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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XI

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XI. Die zwei Kaspars

»Woran denkt Ihr, d’Artagnan«, fragte Aramis, »und welcher Gedanke lässt Euch lächeln?«

»Ich denke, mein Lieber, dass Ihr Euch, solange Ihr Musketier waret, stets dem Abbé zuwandtet, und jetzt, da Ihr Abbé seid, Euch bedeutend dem Musketier zuzuwenden scheint.«

»Das ist wahr«, sagte Aramis lachend. »Der Mensch, wie Ihr wisst, ist ein seltsames Tier und besteht ganz aus Kontrasten. Seitdem ich Abbé bin, denke ich nur an Schlachten.«

»Das sieht man an der Ausstattung Eurer Wohnung. Ihr habt Raufdegen von allen Arten und für jeden Geschmack. Fechtet Ihr immer noch gut?«

»Ich fechte, wie Ihr einst fochtet, und besser vielleicht noch, denn dies ist meine Beschäftigung den ganzen Tag hindurch.«

»Mit wem?«

»Mit einem vortrefflichen Fechtmeister, den wir hier haben.«

»Wie, hier?«

»Ja, hier in diesem Kloster, mein Lieber. Es gibt von allem in einem Jesuitenkloster.«

»Ihr hättet also Monsieur von Marsillac getötet, wenn er Euch allein angegriffen haben würde, statt an der Spitze von zwanzig Mann zu kommen?«

»Ganz gewiss«, sagte Aramis, »und selbst an der Spitze von zwanzig Mann, wenn ich hätte vom Leder ziehen können, ohne erkannt zu werden.«

»Gott vergebe mir, ich glaube, er ist noch mehr Gascogner geworden als ich«, sagte d’Artagnan ganz leise und fügte dann laut bei: »Nein, mein Lieber, ich fragte Euch nicht, sondern ich erwartete, dass Ihr es mir sagen würdet.«

»Wohl, ich suchte Euch auf, um Euch ganz einfach ein Mittel zu bieten, Monsieur von Marsillac zu töten, wenn es Euch Vergnügen macht, obwohl er ein Prinz ist.«

»Halt, halt, halt!«, sagte Aramis, »das ist ein Gedanke.«

»Den ich Euch zu benutzen einlade, mein Lieber. Lasst hören, seid Ihr bei Eurer Pfründe von tausend Talern und bei den zwölftausend Livres, die Ihr Euch macht, reich? Sprecht offenherzig.«

»Ich bin arm wie Hiob, und wenn Ihr alle Taschen und Koffer durchwühlt, werdet Ihr, wie ich glaube, keine hundert Pistolen hier finden.«

»Pest! Hundert Pistolen!«, sagte d’Artagnan ganz leise zu sich selbst.

»Er nennt das arm, wie Hiob. Ich würde mich für so reich halten wie Crösus, wenn ich sie immer vor mir hätte.« Dann ganz laut: »Seid Ihr ehrgeizig?«

»Wie Encelade.«

»Nun wohl, mein Freund, ich bringe Euch etwas, wodurch Ihr reich, mächtig werden und Euch die Freiheit verschaffen könnt, alles zu tun, was Ihr wollt.«

Der Schatten einer Wolke zog über die Stirn von Aramis hin, so rasch wie die Wolke, welche im August über die Getreidefelder schwebt; aber so rasch sie auch war, so entging sie doch d’Artagnan nicht.

»Sprecht«, sagte Aramis.

»Vorher noch eine Frage. Beschäftigt Ihr Euch mit Politik?«

Ein Blitz zuckte aus den Augen von Aramis, rasch wie der Schatten, der über seine Stirn gezogen war, aber nicht so rasch, dass es d’Artagnan nicht gesehen hätte.

»Nein«, antwortete Aramis.

»Dann werden Euch alle Vorschläge genehm sein, da Ihr für den Augenblick keinen anderen Herrn habt als Gott«, sagte lachend der Gascogner.

»Das ist möglich.«

»Mein lieber Aramis, habt Ihr zuweilen an die schönen Tage unserer Jugend gedacht, die wir lachend, trinkend und uns schlagend zubrachten?«

»Ja, gewiss, ich habe sie mehr als einmal bedauert. Es war eine glückliche Zeit. Delectabile tempus

»Ei, mein Lieber, diese schönen Tage können wiederkommen, diese glückliche Zeit kann zurückkehren. Ich habe den Auftrag erhalten, meine Kameraden aufzusuchen, und fing bei Euch an, der Ihr die Seele unserer Verbindung wart.«

Aramis verbeugte sich mehr höflich als liebevoll. »Ich soll mich wieder in die Politik machen?«, sprach er mit erlöschender Stimme und sich in seinem Stuhl zurücklehnend. »Ah, lieber d’Artagnan, seht doch, wie ich regelmäßig und bequem lebe. Wir haben Undankbarkeit von den Großen erfahren, wie Ihr wisst.«

»Das ist wahr«, erwiderte d’Artagnan, »vielleicht bereuen die Großen ihren Undank.«

»Ja diesem Fall wäre es etwas anderes«, sprach Aramis. »Barmherzigkeit jedem Sünder. Überdies habt Ihr in einem Punkt recht, wenn uns die Lust erfasste, uns in die Staatsangelegenheiten zu mischen, so wäre, glaube ich, der rechte Augenblick gekommen.«

»Woher wisst Ihr dies, Ihr, der Ihr Euch nicht mit Politik beschäftigt?«

»Ei, mein Gott, ohne mich persönlich mit der Politik zu beschäftigen, lebe ich doch in einer Welt, in der man sich damit abgibt. Während ich die Poesie pflegte, während ich Liebesgeschichten unterhielt, verband ich mich mit Monsieur Sarrasin, der Monsieur von Conti gehört, und Monsieur Vouture, der ein getreuer Anhänger des Koadjutors ist, und mit Monsieur Bois-Robert, welcher, seitdem er nicht mehr im Dienste des Kardinal von Richelieu steht, niemand oder jedermann gehört, wie Ihr wollt. So ist mir die politische Bewegung nicht ganz entgangen.«

»Ich vermutete es wohl«, sagte d’Artagnan.

»Übrigens, mein Lieber, nehmt das, was ich Euch sage, nur für Worte eines Klosterpfaffen, eines Manne, der wie ein Echo spricht und ganz einfach das wiederholt, was er sagen gehört hat«, versetzte Aramis. »Ich habe nämlich gehört, der Kardinal Mazarin wäre in diesem Augenblick sehr unruhig über den Gang der Dinge. Es scheint, man hat für seine Befehle nicht alle Achtung, die man einst für die unserer seligen Vogelscheuche hatte, von der Ihr hier das Porträt seht; denn was man auch sagen mag, mein Lieber, man muss gestehen, Richelieu war ein großer Mann.«

»Ich widerspreche Euch in dieser Hinsicht nicht«, versetzte d’Artagnan, »er hat mich zum Leutnant gemacht.«

»Meine erste Meinung war ganz für den Kardinal gewesen; ich hatte mir gesagt, ein Minister sei nie geliebt, aber mit dem Genie, das man diesem zugesteht, müsse er am Ende über seine Feinde triumphiren und sich gefürchtet machen, was vielleicht noch mehr wert ist, als sich beliebt zu machen.«

D’Artagnan machte ein Zeichen mit dem Kopf, was wohl sagen mochte, er billige ganz diese zweifelhafte Maxime.

»Dies war also meine erste Meinung«, fuhr Aramis fort. »Da ich aber völlig in diesen Dingen unwissend bin, und da die Demut, welche ich als mein Gewerbe treibe, mir es zum Gesetz macht, mich nicht auf mein eigenes Urteil zu verlassen, so habe ich mich unterrichtet. Nun mein lieber Freund …«

Aramis machte eine Pause.

»Was nun?« fragte d’Artagnan.

»Nun wohl«, versetzte Aramis, »ich muss meinen Stolz beugen, ich muss gestehen, dass ich mich täuschte.«

»Wirklich?«

»Ja, ich habe mich unterrichtet, wie ich Euch sagte, und mehrere Personen von verschiedenartigem Geschmack und Ehrgeiz antworteten mir, Monsieur von Mazarin sei kein Mann von Genie, wie ich es glaubte.«

»Bah!«, rief d’Artagnan.

»Nein, es ist ein Mann von Nichts, der Bedienter des Kardinal Bentivoglio war und sich durch die Intrige hervorgearbeitet hat, ein Emporkömmling, ein Mann ohne Namen, welcher in Frankreich nur einen Parteigängerweg machen wird. Er wird viele Taler aufhäufen, die Einkünfte des Königs verschleudern, sich selbst alle Pensionen bezahlen, welche der verstorbene Kardinal Richelieu an alle Welt bezahlte; aber nie durch das Recht des Stärksten, des Größten oder des geehrtesten Herrschers. Es scheint überdies, dieser Minister ist nicht Edelmann von Manier und von Herz; er ist eine Art von Bouffon, von Pulcinell, von Pantalon. Kennt Ihr ihn? Ich kenne ihn nicht.«

»Gewiss«, sprach d’Artagnan, »es ist etwas Wahres in dem, was Ihr sagt.«

»Ihr erfüllt mich mit Stolz, mein Lieber, wenn ich durch einen gewissen gewöhnlichen Scharfsinn, mit dem ich ausgerüstet bin, mit einem Mann zusammentreffen konnte, wie Ihr seid, der Ihr am Hofe lebt.«

»Aber Ihr habt von ihm persönlich und nicht von seiner Partei und seinen Mitteln gesprochen.«

»Es ist wahr. Er hat die Königin für sich.«

»Das ist etwas, wie es mir scheint.«

»Aber er hat den König nicht für sich.«

»Ein Kind!«

»Das in vier Jahren volljährig sein wird.«

»Das ist die Gegenwart.«

»Ja, aber es ist nicht die Zukunft, und in der Gegenwart tat er weder das Parlament noch das Volk, das heißt, er hat das Geld nicht für sich. Er hat weder den Adel noch die Prinzen, das heißt, er hat das Schwert nicht für sich.«

D’Artagnan kratzte sich hinter dem Ohr. Er musste sich selbst zugestehen, dass dies nicht nur umfassend, sondern auch richtig gedacht war.

»Seht, mein armer Freund, ob ich immer noch mit meinem gewöhnlichen Scharfsinn ausgerüstet bin. Ich sage Euch, dass ich vielleicht unrecht habe, so offenherzig mit Euch zu sprechen, denn es scheint mir, Ihr neigt Euch auf die Seite von Mazarin.«

»Ich!«, rief d’Artagnan, »ich! Ganz und gar nicht!«

»Ihr spracht von einem Auftrag.«

»Sprach ich von einem Auftrag? Ich hatte unrecht. Nein, ich sagte mir, wie Ihr Euch sagt: Die Angelegenheiten verwickeln sich. Wohl, werfen wir die Feder in die Luft, gehen wir in der Richtung, in welcher der Wind sie fortträgt, fangen wir unser abenteuerliches Leben wieder an. Wir waren vier mutige Ritter, vier zärtlich vereinigte Herzen. Vereinigen wir uns abermals, nicht unsere Herzen, denn diese waren nie getrennt, sondern unser Glück und unseren Mut. Die Gelegenheit ist günstig, um etwas Besseres zu erobern als einen Diamant.«

»Ihr hattet recht, d’Artagnan, immer recht«, erwiderte Aramis, »zum Beweis mag dienen, dass ich denselben Gedanken hatte, nur musste er mir, der ich nicht die glühende, furchtbare Einbildungskraft besitze, wie Ihr, eingegeben werden. Alle Welt bedarf gegenwärtig der Hilfstruppen. Man hat mir Anträge gemacht, es blickte etwas von unseren berühmten Waffentaten in früheren Zeiten durch, und ich muss Euch frei gestehen, dass mich der Koadjutor zum Sprechen brachte.«

»Monsieur von Conti, der Feind des Kardinals!«, rief d’Artagnan.

»Nein, der Freund des Königs, versteht Ihr! Wenn es sich darum handelt, dem König zu dienen, was die Pflicht jedes Edelmanns ist.«

»Der König hält es mit Monsieur von Mazarin, mein Lieber.«

»Der Tat nach, nicht dem Willen nach, dem Schein nach, nicht dem Herzen nach, und das ist gerade die Falle, welche die Feinde des Königs dem armen Kind stellen.«

»Was Ihr mir da vorschlagt, ist ganz einfach der Bürgerkrieg, mein lieber Aramis.«

»Der Krieg für den König.«

»Aber der König wird an der Spitze der Armee stehen, bei der auch Mazarin ist.«

»Er wird mit dem Herzen bei dem Heer sein, das Monsieur von Beaufort befehligt.«

»Monsieur von Beaufort? Er ist in Vincennes.«

»Habe ich Monsieur von Beaufort gesagt?«, versetzte Aramis. »Monsieur von Beaufort oder ein anderer. Monsieur von Beaufort oder der Monsieur Prinz.«

»Der Monsieur Prinz geht zu der Armee ab und ist ganz auf der Seite des Kardinals.«

»Ho, ho!«, rief Aramis, »bis auf diesen Augenblick haben sie einigen Streit miteinander. Doch wenn es nicht der Prinz ist, so ist es Monsieur von Conti.«

»Monsieur von Conti soll Kardinal werden. Man verlangt den Hut für ihn.«

»Gibt es nicht sehr kriegerische Kardinäle?«, entgegnete Aramis. »Seht, um Euch her sind vier Kardinäle, welche an der Spitze von Heeren so viel wert waren, wie Monsieur von Guebriant und Monsieur von Gassion.«

»Aber ein buckliger General.«

»Unter seinem Kürass wird man den Buckel nicht sehen. Erinnert Euch, dass Alexander hinkte und Hannibal einäugig war.«

»Seht Ihr große Vorteile bei dieser Partie?«, fragte d’Artagnan.

»Ich sehe darin die Protektion mächtiger Prinzen.«

»Mit der Proskription der Regierung.«

»Für nichtig erklärt durch die Parlamente und die Meutereien.«

»Alles könnte sich so machen, wie Ihr sagt, wenn es gelänge, den König von seiner Mutter zu trennen.«

»Dazu wird es kommen.«

»Nie!«, rief d’Artagnan, diesmal zu seiner Überzeugung zurückkehrend. »Ich berufe mich auf Euch, Aramis, auf Euch, der Ihr Anna von Österreich so gut kennt, wie ich. Glaubt Ihr, sie könnte je vergessen, dass ihr Sohn ihre Sicherheit, ihr Palladium, das Pfand ihrer Achtung, ihres Glückes, ihres Lebens ist? Mazarin verlassend, müsste sie mit dem König auf die Partei der Prinzen übergehen, aber Ihr wisst besser, als irgendjemand, dass sie mächtige Gründe hat, ihn nie zu verlassen.«

»Ihr habt vielleicht recht«, sagte Aramis träumerisch, »ich werde mich also zu nichts verpflichten.«

»Bei Ihnen«, versetzte d’Artagnan, »aber bei mir?«

»Bei niemand. Ich bin Priester, was habe ich mit der Politik zu tun, ich lese kein Brevier, aber ich habe eine kleine Kundschaft von geistreichen, spitzbübischen Abbés und reizenden Frauen. Je mehr sich die Angelegenheiten verwirren, desto weniger werden meine Streiche Aufsehen machen. Alles geht vortrefflich, ohne dass ich mich einmische, und, mein lieber Freund, ich bin entschieden, mich nicht einzumischen.«

»Schön, mein Wertester«, sprach d’Artagnan, »auf Ehre, Eure Philosophie steckt mich an, und ich weiß nicht, welcher Teufel von einer Ehrgeizfliege mich gestochen hatte. Ich habe eine Art von Stelle, die mich ernährt, ich kann bei dem Tod des armen Monsieur de Tréville, der sich alt macht, Kapitän werden. Das ist ein hübscher Marschalstab für einen Junker aus Gascogne, und ich sehe, dass ich an den Reizen den bescheidenen, aber täglichen Brotes hänge. Statt Abenteuern nachzulaufen, nehme ich die Einladungen von Porthos an und jage auf seinen Gütern. Ihr wisst, dass Porthos Güter besitzt?«

»Ganz gewiss weiß ich es. Er besitzt zehn Meilen Wälder, Sümpfe und Täler und prozessiert über Lehensrechte mit dem Bischof von Noyon.«

»Gut«, sagte d’Artagnan zu sich selbst, »das wollte ich wissen, Porthos ist in der Picardie.« Dann fügte er laut bei: »Und er hat seinen alten Namen du Vallon wieder angenommen.«

»Welchem er den Namen Bracieux beifügte, von einem Gut, das baronisiert worden ist.«

»Also werden wir Porthos als Baron sehen.«

»Ich zweifle nicht daran; besonders die Baronin Porthos wird bewunderungswürdig sein.«

Die zwei Freunde brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Ihr wollt also nicht zu Mazarin übergehen?«, fragte d’Artagnan.

»Und Ihr nicht zu den Prinzen?«

»Nein. Gehen wir zu niemand über und bleiben wir Freunde. Wir wollen weder Kardinalisten noch Frondeure werden.«

»Ja«, sagte Aramis, »seien wir Musketiere.«

»Sogar mit dem kleinen Kragen«, versetzte d’Artagnan.

»Besonders mit dem kleinen Kragen«, rief Aramis, »das ist gerade das Reizende davon.«

»Gott befohlen, also«, sprach d’Artagnan.

»Ich halte Euch nicht zurück, mein Lieber«, erwiderte Aramis, »in Betracht, dass ich nicht wüsste, wo ich Euch eine Lagerstätte geben sollte, und ich Euch schicklicher Weise nicht die Hälfte von dem Schuppen von Planchet anbieten kann.«

»Überdies bin ich nur drei Lieues von Paris entfernt. Die Pferde sind ausgeruht und in weniger als einer Stunde bin ich zurück.«

D’Artagnan schenkte sich ein letzten Glas Wein ein und sprach: »Auf unsere alte Zeit!«

»Ja«, versetzte Aramis, »leider ist es eine vergangene Zeit: lugitirraparabile tempus

»Bah!«, rief d’Artagnan, »sie wird wiederkehren. In jedem Fall, wenn Ihr meiner bedürft, Rue Tiquetonne, Gasthaus Zur Rehziege

»Und mich findet Ihr im Kloster der Jesuiten; von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends durch die Tür, von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens durch das Fenster.«

»Adieu, mein Lieber.«

»Oh! Ich verlasse Euch nicht so; erlaubt, dass ich Euch zurückgeleite.« Und er nahm seinen Degen und seinen Mantel.

»Er will sich versichern, dass ich gehe«, sagte d’Artagnan zu sich selbst.

Aramis pfiff Bazin; aber Bazin schlief im Vorzimmer über den Resten seines Adendbrotes, und Aramis war genötigt, ihn am Ohr zu schütteln, um ihn aufzuwecken.

Bazin streckte die Arme aus, rieb sich die Augen und versuchte wieder einzuschlafen.

»Auf, auf! Meister Schläfer, die Leiter.«

»Aber«, sagte Bazin gähnend, »dass sich die Kinnbacken hätten ausrenken sollen, »die Leiter ist am Fenster geblieben.«

»Die andere, die vom Gärtner: Hast du nicht wahrgenommen, dass d’Artagnan Mühe hatte, heraufzusteigen, und dass er noch größere Mühe haben wird, hinabzusteigen.«

D’Artagnan wollte Aramis versichern, er würde sehr gut hinabsteigen, als ihm ein Gedanke kam. Dieser Gedanke machte, dass er schwieg.

Bazin stieß einen tiefen Seufzer aus und entfernte sich, um die Leiter zu suchen. Einen Augenblick nachher stand eine feste hölzerne Leiter am Fenster.

»Vorwärts«, sprach d’Artagnan, »das nennt man ein Verbindungsmittel. Eine Frau würde an einer solchen Leiter auf- und absteigen.«

Ein durchdringender Blick von Aramis schien den Gedanken seines Freundes bis in der Tiefe seines Herzens suchen zu wollen, aber d’Artagnan hielt diesen Blick mit bewunderungswürdiger Naivität aus.

In zwei Sekunden war er auf dem Boden. Bazin blieb am Fenster.

»Bleibe hier«, sagte Aramis, »ich komme zurück.«

Alle beide gingen auf den Schuppen zu. Als sie sich demselben näherten, kam Planchet, die zwei Pferde an den Zügeln haltend, heraus.

»Schön«, sagte Aramis, »das ist ein tätiger, wachsamer Diener, nicht wie der träge Bazin, der zu nichts mehr taugt, seitdem er Kirchenmensch geworden ist. Folgt uns! Planchet, wir gehen plaudernd bis an das Ende des Dorfes.«

Die zwei Freunde durchwanderten wirklich, über gleichgültige Dinge plaudernd, das ganze Dorf.

Als sie die letzten Häuser erreicht hatten, sagte Aramis: »Geht, lieber Freund, verfolgt Eure Laufbahn, das Glück lächelt Euch, lasst es nicht entschlüpfen, erinnert Euch, dass es seine Kurtisane ist und behandelt es danach; ich bleibe in meiner Niedrigkeit und Trägheit; Gott befohlen.«

»Es ist also entschieden«, versetzte d’Artagnan, »was ich Euch anbiete, sagt Euch nicht zu!«

»Es würde mir im Gegenteil sehr zusagen, wenn ich ein Mensch wäre, wie andere, aber ich wiederhole Euch, ich bin aus Kontrasten zusammengesetzt. Was ich heute hasse, werde ich morgen anbeten, und vice versa … Ihr seht wohl, dass ich mich nicht verpflichten kann, wie Ihr zum Beispiel, da Ihr feste Ansichten habt.«

»Du lügst, Duckmäuser«, sagte d’Artagnan zu sich selbst. »Du bist im Gegenteil der Einzige, der sich ein Ziel zu wählen weiß und im Finsteren darauf losgeht.«

Sie umarmten sich. Planchet war bereits zu Pferde, d’Artagnan schwang sich ebenfalls in den Sattel, und sie drückten sich noch einmal die Hand.

Aramis blieb unbeweglich mitten auf der Straße stehen, bis er sie aus dem Blick verloren hatte.

Aber nach zweihundert Schritten hielt d’Artagnan plötzlich an, sprang zu Boden, warf den Zügel seines Pferdes Planchet über den Arm, nahm seine Pistolen aus den Halftern und steckte sie in den Gürtel.

»Was habt Ihr, gnädiger Monsieur?«, fragte Planchet ganz erschrocken.

»Was ich habe?«, sagte d’Artagnan. »So schlau er auch sein mag, so werde ich darum doch nicht sein Tor sein. Bleibe hier und rühre dich nicht; stelle dich nur auf die Feldseite des Weges und erwarte mich.«

Bei diesen Worten sprang d’Artagnan auf die andere Seite des Grabens und eilte durch die Ebene, um das Dorf zu umgehen. Er hatte zwischen dem von Frau von Longueville bewohnten Haus und dem Jesuitenkloster einen leeren Raum bemerkt, der nur mittelst einer Hecke geschlossen war.«

Eine Stunde vorher hätte er vielleicht Mühe gehabt, diese Hecke wieder aufzufinden, aber der Mond war soeben aufgegangen, und obwohl er von Zeit zu Zeit von den Wolken bedeckt wurde, so sah man doch sogar während dieser Verdunkelungen hell genug, um den Weg wieder zu finden.

D’Artagnan erreichte die Hecke und verbarg sich hinter derselben. Als er an dem Haus vorüberkam, wo die von uns erzählte Szene stattgefunden hatte, bemerkte er, dass dasselbe Fenster abermals erleuchtet war. Er überzeugte sich dadurch, dass Aramis noch nicht in seine Wohnung zurückgekehrt sein konnte, und dass er, wenn er zurückkehrte, nicht allein zurückkehren würde.

Nach ein paar Minuten hörte er wirklich Tritte, die sich näherten, und etwas wie ein Geräusch von Stimmen, welche halblaut miteinander sprachen.

Am Anfang der Hecke hielten die Tritte an.

D’Artagnan kniete mit einem Fuß nieder und suchte die dickste Stelle der Hecke, um sich dahinter zu verbergen.

In diesem Augenblick erschienen zwei Männer, zum großen Erstaunen von d’Artagnan. Bald aber entschwand sein Erstaunen, denn er hörte eine weiche, harmonische Stimme vibrieren. Der eine von den zwei Männern war eine als Kavalier verkleidete Frau.

»Seid ruhig, mein lieber René«, sprach die weiche Stimme, »dieselbe Sache wird sich nicht wiederholen. Ich habe eine Art von Gang entdeckt, der unter der Erde hinläuft, und wir dürfen nur eine von den Planen wegnehmen, welche vor der Tür sind, um Euch einen Eingang und einen Ausgang zu öffnen.«

»Oh!«, sprach eine andere Stimme, in welcher d’Artagnan die von Aramis erkannte, »ich schwöre Euch, Prinzessin, wenn Euer Ruf nicht von all diesen Vorsichtsmaßregeln abhinge und ich nur mein Leben dabei wagte …«

»Ja, ich weiß, dass Ihr mutig und verwegen seid, wie irgendein Weltmann; aber Ihr gehört nicht mir allein, Ihr gehört unserer Partei. Seid also klug, seid behutsam.«

»Ich gehorche immer, Madame«, sagte Aramis, »wenn man mir mit einer so süßen Stimme zu befehlen weiß.«

Und er küsste ihr zärtlich die Hand.

»Ah!«, rief der Kavalier mit der weichen Stimme.

»Was gibt es?« fragte Aramis.

»Seht Ihr denn nicht, dass der Wind meinen Hut fortgenommen hat?«

Aramis stürzte dem flüchtigen Hut nach. D’Artagnan benutzte diesen Umstand, um eine minder dichte Stelle der Hecke zu suchen, von wo aus sein Blick frei bis zu dem problematischen Kavalier dringen konnte. Vielleicht eben so neugierig wie der Offizier, trat der Mond gerade in diesem Moment hinter einer Wolke hervor. Bei seiner indiskreten Helle erkannte d’Artagnan die großen blauen Augen, die goldenen Haare und den edlen Kopf der Herzogin von Longueville.

Aramis kehrte lachend, einen Hut auf dem Kopf und einen unter dem Arm, zurück und beide setzten ihren Weg zum Jesuitenkloster fort.

»Gut!«, sagte d’Artagnan sich erhebend und sein Knie abbürstend, »nun habe ich dich. Du bist Frondeur und der Geliebte von Frau von Longueville.«

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