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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 15

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Fünfzehntes Kapitel

Hugo Calveley

Jocelyn schloss sogleich, dass der Mann, der den Blumenstrauß auf den Boden geworfen hatte, niemand anders sein könne als Hugo Calveley. Aber aller Zweifel über diesen Punkt wurde von Aveline selber entfernt, die in vorwurfsvollem Ton rief: »O Vater! Was habt Ihr getan?«

»Was ich getan habe?«, versetzte der Puritaner mit lauter Stimme, als wünsche er, seine Worte möchten von der Versammlung draußen gehört werden. »Ich habe getan, was du selber hättest tun sollen, Aveline. Ich habe meinen Abscheu gegen diesen törichten Gebrauch ausgesprochen. Aber warum finde ich dich hier? Dies ist kein passender Anblick für ein verständiges Mädchen und ich dachte nicht, dass meine Tochter solche profane Schaustellungen durch ihre Gegenwart ermutigen würde. Ich dachte nicht, dass du, Aveline, zusehen und lächeln würdest, während dieses unwissende und umnachtete Volk seinen Götzen aufstellt, pfeift, tanzt und singt um denselben, wie die Heiden um ihre Götter. Denn es ist ein Götzenbild, welches sie aufgestellt haben, und gleich den Heiden sind sie Verehrer von Stöcken und Steinen geworden. Ist es uns nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift verboten, uns Götzenbilder zu machen? Die Sünden der Abgötterei und des Aberglaubens werden gewiss das göttliche Missfallen erregen und das Feuer seiner Wut entzünden, wie in den Tagen des Moses nach der Verehrung des goldenen Kalbes durch die Israeliten. So sprach der beleidigte Gott: Lasst mich allein, dass meine Wut heiß werde gegen sie und dass ich sie verzehre. Furchtbar will der Herr die bestrafen, die sich solcher Sünden schuldig machen, denn hat er nicht erklärt, wie wir im dritten Buch Moses lesen: Ich will eure Städte verwüsten und Eure Heiligtümer zerstören. Und er gab die Versicherung, Tochter, dass schwere Heimsuchungen auf das Land fallen werden, wenn man die Warnung nicht zur rechten Zeit annimmt!«

»Nein, lieber Vater, ich kann die Sache nicht aus demselben ernsten Gesichtspunkt ansehen wie Ihr«, versetzte Aveline, »auch denke ich nicht, dass etwas Böses aus den gegenwärtigen Belustigungen entstehen kann, außer für die Übelgesinnten. Ich muss offen gestehen, dass es mir angenehm ist, bei einer so unschuldigen Belustigung, wie diese, zugegen zu sein, während ich mich nie entschließen kann, jenen Maibaum mit seinen hübschen Verzierungen von Blumen als ein Sinnbild des Aberglaubens und der Abgötterei zu betrachten. Dennoch, hättet Ihr mir befohlen, mich des Anblicks zu enthalten, würde ich Euch unbedenklich gehorcht haben. Aber ich dachte, es stände mir frei, meiner eigenen Neigung zu folgen.«

»So war es auch, Kind«, versetzte der Puritaner, »weil ich mich vollkommen auf dich verließ und nicht dachte, dass du dich so leicht vom Satan täuschen lassen würdest. Ich beklage, dass du den Aberglauben und die Bosheit nicht entdecken kannst in diesem falschen, wenn auch schön scheinenden Schauspiel. Bemerkst du nicht, dass diese Leute, indem sie dieses hölzerne Götzenbild aufpflanzen und verehren, zu den dunklen und sündhaften Gebräuchen des Heidentums zurückkehren, wovon dies ohne Zweifel ein Überbleibsel ist? Wenn du dies nicht einsehen kannst, will ich es dir später deutlich machen. Aber ich sage dir jetzt kurz«, fuhr er mit Donnerstimme fort, die darauf berechnet war, zu denen in der Ferne zu gelangen, »dass die Zeremonie gottlos ist, dass die, welche daran teilnehmen, Götzendiener sind und dass die, welche zu sehen und es billigen, Teilnehmer an der Sünde sind.«

Hierauf erhob sich ein Gemurmel des Missfallens unter der Menge, doch wurde es sogleich durch die Neugierde unterbrochen, Avelines Antwort zu hören, die in klaren und milden, aber deutlichen Tönen ausgesprochen wurde.

»Fern sei es von mir, mit Euch zu streiten, lieber Vater«, sagte sie, »und mit Widerstreben spreche ich eine Meinung aus, die der Eurigen entgegengesetzt ist. Aber es scheint mir unmöglich, diese Zeitvertreibe mit heidnischen und abergläubischen Gebräuchen in Verbindung zu setzen, denn wenn sie auch einige Ähnlichkeit mit den Zeremonien haben, die zu Ehren der Göttinnen Maja und Flora ausgeführt wurden, so ist doch dieser Glaube gänzlich vergessen und der Geist desselben erloschen, sodass er nicht wieder aufleben kann in Belustigungen, die nur harmlose Freude zum Zweck haben. Ich bin gewiss, keiner von diesen würdigen Leuten denkt im Geringsten an Gottlosigkeit.«

»Du weißt nicht, was du sprichst, Mädchen«, versetzte der Puritaner heftig. »Der böse Geist ist nicht erloschen und diese Gräuel beweisen, dass er sein verderbliches Haupt wieder erhebt, um zu beflecken und zu zerstören. Hört meine Worte, Ihr Eitlen und Törichten!«, fuhr er fort, indem er sich dem Fenster näherte und seine Arme gegen die Versammlung ausstreckte. »Bereut Eure Sünden, ehe es zu spät ist! Haut jenes empörende Götzenbild nieder, welches Ihr Euren Maibaum nennt und werft es in die Flammen! Stellt Eure frechen Belustigungen, Eure lärmende Musik, Eure gottlosen Tänze ein. Hört, was der Prophet Jesaias sagt: ›Wehe denen, die früh am Morgen aufstehen, um den starken Getränke nachzugehen.‹ Und wieder an einer anderen Stelle: ›Wehe den Trunkenbolden von Ephraim.‹ Und ich sage: Wehe auch Euch, denn Ihr seid gleich jenen Trunkenbolden. O! Begeht nicht diese Gräuel, die meine Seele hasst. Macht Euch nicht der rohen Sünde der Trunkenheit schuldig. Denkt an Hiobs Worte: ›Sie nehmen die Zimbel und Harfe und erfreuen sich an dem Schall der Posaunen. Sie bringen ihre Tage in Lustbarkeiten zu und in einem Augenblick gehen sie hinunter ins Grab.‹ Haut Euer Götzenbild um, sage ich wieder. Vernichtet es gänzlich und verstreut die Asche in die Winde. Zerreißt den Flitter, worin Ihr Eure törichte Maikönigin gekleidet habt. Unterlasst Euren sinnlosen und profanen Mummenschanz und entlasst Eure Robin Hoods, Eure Bruder Tucks und Eure Steckenpferde. Bringt Eure verdammten Musikanten zum Schweigen und geht friedlich in Eure Wohnungen. Gebt Euer sündhaftes Leben auf, oder gewiss, der Herr wird unversehens kommen und Euch zerschmettern und Euer Erbteil den Ungläubigen geben.«

So volltönend war die Stimme des Puritaners, so ausdrucksvoll seine Blicke und Gebärden, dass seine Rede allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Während er sprach, wurden die Belustigungen völlig eingestellt. Die Musikanten hörten auf zu spielen und die Tänzer stellten ihre lustige Runde um den Maibaum ein. Die arme geschmähte Maikönigin, die nach Verwerfung ihres Straußes zu Jocelyn zurückgeeilt war, sah nun doppelt bekümmert aus bei diesem direkten Angriff auf sie und ihren Putz und verzog ärgerlich ihre hübschen Lippen. Dick Taverner, der an ihrer Seite stand, schien die Beleidigung rächen zu wollen und drohte dem Puritaner mit der Faust. Jocelyn selber war ärgerlich und verlegen, denn wenn er gleich geneigt war, für die Versammlung Partei zu ergreifen, so verhinderte doch das zunehmende Interesse, welches er für Aveline empfand, ihrem Vater zu widersprechen.