Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Schauernovellen – Die Geister der Gemordeten Teil 1

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 1
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Die Geister der Gemordeten

Requiescant in pace

Gilles Amalrich Delavigne, Schildknappe des Herrn Gerhard von St. Auber, kehrte in aller Eile zum Schloss seines Herren zurück. Gesegnet sei Herr Lietard!, dachte er. Gesegnet sei noch mehr der würdige Probst der Kirche, Herr Nicolaus von Chievers, auf dessen Verwendung der Bischoff geruht hat, mir die Erlaubnis zu erteilen, heute am hohen Fest aller Heiligen mich auf den Weg zu machen! Ohne diese Erlaubnis hätte ich erst morgen meine hübsche, junge Frau wiedersehen können. Beim heiligen Aegidius, meinem Patron, seit der gnädige Herr selbst mich mit Gertrude verehelicht und sie so reich ausgestattet hat, kommt mir ein Abend, fern von ihr, so lang vor, wie ein Weihnachtsabend, wenn man die Messe der Mitternacht erwartet. Sie wird erstaunt sein, sie wird sehr erfreut sein, wenn sie mich sobald zurückkehren sieht! …

Als ich vom Schloss abreiste, sagte sie mir mit freundlichem und doch traurigen Ton: Wie wird der armen Gertrude die Zeit lang werden, während dieser zwei langen Tage der Abwesenheit. Sie erwartet mich erst morgen und da bin ich schon auf dem Weg nach St. Aubert. In einer halben Stunde werde ich sie umarmen.

Diese Gedanken machten, dass der Reisige seinem Ross die Sporen gab, die sogleich dessen Schritte in scharfen Trott verwandelte. Übrigens hätte, ohne den Wunsch, seine Gattin wiederzusehen, jeder andere an Almarichs Stelle ein friedliches Obdach dem schlammigen und gefahrvollen Weg vorgezogen, der nach St. Aubert führte. Der Wind blies aus Norden mit Heftigkeit, der Regen fiel in Strömen und es war die Stunde, wo die Seelen der Geschiedenen, mit langen, weißen Leichentüchern bedeckt, mit knöchernem Finger an die Türen ihrer Verwandten und Freunde klopfen, um sich ihren Gebeten zu empfehlen.

Und dann weiß jeder: Wer nur auf eine gewaltsame Weise gestorben war, am Tage aller Heiligen nie still in seinem Sarg ruht, bevor er den gestraft hat, der ihn getötet hatte. Man erzählt hiervon schreckliche und wunderbare Sachen.

Doch der wackere Schildknappe Gilles Amalrich hatte an diesem gefürchteten Tag mehr als einmal gekämpft, namentlich vergangenes Jahr, wo Herr Gerhardt so schrecklich gestraft wurde, da er ein so hohes Fest entweiht hatte. Denn er wurde geschlagen, er und die seinen von den Franken gefangen genommen, gerade um die Stunde, wo er aus der Veste seines Schwiegervaters ging, um die Burg Cambrai zu überrumpeln, während man für die Geschiedenen die Vesper hielt.

Gott allein und die Heilige Jungfrau wissen, wie viel es Herrn Gerhard gekostet hat, sich loszukaufen. Das war das fünfte Mal, dass er, Gilles Amalrich, dem Bischoff Lietard einen schweren Beutel mit hundert Mark Silber bringt, ohne alle die Domainen zu rechnen, die er, nachdem er sie mit der Lanze in der Hand gewonnen hatte, wieder zurückgeben musste. Hiernächst war aber das Schlimmste von allem, eine verd… Garnison von hundert Mann Reisigen, die übermütiger als die Herren von hohem Stand waren und sechs Monate lang im Schloss hausten und fraßen. Gott sei Dank, sie sind seit ungefähr drei Monaten fort, die Lästigen.

Während diese Gedanken Zornröte in das Gesicht des tapferen Mannes trieben und er unwillkürlich den Schaft seiner Lanze fester drückte, gewahrte er weit in der Ferne ein Licht durch die Bäume, das seinen Gedanken schnell einen anderen Lauf gab.

»Gott sei gelobt!«, sagte er leichter atmend, »das ist das Schloss. Dieses Licht glänzt in dem Turm, der den linken Flügel der Wohnung deckt! Er ist ein wirklicher Leuchtturm der Liebe, denn er zeigt mir an, dass meine Gertrude in diesem Turm wacht, den wir beide bewohnen. Als gute Christin und treue Frau betet sie gewiss zu einem Heiligen für das Wohl des armen, reisenden Amalrich.«

Als er diesen Monolog im Geist beendet hatte, glitten die Füße seines guten Normannenhengstes auf die breiten Sandsteine, worauf die Zugbrücke, die nun, wie alle Abende aufgezogen war, zu ruhen kam. Indem er sein Ross einige Schritte zurückweichen ließ, stieß er ins Horn. Die Zugbrücke wurde herabgelassen und eine Schildwache fragte nach dem Ankommenden: »Tretet ein, Herr Stallmeister«, sagte sie alsdann.

Einige Schritte davon war ein Mann von ehrwürdiger Gestalt, bekleidet mit einem Rock von schwarzem Kamelot und mit einer silbernen Kette am Hals. Es war Herr Wirembaul Delavigne, Hausintendant des Burgherrn und Amalrichs Bruder.

»Jesus, mein Heiland!«, sagte er sich bekreuzigend, »bist du es, mein Bruder? Heilige Jungfrau, du hast wider die Anordnungen der Kirche gewagt, an einem Festtag, wie dem heutigen, dich auf den Weg zu machen? Wenn dir für ein so großes Vergehen nicht ein Unfall zugestoßen ist, hast du mehr Glück als Verstand.«

»Beruhigt Euch, mein frommer Bruder; haltet ein mit Euren Vorwürfen. Ich habe vom Herren Bischoff Erlaubnis, heute zu reisen. Dank diesem geweihten Pergament, ich habe keine schlechte Begegnung gehabt, weder von Kobolden noch von Geistern.

Doch muss ich sagen, ich, der nicht vor einer Steinballiste zurückweichen würde, ich glaubte fortwährend das Knochengesicht eines Reisigen zu sehen, den ich vorm Jahr an derselben Stelle tötete … Hola, he!«, rief er, sich selber unterbrechend, einem Stallknecht zu, der eben vorüberging, »führe mein Pferd in den Stall und gib ihm gutes Futter, denn es kommt vom Schloss Cambrai, wo die Pferde Streu haben bis an die Knie und wo der Intendant nicht um eine Handvoll Hafer und ein Bund Stroh knickert und knausert, wie gewisse, die ich kenne.«

Bei diesen Worten war Almarich abgestiegen und hatte dem Knecht die Zügel zugeworfen. Er ging sogleich den langen Korridor hinab und trat in einen weiten, einsamen Saal.

Die Mauern waren mit glänzenden Waffen behängt, auf denen sich der Schein einer Lampe widerspiegelte, die von der Decke herabhing. Weiterhin sah man hie und da verschiedene Kriegsinstrumente, Ballisten und dergleichen aufgehäuft.

Amalrich legte seine Lanze und seinen Helm in einiger Entfernung von den Waffen seines Herren ab. Dann entledigte er sich einer Art großer Stiefel, die innen von dickem Leder, außen aber mit beugsamen eisernen Schuppen überzogen waren.

Hernach zog er ein Kamisol aus, in das kleine Stahlringel verwebt waren, und dessen Ärmelenden die Hand in einen Handschuh ohne Finger schloss. Dieser Handschuh war in der Fläche gespalten, damit man den Degen leicht führen und die Zügel handhaben konnte. Auf den Schultern endete sich das Panzerhemd in eine Kappe von derselben Arbeit, wie das Übrige, die im Gefecht herabgeschlagen werden konnte. Drei Schuppen, breiter als die anderen, ließen die Augen sehen und den Mund atmen. Diese Art Sack, der durch sein Inneres von Büffelleder in runder Form gehalten wurde, war der einzige Helm, dessen man sich damals bediente.

Befreit von einer so lästigen Kriegskleidung blieb Amalrich im hirschledernen Wams, eine Kleidung, die durch engen Anschluss seinen hageren, aber kräftigen Wuchs deutlich zeichnete. Er stieg sofort mit Behändigkeit die Wendeltreppe hinauf, die zu dem Zimmer führte, das er und seine Frau im Schloss bewohnten. Auf dem Weg fasste er den Gedanken, seiner Gertrude einen freudigen Schreck zu verursachen, wenn er bis zu ihr mit Diebesschritten käme, wozu ihm seine Fußbekleidung von weichem, zarten Hirschleder vortrefflich diente. Er stieg also jede Stufe mit Vorsicht, und indem er das Lachen kaum unterdrücken konnte, öffnete er leise die Tür.

O Entsetzen, Wut! Gertrude liegt in den Armen Gerhards! … Er sucht seinen Dolch … Er ist ohne Waffen … Sie haben ihn nicht gesehen, nein … Ha! Seine Rache wird nur aufgeschoben werden …

In der schrecklichsten Verzweiflung, die je einen Unglücklichen mit ihrem Schwindel ergriffen hatte, wollte er in den Waffensaal hinabsteigen. Er hatte sich im Korridor geirrt. Er ging auf der Plattform des Turmes, tat noch einen Schritt. Plötzlich ertönte das Wasser des tiefen Grabens von einem dumpfen Geräusch. Amalrich war hinabgestürzt.

Einige Augenblicke danach hörte man die Glocke des Abendgebetes läuten. Die Reisigen, die Diener, die Kammerdamen traten in die Kapelle und knieten nieder. Frau Gertrude, die Gesichtsfarbe von einer leichten Röte belebt, nahm unter diesen Letzteren Platz, neben dem Betstuhl der schönen und unglücklichen Hermingarde, der Gemahlin Gerhards. Verlassen und jeden Augenblick Opfer der brutalen Laune des Burgherrn, setzte Hermingarde den härtesten Behandlungen eine englische Geduld entgegen. Den ganzen Tag im Gebet, hatte sie nur einen einzigen Zeitvertreib, die Leidenden zu trösten, und es fehlte nicht an diesen zu St. Aubert. Sie verordnete dem einen Balsam, dem anderen gab sie reiches Almosen. Alle wurden gestärkt von den schönen Reden ihrer süßen Stimme. Diese braven Leute sagten, wenn sie aus ihrer Hütte ging, oft untereinander und schüttelten den Kopf traurig. »Unsere arme gnädige Frau ist sehr blass und sehr krank, ach, wenn sie sterben sollte, die Heilige Jungfrau bewahre uns davor! was sollte aus uns werden? Wer sollte für uns Gnade erflehen beim gestrengen Herrn? Wer würde uns heilen, wenn wir krank werden? Wer würde uns trösten, wenn wir betrübt sind?«

Nachdem der Priester alle seine Paternoster hergebetet und jeder Amen geantwortet hatte, gingen die Reisigen, Diener, Kammerdamen und die Übrigen davon, die einen auf die Wache, die anderen um ruhig zu schlafen. Herr Delavigne, einer der Letzten, die herausgingen, sprach ernst seine Schwägerin an, die mit Gerhard plauderte.

»Ihr solltet wohl, Frau Gertrude, Euren Gemahl ermahnen, dass er sich nicht dem allgemeinen Gebet am Festtag aller Heiligen entziehen soll.«

»Meister Delavigne«, erwiderte sie in einem scherzenden Ton, »ich denke wohl, Almarich wird fromm seine Pflichten als Christ beobachtet haben. Wenn man den Vorschriften der Andacht bei einem Bischoff ermangelte …«

»Diese Verstellung ist nicht an der Zeit«, unterbrach sie ärgerlich der Intendant. »Der Erste, der vorhin meinen Bruder gesehen hat, war ich.«

Gertrude erbleichte und Gerhard schien einige Unruhe zu fühlen. Delavigne, überzeugt von dem feierlichen Ton Gertrudes und mehr noch von ihrer lebhaften Bewegung, faltete die Hände mit Erstaunen.

»Und was ist denn aus ihm geworden?« fragte er in einer unsäglichen Angst. »Er hat nicht wieder aus dem Schloss gehen können. Die Zugbrücke ist aufgezogen und das Gitter herabgelassen. Möge dieses Geheimnis kein großes Unglück verbergen.«

Während Gertrude Tränen vergießend zu ihrer Herrin ging, um ihre Dienste als Kammerdame zu leisten, durchstreifte der Intendant von zwei Dienern begleitet, das ganze Schloss und rief seinen Bruder mit lauter Stimme.

Der Tag fing an zu grauen und er hatte noch nichts entdeckt. Er hatte mehr als zehnmal die Wälle durchforscht. Nichtsdestoweniger gewahrte die Schildwache an der Zugbrücke den unglücklichen Delavigne, der sie noch einmal durchlief, obwohl er schon im Voraus das Nutzlose dieser neuen Nachsuchung erkannte.

»Hubert«, sagte der alte Knappe zu seinem Kameraden, der in der Nähe vor einem großen Feuer halb eingeschlafen war, »Hubert, ich muss gestehen, das Verschwinden Almarichs ist eine sehr seltsame Sache!«

»Der Stallmeister Almarich?«, fragte dieser gähnend.

»Ei was, du weißt nicht, dass er gestern kurz vor dem Abendgebet zurückgekehrt ist und dass man seitdem nicht weiß, was aus ihm geworden ist?«

»Meiner Seele, ich könnte es wohl sagen, ich, denn die Neuigkeiten, die du mir erzählst, erklären mir das sonderbare Geräusch, das ich gestern Abend hörte, als ich die Wache am Turm bei dem großen Graben hatte. Amalrich ist ertrunken.«

»Was sagst du da? Woher weißt du es?«, fragte der Greis, indem er sich seinem Kameraden neugierig näherte.«

»Es war teufelsmäßig kalt und ich war in meinen Mantel gehüllt, halb eingeschlafen.«

»Verdammter Faullenzer! Einschlafen, wenn man auf Wache steht!«, brummte der Wächter der Zugbrücke.«

»Nun, ist es denn ein so großer Fehler, am Fuße eines Turms zu schlafen, den ein dreißig Fuß tiefes Wasser schützt? … Plötzlich hörte ich einen Schall, als ob eine große Masse ins Wasser fällt. Die Nacht war eine der schwärzesten, du weißt es; ich konnte also nichts unterscheiden. Aber wenn der Stallmeister verschwunden ist, so ist kein Zweifel, dass er sich von der Höhe des Turmes herabgestürzt hat, den er allein mit seiner Frau bewohnt.«

»Und was könnte ihn zu solcher verzweifelten Handlung getrieben haben?«

Die Stimme des Reisigen wurde alsdann leiser und heimlicher. »Der gestrenge Herr liebt Frau Gertrude. Ich habe es noch gestern Morgen gesehen, dass er sie zärtlich umarmte; und bei dem Heil meiner Seele, sie ließ es sich gern gefallen. Es ist ein gutes Mittel, sich eines eifersüchtigen Ehemannes zu entledigen, die Nacht … von der Höhe eines Turmes … Gerhard, der Böswillige genannt, weil, wie man sagt, er seinen Vater vergiftet hat, um eher Herr von St. Aubert zu sein …«

»Still! Still! Solche Reden, Hubert, brächten dir den Galgen; … und doch, ach, bin ich nur zu sehr geneigt, an das zu glauben, was du sagst. Gestern Abend, als Meister Delavigne von seinem Brudersprach, machte der Herr eine Bewegung! Gertrude erblasste. Gott sei uns gnädig! Wenn es so ist, wehe unserem Herrn! Gestern war der Tag aller Heiligen: Wer an diesem Tage getötet wird, ruht nicht eher in Frieden, bis er seinen Mörder gestraft hat.«

Die beiden Reisigen erbebten plötzlich. Ein greller Schrei ließ sich an der Zugbrücke hören.

»Das ist Amalrichs Stimme!«

»Nun, Dummkopf, er war in dem Graben am großen Turm ertrunken! Du wirst einen schlechten Traum gehabt haben. Das hat eine Schildwache davon, wenn sie auf ihrem Posten einschläft. Komm, hilf mir die Brücke herablassen.«

Alle beide lachten über ihre düsteren Mutmaßungen und ließen den Stallmeister ein. Beim Anblick Amalrichs wechselten sie Blicke voll Entsetzens und bekreuzigten sich. Barmherziger Himmel! Er glich eher einem Leichnam als einem Lebenden. Seine Wangen waren bleich und hohl, sein Blick matt und stier. Als er sprach, sah man kaum die Bewegung seiner bleichen Lippen und als seine Hand die Hand der Reisigen drückte, schien sie ihnen kalt und starr, wie die eines Toten.

»Mein Bruder! Mein Bruder …«

Es war Delavigne, der voller Freuden herbeilief. Beim Anblick der schrecklichen Veränderung in den Zügen Amalrichs blieb er betroffen stehen und ließ die Arme wieder sinken, die er zur Umarmung seines Bruders ausgestreckt hatte.

Amalrich, ohne über den Schrecken, den sein Anblick einflößte, erstaunt zu scheinen, schritt still weiter. Endlich aber gab er ein Zeichen der Erregung; es war, als er plötzlich dem Ritter Gerhard begegnete.

Seine bleiche Gestalt wurde alsdann noch bleicher; nie sah ein ausgegrabener Leichnam so totenfarben aus, wie er.

Gerhard schien nicht weniger entsetzt, wie alle Übrigen, aber er verbarg seine Unruhe unter einer Miene der Strenge und Unzufriedenheit.

»Amalrich, woher kommt Ihr zu solcher Stunde, ohne Waffen und vom Regen gebadet, als wäret ihr durch die Gräben des Schlosses geschwommen? Ihr seid gestern angekommen; Delavigne hat es mir gesagt. Warum habt Ihr mir nicht sogleich berichtet, wie ihr meine Aufträge bei dem Bischoff ausgerichtet habt? Warum und wie seid ihr aus dem Schloss gegangen?«

Amalrich antwortete mit einer heiseren und langsamen Stimme, die in nichts seiner gewöhnlichen Manier zu sprechen glich. »Ich gewahrte, dass ich etwas Kostbares verloren hatte … das Pergament, das ich für Euch vom Bischoff empfangen hatte, den Empfangsschein der Ranzion, die ihr ihm schuldetet. Ich habe das Ausfallstor überstiegen, um diese Urkunde wiederzufinden. Hier ist sie.«

»Und in welcher Laune hast du diesen alten Saufbischoff gefunden?«

»Er will um keinen Preis in der Welt den Bann heben, den er gegen Eure Herrschaft geschleudert hat. Wenn ich wie ihr wäre, würde ich mich um keinen Bann kümmern. Ich würde mich an ihm rächen und meine 10.000 Mark Silber wieder holen.

Das Schloss ist schlecht bewacht. Die Ausbesserungsarbeiten, die man vornimmt, machen die Verteidigung unmöglich. Überdies wird der Bischoff heute abreisen, den Kaiser zu besuchen. Die Domherren haben ihm bei diesem einen Possen gespielt. Er nimmt die Hälfte der Garnison als Begleitung mit. 200 Mann würden sich leicht und ohne Schwertschlag dieser reichen Veste bemächtigen.

»Was sagst du da, Gilles?«

»Ja, sie sind in einer Sorglosigkeit, die ihnen teuer zu stehen kommen würde, wenn Ihr Nutzen davon zu ziehen wüsstet.«

Dann fingen der Herr und der Knappe an, noch leiser miteinander zu sprechen und gingen in das Zimmer des Burgherrn.

Eine halbe Stunde darauf herrschte die größte Bewegung im Schlosshof. 400 Reisige sattelten ihre Pferde und rüsteten sich. Gerhard ging von einem zum anderen, um zur Eile zu treiben.

Der bleiche Almarich stand auf einem Mauerabsatz und betrachtete das Treiben mit einem unheimlichen Blick.

Während das belebte Gemälde, das er unter den Augen hatte, ihn ganz und gar einzunehmen schien, legte sich plötzlich eine kleine, weiße Hand leise auf seine Schulter.

»Amalrich! Amalrich! Nach der schrecklichen Angst, die du mir diese Nacht verursacht hast, kommst du zurück, ohne mir ein Wort gesagt, ohne mich nur gesehen zu haben! Amalrich, du liebst mich nicht mehr, ich sehe es wohl.«

Er wandte langsam seine bleiche Gestalt nach ihr und fing an, schrecklich zu lächeln. Die arme Gertrude erbebte an allen ihren Gliedern.

»Ich schätze deine Zärtlichkeit, wie es sich ziemt; ich will es dir beweisen.« Und ihre Hand ergreifend, zog er sie zu dem Turm, den sie bewohnten.

»Amalrich! Alles ist zu Ross, Ihr allein seid noch nicht gewaffnet! Verdammt seien die Neuvermählten, sie denken mehr daran, Weibertränen zu trocknen, als sich mit dem Wappenrock zu bedecken.«

»Einige Augenblicke Aufschub werden mir genügen, Herr. Gewähret sie mir: Ich werde zu Euch stoßen, bevor Ihr das Ende der Allee erreicht habt.«

Die Krieger setzten sich sogleich in Bewegung. Amalrich blieb mit Gertruden allein.

Er heftete auf sie einen Blick, den sie nicht ertragen konnte, aber indem er heftig ihren Arm schüttelte, den er fest in seinem eisernen Handschuh hielt, zwang er Gertrude, den Kopf aufzurichten.

»Du bist eine treue Gattin«, sagte er endlich mit einem unaussprechlichen Lächeln zu ihr.

Gertrude sank in Ohnmacht.

Amalrich stand bewegungslos und wartete, bis sie wieder zu sich kam.

Als sie die Augen öffnete, war der unerbittliche Amalrich noch da. Das höllische Lächeln seiner Lippen war noch nicht verwischt.

»Gnade! Gnade!«

Ohne ein Wort zu sprechen, hob er sie mit einem kräftigen, eiskalten Arm empor, stieg rasch auf die Plattform des Turmes und zeigte ihr mit dem Finger den Abgrund, der sich unter ihren Füßen öffnete.

»Habe wenigstens Mitleid mit dem Heil meiner Seele«, rief sie in Verzweiflung.

»Sei denn gerettet, du … aber dein Verführer sei verdammt.«

Sie versuchte zu beten.

»Amalrich! Amalrich! … Gnade, Gnade!«

Er antwortete nicht, ergriff Gertrude bei den Haaren, hielt sie einige Augenblicke über den Abgrund, so, um ihren grässlichen Todeskampf zu verlängern …

Dann war es geschehen.