ihn benennen mögen. Gleich dir glaube ich, dass alles, was unsere Augen erfreut, sein Werk ist, und dass die Vorschriften seines Gesetzes Vorschriften der Barmherzigkeit und der Liebe sind, wie die, welche Buddha für dich zur Pflicht gemacht hat.«

»Nein, denn unser Gott hat vorausgesehen, dass eine einzige Liebe dem Herzen des Menschen für die Zeit, die er auf der Erde zuzubringen hat, nicht genügen kann. Er hat ihm das Feld eröffnet, auf welches er die Schönheit der Frauen säte, und hat ihm gesagt: Ernte und preise meinen Namen, indem du der Güter genießest, die meine Gnade an dir verschwenden. Dein Gott ist ein geiziger und eifersüchtiger Gott; er hat zwei Wesen geschaffen und sie auf die Erde gesetzt; er hat sie durch eine eherne Kette miteinander zusammengeschmiedet, und sein Zorn trifft das dieser beiden Wesen, welches die Kette zu zerreißen strebt.«

»Nun?«, fragte Eusebius atemlos vor Aufregung.

»Du kennst den Glauben, welchen die Menschen meines Stammes auf die Träume setzen. Sie glauben, dass Buddha im Schlaf mit seinen Kindern verkehrt. In der Nacht, welche der soeben endenden voranging, sah mein Vater dich in seinen Träumen. Deine Hand stützte sich auf die Hand einer Frau, dessen Haare die Farbe des edelsten der Metalle hatten, und dessen Haut glänzte, wie die Blume des Malatti. Diese Frau hielt an seinem Busen ein Kind, blond und weiß, wie sie selbst. Es stieß eine Schönheit mit schwarzen Augen von sich, die mein Vater für seine Tochter erkannte. Es verhinderte dieselbe, sich dir zu nähern. Es gelang ihr zuletzt, sie niederzuwerfen und unter die Füße zu treten, und das Kind mischte seine Flüche mit den Flüchen seiner Mutter.«

»Arroa«, entgegnete Eusebius, dessen Stimme kurz abgestoßen und heiser wurde, »lass das Alter sich in Chimären verirren. Was kümmern uns eitle Phantome?«

»Ach, wirst du auch ebenso sprechen, wenn die Mutter zwischen dir und Arroa steht, wenn du vergebens nach ihr rufst, wenn sie vergebens den Namen ihres Geliebten in die Lüfte schreit, wenn der Wind unsere Seufzer verweht?«

»Was willst du damit sagen?«

»Das, was ich dir verbergen wollte. Mein Vater hat sich gestern infolge der Vision entschlossen, über mein Haupt das Wasser zu gießen, welches die Weihe abwaschen soll, die er unserem Verlöbnis gab. Er glaubt, dass ich jetzt dir nicht mehr angehöre, und er ist entschlossen, mich mit sich in das Land zu nehmen, von wo unsere Vorfahren kamen, und zu den Quellen des großen Flusses hinaufzusteigen, der Brahma geweiht ist.«

»Ich folge dir dahin!«, rief Eusebius aus. »Ich würde dir in die Hölle folgen, Arroa. Nichts, weder der Wille deines Vaters noch die Erde noch der Himmel sollen dich von jetzt an mir entreißen.«

»Aber die Frau, welches bald, morgen, heute vielleicht noch, erscheinen kann, um den Platz in Anspruch zu nehmen, den ich auf deinem Lager mir anmaßte?«

»Was täte das?«

»Was es täte? Siehst du denn nicht, dass auch ich eifersüchtig bin, Eusebius, dass ich eine andere, der du gestattetest, einen einzigen deiner Küsse zu teilen, erdolchen würde? Hat mein Busen denn kein Klopfen mehr, mein Auge keine Flammen, welche dir sagen, was in mir bei diesem bloßen Gedanken vorgeht? Nein, nein; deine Worte beweisen mir, dass es wohl Buddha war, der zu meinem Vater in seinem Traum sprach. Will ich dem Verbrechen entrinnen, so muss ich mich entfernen.«

»Dich entfernen! Ha, wiederhole nicht dieses Wort, das meinem Herzen grausamer ist als die grausamste Wunde«, sagte Eusebius, in dem er in Schluchzen ausbrach. »Arroa, siehst du denn nicht, dass nur du mich am Leben erhältst? Die Freuden, die du mich kennen lehrtest, gewähren mir die Kraft, den Tod zurückzuweisen, dem ich angehöre, wie ich wohl fühle. Wenn der Himmel mit all seiner Pracht sich vor mir öffnete, so würde ich nicht zögern, zwischen ihm und den Entzückungen zu wählen, die du mir bereitest. Es mögen die eitlen Gespenster der Vergangenheit sterben, wenn sie Anspruch darauf machen, mich einer Glückseligkeit zu entreißen, die größer ist, als sie vor mir je das Auge irgendeines Sterblichen erblickte! Sie mögen kommen, und ich würde, um sie zurückzuweisen, keine Verwünschungen finden können, die erbarmungslos genug wären. Wäre ein Verbrechen nötig, um sie in das Nichts zurückzuschleudern, aus dem sie zu meinem Unglück emporgestiegen wären, so würde ich dieses Verbrechen ohne Zögern und ohne Reue begehen.«

»Eusebius, sprichst du die Wahrheit? Du liebst diese Frau nicht?«

»O, mein Gott«, erwiderte der Holländer, »hast du denn nicht gehört, wie ich es verwünschte?«

Eusebius wurde durch einen tiefen Seufzer unterbrochen, der aus einem Gebüsch hohen Heidekrautes zu ertönen schien, welches in der Nähe lag. Es sprach aus diesem Seufzer ein so herzzerreißender Schmerz, dass Arroa und er unwillkürlich aufsprangen und sich nach der Seite wendeten, von wo er ertönte.

Arroa erreichte das Gebüsch zuerst. Sie bog die Zweige auseinander und entdeckte Esther, die im Gras saß und ihr Gesicht zwischen den Knien verbarg. Hinter ihr stand Harruch mit gekreuzten Armen und finsterem Blick.

»Als die Indianerin Eusebius Gattin erblickte, sprach ihre Physiognomie weder Aufregung noch Überraschung aus. Sie wendete sich zu Eusebius mit einer Kaltblütigkeit um, welche vermuten ließ, dass sie die Anwesenheit der Holländerin erraten hatte.

»Mein Geliebter«, sagte sie mit schmeichelndem Ton, »die, von welcher ich dir sagte, ist gekommen, und ich hoffe, dass soeben nicht deine Lippen allein gesprochen haben.«

Esther erhob den Kopf nicht. Sie blieb stumm regungslos, ergebungsvoll wie ein Opfer, das sich dem Urteilsspruch nicht zu entziehen strebt, welcher es aus der Zahl der Lebenden ausstreichen soll.

Eusebius war bleich wie ein Gespenst. Seine weit ausgerissenen Augen schweiften von Arroa zu Esther, er fuhr mit der Hand über seine schweißgebadete Stirn. Er antwortete Arroa nicht, und Harruch war es, der das Wort ergriff.

»Christ«, sagte« der Gueber, »Ormuzd schuf den Menschen nackt, wie den Wurm, der über der Erde hin kriecht, und schwach, wie diesen. Er verlieh ihm die Teile der Pflanzen, die Haut der Tiere, um seine Nacktheit zu bedecken. Er gab ihm die Reue, um seiner Schwäche zu Hilfe zu kommen; aber die Reue hat nur eine Stunde, deren Flug schnell ist wie der der Salangane. Christ, verjage den Dämon, der sich deiner Seele bemächtigte, beeile dich, beeile dich!«

»Nein«, murmelte Eusebius, dessen Hand Arroa ergriffen hatte und die sie mit leidenschaftlichen Küssen bedeckte.

»Christ«, fuhr Harruch fort, »las diese Hand los. Besser wäre es, du hieltest zwischen deinen Fingern ein im Feuer der Schmiede gerötetes Eisen. Stoß diese Frau zurück. Ihre Worte sind süß, doch auch die Früchte des Antchar sind es, und dennoch bergen sie den Tod unter ihrer roten Hülle. Die Tochter des Beduis ist die Beute der bösen Geister geworden. Die Küsse des Sohnes Ahrimans haben sie besudelt, mit der Unlauterkeit sind alle Leidenschaften eingezogen in ihre Seele und sie ist mit den Feinden Ormuzds und seiner Kinder gegangen. Der, dem du dreimal begegnetest, der, in dessen Schlingen du dreimal gefallen bist, hat sie zu seiner Mitschuldigen gemacht, indem er ihr sagte: ›Gehe und führe den Mann, den ich verderben will, in das Netz, das ich für ihn im Dunklen stellte.‹ Und sie ist gekommen und hat deinen Verstand verwirrt durch Gebräu und Liebestränke. Christ, man versichert, dass dein Land gleich dem unsrigen furchtbare Wesen besitzt, welche ihr Leben verlängern, indem sie sich von dem Blut und dem Fleisch der Leichen nähren. Der Zorn Ahrimans hat sich über die ganze Erde verbreitet. Zittere davor, in die Hand des Barkasaham zu fallen, der seinen Tagen die Tage aller derer hinzufügt, welche eine gottlose Hand gegen das heilige Feuer ausstrecken, welches uns belebt und dasselbe vor der Zeit erlöschen. Noch ist es Zeit. Bereue; verabscheue die Worte, die du soeben gesprochen hast, und sprich die Gebete aus, die den Dämon vertreiben, denn er naht.«

»Was tut das!«, rief Eusebius, dessen ganzer Körper krampfhaft zitterte, dessen Augen wild in ihren Höhlen rollten, und dessen Stimme den Ton des Wahnsinns angenommen hatte. »Was tut das! Du sprichst davon, Arroa zu verderben, und du glaubst mich durch das Gespenst des Todes zu erschrecken. Aber was soll ich noch mit dem Leben, wenn sie mir geraubt wird? Es komme der Tod, wenn er mich von einem Joch befreit, das ich zum zweiten Mal verwünsche!«

Esthers Schluchzen verdoppelte sich.

»Zum letzten Mal, Christ«, sagte der Gueber, »denke an den, der sich Basilius nannte, an den welcher jetzt Noungal heißt, und der sich bald Eusebius von der Beek nennen wird. Er ist nicht fern; er wird kommen, er kommt!«

»Er ist gekommen«, sagte eine tiefe Stimme hinter dem Holländer, der sich rasch umwendete und den fürchterlichen Malaien erblickte, welcher dicht hinter ihm stand und ihn mit jenem unheimlichen Lachen anblickte, das er vom Doktor Basilius geerbt hatte.

Sobald Harruch die Stimme Noungals hörte, war er aus dem Gebüsch fortgestürzt. Als Noungal ihn fliehen sah, stieß er einen furchtbaren Schrei aus, den Kriegsruf der Meerzigeuner. Bei diesem Schrei schien die Einsamkeit sich plötzlich zu bevölkern. Hinter jedem Feigenbaum, aus jedem Gebüsch, unter jedem Strauch sprang ein Mensch hervor, und ehe der Gueber zehn Schritt gemacht hatte, war er von den Piraten umringt, die ihn mit ihren Kris, ihren Spießen oder ihren Gewehren bedrohten.

»Ergreift diesen Menschen!«, sagte Noungal.

Als aber Maha, der bisher im Schatten gelegen hatte, die Gefahr seines Gebieters sah, erhob er sich. Sein Haar sträubte sich, seine Schnauze furchte sich mit tiefen Runzeln, sein Schweif schlug die Erde, die seine Krallen zerrissen, und in dem Augenblick, als einer der Piraten, begierig, zuerst die Befehle seines Häuptlings auszuführen, die Hand an Harruch legte, machte der Panther einen furchtbaren Satz, sprang dem Angreifenden auf die Schultern, warf ihn zerschmettert nieder auf den Boden, und seine gewaltige Tatze auf die Brust dessen legend, den er getötet hatte, ließ er die Augen drohend im Kreis umher auf die Feinde seines Herrn schweifen, die, durch seine plötzliche und unerwartete Erscheinung entsetzt, nicht weiter vorzudringen wagten.

»Der Fluch des Propheten sei über Euch, Feiglinge!«, schrie Noungal. »Ein elendes Tier macht Euch erbeben!«

Indem er diese Worte sprach, riss er eine Pistole aus dem Gürtel, spannte den Hahn und zielte auf den Panther. Aber in dem Augenblick, als das Pulver sich entzündete, sprang Harruch vor Maha und bildete ihm mit seinem eigenen Körper eine Schutzwehr. Die Kugel traf ihn über der Hüfte und drang so tief in das Fleisch ein, das in einer Sekunde sein ganzer Sacong mit Blut gefärbt war.

»Maha, Maha«, sagte er, ohne dass sein Gesicht Schmerz oder Aufregung verriet, »Maha, die Stunde ist noch nicht gekommen. Entflieh in die Tiefe des Waldes und entzieh dich ihren Schüssen. Flieh Maha, ich befehle es dir!«

Das Auge des Panthers folgte der Bewegung, mit welcher Harruch seine Worte begleitete. Er erkannte mit wunderbarer Gelehrigkeit, was sein Herr gebot, und gehorchte ihm. In dem Augenblick, als die Piraten, angefeuert durch die Vorwürfe ihres Führers, vorwärts drangen, in dem Augenblick, als Noungal den Lauf einer zweiten Pistole auf das Tier richtete, sprang dieses schnell wie der Blitz über die Köpfe der nächsten Banditen fort und stürzte sich in den Fluss. Einige Kugeln trafen das Wasser dicht neben Maha; einige Pfeile zischten über seinem Kopfe hin, aber er wurde nicht getroffen. Er erreichte das entgegengesetzte Ufer, und mit wenigen Sätzen hatte er den Raum durchmessen, der ihn vom Wald trennte.

Das Gesicht Harruchs, welches bisher sorgenvoll und finster gewesen war, erheiterte sich nun. Er schaute freier, ein Lächeln des Triumphes umspielte seine Lippen. Er blieb kalt und stolz unter den zornigen Blicken, die Noungal auf ihn schleuderte.

»Gueber, fragte dieser, »was hast du aus Thsermai gemacht?«

»Ein wenig Schlamm, ähnlich dem Morast der Sümpfe, die die große Stadt umgeben. Übrigens befrage das Gewürm, welches die Sümpfe befleckt, und es würde auf deine Fragen besser antworten können als ich, Noungal.«

»Du gestehst dein Verbrechen?«

»Ich rühme mich meiner Rache; Ormuzd war mit mir.«

»Gueber«, entgegnete der Malaie, »da hast in der Blüte die Hoffnung vernichtet, welche unsere Brüder nährten, über das unabhängige Java den Abkömmling seiner alten Herrscher regieren zu sehen.«

»Was kümmert es die Sklaven, mit welchem Namen der sich nennt, der sie züchtigt?«, sagte Harruch spöttisch. »Wenn die Peitsche, die sie schlägt, nicht Thsermai heißt, so wird sie Noungal heißen; aber es wird deshalb nicht minder eine Peitsche sein.«

Der Malaie wurde leichenblass und biss sich auf die dünnen Lippen.

»Du hast den Wünschen der weißen Männer, unserer Feinde, gedient, indem du dem Mann den Tod gabst, der allein die Javanern vereinigen und sie zum Sieg führen konnte. Du hast eine gotteslästerliche Hand an den Sohn der Sultane gelegt. Kennst du die Strafe, welche die Gesetze der Insel für dein Verbrechen bestimmen?«

»Ja«, erwiderte Harruch kurz.

»Diese Strafe ist die des Feuers. Bindet diesen Menschen«, fuhr der Malaie fort, indem er sich an seine Piraten wendete. »In dieser Nacht werdet Ihr den Scheiterhaufen für ihn errichten.«

Harruch reichte seine Hände den Stricken dar, die man brachte, und Noungal wendete sich zu Eusebius, der erschöpft durch alle die Aufregungen, die auf ihn eingestürmt waren, seinen Kopf auf die Brust Arroas gelegt hatte, und aus der Berührung des Busens der Indianerin eine Gleichgültigkeit geschöpft zu haben schien, die ihn fühllos gegen alles machte, was um ihn her vorging.

»Eusebius Van der Beck«, sagte der Führer der Meerzigeuner, »ich glaube, dass der Doktor Basilius, Euer Oheim und mein Freund, sich mit den Verwünschungen begnügt haben würde, welche wir alle soeben aussprechen hörten, um sich als den rechtmäßigen Eigentümer einer Existenz zu betrachten, die Ihr für einen so reizbaren Menschen, wie Ihr zu sein scheint, etwas unbesonnen an die Ewigkeit Eurer Gefühle geheftet hattet. Ich werde mich nicht schwieriger zeigen, wie er. Zu welcher Stunde ist es Euch gefällig, mich in Besitz dessen zu setzen, was mir infolge der Zession zukommt, die der Doktor Basilius zu meinen Gunsten gemacht hat?«

»Wann Ihr wollt«, erwiderte Eusebius mit kaum hörbarer Stimme, so sehr wurde seine Aufmerksamkeit durch die Betrachtung eines Lächelns in Anspruch genommen, welches die Lippen seiner schönen Geliebten umspielte.

»He, he, he! Es gibt mehr als einen Punkt, in welchem der Seeräuberhauptmann einem Kaufmann gleicht. Überdies habe ich die Grundsätze des vortrefflichen Basilius geerbt und bleibe daher den kommerziellen Traditionen treu, unter denen Sie ihren gegenseitigen Vertrag geschlossen haben. Ich gebe Ihnen daher zwölf Stunden Frist, um die kleine Überlieferung zu bewirken, die ich zu verlangen das Recht habe, und um sich zu Gunsten Arroas des letzten Drittels Ihres Vermögens zu entledigen.«

»Zwölf Stunden! Zwölf Stunden!«, murmelte Arroa zu Eusebius in das Ohr, »zwölf Stunden unaussprechlicher Wollust, eine Ewigkeit des Glücks!«

Eusebius antwortete nicht. Er schlang seinen Arm um den Hals der Indianerin, zog deren Kopf zu sich herab und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.

Noungal betrachtete diese Gruppe mit seinem teuflischen Lachen.

Die Piraten wollten Harruch mit sich fortziehen, aber bei dem Geräusch der Schritte dieses Letzteren erhob Esther den Kopf.

»Gueber«, rief sie, indem sie sich zu dem Feueranbeter wendete, »jetzt ist der Augenblick gekommen, dem letzten Versprechen treu zu sein, das du mir gabst.«

»Es soll geschehen, wie du es wünschest. Ich hatte dir gesagt, dass ich dir beistehen würde, deinen Mann zu retten, und Ormuzd ist mein Zeuge, dass ich, um meinen Eid zu erfüllen, mehr als mein Leben gewagt habe. Ich hatte gesagt, wenn Ahriman starker wäre als ich, so solltest du aus meinen Händen empfangen, was dich deinen Leiden entreißen kann, die ich zu gut kennen lernte, um nicht Mitleid mit dir zu haben. Nimm also, und die Hand Gottes, der uns richtet, breite sich über dich.«

Indem Harruch so sprach, gelang es ihm, ungeachtet der Bande, welche seine Arme fesselten, an seinen Mund die Schnur eines kleinen Säckchens von grobem Stoff zu bringen, das auf seiner Brust hing. Er zerbiss die Schnur mit den Zähnen und das Säckchen sank nieder zu den Füßen Esthers.

Diese bemächtigte sich desselben, zerbiss das Gewebe und führte einige der rötlichen Kerne, die es enthielt, zu ihren Lippen. Beinahe augenblicklich verbreitete Leichenblässe sich über das Gesicht der jungen Frau, breite blaue Ränder zeichneten sich um ihre Augen, diese selbst bedeckte ein Schleier, ihre Kräfte schienen sie zu verlassen, ihr Körper neigte sich rückwärts und sie selbst stürzte zur Erde. Aber noch jetzt suchten ihre Blicke ihren Mann.

»Eusebius, Eusebius«, sagte sie mit ersterbender Stimme, »hätte ich früher gewusst, wie sehr ich dir zur Last bin, so würde ich dich früher von mir befreit haben und dein Glück käme dir dann nicht so teuer zu stehen.«

Bei diesem Schauspiel erwachte Eusebius aus seiner Betäubung. Seine Knie brachen unter ihm und seine zitternden Hände streckten sich gegen die sterbende junge Frau aus.

»Komm, komm«, sagte Arroa, indem sie ihn fortzuziehen suchte.

Er zögerte, ihr zu folgen; es schien, als fessele eine unbesiegliche Kraft ihn an die Stelle.

»Eusebius«, sagte Esther, »ich sterbe. Wirst du mir den Trost versagen, das Lebewohl dessen zu empfangen, den ich so sehr geliebt habe?«

»Höre nicht auf dieses Weib!«, rief Arroa rot vor Zorn. »Hast du denn die Erinnerung an die Genüsse verloren, die ich dir gewähren kann, und selbst diese Freuden sind noch nichts. Meine Liebe für dich wird Neues zu erfinden wissen; komm, die Stunde vergeht, die Zeit entflieht, komm, in meinen Armen Glück und Vergessenheit zu finden.«

»Eusebius«, sagte Esther, deren Kräfte sich zu erschöpfen schienen und deren Stimme kaum noch hörbar war. »Eusebius, im Namen unseres Kindes flehe ich dich an, verweigere meine Bitte nicht.«

Eusebius blieb regungslos stehen, aber zwei Tränen entquollen seinen Augen und rannen über seine Wangen. Esther sah diese Tränen und ihr Gesicht verklärte sich durch ein Lächeln.

»Gott möge dir verzeihen«, sagte sie, »wie ich dir verzeihe!«

Dann öffnete ihr Mund sich zu einem letzten Seufzer, ihre Augen wurden starr, sie blieb regungslos liegen.

Eusebius stieß hier auf Arroa, die ihn diesem Schauspiel zu entreißen strebte, heftig von sich. Er stürzte sich auf den leblosen Körper Esthers, bedeckte ihn mit seinen Küssen und seinen Tränen, versuchte die schon kalten Hände der jungen Frau zu erwärmen und gab sich allen Ausbrüchen der Verzweiflung hin.

Plötzlich nahm er, als wäre er eifersüchtig gewesen, seinen Schmerz allen Blicken zu entziehen, den Körper seiner Frau auf die Arme, durchbrach die dichten Reihen der Piraten und verschwand mit seiner Last in dem Gebüsch.

Die Zigeuner wollten sich ihm entgegenstellen, doch Noungal streckte die Hand aus und gebot: »Lasst ihn sich entfernen; überall, wo er jetzt ist, gehört er mir.«

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