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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Fünfzehntes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Fünfzehntes Kapitel

Marco und Corso

Leonhardt hatte sich unausgekleidet auf sein Lager geworfen. Die letzte Vergangenheit zog wie ein Traumbild an seinem Geist vorüber und drohte ihn fast wahnsinnig zu machen.

Er suchte den Schlaf, um diesen wirren Bildern zu entfliehen, und fand ihn nicht. Immer aufs Neue verfolgte ihn Arabellas Bild mit höhnischer Gebärde, Arm in Arm mit dem Studenten, der ihn in dieses Elend hineingestoßen hatte. Und nun versuchte nun eine andere Zauberin mit dem Schlangenlächeln der Medea sein Herz zu umstricken.

Nein, in dieser nächtlichen Stunde fühlte er, dass diese beiden Gestalten Truggebilde waren, für welche sein Herz niemals Liebe empfinden konnte.

Leonardi befand sich nun in der Stadt, wohin man ihn, als er so weit genesen war, gebracht und ihm dort in dem großen Haus ein stilles, entlegenes Zimmer eingeräumt hatte.

Erst zwei Nächte hatte er hier geschlafen, aber in diesen nächtlichen Stunden war es ihm gewesen, als wenn das Haus lebendig würde von geisterhaftem Geflüster, als ob Gespenster umherwandelten, nach Ruhe und Frieden vergebens suchend.

Er wusste nicht, dass Arabella Cantonelli mit seinem Todfeind unter diesem Dach weilten und in der Stadt bereits als Verlobte galten.

Verschiedene Briefe hatte er nach Deutschland geschrieben, aber noch immer vergebens auf Antwort gehofft.

Sollten seine Briefe gar nicht abgesandt sein, um seine Abreise zu verhindern? Seraphines Leidenschaft für ihn war ihm kein Geheimnis geblieben.

»O, Mutter, Mutter, schütze deinen Sohn vor diesem bösen Zauber und leite seinen Fuß glücklich zurück in die Heimat. O, hätte ich meinem väterlichen Freund Gehör gegeben und dieses unselige Land niemals betreten.«

 

*

 

Es war lange nach Mitternacht, als er endlich ein wenig einschlummerte, um sich auch dann noch mit den Bildern seiner wachen Gedanken zu quälen, dann wurde sein Schlummer ruhiger, sanftere Bilder zogen im Traum an ihm vorüber. Es war ihm, als schwebe ein lieblicher Engel an der Hand des geliebten Pflegevaters auf ihn zu, und daneben tönte Georgs Stimme in sein Ohr, mit dem bittenden Ruf: »Tausend Grüße an die kleine Agnes Walter.« Ach, das musste sie wohl sein, nun hatten sie ihn erreicht und beugten sich lächelnd und leise flüsternd zu ihm nieder. Plötzlich fühlte er einen heftigen Ruck und erwachte. Frische, belebende Luft wehte ihn an, er fühlte sich von starken Armen eine Leiter hinabgetragen. Als er eine Bewegung des Widerstandes machte, flüsterte eine Stimme an sein Ohr: »Bei Ihrem Leben, Signor! Ruhig, wir befreien Sie!«

Leonhardt rührte sich nicht mehr. Nun fühlte er, dass sie auf festem Boden waren und wie er in der dunklen Nacht von zwei Männern fortgetragen wurde. Nun hielten sie an, um sich von dem Laufen zu verschnaufen und ihn dann in einen Wagen zu heben, der im sausenden Galopp davonjagte. Nur der eine der Männer saß neben ihm im Wagen, während der andere wahrscheinlich als Kutscher fungierte.

Es war alles so geräuschlos, so blitzschnell gegangen, dass Leonhardt nicht einmal so viel Atem gehabt hatte, eine Frage zu tun oder an Widerstand zu denken. Auch jetzt noch machte der laufende Galopp jede Verständigung unmöglich, und so musste er sich mit einem tiefen Seufzer in sein Schicksal ergeben.

Eine volle Stunde mochten sie so gefahren sein, als das arme Pferd nicht mehr weiter konnte und zitternd stehen blieb.

Es war bereits dämmerhell, um die Gegenstände einigermaßen erkennen zu können. Als Leonhardt sich nun aus seiner Wagenecke rasch erhob und mit fester Stimme fragte, »Was soll diese nächtliche Entführung bedeuten?«, da stürzte sein Begleiter zu seinen Füßen nieder und stammelte schluchzend: »Ich bin es ja, lieber Herr! Ihr treuer Georg, dem es mit Gottes und des guten Marcos Hilfe gelungen ist, Sie zu retten.«

»Georg, mein treuer Bursche! O, Gott sei gelobt, nun kommen wir doch noch in die schöne Heimat zurück. Wie soll ich dir danken, mein Freund! Wie hast du solches nur bewerkstelligen können?«

Nun öffnete Marco, der bekannte Brigantenfreund aus dem Palast Cantonelli, die Wagentür, schaute vergnügt herein und sagte: »Na, ist der Corso nicht ein wackerer Bursche, Signor? Aber auch der Marco hat sein gutes Stück Arbeit dabei gehabt.«

»Ei, Marco, du bist es? Das werde ich dir nicht vergessen, mein mutiger Bursche. Aber jetzt löst mir das Rätsel, weshalb Ihr mich heimlich entführen musstet und nicht offen in das Haus des Signor Rapo kamt, um mich zu holen. Ich war kein Gefangener, sondern wartete nur auf Geld aus Deutschland, wohin ich mehrere Briefe abgesandt hatte.«

»Die niemals ankommen werden, mein teurer Signor!«, erwiderte Marco trocken. »Doch jetzt dürfen wir uns nicht weiter unterhalten, wir sind noch nicht aus dem Bereich der Gefahr, obwohl in dieser Nacht alles zum lustigen Fest versammelt ist, was Waffen trägt. Wie wird sich der Alte aber freuen, wenn er seinen Sohn wiedersieht. Ja, Signor, es warten viele gute Freunde in Neapel, darum vorwärts, dass wir bald zu Menschen kommen, dann erst sind wir sicher.«

Er schlug den Wagen zu, schwang sich auf den Bock und wieder ging es wohl eine Stunde lang in rasender Eile, als der Wagen plötzlich einen fürchterlichen Ruck erhielt und dann hielt. Das schöne Ross war gestürzt und hatte dem Anschein nach ein Bein gebrochen.

Da standen sie auf der öden Landstraße im Morgenlicht, ohne Aussicht auf ein rascheres Weiterkommen, von welchem nun so viel für sie abhing.

»Erstich das arme Vieh, Marco!«, sprach Leonhardt entschlossen, »wir können es nicht dem langsamen Hinsterben überlassen. Dann aber dürfen wir nicht länger zaudern; wir müssen uns jetzt auf unsere Füße verlassen.«

»Ja, es geht nicht anders«, seufzte Marco. Nachdem er dem Leiden des armen Tieres ein Ende gemacht hatte, nahm er aus dem Wagen einige Waffen, Terzerole, einen Stutzen und mehrere scharfgeschliffene Dolche nebst Munition. Er verteilte diese gleichmäßig, da, wie er meinte, es leicht möglich wäre, dass sie irgendeinen freundschaftlichen Gruß auf der Landstraße erhielten und denselben doch als gute Christen erwidern müssten. Dann warf er noch einige Blicke rückwärts und rasch schlugen sie nun den direkten Weg nach Neapel ein.

Als sie eine ziemliche Anhöhe erreicht hatten, von wo sie die ganze Gegend überblicken konnten, zuckte Marco, der den Blick eines Falken besaß, plötzlich zusammen, deutete in die Ferne und sagte: »Da kommen Feinde! Alle Heiligen mögen uns vor Schiavone und seiner Bande bewahren. Vorwärts, sonst sind wir verloren!«

Im Schnelllauf ging es nun bergab. Doch die Verfolger hatten schnellfüßige Rosse und flogen mit Windeseile hinter ihnen her.

»Sie werden uns erreichen«, sprach Marco entschlossen stehen bleibend. »So wollen wir denn unser Leben so teuer wie möglich verkaufen. Hören Sie den Ruf: San Gennaro! Signor? Es ist der fürchterliche Schiavone.«

Entschlossen erwarteten die drei Männer die Räuber.

Voran auf schäumendem Ross kam Schiavone, hinter ihm drei Räuber, ebenfalls zu Pferde.

»Keine Übermacht«, sprach Marco ruhig, »wir können noch siegen; suchen wir die Räuber herunterzuschießen und uns der Pferde zu bemächtigen.«

»Ah, Hunde, da habe ich Euch!«, schrie Schiavone. »Auch den Verräter Marco! Halt, lebendig wollen wir sie haben, dass ich die Hunde nach Verdienst belohnen kann.«

»Feuer!«, kommandierte Marco, selbst auf Schiavone anlegend. Im selben Augenblick krachten drei Schüsse und zwei der Räuber sanken tot von ihren Pferden, während des Dritten Kugel über ihre Köpfe dahinsauste.

Schiavone war nicht getroffen und drang auf Marco ein, der sich mit bewundernswerter Geschicklichkeit zu verteidigen verstand.

Ein schneller Blick zur Seite überzeugte ihn, dass es Leonhardt und Corso gelungen war, sich mit den beiden Pferden der erschossenen Räuber beritten zu machen, und wie sie eben den dritten Räuber, der wütend mit dem Stilett auf sie eindrang, in die Flucht jagten.

Schiavone, der die Flucht seines Kameraden ebenfalls bemerkt hatte, geriet dadurch so in Wut, dass er, alle Vorsicht vergessend, sich vom Pferd schwang und wie ein Tiger auf Marco eindrang.

Dieser hatte seinen furchtbaren Gegner nicht aus dem Auge gelassen. Er fiel zur Erde nieder, als sei er getroffen, und als Schiavone sich mit einem dumpfen Wutschrei auf ihn werfen wollte, schnellte ihn Marco mit einer so riesigen Kraft empor, dass der Räuber taumelnd niederstürzte. Diesen Moment benutzte der tollkühne Marco, um sich auf ihn zu werfen.

Er wollte Schiavone lebendig fangen und im Triumph nach Neapel bringen. Dieser Gedanke durchfuhr wie ein Blitz sein Gehirn.

In diesem Augenblick kamen Leonhardt und Georg im Galopp zurück und erhoben ein Triumphgeschrei, als sie Schiavone in Marcos Gewalt erblickten. Letzterer blutete bereits aus mehreren kleinen Wunden, doch hielt er den Räuber mit übermenschlicher Kraft am Boden fest, bis Georg ihm zu Hilfe eilte. Nur mit Mühe gelang es, ihn mit starken Tüchern so zu binden, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Schließlich drehte Marco noch ein Tuch zum Knebel und schob diesen dem Räuber zwischen die wütend zusammengeklemmten Zähne.

»So, nun beiße dir die Wolfszähne aus, Schiavone!«, sprach Marco gleichmütig, »sieh, wie traurig dein schöner Luzifer den Kopf senkt. Nun, du sollst ihn mit mir noch einmal besteigen, um deinen Triumphzug in Neapel zu halten. Ei, Luzifer soll künftig mein Leibross sein.«

So plauderte Marco mit der größten Zungengeläufigkeit, schwang sich auf den Luzifer und ließ sich dann von Georg den gefesselten Briganten-Häuptling vorn auf den Sattel legen.«

»Nun vorwärts, was die Pferde laufen können«, rief Marco.

Georg schwang sich ebenfalls auf sein Ross und fort ging es in rasender Eile, als säße die wilde Jagd hinter ihnen.