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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Sechzehntes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Sechzehntes Kapitel

Einzug in Neapel

»Evviva! Schiavone, der Bluthund, gefangen!«, so tönte es wie ein einziger mächtiger Triumphschrei durch die Straßen Neapels, in welchen sich unabsehbare Menschenströme drängten.

Cecci, unser pfiffiger Lazzaroni und Brigantenfreund, spitzte bei diesem Ruf erschreckt die Ohren und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann drängte er vorwärts und kam just zur Minute an, als Marco mit seinem Gefangenen und seinen beiden Begleitern langsam in die Toledostraße einbog.

»Maledetto, es ist richtig, Schiavone«, knirschte Cecci, zum ersten Mal in seinem Leben vor Schreck erbleichend, was seinem gelben Gesicht nicht besonders stand.

In diesem Augenblick zupfte ihn jemand am Ärmel.

»Ah, Filippo! Was sagst du dazu? Der Marco hat ihn verraten.«

So zischelte Cecci dem Fischer zu, der ängstlich den Finger auf die Lippen legte und die Augen auf den gebundenen Schiavone gerichtet hielt.

»Man müsste ihn der Polizei denunzieren, als früherer Brigant«, fuhr Cecci grimmig fort, »dann hätte er noch die Ehre, mit dem großen Schiavone gehängt zu werden.«

»Beim heiligen Antonius von Padua, bist du toll?«, flüsterte Filippo, ihn ängstlich zurückhaltend. »Wenn du den Marco denunzierst, dann wird man auch dich in Gewahrsam nehmen und deiner Wissenschaft weiter nachspüren.«

Cecci schwieg, die Wahrheit dieser Argumentation mochte ihm wohl einleuchten, aber er ballte ingrimmig die Faust und schwor, den Marco zu verderben.

Die Sbirren hatten nun Marco mit seinem Gefangenen in Empfang genommen und der Chef bewillkommnete den kühnen Türhüter des Palastes Cantonelli mit einem lauten Lobspruch, worauf er den Gefangenen zum Gefängnis bringen ließ, umschwärmt von einer unabsehbaren Menge, welche den gefürchteten, grausamen Räuber mit Flüchen überhäufte.

Unsere drei Flüchtlinge hielten nun vor dem Palast Cantonelli, und Leonhardt wollte, als sich der Menschenstrom den Sbirren nachwälzte, eben sein Pferd wenden, um in sein früheres Hotel zurück zu reiten. Da traf ein Schrei sein Ohr. Er hörte seinen Namen von einer bekannten Stimme rufen und sprang mit dem Ausruf Mein Vater! vom Pferd in des Barons Arme, der ihn bleich und zitternd umfasste und an sein Herz drückte.

»O, welche Überraschung, du hier, mein geliebter Vater?«, rief Leonhardt außer sich und nicht imstande, dieses Wunder zu fassen.

»Komm, mein Sohn! Drinnen soll alles aufgeklärt werden. Und auch du, treuer Georg! Gott segne dich und den guten Marco.«

»Vater, wie kommst du in diesen Palast?«, fragte Leonhardt, einen scheuen Blick hinaufwerfend, »o, folge mir unter ein anderes Dach, ich kann in jenen Räumen nicht atmen. Signorina Arabella …«

»Ist dort nicht, mein Sohn«, sprach der Baron, »sie wollte mit einem jungen Signor nach Avellino, um den wahnsinnigen Marchese in eine dortige Heilanstalt zu bringen, wurde aber unterwegs von Räubern überfallen. Man weiß noch nichts von ihrem Schicksal.«

»Sie befindet sich bei Signor Rapo in Bisaccia, im Haus seiner Mutter«, schaltete sich Marco mit einem schlauen Lächeln ein.

»Und der Marchese?«, fragte Leonhardt.

»Ist durch die Hand eines jungen, gottbegnadigten Wesens gerettet worden«, versetzte der Baron, »er befindet sich in seinem Palast und leider noch immer vom Wahnsinn umnachtet. Aber nun folge mir, und auch Ihr, dass ich Euch drinnen noch einmal die Versicherung meiner innigen Dankbarkeit wiederholen kann.«

Leonhardt betrat mit seltsamen Gefühlen den Palast, während Marco und Corso die prächtigen Briganten-Pferde in den Stall zogen und sich dort noch einmal von den anwesenden Dienern bewundern und anstaunen ließen.

Hand in Hand saß Leonhardt mit dem Vater vor Agnes-Fidelios Lager, und leise erzählte der Baron dem horchenden Leonhardt von der Liebe und Treue dieses Kindes, von ihrer Opferwilligkeit für den wahnsinnigen Mann.

»Weshalb sie es getan hat, weiß ich im Grunde nicht«, schloss der Herr Baron lauter, »der Marchese war ihr doch immerhin ein Fremder, dem sie weder Dankbarkeit noch Liebe schuldete.«

Da öffnete Agnes die Augen und heftete ihren Blick, zum ersten Mal während ihrer Krankheit, klar auf den Baron, hob dann die weiße, feine Hand empor und sprach leise:

»Weshalb ich den wahnsinnigen Marchese nicht verlassen wollte, fragst du, mein Vater? Er war mir kein Fremder, sondern Leonhardts unglücklicher Vater, der immerfort nach seinem Sohn rief und mich nicht lassen wollte. Durfte ich Leonhardts Vater allein in seinem Jammer lassen?«

Der Baron sah Leonhardt erschreckt an, doch dieser nickte langsam und eine Träne rann über seine Wange.

»Ich weiß alles, mein teurer Vater! Ich weiß auch in dieser Minute, dass Gott ihnen beiden die Sünde vergeben hat, dass er versöhnt ist durch diesen Engel, der sich selbst geopfert hat, um dem armen Wahnsinnigen Frieden zu geben, während der eigene Sohn ihn der Nacht überließ und in der Verzweiflung sein eigenes Verderben aufsuchte. Agnes Walter! Das ist der Engel, den Georg mir ins Gedächtnis zurückrief, es ist der Engel, den Gott mir in meinem letzten Traum sandte, als meine Befreier nahten. Agnes-Fidelio, meine Mutter segnet dich durch ihren Sohn!«

Er kniete nieder und küsste ihre Hände, sie aber lächelte ihn still an und strich leise über sein blondes, lockiges Haar. Es war ihr, als erwache sie soeben aus einem bösen Traum, als müsse es so sein, dass diese beiden geliebten Menschen, für welche sie ihr Leben mit Freuden geopfert hätten, da vor ihrem Bett saßen und ihren Schlummer bewachten.

Und dann schloss sie wieder die Augen, um, von Fieberträumen frei, ruhig einzuschlummern.

Leonhardt erhob sich und schritt geräuschlos zu dem wahnsinnigen Marchese, der in einem gegenüberstehenden Bett schlummerte; man durfte es nicht wagen, ihm den Anblick seines Lieblings zu rauben.

Lange betrachtete er den Greis, der in den wenigen Wochen, seit er ihn nicht gesehen hatte, einem Schatten gleich geworden war.

»Armer Unglücklicher!«, murmelte Leonhardt, »o, könntest du nur ein einziges Mal das Licht der Vernunft zurückerhalten, um versöhnt und ruhig in meinen Armen zu sterben.«

»Er wird bald sterben, der arme Herr!«, flüsterte der Kammerdiener, welcher sich hinter dem Vorhang des Bettes leise erhob, »Madonna sei ihm gnädig, dass er nicht in der Nacht des Wahns dahinscheide. O, dieser Signor Rapo! Ich habe ihm niemals getraut.«

Leonhardt nickte schweigend, der Name Rapo erweckte alle unangenehmen und finsteren Gedanken seines Innern. Jetzt war sie dort, Arabella, umgeben von Lug und Verrat, in der Höhle der Klapperschlange, dem sicheren Verderben preisgegeben.

Er hatte sie einst geliebt, von ihrem Zauber umwunden, hatte er nicht atmen können, wo sie nicht weilte. Nun war der Zauber gebrochen, aber durfte er die Verblendete ihrem Schicksal ruhig überlassen? War er nicht durch natürliche Bande mit ihr verwandt? O, hätte er Gewissheit über jene unheimliche Familie, wäre seine Ahnung Wahrheit, wie rasch würde er sich an die rechte Hilfe wenden, um die Leichtsinnige zu retten.

Da hörte er seinen Namen rufen. Es war Agnes, welche erwacht war und ihn zu sich rief.

»Was wünschst du von mir, meine Agnes-Fidelio?«, fragte Leonhardt, mit einer wunderbaren Empfindung in den klaren, blauen Spiegel ihrer Augen blickend.

»Wo ist die Marchesa?«, fragte Agnes, die, als sie die Augen schloss, nicht geschlummert, sondern nur, befreit von den wirren Bildern des Fiebers, die letzten furchtbaren Szenen in ihr Gedächtnis zurückgerufen hatte, indem ein leichtes Rot ihre Wangen färbte: »Ist sie mit Ihnen zurückgekehrt, Herr Leonhardt?«

»Nein, sie befindet sich in Bisaccia, im Haus des Signor Rapo.«

»Großer Gott, dann ist sie verloren«, rief Agnes aufgeregt, »wissen Sie, wer dieser Signor Rapo ist? Was seine ganze Familie? Räuber!«

Leonhardt bebte zusammen, als er seine fürchterliche Ahnung so bestätigt hörte, aus diesem Mund, den er keiner Lüge verzeihen konnte.

»Agnes«, sagte er leise, »besinne dich wohl, was du sprichst, die Familie Rapo ist in Bisaccia hochgeehrt und in großem Ansehen.«

»Mein Auge hat es gesehen, mein Ohr gehört«, versetzte sie langsam und erzählte nun Leonhardt die Begebenheiten jener fürchterlichen Nacht, bis zu dem Augenblick, in welchem sie das Bewusstsein verloren hatte.

Leonhardt hörte bleich und entsetzt dieser klaren Erzählung zu. Er war nun überzeugt, dass die Wirklichkeit seine Ahnung noch übertreffe und schauderte bei dem Gedanken an das schreckliche Schicksal, welches seiner sicherlich dort geharrt hatte. Nur mit Abscheu dachte er an Seraphine, welche unter der Maske eines Engels die Gestalt der Hölle barg.

Wie bewunderungswürdig erschien ihm die kleine, zarte Heldin aus ihrem Krankenbett, welcher Mut gehörte dazu, den Dolch des Mörders vor Augen, einen wahnsinnigen, verwundeten Greis zu retten, der sie durch den geringsten Laut wieder in den Tod reißen konnte. Dieser Greis war ihr fremd, sie wusste nur, durch welchen Zufall war ihr unerklärlich, dass er sein Vater war. Darum hatte sie ihr Leben als Opfer hingeben wollen.

Leonhardt küsste zärtlich ihre Hand, welche sie ihm errötend entzog. Dann sprach er:

»Ich werde alle nötigen Schritte tun, um das Geheimnis jener Familie, welche so verhängnisvoll in unser Leben eingegriffen hat, zu enthüllen und die Welt von solchen Ungeheuern zu befreien.«

»Und die Marchesa?«, fragte sie aufs Neue.

»Die Marchesa wird, wenn es dann noch nicht zu spät ist, gerettet werden und zu ihrem Oheim zurückkehren. Vielleicht kann diese schreckliche Lehre ihr eine heilsame Warnung für die Zukunft sein?«

Als der Baron wieder eintrat, entfernte sich Leonhardt, um Georg und Marco auf sein früheres Zimmer, welches er noch unverändert vorfand, zu rufen. Hier ließ er sich nun ausführlich die näheren Umstände seiner Rettung, wie überhaupt alles, was sich seit seiner Verwundung bei Pompeji ereignet, berichten. Er wollte in jeder Hinsicht Licht haben. Dabei rechnete er ganz besonders auf Marco!

Dieser schmunzelte, als er Leonhardts Begehr vernahm, und meinte, Corso möge nur immer beginnen, er wolle schon zur rechten Zeit mit seinen Heldentaten einfallen.

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