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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Blume der Prärie – Die Gäste

Gabriel Ferry
Die Blume der Prärie
oder die deutschen Kolonisten an den Ufern des Colorado
Grimme und Leipzig, Druck und Verlag des Verlags-Comptoirs, 1852

Zweites Kapitel
Die Gäste

Fast acht Jahre waren seit den mühevollen Tagen der ersten Niederlassung in ununterbrochener, aber geregelter Tätigkeit vorübergeflogen. An der Stelle des rohen Blockhauses, in welches Madame Mertens mit manchem stillen Vorwurf im Herzen gegen ihren unruhigen Gemahl, mit manchem wehmütigen Gedanken an ihr stattliches Haus in der fashionablesten Straße ihrer vergnügungssüchtigen Vaterstadt, eingezogen war, hatte sich ein geräumiges und bequemes hölzernes Gebäude mit einem hübschen Gesellschaftssaal im Parterre und all den Zimmern und Teilen erhoben, welche der Komfort aller Zivilisationen für notwendig hält. Eine blumige, geschmackvoll angelegte Terrasse zog sich in breiten Absätzen bis zu den Ufern des Colorado hinab, eine zahlreiche Dienerschaft von Weißen und Schwarzen servierte wieder in der etwas modifizierten Livree des Merten’schen Hauses, während die deutschen Kolonisten bereits in ihren eigenen Häusern in der Nachbarschaft den Grund und Boden bebauten, den ihnen Herr Mertens von dem erstandenen Gebiet gegen eine geringe Grundrente abgetreten hatte, und die schwarze Bevölkerung unter der milden Herrschaft ihrer deutschen Gebieter, in fröhlicher Sorglosigkeit von einem Tag zum anderen lebte.

Trotz des gedeihlichen Fortschreitens der nun bereits bedeutend gewordenen Pflanzung, der gesunden Luft und der behaglichen Lebensweise war die Zeit nicht spurlos an den Personen vorübergegangen, mit denen wir unsere Leser im vorigen Kapitel bekannt gemacht haben. Das braune Haar und der rosige Teint des deutschen Handelsherrn hatten ihre ursprüngliche Farbe verloren, der leichte Embonpoint war unter den klimatischen Einflüssen einer auffallenden Magerkeit gewichen und sein niemals sehr geduldiger Charakter würde, eigensinnig und reizbar, leicht in den bekannten Pflanzerdespotismus ausgeartet sein, hätten nicht der biedere und gleichmütige Sinn des Hauptmanns und die gutmütige, aber keineswegs energielose Haltung seiner durchaus nicht schweigsamen Gemahlin  ihm oft und kräftig die Stange gehalten.

Madame Mertens hatte sich wie viele Frauen in eine Sphäre versetzt, wo die Notwendigkeit Energie und Tätigkeit von ihnen verlangt, schnell und leicht in ihre neuen Verhältnisse gefunden. Mit der Furcht vor Indianern, Schlangen und anderen keineswegs angenehmen Urbewohnern ihres neu erworbenen Territoriums, mit den verdoppelten Anforderungen an ihre Tätigkeit als Gattin, Mutter und Hausfrau hatten sich allmählich die Erinnerungen an die gesellschaftlichen Genüsse ihrer Vaterstadt in einen seltener besuchten Winkel ihrer ehrlichen und gemütlichen Seele zurückgezogen. Als mit der Zeit nach der richtigen Prophezeiung des alten Jägers in der näheren und ferneren Umgebung von Mertens Haus neue Niederlassungen entstanden waren und dann und wann ein gern gesehener Gast die stille Einförmigkeit ihres Pflanzerpalastes unterbrach, fühlte sie sich so glücklich und heiter, so wie in den glorreichen Tagen, wo sie, eine beneidete Dame, in den heimischen Kreisen geglänzt hatte.

Nur die Zukunft ihrer Töchter lastete zuweilen schwer auf dem Herzen der zärtlichen Mutter. Louise und Anna hatten nun beide das Alter erreicht, wo das weibliche Herz in höherem Grade die innige und zärtliche Sehnsucht, den psychischen Magnetismus empfindet, in dessen unwiderstehlicher Wechselwirkung die Forterhaltung der Art beruht.

Beide Mädchen hatten von Mutter Natur eine ungewöhnliche Schönheit zum Angebinde erhalten, aber eine Schönheit von so verschiedener Art, dass man sie kaum für Geschwister halten konnte. Während die schlanke Gestalt Louises sich an den Ufern des Colorado zu südlicher Vollendung der Formen entwickelt hatte, groß und üppig mit schwarzen Locken und Augen, in denen verzehrende Glut und träumerisches Schmachten wechselten, war Anna, die herzige Anna, mit dem weichen nussbraunen Haar, den lachenden blauen Augen, der kräftigen und doch so leichten, graziösen Gestalt, eine echte Tochter der nordischen Heimat geblieben. Nie hätte die Hand des genialen Künstlers Nord und Süd in vollkommenerer Repräsentation nebeneinander stellen können, als das Spiel des schöpferischen Zufalls es in diesen Geschwistern getan hatte. Aber trotz der Verschiedenheit der Charaktere, die in diesen schönen Formen ausgeprägt waren, trotz der höheren, poetischeren Stimmung, welche Louises erhabenere Natur von der materielleren Richtung ihrer Schwester unterschied, waren die Herzen dieser beiden Mädchen doch mit dem Band der unauflöslichen Geschwisterliebe aneinander geknüpft.

Wenn Madame Mertens alle verborgenen Schätze Kaliforniens darum gegeben haben würde, ihre Töchter glücklich vermählt zu sehen, so dachte sie dabei keineswegs an eine Trennung von diesen bezaubernden Geschöpfen, welche der Stolz ihres Herzens waren. Sie rechnete im Gegenteil auf Schwiegersöhne, welche an der täglich sich ausdehnenden Pflanzung ihres Mannes Anteil nehmen, bei ihnen wohnen und das einsame Haus mit einer lebendigen Bevölkerung kleiner Engel erfüllen sollten, die in allen Tonarten Großmama lachten und schrien. Das war das Paradies, das sich die ehrenwerte Dame für den Abend ihres Lebens mit den goldenen Farben des häuslichen Glückes und befriedigten Mutterliebe malte.

Leider waren Monate auf Monate vergangen, ohne dass sich Aussichten zur Verwirklichung dieser Träume geboten hätten. Die Reisen zu den entfernten Küstenstädten waren damals noch mit zu großen Schwierigkeiten verknüpft, die Ansiedlungen in der Umgegend nahmen nur spärlich zu, und außerdem hatte die gute Dame ihre kleinen nationalen Vorurteile, welche die kosmopolitische Luft der Neuen Welt nicht wegzuwehen vermocht hatte, und würde nur ungern einen Amerikaner, Engländer, Franzosen und am wenigsten einen Spanier zum Eidam angenommen haben.

Indessen hatte sich seit den letzten zwei Jahren vor dem Beginn unserer Geschichte ein junger Deutscher aus der Nähe ihrer Vaterstadt, unfern von Mertens Haus niedergelassen. Der politische Druck und die prekären Aussichten in die Zukunft hatten Heinrich Horst veranlasst, seine riesige Kraft und sein kleines Vermögen in die westliche Hemisphäre zu flüchten.

Er war ein schöner, kräftiger Mann, mit vorherrschend praktischer Anlage, scharfem Verstand, den das Studium der Rechte noch durchdringender gemacht hatte und besaß den eigentümlich angenehmen und anziehenden Gesichtsausdruck, welcher als Typus einer wohlgetroffenen Mischung von Geist und Gemüt dem Eigentümer fast überall freundliche Teilnahme erweckt hatte.

So war er nach seiner Ansiedlung einige Meilen unterhalb von Mertenshaus auch in diesem mit landsmannschaftlicher Gastfreundlichkeit aufgenommen und bald ein gern gesehener Hausfreund geworden, ohne jedoch, trotz galanter Aufmerksamkeiten und eines fast vertraulichen Verhältnisses zu den liebenswürdigen Schwestern der beobachtenden Mutter einen Anhaltpunkt für die Verwirklichung ihrer Lieblingspläne gegeben zu haben. Er schien im Ganzen mehr der angenehmen Gesellschaft und besonders des Hauptmanns wegen zu kommen, mit dem er in herzlicher Freundschaft verkehrte. Wenn auch zuweilen seine Blicke inniger und länger auf Ännchens reizendem Angesicht ruhten, wenn auch beide sich zuweilen in unschuldiger Fröhlichkeit schraubten und neckten, so berechtigte doch nichts zur Annahme eines zärtlicheren Verhältnisses.

Oft vergingen Wochen, ohne dass Horsts stattlicher Goldfuchs seinen Herrn die breite Allee von Cottonbäumen zu den Hügeln hinaufgetragen hätte, wenn ein längerer Jagdzug in der Gesellschaft des alten Job, der aus Anhänglichkeit an die Mertens’sche Familie und aus besonderer Freundschaft zum Hauptmann und den jungen Damen immer noch im alten Blockhaus residierte, ihn in die westlichen Wälder oder zu den Jagdgründen der Komantschen hinaufführte.

 

***

 

Es war einer jener unvergleichlichen Sommerabende, wie sie nur die großartige Natur der mittleren Regionen der westlichen Hemisphäre bietet. Ein frischer Windhauch von den Guadalupe Mountains kühlte die duftgeschwängerte Luft und die tiefe Stille wurde nur durch das ferne Gebrüll der Bullfrösche und das winselnde Geheul der Alligatoren unterbrochen. Die Sterne glänzten in dem zauberhaften Glanz jener Gegenden und der Mond säumte die Konturen der nicht weit entfernten Wälder mit seinem silbernen Schein, als die Mitglieder der Mertens’schen Familie sich auf der saftigen, mit Moskitonetzen umspannten Veranda versammelt hatten, im heiteren Geplauder diese köstlichsten Stunden des Tages zu genießen.

Außer Horst, der eben von einem seiner längeren Ausflüge zurückgekehrt war, wurde die Gesellschaft noch durch die Anwesenheit eines zweiten Gastes vermehrt.

Der Major Richards, ein Charakter, unter dem er sich Gastfreundschaft heischend vor einigen Monaten in der Familie eingeführt hatte, war ebenfalls ein Deutscher. Er war vor den Folgen eines unglücklichen Duells wegen, wie er sagte, vor einigen Jahren aus der Heimat geflüchtet, hatte das Gebiet der Vereinigten Staaten nach allen Richtungen durchstreift und sich endlich nach einem längeren Aufenthalt am Mississippi an den Ufern des Brazos River unweit von Washington niedergelassen, von wo aus Liebe zur Jagd und zu den Abenteuern der Wildnis ihn zuweilen bis in die westlichen Prärien hinaufführte.

Er war von kurzer, gedrungener Gestalt, mit stark ausgeprägtem, tiefgebräuntem, aber nicht unangenehmem Gesicht. Seine feinen Manieren, seine gebildete Sprache ließen im Augenblick den Mann der eximierten Gesellschaft erkennen, während sein scharfes und wohlbegründetes Urteil auf reiche Erfahrungen und einen Fond tüchtiger Kenntnisse schließen ließen. Er trug das kleidsame Jagdkostüm der südlichen Pflanzer in ungewöhnlicher Eleganz, die in ihrer Wirkung vielleicht nur durch die prahlende Überladung mit Ringen, Nadeln und Schmucksachen herabgestimmt wurde, die man in Europa als besonderes Privilegium der Spieler und Industrieritter zu betrachten gewohnt ist.

Major Richards war zum dritten Mal auf der Pflanzung, um, wie er mit einer verbindlichen Verbeugung gegenüber der Hausfrau und die jungen Damen seinen wiederholten Besuch zu entschuldigen suchte, »im Flug ein Stückchen heimatlichen Komforts zu genießen.«

Der Eindruck, den seine Erscheinung auf die Personen des kleinen Kreises hervorgebracht hatte, war je nach der Beobachtungsgabe und den Ansprüchen der Individualitäten verschieden.

Das Auftreten einer neuen Persönlichkeit in dem einförmigen Kreis eines texanischen Pflanzerhauses ist ein viel bedeutungsvolleres Ereignis als das Erscheinen eines Fremden in der wechselvollen Gesellschaft eines gastlichen Hauses in der Mitte der Zivilisation. Während hier die Erinnerung an den Vorübergehenden schnell im Gedränge vielseitig erregter Interessen verlischt, bleibt dort sein Bild noch lange der Gegenstand einsamen Nachdenkens und kritischer Unterhaltungen.

Herr und Madame Mertens waren vielleicht die Einzigen, auf welche der Major einen vollkommen befriedigenden Eindruck hervorgebracht hatte. Das Haupt der Familie erblickte in ihm den klugen, erfahrenen und rüstigen Steuermann, wohlgeeignet, seine leidlich befrachtete Brigg sicher in den ruhigen Hafen der Wohlhabenheit zu steuern, Eigenschaften, die nach dem Urteil des erwerbsamen Kaufmanns allen Übrigen vorgingen, während seine gemütsreichere Hausehre mit unverhehltem Wohlgefallen seiner anziehenden Unterhaltung und seinen wohlberechneten Komplimenten lauschte und mit noch größerem Wohlgefallen die offene Huldigung bemerkte, die er besonders ihrer jüngsten Tochter, dem herzigen Ännchen, mit der Feinheit des vollkommenen Gentlemans zollte.

Der Hauptmann, so leicht seine offene und ehrliche Natur sich auch sonst anschloss, schien den Fremden mit weniger günstigen Blicken zu betrachten. Von Zeit zu Zeit ruhte sein ehrliches graues Auge prüfend auf den dunklen Zügen des Gastes und wendete sich mit misstrauischem Zucken von ihm ab, wenn momentan und schnell wie ein Schatten ein wildes, höhnisches Lächeln, oder der Ausdruck eines plötzlichen Erschreckens bei irgendeinem absichtslosen Wort das Gesicht des Majors überflog.

Horst hatte beim ersten Anblick dieses Mannes die unwillkürliche Abneigung gefühlt, die wir in unerklärlicher Antipathie so oft beim Erblicken von Personen empfinden, die später in einer noch ungeahnten Konstellation feindlich auf unser Geschick einwirken sollen. Obwohl zwischen ihm und einem der jungen Mädchen bisher noch kein Austausch zärtlicherer Gefühle stattgefunden hatte, so fühlte er doch unwillkürlich eine brennende, beunruhigende, eifersüchtige Gereiztheit in seinem Herzen aufsteigen, wenn er sah, mit welcher Aufmerksamkeit die Mädchen an seinen Lippen hingen und mit welcher Lebhaftigkeit die heitere Anna auf die Neckereien und Scherze des Fremden einging. Diese Gewissheit wurde noch durch die herausfordernden, schelmischen Blicke erhöht, welche die Letztere ihm zuweilen zuwarf, während er brütend und missmutig am Fenster stehend, anscheinend teilnahmslos, im Stillen aufmerksam beobachtend, allein seine Zigarre rauchte.

»Und nun lasst uns hineingehen«, rief Mister Mertens, sich plötzlich nach einem längeren Gespräch mit seinem Bruder erhebend, »die Luft wird kühl und unsere deutsche Natur bedarf in dieser texanischen Hundstageglut von Zeit zu Zeit eines Ausgleichungsmittels, um die Balance zwischen äußerer und innerer Temperatur zu erhalten. Sie sollen einen Punsch trinken, Major, von so ausgezeichnetem Jamaikarum und so gutem Rheinwein, als je in Deutschland über Ihre Zunge geglitten ist.«

Die Gesellschaft folgte nach dieser Einladung dem Pflanzer von der Veranda in den behaglich eingerichteten Gesellschaftssaal, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Familie in den späten Abendstunden, um nach deutscher Weise an einem mächtigen runden Tisch Platz zu nehmen, der reichlich mit verschiedenen Kuchen, Eingemachtem, Früchten und Konfitüren belegt war, während ein alter grauhaariger Diener an einem Nebentisch aus einer gewaltigen Bowle die Gläser füllte.

»Vivat Germania! Und macht Eure Lippen nass, Mädchen!«, rief der Hausherr munter, während er behaglich das heimatliche Lieblingsgetränk über seine Lippen gleiten ließ. »Es ist Sitte in meinem Haus, Herr Major, das erste Glas der Erinnerung an die alte, teure Heimat zu weihen!«

»Von ganzem Herzen!«, antwortete der Major. »wahrlich, mir ist’s, als ob ich an den Ufern des grünen Rheins, anstatt an den Ufern des gelben Colorado säße, so deutsch und heimatlich fühle ich mich in Ihrer Mitte,« fügte er mit einem verbindlichen Blick auf die Hausfrau und die jungen Damen hinzu, die auf dem Sofa neben der Mutter mit Nähen beschäftigt waren.

»Es ist wirklich kein rechter Komfort bei den Amerikanern, so viel ich davon gesehen habe; alles so hastig und eilig, so ohne alle Manieren und Fasson«, bemerkte Madame Mertens mit einem Seufzer, während sie dem Major einen Teller mit prächtigen Ananas reichte.

»Und dieses bewusstlose Verschlingen der guten Dinge dieser Welt!«, sagte lachend die reizende Anna. »Es war mir, als säße ich mit einer Gesellschaft hungriger Wölfe zu Tisch! Ich würde nie einen Amerikaner heiraten, weil ich mich totärgern würde, die Erzeugnisse meiner guten Küche so rücksichtslos hinuntergeschluckt zu sehen.«

»Sie haben recht, gnädiges Fräulein«, antwortete der Major mit deutscher Phrasengalanterie, nicht weniger lächerlich, als die amerikanische Nonchalance unangenehm, »die amerikanische Zivilisation ist noch zu jung, um nicht bengelhaft und zu egoistisch, um rücksichtsvoll zu sein. Ich war neulich bei einem Yankeefarmer am Brazos River zu Tisch und freute mich nach langer Zeit einmal wieder ein Stück von einem wilden Truthahn zu essen, als mein Nachbar im Nu den appetitlichen Vogel all seines essbaren Fleisches beraubte, es vor sich auf den Teller häufte und mir nichts als die Knochen übrig ließ. ›Gebt mir eine Keule, Mister Knowles‹, sagte ich zu dem Vielfraß, der ein älterer Bekannter von mir war.

›Gern, Mister Richards, aber ich bin selbst Liebhaber und habe seit zwei Monden kein Bein von einem Truthahn gesehen.‹ Und damit machte er sich, ohne weiter ein Wort zu verlieren, mit der Gefräßigkeit eines Haifisches über die Fleischmassen her. Help yourselves ist der Wahlspruch der Amerikaner und sie tun es, so wahr Gott im Himmel lebt, ohne sich den Teufel um andere Geschöpfe zu kümmern. Hätte Amerika ein Proletariat, wie das alte, arme Europa, man würde die überlästigen Hungerleider zum Besten des Ganzen, d. h. der Besitzenden, wie tolle Hunde niederschießen.«

»Da lobe ich mir die alten Urbewohner«, fiel Horst, der bisher schweigend und missmutig dagesessen hatte, dem Sprecher in die Rede, weniger vielleicht aus Lust zur Teilnahme an der Unterhaltung, als von einer unklaren, eifersüchtigen Regung getrieben, dem Fremden nicht die Unterhaltung allein zu überlassen.

»Die Indianer?« fragte der Maser mit verächtlichem Lächeln. »Ein auffallender Geschmack für einen Gentleman aus der Alten Well, Herr Förster …«

»Horst, wenn’s beliebt.«

»Gewiss, ein auffallender Geschmack, Mr. Horst. Es ist ein Unterschied zwischen den Rothäuten in der Wirklichkeit und den Rothäuten in den Romanen. Sie würden meiner Meinung sein und sie für den Inbegriff, für die Inkarnation alles Diabolischen halten, wenn Sie Gelegenheit gehabt hätten, wie ich, ihre nähere Bekanntschaft zu machen.«

Ein hässlicher Ausdruck tiefen und blutigen Hasses entstellte bei diesen Worten für einen Augenblick die Züge des Fremden.

»Ob ich sie kenne?«, fragte Horst, gereizt durch den Ton von Überlegenheit, den der Major vielleicht unter dem Einfluss desselben antipathischen Gefühls gegen ihn angenommen hatte. »Ich habe wochenlang in ihren Tipis gewohnt und ihrer großartigen Gastfreundschaft genossen. Erst gestern bin ich von einem Jagdzug in ihrer Gesellschaft zurückgekehrt, nicht ohne von Neuem Gelegenheit zur Bewunderung ihrer wahrhaft chevaleresken Gesinnung erhalten zu haben. Sie haben vielleicht nicht gerade Gelegenheit gehabt, die westlichen Stämme kennen zu lernen, Herr Major«, bemerkte ruhig der Hauptmann. »Die westlichen Reiterstämme, die Komantschen, die Pawnee mit ihren verschiedenen Klassifikationen zeichnen sich in der Tat vor allen ihren Farbengenossen aus und haben uns bis zu diesem Augenblick noch niemals Veranlassung zur geringsten Klage gegeben.«

»Eine Rothaut wie die andere, nach meiner Erfahrung wenigstens«, antwortete der Major mit einer Rauheit, die ziemlich auffallend mit seiner bisherigen Ausdrucksweise kontrastierte.

»Sie mögen Gründe gehabt haben, wie manch andere, sich über die Eingeborenen zu beklagen«, entgegnete der Handelsherr, »was jedoch die Komantschen anbetrifft, die im Sommer bis in geringe Entfernung zu uns herunterkommen, so muss ich Ihnen nach achtjähriger Erfahrung Unrecht geben. Sie sind eine noble Nation, wenn man mit ihnen umzugehen versteht. Ich habe viel und häufig mit ihnen verkehrt, einer ihrer angesehensten Häuptlinge, der leidlich Englisch spricht und dem man weder Verstand noch natürlichen gesellschaftlichen Anstand und einen gewissen Bildungsgrad absprechen kann, ist oft ein mehrtägiger Gast meines Hauses gewesen, und wir haben ihm sogar versprochen, in diesem Jahr seinen Besuch zu erwidern. Und so soll es sein, denn die Mädchen brennen vor Neugierde, die indianischen Gentlemen en famille zu sehen. Habt Ihr den edlen Tartaruga gesprochen, Nachbar Horst?«

»Er lässt den weißen Häuptlingen, der gütigen Spira, dem jungen Mädchen mit dem heiteren Lachen des Spottvogels und ihrer Schwester, der süßen Blume der Prärie …«

»Keinen Spott, Nachbar Horst!«, drohte Ännchen, während ein rosiger Hauch die Wangen der ernsten Schwester überflog.

»… seinen respektvollen Gruß vermelden. Ehe die Sonne zum sechsten Mal hinter den Gipfeln der grünen Berge verschwindet, wird er mit zwölf seiner jungen Häuptlinge vor den Toren des großen Hauses erscheinen, um seine weißen Freunde zu den Tipis ihrer roten Brüder zu führen.«

»Kann ein europäischer Edelmann die Pflichten der Gastfreundschaft großartiger üben? Nach sechs Tagen, sagten Sie nicht so, lieber Horst?«, fragte der Hauptmann.

»Gewiss, und die Zeit ist seit Sonnenuntergang bereits vorüber.«

»Nun, da werden Sie vielleicht noch heute Gelegenheit haben, unsere roten Freunde besser kennen zu lernen«, fügte die Blume der Prärie mit einem abermaligen leichten Erröten hinzu. »Man soll nie ohne Prüfung verdammen!«

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