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Ein Ostseepirat Band 1 – Fähnrichsgelüste

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman
Erster Band
III.
Fähnrichsgelüste

Es gab eine Zeit, zu der die zwischen Ystadt und Stralsund laufende Postjacht meistens keine Stenge, keine heilen Wanten und keine intakten Segel, wohl aber angefaulte Planken und im Ganzen nur drei betrunkene Bootsmänner zu ihrer Bedienung hatte.

Doch diese kam erst später und besonders nach dem Siebenjährigen Krieg. Vor demselben war die Postjacht eine stattliche Schaluppe, mit Gaffeltopp- und fliegendem Focksegel, geführt von einem Hochbootsmann und bedient von sechs tüchtigen Kriegsschiffmatrosen.

Als der Krieg auszubrechen drohte, fand man jedoch diese Bemannung nicht hinreichend, armierte die Jacht mit vier Geschützen und stellte sie, zum Schmerz des alten Hochbootsmanns Klassen, der in ihrem Kommando grau geworden, unter Befehl eines Marinefähnrichs, dem über dem noch fünfzehn Matrosen zugegeben wurden, sodass die Schaluppe also nun zwei Offiziere und einundzwanzig Matrosen zählte.

Der nun mit ihrer Führung betraute Fähnrich hieß von Wardow und glich den meisten seiner Kategorie der neueren Zeit, das heißt, er war ein bartloser, achtzehnjähriger Jüngling, voller Dünkel und Anmaßung, ohne Erfahrung und ohne besondere Kenntnisse.

Es ist etwas Herrliches um den frischen Jugendmut, um die strebende Jugendkraft, welche nichts scheut und kein Unternehmen fürchtet, aber es ist eine böse Sache um jugendlichen Übermut. Diesen hervorzurufen, dient ganz vortrefflich die bei beginnendem Krieg häufig durch die Notwendigkeit gebotene Übertragung wichtiger Posten an unreife Jünglinge, die erst werden sollen, was sie eigentlich vorstellen.

Nun, manche werden es auch im vollen Maße, doch die meisten nicht, obwohl allen ihre Wichtigkeit ganz zweifellos erscheint. Wardow sah daher, so wie er seine Ernennung erhielt, auch schon in der Perspektive den künftigen Admiral und das war lobenswert, insofern er sich vornahm, dies Ziel zu erreichen. Doch minder gut war es, dass er schon jetzt die jenem Rang gebührende Achtung beanspruchte.

Der alte Klassen, welcher es sich nie hatte träumen lassen, jemals einen so vornehmen Backgenossen zu erhalten, schüttelte auch schon nach der ersten Bekanntschaft mit demselben den Kopf. Es war ihm ganz recht, dass jener, wenn man keine Passagiere hatte, die zur Aufnahme von solchen bestimmte Kajüte bewohnte. Doch es war ihm nicht recht, wenn der Junker aus seiner guten Sloop Ulricka einen Kutter zu machen versuchte.

Indessen er war Untergebener und musste es geschehen lassen. Da aber sonst der Fähnrich doch bei seiner Anmaßung noch einige jugendliche Gutmütigkeit bewahrte, so stellten sich beide zuletzt so leidlich. Man ertrug einander, weil man eben musste.

Die Jacht lag am Morgen des 30. Juli vor dem sogenannten Expeditionshaus von Ystadt, in dem die Seepost, die Hafenpolizei und die Steuerbehörde ihren Sitz hatten. Die Fracht und die Landpost waren bereits angekommen und von Klassen übernommen. Die Staatsdepeschen sollten folgen, als Wardow, der an Land nie in der Jacht blieb, ankam.

»Nun, alter Klassen!«, rief der junge Mann dem vorschriftsmäßig rapportierenden Hochbootsmann zu, »wie steht es sonst. Schiff in Ordnung, danke, weiß es, dass Ihr dafür sorgt. Haben wir Passagiere heute?«

»Drei, Junker!«, antwortete Klassen, »sie sind bereits in der Kajüte!«

»Verdamme sie«, schimpfte Wardow, »was ist’s für Gelichter, Klassen?«

»Pst, Junker!« flüsterte der Alte, »’s sind Damen, die Töchter des Majors von der Grieben auf Hiddensee mit ihrer Zofe!«

»Alle Wetter! Hört, Klassen, da wünschte ich, es käme uns heute so ein hasenherziger Preuße in die Quere, ’s wär’ mir schon recht, den Damen ein kleines Kriegsschauspiel zu verschaffen, ich habe überdies unsere Kanonen noch nicht einmal brummen hören!«

»Wir führen sie auch nur zur Verteidigung!«, antwortete Klassen, »und unsere Order lautet, uns nicht unnötig einzulassen!«

»Was Order!«, rief der Junker, »eine Kabellänge in See weichen alle Order dem Befinden des Kapitäns eines Schiffes; aber da kommt die Depeschentasche und noch eine ganze Kiste, nehmt einmal die Geschichten in Empfang, Klassen!«

Wardow fühlte sich viel zu erhaben, seinen Pflichten selbst zu genügen, doch er blieb in der Nähe der Beamten und erfuhr somit, dass in der Kiste Karten und Pläne für den Admiral der Station vor Stettin und eine versiegelte Order für das Stationsschiff bei Wittow sei. Die Postbeamten entfernten sich und Klassen ließ die übernommenen Gegenstände in die Kajüte bringen.

»Alles klar, Herr!«, meldete er dann.

»So werft los!«, befahl der Junker.

Man ging sofort an die Ausführung des Befehls. Die Jacht entfernte sich vom Bollwerk, sodann aus dem Hafen und stach bei flauem, ungünstigem Wind, jedoch schönem Wetter, in See. Die Reise versprach langweilig zu werden, doch dies war dem Junker heute schon recht, denn er hatte zu selten gewichtige Zeugen seiner imponierenden Stellung, um nicht zu wünschen, recht lange mit den Damen umher zu kreuzen. Es war ihm nur fatal, dass dieselben nicht auf dem Deck erschienen. Er ging eben mit sich zu Rate, wie die erste Bekanntschaft zu knüpfen sei, als die Zofe erschien, sich an Klassen wendete und im Namen der Damen fragte, ob es erlaubt sei, das Frühstück auf dem Verdeck einzunehmen.

»Dort ist der jetzige Kommandant, mein Kind!«, sagte Klassen zu dem Mädchen. »An ihn müssen Sie sich wenden!«

Das Mädchen blickte verlegen zu dem Fähnrich hinüber, dessen Mienen deutlich verrieten, wie er diesen Vorstoß aufnahm, ging zu ihm und wiederholte ihr Gesuch.

»Erlaubt ist!«, näselte Wardow vornehm, »die Damen haben zu befehlen, ich lasse bitten, sich nicht zu genieren!«

Das Mädchen eilte davon.

Clara und Sophie von der Grieben waren Mädchen von zwanzig und achtzehn Jahren. Körperlich vollkommen ausgebildet war erst Clara, die Ältere. Sie konnte deshalb auch für eine vollkommene Schönheit passieren, während Sophie es zu werden versprach. Beide waren einander ähnlich, hatten blondes, glänzendes Haar, schöne, sprechende, blaue Augen und liebliche Züge, welche die Harmlosigkeit ihres Gemüts verrieten.

Was hätte auch ihren jugendlich heiteren Sinn im Ernst betrüben sollen! Das Unglück kannten sie bisher nur dem Namen nach, sie hatten liebe Eltern, gütige Verwandte und da die politischen Wirren sie so gut wie gar nicht interessierten, weil sie ihre Neigungen und Wünsche nicht kreuzten, so hatten sie für dieselben kaum einen Gedanken, obwohl jene erst vor kurzem Elend genug über viele Familien brachten.

Um mit der Postjacht abgehen zu können, waren sie die Nacht hindurch gefahren und deshalb etwas ermüdet, als sie an Bord kamen, wo sie von Klassen empfangen wurden. Sie kannten diesen alten Burschen sehr gut, denn er hatte sie als Kinder früher mit den Eltern zugleich von Schweden nach Pommern gebracht, war später als Neuigkeitsbote des Vaters oft in Grieben gewesen und hatte sie schließlich auch wieder herübergebracht, als sie nach Stockholm gingen. Sie wussten sich unter seiner Aufsicht vollkommen sicher.

Obwohl beide der Ruhe bedurften, hatten sie doch mithilfe der Zofe ihre Toilette geordnet, um sodann eine wichtige Besatzung darüber zu halten, ob es wohl schicklich sei, den Kommandanten des Schiffes bitten zu lassen, mit ihnen in der Kajüte zu frühstücken. Die Schwestern wussten nämlich nicht, dass an Klassens Stelle ein anderer getreten sei.

»Der Vater hat den Mann nie zu Tisch geladen!«, meinte Sophie, »und ich glaube dies kann uns einigermaßen als Richtschnur dienen!«

»Das wohl«, meinte Clara, »doch unsere Lage lässt wohl eine Ausnahme von den gewöhnlichen Regeln zu. Es ist richtig, dass der Klassen nicht so eigentlich Offizier ist, aber er ist ein würdiger, braver Mann, den man in Ehren halten muss und wir stehen auch nicht so hoch über ihn wie der Vater!«

»Die gnädigen Fräulein dürften da vielleicht einen Ausweg finden«,, meinte die Dienerin. »Das Wetter ist schön, wenn Sie oben frühstücken, so findet es sich von selbst, dass Herr Klassen Ihnen Gesellschaft leistet, ohne eigentlich dazu eingeladen zu sein!«

»Du hast recht, Johanna!«, sagte Clara, »doch ich weiß nicht, ob man oben frühstücken darf.«

»Ich werde danach fragen«, meinte die Zofe und tat, wie sie gesagt hatte, als die Schwestern ihren Vorschlag billigten. Beide erschraken, als sie hörten, dass ihr Gesuch an eine andere Adresse gegangen war.

Aus jenem Gespräch geht bereits hervor, dass die jungen Damen ganz ihrer Zeit und ihrem Stand angehörten. Das war auch kein Wunder, denn die Rang- und Standesunterschiede dominierten damals überall. Die Etikette war für die höheren Regionen der Gesellschaft das erste Gesetz. Dennoch fehlte es den Mädchen nicht an der ewigen Freigeisterei der Frauen, dem taktvollen Gefühl, welches instinktartig die Torheit von dem wirklich Schicklichen zu sondern weiß. Als sie hörten, dass der neue Kommandant der Jacht noch ein halber Knabe sei, beschlossen sie seine Bekanntschaft zu machen und begaben sich deshalb auf das Verdeck.

Wardow kam ihnen entgegen und es war spaßhaft, mit anzusehen, wie der arme Bursche zwischen schüchternem Respekt und dem Gefühl seiner Würde, vor den Damen umhertaumelte.

»Die gnädigen Fräulein von der Grieben begann er halb verlegen unter einer tiefen Verbeugung. »Ihr untertänigster Diener ist der Fähnrich von Wardow, Kommandeur der Postjacht!«

»Wir hatten keine Ahnung von diesem Wechsel in deren Kommando«, antwortete Clara, während sich beide leicht verbeugten. Früher stand dieselbe unter Herrn Klassens Befehl.«

»Der Krieg!«, antwortete Wardow wichtig, »macht gewisse Änderungen nötig. Man wählt dann Männer für wichtige Posten, die ihrer Aufgabe vollkommen gewachsen sind.«

Diese Antwort machte, dass Klassen, der sich in der Nähe befand, die Stirn bedenklich in Falten legte und die Damen ihre Lippen zusammenkniffen, um ein Lächeln zu unterdrücken. Indessen fand dieser anmaßende, wohlgewachsene und gut aussehende Knabe doch eine milde Beurteilung ihrerseits. Ihnen gegenüber war er offenbar sehr bescheiden.

»Das hätten wir allerdings wissen können«, meinte Clara etwas boshaft, »wir haben uns die Bitte erlaubt …«

»Sie haben gnädigst befohlen«, rief der Junker zuvorkommend. » Klassen, lasst ein Segel über das Quarterdeck spannen und das Frühstück für die gnädigen Damen dort servieren!«

»Wir dürfen vielleicht um die Ehre der Gesellschaft der beiden Herrn bitten«, sagte Sophie etwas vorlaut.

»Beide – hm!«, murmelte der Junker offenbar ärgerlich. Der alte Klassen dagegen lächelte glückselig und versuchte unbemerkt seinen Tabak aus dem Mund zu bringen. »Wir stehen zu Diensten«, sagte der Junker endlich mit einer netten Verbeugung, die jedoch etwas gezwungen ausfiel.

Er und die Damen schritten auf dem Verdeck einher, während Klassen eine Art Zelt herrichten ließ, unter welches der Frühstückstisch gestellt wurde. Auf seine Einladung kamen der Fähnrich und die Damen herbei, wonach sich alle vier, der Hochbootsmann unter verschiedenen linkischen Verbeugungen, um den Tisch setzten.

Es war sehr bald eine lebhafte Unterhaltung zwischen der kleinen Gesellschaft im Gange; die Küste, das Wetter, die See, der Wind, Stockholm, die Eltern der jungen Damen, mitunter auch der Krieg gaben den Stoff zu derselben her und man war recht heiter, bis das Anlegen des Schiffes einen Moment die Unterhaltung hemmte. Nachdem jenes geschehen war, wurde dieselbe wie vorhin im scherzhaften Ton weitergesponnen. Der Junker musste zu seinem Verdruss wahrnehmen, dass der alte, in dieser Hinsicht geschulte Klassen eine bessere Unterhaltungsgabe durch seine Natürlichkeit entwickelte, wie er bei seinen so zierlich gedrechselten Redensarten. Zwischen dem Kreuzfeuer des Alten und Claras kam er sogar einige Male in Verlegenheit um treffende Antworten, was Sophie häufig zu einem rücksichtslosen Lachen auf seine Kosten hinriss. Indessen unterhielt man sich gut.

Die Jacht hatte bei ihrem Auslaufen, dem flauen Wind angemessen, den ersten Kreuzschlag nach Westen gemacht und hielt nun beim zweiten auf Bornholm ab. Man war auf diese Weise unter Sandhammar, einer scharfen Ecke der schwedischen Küste angekommen, als der Ausguck plötzlich rief: »Segel in Nordost!«

Dieser Ruf brachte mit einem Mal alles an Bord in Aufruhr. Es war zwar nichts Neues, in dieser Gegend auf Schiffe zu stoßen, doch die Zeit und die zweideutigen Stellungen, welche England und Dänemark bisher beobachteten, bedingten Vorsicht bei solchen Begegnungen. Der Fremde stand nur ungefähr zwei Meilen leewärts von der Jacht und war ein Schoner von mittlerer Größe. Derselbe hatte bisher auf die Küste abgehalten, fierte jedoch gleich, nachdem er in Sicht gekommen war, und nahm offenbar Kurs auf Bornholm.

»Ich glaube gar, der Bursche weicht uns aus!«, rief der Junker. »Was sagt Ihr, Klassen?«

»Wohl kaum«, meinte Klassen mit leuchtenden Augen, »denn er kreuzt auf wie wir und sein Strich ist so vollkommen richtig … aber … aber … Junge, hol’s Fernrohr herauf!«

»Was aber …?«, fragte der Junker.

»Ich will nicht selig werden, wenn das nicht ein Preuße ist!«, rief der Alte lebhaft.

»Ein Preuße!«, fuhr Wardow auf, »umgelegt, Jungen, den Wind gefangen?«

»Gemach, Junker«, meinte der Hochbootsmann, »noch sind wir nicht sicher, und dann wir dürfen heute weniger vom Kurs abweichen als je. Bedenken Sie die Depeschen.«

»Nichts, nichts!«, rief Wardow, »ich will wissen, wer der Herr ist. Und ist es ein Preuße …!«

»Um Gottes Willen, Herr von Wardow!«, sagte Clara erschreckt, »Sie werden doch den Fremden nicht angreifen?«

»Angreifen und nehmen, wenn er ein Preuße ist!«, sagte der Junker mit angenommener Bestimmtheit und sich vor den Damen verbeugend, »zu Ihrer und der schwedischen Flagge Ehre.«

»Das ist herrlich!«, rief Sophie, in die Hände klatschend.

»Sophie!«, sagte Clara verweisend, »doch bedenken Sie uns, Herr von Wardow, wenn es zum Kampf käme!«

»Schiff klar zum Gefecht!«, kommandierte der Junker als Antwort auf diese Worte.

»Junker, Junker …«, mahnte der Hochbootsmann, das Fernrohr in der Hand, ohne es zu benutzen, »Preußen hat keine Kriegsschiffe, aber es kann Kaper in der See haben und ist der da ein Preuße, so ist er ein Kaper; ist er aber ein Kaper, so frisst er uns mit Haut und Haaren. Anderenfalls haben wir kein Recht, Schiffe zu examinieren, weil wir nicht in die Flottenrolle eingetragen sind und wir verlieren also zwecklos Zeit. Der Wind stellt sich überdies ein und wir haben allen Grund, seinen letzten Hauch zu benutzen.«

Die Mannschaft, gewöhnt, dass alle Anordnungen an Bord von dem alten Klassen ausgingen, hatte bei den Befehlen des Junkers ihre Blicke auf jenen gerichtet, ohne an die Ausführung derselben zu gehen. Wardow wurde rot und seine Augen blitzten.

»Was? Meuterei am Bord!«, rief er zornig mit knabenhaftem Eigensinn. »Herr, kennen Sie Ihre Pflicht nicht mehr? Schiff umgelegt und klar zum Gefecht!«

»Umgelegt!«, wiederholte Klassen mit zitternder Stimme und einem tiefen Seufzer.

»Meine Damen«, sagte Wardow, während das Manöver ausgeführt wurde, »fürchten Sie nichts, Sie stehen unter dem Schutz schwedischer Seeleute. Sollte es indessen zum Gefecht kommen, so werde ich Sie bitten, in die Kajüte hinabzugehen. Bis dahin dürften die folgenden Bewegungen zu Ihrer Unterhaltung dienen können.«

Clara hatte sich von ihrem momentanen Schreck erholt und rümpfte ein wenig indiskret die Nase.

»Ich dachte, es wäre nur ein Scherz«, meinte Sophie impertinent.

»Schiff klar zum Gefecht!«, kommandierte Klassen.

Es war nicht viel klar zu machen, die Holzdächer wurden von den Geschützen genommen, die Munitionskästen daneben gestellt und eine Waffenkiste neben den Mast gebracht und geöffnet. Das Schiff lag Ost-Nordost an und strich flott hinauf. Erwartungsvolle Stille herrschte auf demselben.

»Die Flagge hoch!«, rief Wardow.

Die Flagge stieg an der Gaffel empor, doch der Fremde segelte seinen Kurs fort, als achte er so wenig auf die Jacht und ihre Manöver.

Dem war indessen doch nicht so.

Der Schoner, dem der Fähnrich nun allen Ernstes zu Leibe wollte, um sich an ihm seine ersten Sporen, vielleicht auch den Leutnant zu erkämpfen, hatte bereits vor vier Tagen den Hafen von Stockholm verlassen und sich bei wechselnden Winden wacker südwärts gekämpft, bis er die Höhe von Sandhammar gewann.

Sein lebendes Werk, das heißt, der Teil des Rumpfes über dem Wasser, war nur sehr niedrig, seine Masten jedoch hoch und seine Rahen sehr breit. Auf seinem Deck herrschte eine Ordnung wie man sie nicht oft auf Kauffahrern findet. Trotz jener Abweichungen trug er jedoch den Charakter eines solchen.

Als er Sandhammar angegangen und sein Fieren bewerkstelligte, um auf Bornholm abzuhalten, verkroch sich die Mannschaft wieder in ihr Logis. Auf dem Verdeck blieben nur der Mann am Ruder und zwei andere Männer, die nebeneinander auf der Hinterschanze einherschritten.

Einer dieser Männer war bereits alt, aber noch sehr rüstig und etwas korpulent. Er trug Jacke und Hosen von Leinwand, einen Strohhut und zeigte viel Phlegma, obwohl seine kleinen Augen lebhaft und stechend waren.

Der andere zählte höchstens dreißig Jahre, war von mittlerem Wuchs, breitschultrig, jedoch schlank. Seine eng anliegende Kleidung, eine Halbjacke von Tuch und Beinkleider von schneeweißer Leinwand ließen ungemein kraftvolle Glieder sowie deren Muskelspiel erkennen. Auffallend bemerkenswert waren jedoch seine Gesichtszüge.

Die bronzeartige Farbe, welche auch seine Hände zeigten, war dabei das Geringfügigste, auch die schönen kastanienbraunen Haare, waren höchstens ein, noch anderen Leuten eigener Schmuck. Jene Auffälligkeit lag in dem Ensemble der hohen Stirn, der scharfen kurzen Nase, der etwas aufgeworfenen Lippen und des breiten Kinns; besonders aber der großen, dunklen, blitzenden Augen und der tiefen Furchen des Antlitzes, welche dasselbe offenbar älter machten, als der Mann eigentlich war.

Auf den ersten Anblick erschien dies Gesicht unbedingt hässlich und als ob gewaltig arbeitende Leidenschaften es zerrissen und gefurcht hätten; doch das Austoben derselben musste nicht entnervend und schwächend gewesen sein, denn diese so scharf markierten Züge verrieten kräftiges Wollen; ja das ganze hässlich erscheinende Antlitz wurde bei näherer Prüfung gewinnend, herzlich und doch zugleich geistreich. Es verriet, Laune, Frohsinn, Verstand, Witz, Güte und Mut zu gleicher Zeit. Übrigens waren alle Bewegungen des Mannes lebhaft.

»Also Ihr habt die Order zur Windstille und zum Donnerwetter gegeben, van Swieten!«, sagte derselbe leicht lachend, »nun, wenn Ihr auch kein Jupiter seid, so verdient Euer Votum doch allen Respekt und ich beuge mich Ihrer olympischen Ablegerweisheit. Ich wünschte, wir hätten einen Nordost der Berge versetzt. Ich gäbe zehn Jahre meines Lebens darum!«

»Hätte ich doch nie geglaubt!«, sagte Swieten langsam, »dass Ihr Euch so sehr danach sehnen könntet, einen Herrn anzuerkennen und ihm die Hand zu küssen. Seinetwegen lernt Ihr auch wohl das Zeugs alles, wovon ihr seit einiger Zeit so viel faselt?«

»Hol der Teufel das Handküssen!«, rief der andere, »aber wenn ich es einmal tun müsste, so sollten meine Lippen nur König Friedrichs Hand berühren und wenn er nur Chinesisch spräche, würde ich seinetwegen Chinesisch lernen!«

»Ist’n ganzer Mann, ich gebe das zu«, meinte van Swieten seinen Tabak im Mund mit der Zunge umwendend, »aber ihm deswegen so gut wie umsonst dienen …? Nein; das ist nichts, Kapitän!«

»Verstehst du nicht, alter Junge!«, rief der Kapitän lachend, »denn dein Götze ist Gold, der meine … doch was zum Satan fängt die Jacht an, seht doch, Swieten. Sie hält auf uns ab und flaggt … Es ist doch auch die Postjacht?«

Swieten kniff seine Augen noch mehr zusammen, als er grinsend die Jacht betrachtete.

»Es ist das Ding!«, sagte er langsam, »und ich denke, den Jungen plagt die Neugier, zu erfahren, wer wir sind. Vielleicht hat Klassen erkannt, dass wir preußisches Tuch führen, und sein jetziger Herr ist begierig, sich eine schwedische Nachtmütze daraus zu machen!«

»Bah … er wird doch nicht …; aber da geht’s los, Pardauz … Ihr Diener, Herr Fähnrich. Am Ende braucht der Bursche Hilfe!«

»Kann sein!«, erwiderte van Swieten, »vielleicht ist der Junge seekrank geworden und Klassen hat die Pillenschachtel vergessen!«

»Gleichviel indessen!« meinte der Kapitän lachend, »wer fragt, will Antwort haben. Für mich hat in diesem Augenblick jedoch auch die Gewogenheit eines Seefähnrichs Wichtigkeit. Wollen ihm also die Kundschaft zeigen … heda, Stöhr, den Lappen hoch!«

Die ganze andere Mannschaft des Schoners, außer den Bezeichneten noch aus zehn Mann bestehend, war durch den Schuss wieder hervorgelockt und der Gerufene brachte die Flagge an die Gaffel.

»Übrigens ist der Streich dieses Burschen da Geld wert, Swieten!«, meinte der Kapitän. »Jetzt komme ich gewiss zur rechten Zeit an Ort und Stelle, wenigstens vor ihm nach Stralsund!«

Die Männer nahmen ihren Spaziergang wieder auf; die Matrosen blickten im Vorderschiff, über die Reling gelegt, zu der Jacht hinüber.

Trotz des flauen Windes waren die Schiffe einander sehr schnell um eine Meile näher gekommen und es war kein Zweifel, dass man auf der Jacht die schwedischen Farben an der Gaffel des Schoners erkennen musste. Für ein Schiff ihres Charakters war also genügend geschehen, um den des Fremden zu erforschen, dennoch hielt die Jacht Strich, bis der Schoner zum neuen Schlage fierte und also West- Süd-West anlag.

Da die beiden Schiffe dadurch fast genau Vordersteven auf Vordersteven standen, so näherten sie sich mit reihender Schnelligkeit. Erst eine Viertel Meile vom Schoner entfernt, luvte die Jacht auf, um über Wind zu bleiben.

Der Kapitän des Schoners und sein Gesellschafter hatten dieselbe unausgesetzt beobachtet und den Zweck ihrer Bewegungen, obwohl vergeblich, zu erraten versucht.

»Und dennoch steckt etwas dahinter!«, meinte der Kapitän zuletzt. »Geht also in die Kajüte, Swieten, und bringt die in Ordnung. Ich denke, wir werden bald Besuch bekommen!«

Swieten ging hinab, warf jedoch einen finsteren Blick auf die Jacht, und der Kapitän lehnte sich mit unterschlagenen Armen an das Bratspill.

»Schiff ahoi!«, ertönte es von drüben.

»Das Sprachrohr!«, befahl der Kapitän des Schoners und setzte es an den Mund, als es ihm gereicht worden war.

»Was gibt’s da drüben?«, rief er hindurch.

»Was für ‘n Schiff das?«, hieß es dort.

»Der Merkur, Kapitän Dyk!«, lautete die Antwort.

»Woher und wohin?«

»Von Stockholm nach Stralsund … was wünscht die königliche Postjacht?«

»Ihr kommt uns verdächtig vor … legt bei und kommt mit Euren Papieren an Bord.«

Van Swieten war inzwischen wieder zurückgekehrt und kicherte leise bei diesem Befehl.

»Ist der Junge verrückt!«, rief dagegen Dyk. »Ich hätte fast Lust … doch nein, das wäre Unsinn. Was berechtigt Euch zu solchem Verlangen?«, rief er durch das Sprachrohr.

»Mein Rang als Offizier in der Königlichen Marine; legt sofort bei!«

»Die Postjacht hat kein Recht, eine Visitation vorzunehmen!«

»Das Recht und die Macht!«, lautete die Antwort. »Legt bei und kommt an Bord … oder ich werde Euch zwingen!«

Das lebhafte Mienenspiel des Kapitäns nahm einen besonderen Ausdruck an. Unwille und Heiterkeit wechselten schnell auf demselben und er lachte endlich laut.

»Steuermann Swieten!«, sagte er dann, »was meinst du nun? Bei alledem weiß man doch nicht, was sein kann, und ich will einmal versuchen, den Hund aus dem Ofen zu locken. Legt Euch flach aufs Deck, ihr da vorne. Ich werde das erwarten!«, rief er durch das Rohr.

Kaum war der Schall hinübergedrungen, als sich eine weiße Wolke am Bug der Jacht entwickelte. Knall und Kugel kamen zugleich an, Letztere riss einen Splitter vom großen Mast und zerschnitt eine der Hauptstage.

Im ersten Moment nach dieser Behandlung zeigte das sich entfärbende Gesicht des Kapitäns den Ausdruck leidenschaftlichster Wut und seine großen Augen blitzten förmlich, doch schnell war alles wieder unterdrückt und ein Lächeln spielte um seine dicken Lippen.

»Beigedreht!«, rief er durch das Rohr, »ich werde kommen … die Jolle flott, Leute, und zwei Mann hinein!«

Während seine Befehle ausgeführt wurden, sprang Dyk in die Kajüte und kam mit einem Blechkästchen, das die Schiffspapiere enthielt, aus derselben zurück. Swieten nur noch mit der Hand zuwinkend, stieg er in das Boot, setzte sich auf die Steuerbank und ergriff das Ruder. Die beiden Matrosen zogen die Riemen an und schnell schoss das kleine Fahrzeug durch die See. Nach kurzer Zeit erstieg er den Bord der Postjacht.

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